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Dienstag, 6. Januar 2015

Meine Hand schließt sich um ein ...

Du hast deine Krone abgesetzt. Für mich. 

Wir lagen im Feld, die Stoppeln durchstachen unsere Rückenhaut. Wir würden blühen, eines Tages. Ahntest du etwas? Hattest du deshalb ...?

Teil zu sein eines ewigen Kreislaufs. Machte uns das klein? Oder groß?

Damals stellten wir kindliche Fragen. Später schämten wir uns dafür. Noch später übten wir Nachsicht mit uns. Irgendwann würden wir uns die damalige Weltsicht zurückwünschen. 

Vorerst hast du: deine Krone abgesetzt. Für mich.

Wollen wir tanzen? Meine Lust, dich aufzufordern.
Ich habe etwas gefunden. Willst du es sehen?
Meine Hand schließt sich um ein ... G e h e i m n i s

Wir tanzen längst, sagst du. 
Ja, das tun wir. Und du, du hast deine Krone abgesetzt. 
Darf ich noch etwas anfügen? Ja, darf ich? Also gut: Diese Krone: Du hattest kein Recht, sie zu tragen. Weißt, wusstest du das?

Du bleibst stumm. Natürlich, das bliebe ich wohl auch. Aber deswegen gleich verzeihen? Ach komm, ein wenig Herausforderung!

Wir tanzen seit je, sage ich. Und du, du hättest deine Krone längst absetzen müssen. Es war gerade noch rechtzeitig. Weißt du? Es war ganz schön knapp. Fast wären wir ... wärest du ... wäre ich ...

Wir würden blühen, eines Tages, so ging mein Traum, oder besser: das stumme Versprechen darin.
Und fast wäre die Möglichkeit, dass es wahr werden könnte, eines Tages – fast wäre schon die bloße Andeutung einer Möglichkeit zu einem Stäubchen im Wind geworden. Und das einzig wegen einer zu Unrecht getragenen Krone. Auch das spricht mein Traum.

[So zweifellos zu trauen, so sicher zu folgen dem aus der eigenen Tiefe Heraufsteigenden. Ja.]

Du hast deine Krone abgesetzt. Warum?
Ist das wichtig?, fragst du.
Ja, sage ich, gänzlich unreflektiert. Es ist mir wichtig. Das von dir hören zu wollen, das ganz genau wissen zu wollen nehme ich mir raus.

[Wie ich mir viel öfter was rausnehmen sollte aus der Schatzkiste mit den Selbsterlaubnissen.]

Öffnest du deine Hand für mich?, fragst du.
Du forderst mich ganz schön heraus.

Mittwoch, 22. Oktober 2014

in ihrem Traum

ein zum Platzen reifer Kuss liegt auf ihren Lippen. er pflückt ihn, beiläufig, achtlos. der Moment zerspratzt in metallischen Geschmack.
siehst du nicht, was du anrichtest?, möchte sie fragen. 
da hat er bereits den letzten Milliliter Luft aus ihren Lungen herausgesaugt.
ihre Brust fällt ein. seine schwere Hand nistet in der Kuhle, leer, die Beute hat er selbst verzehrt, so ungeheuer gierig. das Kind, noch ungeboren, wird verhungern. 
sie hält den Blick über ihren Tod hinaus, viel länger als er. das bringt ihn um den Verstand. 
ich sehe!, möchte er rufen, eine letzte verzweifelte Intervention. zu spät. seine Zunge zerfällt zu Staub, der bedeckt ihren rosenblättrigen Mund. 
wie gern würde er jetzt aufwachen. aber sie entlässt ihn einfach nicht aus ihrem Traum. 

so stellt es sich dar. und das kann vieles bedeuten, wie sie und er und das ungeborene Kind und der Tod und das Publikum wissen. 
und so nicken sie weise: die Klugen. die Abgeklärten. die so Sicheren. meint: die Bedauernswerten, Erbarmungswürdigen, Unterworfenen. allesamt.

Sonntag, 1. Juni 2014

Der Fünf-Mark-Trick

"Hier haste fünf Mark, kauf dir deine Kindheit zurück", sagt er und verschwindet, bevor ich etwas erwidern kann.
Komischer Traum, denke ich und schüttle mich wach. 
Hallo?!
Ich schüttle mich wahach!!
???
Nichts.
Okay, das kenne ich: Manche Träume sind gar keine. Was hat er gesagt?
Ich öffne meine Hand, die ich um das Fünfmarkstück geschlossen habe und muss grinsen. In mich hinein. Auch aus mir heraus, aber das geht niemanden was an.
Ich beginne über D-Mark und Euro nachzudenken und darüber, wieviel bzw. wie wenig man für diesen Geldbetrag käuflich erweben kann. Bremse mich aber rechtzeitig. Denn so absurd, wie diese Geschichte angefangen hat, soll sie auch weitergehen. Heißt: Alles ist möglich!

Was hätte ich denn gerne zurück?


... die warme weiche Bettdecke, die Kuscheltiere, das Fenster zu sämtlichen Jahreszeiten, die Leckmuschel, das kleine Vanilleeis am Stiel, die Wiese mit dem hüfthohen Gras, den klaren Bach und den hölzernen Steg darüber, die Schaukel, die so weit schwingt, weil sie an einem hohen Ast aufgehängt ist, den Grießbrei mit der Butterpfütze, das Sofa mit dem goldenen Cordbezug, Bonanza, Lassie, Flipper, mein erstes Fahrrad, meine ersten Schlittschuhe, das Tarzanspielen einen ganzen Sommer lang, das Lesezelt aus Tisch und Bettlaken ...

Das ist schon einiges, und das Fünfmarkstück ist noch längst nicht aufgebraucht. Um korrekt zu sein: Es ist nicht mal angebrochen. Weiter im Text:

... meine kleine Hand in einer großen Hand, den ersten Schultag, das buntgestreifte Sommerkleid, den Kletterapfelbaum, das zugeflogene Entenpaar, die roten Kniestrümpfe, die neuen Sandalen, das aufgeschürfte Knie und "Heile, heile Gänschen", die Freundinnen, die Lachanfälle, den Schwimmbadgeruch, das Sommergeräusch, den Glauben ans Christkind, das unbedingte unbewusste Vertrauen, die Karussell- und Achterbahnfahrten, die Zuckerwatte, alles ... alles bis zum Alter von zwölf Jahren, danach nichts mehr, erstmal ...

Die fünf Mark sind noch da. Ist ja klar, alles spielt sich in meinem Kopf ab. Oder? Immerhin ist es abrufbar. Es ist geblieben, weil nichts, das einmal war, je verschwindet. Auch nicht die doofen Sachen, leider. Aber für die taste ich das Fünfmarkstück nicht an.

Mittwoch, 9. Oktober 2013

Epilog (nach dem Traum 25) & Geschafft! (fürs Erste)


Die zwei Frauen standen am geöffneten Fenster ihres Schlafsaals und blickten hinaus zur Mauer, die das gesamte Areal umschloss.
"Meinst du, wir können noch mit ihrer Rückkehr rechnen?", fragte die eine.
Die andere schüttelte den Kopf: "Hast du vergessen, wie lange sie schon fort ist? Morgen sind es genau drei Monate! Niemand kann da draußen so lange überleben."

Ein Windstoß trieb ein paar herbstlich gefärbte Blätter herein. Die Frauen schlossen das Fenster, warfen ihre Kutten über und machten sich auf den Weg zum Versammlungsraum. Sie waren spät dran, gleich begann der Morgenappell, und die Hüter legten großen Wert auf Pünktlichkeit.


*



Geschafft! Die Nachtigall-Geschichte ist abgeschlossen. Naja, fast, jetzt kommt die Überarbeitung, das Schleifen der Schnittstellen zwischen den einzelnen Fragmenten, das Füllen, Wegstreichen etc. Darauf freue ich mich aber.
Wer die Geschichte am Stück lesen möchte, kann das entweder hier * oder dort** tun. 
*Hier kann man den Entstehungsprozess verfolgen inklusive meiner Überlegungen und sämtlichen Kommentaren, der jüngste Text steht an oberster Stelle, also zunächst ganz zurückscrollen.
**Dort steht der reine Text, die einzelnen Kapitel in chronologischer Reihenfolge, manches ist bereits überarbeitet, einen Prolog gibt es jetzt ebenfalls. 
Und so, wie es nun ist, bleibt das Ganze für die nächsten zwei Wochen stehen. Denn:

Morgen geht's ans Meer! Genauer: an die Nordsee. Noch genauer: auf eine der nordfriesischen Inseln. Ich war schon fünfmal dort, aber noch nie im Herbst. Das Licht soll im Oktober besonders schön sein. Ich lasse mich überraschen.

Ahoi! Und bis bald.

Sonntag, 6. Oktober 2013

Der Aufbruch 3 (nach dem Traum 24)

Die Nachtigall. Der Abschied von ihr ist der seltsamste von allen, die mit meinem Fortgang einhergehen. Schliefe sie noch immer, könnte ich sie einfach mitnehmen, könnte sie weiterhin hüten und durch die notwendigen Verrichtungen am Leben halten. Aber nun, da sie erwacht ist, braucht sie mich nicht mehr, und ich bezweifle, dass sie mich aus freien Stücken begleiten wird. Sie wird sich einen Partner suchen, das heißt, da sie ein Männchen ist, wird sie sich eine Partnerin herbeisingen, mit dieser eine Familie gründen. Sie wird ganz einfach ihrem Instinkt folgen und genau das von der Natur für sie Vorgesehene tun. Und sie wird es nicht in Frage stellen. Wird sie glücklich sein? Ohne darum zu wissen?

Ich habe Rucksack und Tasche geschultert, halte in der einen Hand das Bündel mit dem Proviant und in der anderen einen Stock, den du mit Schnitzereien versehen und auf deinen Wanderungen benutzt hast. Meine Schultern sind stark und meine Beine kräftig. Am schwersten wiegt mein Herz. Noch.

Auf dem ersten Wegstück, dem Lauf des Flusses folgend, begleitet mich die Nachtigall. Manchmal fliegt sie ein Stück voraus, um sich dann auf einem Zweig niederzulassen, bis ich sie eingeholt habe. So geht das eine Weile, bis sie endlich von einem Zweig emporflattert, mich ein letztes Mal umkreist und dann in entgegengesetzter Richtung davonfliegt. Ach, du kleiner Vogel! Du geliebtes, zartes, starkes Wesen. Du Begleiter einer Zeit der Wunder. Ich wünsche dir alles Glück der Welt.

Die Endgültigkeit dieses Abschieds bedrückt mich weniger, als ich vermutet hatte. Da blitzt ein silbrigheller, knisternder Funke durch all das Dunkel der vergangenen Tage. Vorfreude, Gespanntheit, Lust auf etwas Neues.

Nach vielen Stunden, aber noch vor Einbruch der Dämmerung, mein Proviant ist fast aufgezehrt, erblicke ich die ersten Häuser am Rand der Siedlung. Wir hatten dort bei freundlichen Menschen und mit dem wenigen Geld, das wir besaßen, Ausrüstung für unseren Aufenthalt im Freien gekauft. Ich habe keine Furcht, die kleine Stadt und ihre Bewohner sind mir in guter Erinnerung. Bald nehme ich erste Geräusche wahr: Feierabendverkehr, vereinzelte Rufe, ein Kinderlachen, das Läuten der Türglocke beim Bäcker. Dann die Gerüche: Asphalt, Benzin, Brot, gebratenes Fleisch. 

Am Brunnen auf dem Marktplatz lasse ich mich auf einer Bank nieder, Rucksack und Tasche platziere ich neben mir auf dem Boden. Ich strecke die Beine aus und dehne meine Arme. Das Plätschern des Brunnens erinnert mich an den Fluss, Freund unserer Lagerzeit, Begleiter meines heutigen Weges.

Am anderen Ende der Bank sitzt ein alter Mann, auf seinen Knien ein kleines Mädchen. Immer wieder taucht sie ihre Hände ins Wasser und streicht dann mit ihnen durch sein schütteres Haar. "Ich mache dir eine Königsfrisur", ruft sie und kichert. Der alte Mann brummt vor Vergnügen und kitzelt das Kind am Bauch, dass es zu zappeln beginnt und sich vor Lachen krümmt. Dann bemerkt es mich, sieht mich mit großen Augen an, streckt sich zum Ohr des Mannes und flüstert ihm etwas zu. Er nickt und wendet sich mir lächelnd zu. 
"Meine Enkelin meint, wir sollten Sie mal nach Ihrem Namen fragen. Sie sind neu in der Stadt, nicht wahr?"
"Ja, das bin ich", erwidere ich und füge nach kurzem Zögern hinzu: "Und einen Namen habe ich nicht." 
Der Alte stutzt und blickt mir forschend in die Augen. Die Kleine hingegen springt auf, klatscht in die Hände und ruft: "Das ist toll! Dann denken wir uns einen aus. Ja, Opa, machen wir das? Denken wir uns einen Namen für sie aus?" 
Ohne den Blick von mir zu wenden, nimmt der Mann das Mädchen am Arm, zieht sie zu sich heran und mahnt sachte: "Pst, meine Kleine, immer mit der Ruhe. So etwas will mit Bedacht angegangen sein. Mir scheint, wir lernen hier gerade eine ganz besondere Person kennen." 
Das Kind schmiegt sich an seine Beine und verstummt. Er aber nickt mir mit warmer Freundlichkeit zu, zwinkert und sagt: "Fürs erste heißen wir Sie herzlich willkommen in unserem Königreich."

Freitag, 4. Oktober 2013

Der Aufbruch 2 (nach dem Traum 23)

Meine Hände so tätig und leer zugleich.

Ich räume unseren Platz, falte Kleidung, rolle Decken und Planen zusammen, sortiere Verzichtbares aus, schaffe Essbares herbei zur Wegzehrung, fange einen Fisch, töte ihn und nehme ihn aus, entzünde ein letztes Feuer, brate den Fisch, stopfe mir das zarte Fleisch mit den Fingern in den Mund, stochere mit einem Ast in der Glut herum, lösche sie schließlich vollends, indem ich einen Topf Wasser hineinschütte.
Ich packe soviele von unseren Sachen in meine Tasche und in deinen Rucksack, dass beide fast aus den Nähten platzen, ziehe meine Decke unter Anstrengung wieder heraus und stopfe stattdessen deine hinein, wegen des daran haftenden Geruchs.
Ich bereite mir zum letzten Mal ein Schlaflager unter der Rotbuche, wasche mich am nächsten Morgen ein letztes Mal im Fluss, hülle mich anschließend in mehrere Lagen Kleidung, schnüre meine Schuhe, bündele meinen Proviant in einem deiner Hemden und verabschiede mich von diesem Ort, indem ich ein letztes Mal mit der Hand übers Gras streiche, sie auf die glatte Rinde des Baumes lege, sie in den Fluss tauche, der mich als einziger begleiten wird, denn ich habe mich entschieden, seinem Lauf zu folgen, zu der Siedlung, die einen Tagesmarsch entfernt in nordwestlicher Richtung liegt.
Ich schnüre mein Nachtlager zu einem Paket und vergrabe dieses mit der benutzten Spritze und dem Pop-up-Bilderbuch in dem Erdloch, das wir für die Fundstücke ausgehoben hatten. Auch den Klappspaten lasse ich zurück, zwischen den Wurzeln der Buche versteckt.

Ich knie ein letztes Mal vor deinem Grab nieder und lege beide Hände auf die Erde. Aus wie unendlich vielen Teilen doch ein einziger Abschied besteht.

Was ich nicht mehr berühren kann:
Dich, weil du zu tief schläfst.
Die Nachtigall, weil sie erwacht ist.

Donnerstag, 26. September 2013

Der Aufbruch 1 (nach dem Traum 22)

Als ich aufwache - weit über den nächsten Morgen hinaus, so fühlt es sich jedenfalls an - als ich also endlich aufwache, ist jede Faser meines Körpers so schlafsatt, als hätte ich einen ganzen Berg von Nächten verschlungen. Ich verspüre einen immensen Tatendrang.
Trotzdem springe ich nicht sofort auf, denn auch mein Geist ist blitzwach und rät mir, mich mit Bedacht in den neuen Tag hineinzutasten. Kann ich doch hinter meinen noch immer geschlossenen Lidern nicht wissen, wie die Welt um mich herum aussieht. Jetzt, nachdem ich offenbar endgültig erwacht bin aus dem Traum und dem daraus geborenen Geschehen. 

Ich lausche aufmerksam, versuche auszumachen, ob sich der Klang meiner Umgebung verändert hat. Aber da ist das gewohnte Streichen des Windes, das Gluckern des Wassers im Flussbett, das leise Rascheln vereinzelt fallender Blätter. Da ertönt ein vertrauter Gesang. 
Zögernd streiche ich mit den Händen über meinen warmen Leib unter der dicken Decke, taste weiter, streiche über mein Gesicht, durchs Haar, über den Rand der Lagerstatt hinaus durchs taufeuchte Gras. Alles fühlt sich vollkommen vertraut an.
Ich öffne die Augen und erblicke über mir die Plane, die wir an Regentagen verwendeten. Mir fällt wieder ein, dass ich sie trotz des wolkenlosen Himmels vorsorglich über mein Lager gespannt hatte, weil ich nicht wusste, wie die Spritze wirken würde. Ob ich vor dem zu erwartenden Erwachen zunächst in tiefen Schlaf sinken oder in irgendeiner anderen Weise schutzbedürftig sein könnte.

Mein Körper und mein nächster Umkreis scheinen unverändert. 
Ich richte mich auf und wage einen Blick hinüber zu deinem Grab. Auch dort ist alles wie zuvor. Du bist nicht mehr bei mir. Aber du warst da, ich habe dich nicht bloß geträumt. Dein Grab ist da, umrundet von Kieseln, in der feuchten Erde der Abdruck meines Körpers, am Kopfende das Treibholz-Ypsilon, auf Brusthöhe der Herzstein.
Alles Sichtbare um mich her legt Zeugnis ab von unserer gemeinsamen Zeit.
Was aber hat sich dann verändert? Denn dass etwas anders ist, spüre ich überdeutlich. 
Ich horche in mich hinein. In meinen Körper scheint eine neue Lust nach Bewegung und Tätigkeit eingezogen zu sein. Meine Füße zappeln, als wollten sie auf der Stelle losmarschieren. Meine Hände lassen sich nicht stillhalten, sie wollen unbedingt zupacken. Mein Blick schweift in die Ferne, und ich erkenne, dass er über die Grenze des Gewohnten springen will.

Ich muss los, sage ich zu mir und, weil ich einen Zeugen wünsche, zur Nachtigall. Dann beginne ich, meine Sachen zu packen.


Fortsetzung folgt

Montag, 23. September 2013

Das Erwachen 3 (nach dem Traum 21)

Welches Wort drückt einen Seufzer aus, so tief und lang, dass er Stunden, Tage und Nächte füllt? Welches Wort? Ich suche und finde es nicht. Es gibt keins. Soll ich eins erschaffen? 
Manches will unbezeichnet bleiben, stelle ich mir vor, denn jede Bezeichnung wäre ein zu enger Raum, jeder einzelne Buchstabe ein scharfkantiger Stein. 
Es gibt kein Wort für diesen langen, tiefen Seufzer, es gibt nur stummen Zwischenraum, bereit, gefüllt zu werden. Ich lernte von dir, dieses weite Gefäß zwischen den Zeilen zu lieben, das so geduldig und beharrlich alles aufnimmt.

Du fehlst! Ich lag in deiner Hand, sie war mir ein Hafen. Nie dachte ich, dass ich den Anker je wieder lichten und erneut aufbrechen würde. Nun hat der Hafen mich ausgestoßen, und ich treibe, einsam.
Und frage mich, welche Einsamkeit die größere ist: Die eine, hervorgerufen durch das Fehlen deiner Hand, oder die andere, verursacht durch die Nachtigall, die, nun endlich erwacht, meiner Hand nicht mehr bedarf.

*

Es ist früher Abend. Ich sitze auf unserer Lagerstatt, vor mir die Spritze und das Bilderbuch. Der Gedanke lässt mich nicht los, dass ich mich möglicherweise immer noch in einem Traum befinde. Also habe ich beschlossen, mir die Spritze zu verabreichen, das Serum, welches laut deiner Notiz ein Erwachen bewirken soll. 
Ich löse die Schutzkappe von der Kanüle, halte sie senkrecht in die Höhe und drücke den Kolben, bis ein winziges, zähflüssiges Tröpfchen austritt. Ich werde weder unter die Haut noch in die Vene spritzen, ersteres erscheint mir zu unsicher bezüglich der Wirkung, zweiteres traue ich mir nicht zu. Mit der linken Hand fasse ich das Fleisch meines Oberschenkels, zähle bis drei und stoße die daumenlange Nadel in den Muskel. Dann schiebe ich langsam den Kolben bis zum Anschlag hinunter. Ein leichter Druck, ein Brennen, beides erträglich. Ich ziehe die Nadel heraus und presse ein Huflattichblatt auf die Einstichstelle, bis sie nicht mehr blutet. 
Anschließend schlage ich das Pop-up-Bilderbuch auf mit seinen samtroten, hintereinander fallenden Vorhängen. Ich öffne einen nach dem anderen bis ich in der Buchmitte angekommen bin und wieder, wie damals in dem seltsamen Haus, den dunklen Spalt vor mir habe. Ich erinnere mich an den grenzenlosen Raum dahinter, in den wir mit unseren Armen vorgestoßen waren. Diesmal tauche ich mein Gesicht hinein und finde zunächst den tiefsten je geschlafenen Schlaf.


Fortsetzung folgt

Mittwoch, 11. September 2013

Das Erwachen 2 (nach dem Traum 20)

In den darauffolgenden Tagen kümmere ich mich weiter um dein Grab. Es soll schön sein. 
Ich ebne den aufgeworfenen Erdhügel. Er wird sich mit der Zeit weiter senken. 
Ich umrunde es mit Kieseln, die ich aus dem Flussbett klaube.
Ich säe die Sonnenblumensamen aus und hoffe, dass sie den Winter überleben und im nächsten Sommer aufgehen werden. Auf dem Tütchen steht: Aussaat März bis Juni. 
Ich nehme mir das Stück Treibholz vor und überlege, ob ich ein Kreuz daraus fertigen soll. Als ich es probehalber am einen Ende spalte, biegt es sich auf zu einem Ypsilon. Das gefällt mir. Viel besser als ein Kreuz. Eine nach oben sich weitende Öffnung. Es wird verwittern, aber das werde ich nicht mehr mitbekommen, also ist es in Ordnung für mich. Ich stecke das Ypsilon ans Kopfende deines Grabs und drücke als zusätzlichen Halt rundum ein paar faustgroße Kiesel in den Boden.
Ich suche stundenlang nach einem herzförmigen Stein und platziere diesen, nachdem ich ihn endlich gefunden habe, auf Höhe deiner Brust. Ich lege mich dazu, bis die Nacht hereinbricht. 

Bei allen Verrichtungen schlägt mein Herz seltsam ruhig. Ich kümmere mich um dein Grab und um unseren Platz, beschaffe Nahrung, bade täglich im Fluss und wasche meine Kleider. Ich esse, trinke, schlafe, funktioniere.

Die Nachtigall unternimmt derweil kleine Ausflüge, von denen sie bisher noch jedesmal zurückkehrt. Sie singt. Für mich und von Liebe und Tod, bilde ich mir ein und lege unsere ganze Geschichte in ihr Lied. Irgendwann wird sie zuende gesungen, unsere Geschichte zuende erzählt haben und nicht mehr an diesen Platz zurückkehren. Dann werde auch ich aufbrechen müssen. Nur: Wohin?

Wie ich in allem nach Zeichen und Hinweisen suche. Wie ich allem eine höhere Bedeutung beimessen will.
Und doch kann dies nicht verhindern, dass die Tage kürzer und die Nächte kühler werden. Dass es häufiger regnet und die ersten Blätter fallen. Dass der Herbst kommt, um unseren Sommer endgültig abzulösen.

Manchmal beschäftigt mich die Frage, ob ich vielleicht noch immer träume.
Die Spritze fällt mir ein und deine Notiz, dass das Serum ein Erwachen bewirkt. Ich krame sie hervor, ebenso das Pop-up-Bilderbuch und lasse ein paar neue, ungewohnte Gedanken zu.


Fortsetzung folgt

Sonntag, 8. September 2013

Das Erwachen 1 (nach dem Traum 19)

Ich schlafe unruhig in dieser Nacht nach deinem Begräbnis. Im Traum durchlebe ich wieder und wieder Szenen unserer gemeinsamen Zeit. 
Die Flucht aus dem seltsamen Haus, nach der ich dich zunächst verloren glaubte. 
Die Wiederbegegnung mit dir im Fluss, das Errichten unseres Lagers, das Erkunden der Umgebung. Das Verschwundensein des seltsamen Hauses.
Wie wir essbare Pflanzen sammelten, Fische fingen. Uns liebten. Am Tag und in der Nacht. Im Fluss, im Gras, auf der Sandbank. 
Das gegenseitige Erforschen unserer Körper, unsere schier unersättliche Neugier.
Die Beschäftigung mit den Fundstücken aus dem Haus. Das Hüten und Versorgen der Nachtigall.
Unsere Zwiegespräche. Deine für mich oft rätselhaften Aussagen über Sinn und Zweck dessen, was uns geschieht und dessen, was wir tun. Über Liebe, Freiheit und Schönheit. 
Deine stille Gelassenheit, mein berstendes Glück. Deine Geduld, meine Ungeduld. Deine Zugewandtheit, meine allmähliche Gesundung. 
Unsere Verbindung, von der ich gehofft hatte, sie würde ewig dauern.
Dein plötzlicher Tod. 

-

Kurz vor Einsetzen der Dämmerung reißen mich ungewohnte Laute aus meinen Träumen, ein nie zuvor gehörter Gesang.




Die Nachtigall ist aus ihrem Schlaf erwacht.


 
Fortsetzung folgt

Samstag, 7. September 2013

Ende und Anfang 3 (nach dem Traum 18)

Ich benötige zwei volle Tage, um ein Loch auszuheben, das lang und breit und tief genug ist. Du hattest genau diese Verwendungsmöglichkeit für unseren Klappspaten notiert. Ich war darauf gestoßen, als ich einmal heimlich in deinen Notizen geblättert hatte und wünschte nun, ich hätte unsere letzten gemeinsamen Tage  frei von der Last dieses Wissens genießen können.
Mein Rücken und meine Arme schmerzen, meine Hände sind voller Blasen, aber jeder körperliche Schmerz ist besser als der andere, tiefere.
Zwischendurch lege ich Pausen ein, unter anderem, um dich zu waschen, dir frische Kleider anzuziehen und dich in Decken zu hüllen, auch dein Gesicht, was mich einige Überwindung kostet, aber notwendig ist, um dich vor den Fliegen zu schützen. Später, in der dunklen Erde, wird du gänzlich ausgesetzt sein, aber hier, im Licht, an der Luft, will ich es noch verhindern.

Mit Hilfe der Decken ziehe ich dich schließlich bis an den Rand deines Grabes. Ich würde dich gerne langsam hinablassen, aber dafür bist du mir zu schwer. Keinesfalls will ich dich hineinrollen, zu groß ist die Gefahr, dass du mit dem Gesicht nach unten zu liegen kämest. Nicht auszudenken! 
Schließlich steige ich selbst in die Grube und ziehe dich herunter. Das funktioniert. Stück für Stück rutschst du hinab, gehalten von meinen Beinen auf der einen und der Erdwand auf der anderen Seite. Nachdem es geschafft ist, stemme ich mich wieder hinauf, hocke mich an die Kante oberhalb deiner Füße und betrachte ein letztes Mal dein Gesicht und die Konturen deiner Gestalt unter der Decke. Kaum dass ich dich noch darin finde.
Also bedecke ich dich endlich mit Blättern, zuerst das Gesicht, die Lider, dann den Rest und streue anschließend einen Teppich aus Blüten und Gräsern über dich. Ein paar besonders schöne Steine und Hölzer, die wir im Laufe der Zeit gesammelt hatten, füge ich hinzu. Und bevor ich die Erde aufschütte, beuge ich mich noch einmal hinab, um einen Schmetterling zu befreien, der sich auf einer der Blüten niedergelassen hat.

Es dunkelt bereits, als ich die letzte Schicht Erde auftrage. Ich nehme ein kurzes kühles Bad im Fluss und krieche erschöpft zwischen meine Decken. Hier in der warmen Geborgenheit unseres Nachtlagers, mit dem sanften Abendwind auf meinem Gesicht und dem Sternendach über mir, weine ich zum ersten Mal, seit ich dich auf der Sandbank gefunden habe. Die Tränen rinnen erst leise über meine Wangen, aber als meiner Brust ein tiefer Schluchzer entfährt, kann ich mich nicht mehr halten. 
Du fehlst mir so. Was soll nun werden?


Fortsetzung folgt

Donnerstag, 5. September 2013

Ende und Anfang 2 (nach dem Traum 17)

Der rot gefärbte Stein dein ins Nirgends gerichteter Blick dein Kopf der unnatürlich weit nach hinten fällt als ich dich an den Schultern hochziehe dein schlaffer Leib dein ungeheures Gewicht der weite Weg zurück zum Schlafplatz die Schleifspur die wir hinterlassen die Taubheit meiner Arme der Fluss die Wiese die Sonne der Baum die Nachtigall die Fundstücke unsere Dinge unser Platz die Nacht lange vor Einbruch der Dunkelheit dieser Tag dieser nicht enden wollende Traum


Fortsetzung folgt

Mittwoch, 4. September 2013

Ende und Anfang 1 (nach dem Traum 16)

Als ich am Morgen aufwache, liegst du nicht neben mir. Das ist nicht ungewöhnlich. Seit die hungrige Hitze unserer ersten Wochen nachgelassen hat, unternimmst du fast täglich Spaziergänge im frühen Dämmerlicht. Um diese Tageszeit liegt ein besonderer Schimmer auf dem Fluss, sagst du, ein Funkenspiel, das deine Seele berührt und von etwas kündet. Von was, möchte ich lieber nicht wissen, deshalb frage ich nicht, und du erzählst mir nicht unaufgefordert davon.
Obwohl ich also den leeren morgendlichen Platz an meiner Seite kenne, lässt er heute mein Herz den Takt wechseln. Das muss daran liegen, dass ich mich nach der recht kühlen Nacht gerne ein wenig an deiner Haut gewärmt hätte. Ja natürlich, nur daran liegt es, Herz, sei ruhig. 

Ich schlage die Decken zurück und richte mich auf, lasse meinen Blick bis zur nahen Flussbiegung schweifen. Du bist nicht zu sehen. Ein Blick auf die Nachtigall, sie schläft noch immer, nichts anderes habe ich erwartet.
Ich recke und dehne meine Glieder, schlüpfe in die Schuhe und schlendere am Ufer entlang, streiche mit den Fingern durch die hohen, taubenetzten Gräser, lausche dem Vogelsang. Irgendwann wird unsere Nachtigall das schönste Lied von allen anstimmen, davon bin ich überzeugt.
Ich lasse mir Zeit, beuge mich hin und wieder hinab, um einen flachen Stein aufzuheben und ihn übers Wasser springen zu lassen. Es will mir heute nicht gelingen, jedesmal versinken sie nach dem ersten Auftreffen.
Dann entdecke ich dich.

Natürlich hast du diese Stelle aufgesucht! Handelt es sich doch um einen unserer Lieblingsplätze im Fluss. Der ist hier ganz seicht, man sieht bis auf den Grund und kann die Stichlinge beim Herumflitzen beobachten. Sein Lauf beschleunigt sich um eine Sandbank herum, auf der wir uns häufig sonnen, das Gurgeln des Wassers und das Sirren der Luft im Ohr. 
Du liegst ausgebreitet auf dem Rücken, die beschuhten Füße im Wasser, den Kopf auf einen Stein gebettet. Wie unbequem, denke ich, bevor mein Herz erneut den Takt wechselt und ich in die Knie gehe, weil mich eine plötzliche Schwäche erfasst.
Die Welt hält kurz inne, zu kurz, schon muss ich wieder in die Höhe und einen Fuß vom Ufer hinüber auf die Sandbank setzen, den zweiten folgen lassen, neben dir erneut in die Knie gehen. 
Wie schön du bist, fährt es mir durchs Herz.


Fortsetzung folgt

Donnerstag, 18. Juli 2013

Vom Seufzen der Nachtigall und Wortkrümeln als Lockmittel

Die Nachtigall seufzt leise. Die in meinem Kopf. Die andere, die echte, die aus meiner Geschichte schläft noch immer mit ruhig pochendem Herz. Vielleicht, weil sie, einmal aufgewacht, unweigerlich auf bestimmte Erwartungen treffen wird: Wir wollen sie singen hören! Wir wollen sie fliegen sehen!
(Wie gut ich ihre (Flug)Hemmung verstehen kann!)

Ich werde ein paar Wortkrümel streuen, um die Schläferin aus der verhaltensten aller Positionen hervorzulocken. Nichts Beschönigendes, keine leeren Hülsen, sondern unausweichlich lebendigen Puls:

Nacht
Suche
Flussbiegung
Sandbank
Sturz
Kopf
Stein
Blut
Genick
Tod
Erde 
Klappspaten
Muskeln
Stunden
Grab
Körper
Tuch
Schlaf
Gesang
Verlust
Schmerz
Spritze
Vorhang
Erwachen
Trauer
Treibholz
Sonnenblumensamen 
Gepäck
Weg
Abschied 
Hinwendung
Selbst 


Man könnte nun skeptisch anmerken, dass solcher Art Krümel kaum geeignet seien, eine Nachtigall aus dem Schlaf zu locken. Wer setzt sich schon freiwillig Tod, Verlust, Schmerz und Trauer aus. Aber es handelt sich ja, wie oben bereits erwähnt, um Unausweichlichkeiten. Und ich sehe auch darin das Lebendige, den ununterbrochenen Kreislauf, das Geschenk (oder ist diese Bezeichnung zu krass?) des existentiell Spürbaren. Eine kraftvolle Erfahrung, die sich nur dem Wachsein bietet. 
Warten wir's ab ...

Donnerstag, 27. Juni 2013

Warten und atmen

Flughemmung?


Sie wartet.

Die Buchstaben machen ihr keine Angst mehr, im Gegenteil: Längst ist sie mit ihnen vertraut, ohne dass eins das andere hätte zähmen müssen.
Selbst die besonders schwarzen unter ihnen, die des unsäglichen Gesetzes, haben ihre Macht verloren. Eine Macht, die - so hatte sie schließlich erkannt - von Gehorsam lebte. Entzog man diese Nahrung, schrumpfte die Macht, vertrocknete bis in die Eingeweide, ohne dass auch nur ein einziger Tropfen Blut floss. Blieb nichts als eine staubige Hülle.
Die Buchstaben selbst konnten nichts für den doppelten Missbrauch, der an und mit ihnen getrieben wurde.

Sie wartet. Und ist dabei nicht untätig.

Sie gibt den Buchstaben einen neuen Sinn, indem sie mit ihnen spielt, sie bunt durcheinander würfelt, sie kitzelt, hoch in die Luft wirft oder zum Tanz auffordert. Manchmal überlässt sie die Buchstaben sich selbst, und dann erkennt sie deren Zutraulichkeit. Sie wenden sich nämlich nicht ab, sondern fügen sich zu Gebilden, auf die sie nie gekommen wäre, und bieten sich ihr als Geschenk dar.

Sie wartet. Und da ist noch etwas anderes, das wartet.

Jenseits (oder diesseits?) der Buchstaben liegt eine Welt, die sie manchmal vergisst. Eine Welt, die ohne Buchstaben auskommt. Eine Welt, von der manche behaupten, sie sei dem Wort entsprungen, wofür sie dann wortreiche Begründungen liefern, die sie innerhalb ihres geschlossenen Argumentationskreises als Beweise betrachten. Sie irren! Selbst dann, wenn sie am Ende recht behalten sollten. 
Diese Welt ist wirklicher als jedes Wort, ist ihm entwachsen und lässt sich ohne Beschneidung nicht mehr zurücknehmen in die einstige Begrenzung, so diese überhaupt existierte. Eine Welt, die sich in ihren wunderbarsten Teilen nur der Sprachlosigkeit erschließt.

Sie wartet. Und lauscht ihrem Atem.

Denn zu erzählen gibt es trotz aller Sprachlosigkeit Unendliches, zu dem sich die Buchstaben nur noch zusammenfinden müssen, zusammenfinden werden, da ist sie ganz zuversichtlich. Innerhalb eines Raums aus Geduld und Aufmerksamkeit.



*


Liebe Leserinnen und Leser, an dieser Stelle passt es, dass ich schonmal meinen nahen Urlaub ankündige und die übliche damit verbundene Internetlosigkeit. Am Samstag geht's los. Erstmal für eine Woche, vielleicht werden aber auch zwei draus. Und vielleicht schreibe ich vorher noch einen weiteren Blogbeitrag, vielleicht aber auch nicht.
So eine Unbestimmtheit. Als wäre ich beim Wetter in die Lehre gegangen. ;-)

Samstag, 15. Juni 2013

Fallen (nach dem Traum 15)

Wie ich auf einmal falle, in alles falle ohne Unterlass und nicht mehr sein will ohne dieses Fallen, und ist doch gar kein Herbst - fall - atumn, harvest, fall - to fall - nein: fallen, wirklich fallen ließ ich mich im Frühling - spring - to spring, sprang, sprung - I sprang from your wholehearted gaze - entspringe neu in diesem Fallen, entspringe neu und sehend deinem Blick -  bleibst du, wenn schließlich alles um uns fällt? - ich zweifle seit -


Du warst spazieren. Ich habe heimlich in deinen Notizen geblättert. Darin hast du die Fundstücke aufgelistet und deren mögliche Verwendung beschrieben. Die Angelschnur hatten wir benutzt, um die Nachtigall festzubinden. Inzwischen ist sie wieder losgebunden, und die Schnur bewahren wir aufgerollt neben den anderen Fundstücken in einer kleinen Grube, die wir mit dem Klappspaten ausgehoben und mit Blättern verkleidet haben.
Der Klappspaten. Ich will vergessen, welchen Verwendungszweck du unter anderen dazu notiert hast. Will es vergessen, vergessen, VERGESSEN!
Auch das Stück Treibholz, die Sonnenblumensamen - VERGESSEN! 

Die Flüssigkeit in der Spritze soll ein Erwachen bewirken. Das verstehe ich nicht. Wäre es also möglich, sie der Nachtigall zu verabreichen und diese damit zu wecken? Wenn ja, warum tun wir es nicht? Oder ist ihre Wirkung gar so stark, dass ich dich damit - im Falle deines - 
Nein! Ich kann hier, ich will hier nicht weiterdenken.

Was ist mit dem Pop-up-Bilderbuch? Seit unserem Erlebnis in dem seltsamen Haus, als wir mit unseren Armen tief in einen weiten, hinter den Vorhängen im Buch verborgenen Raum eintauchten, haben wir es nicht mehr aufgeschlagen. In deinen Notizen hast du dazu lediglich vermerkt: 'hinter dem Vorhang vortreten'.

Als du von deinem Spaziergang zurückkehrst, findest du mich verstört, obwohl ich mich bemühe, es zu verbergen. Als hätte ich je etwas vor dir verbergen können. Du fragst nicht, streichst mir nur durchs Haar und sagst: 'Schon gut.' Ich muss nichts sagen, du weißt es sowieso. Etwas in mir bäumt sich auf gegen dieses Allwissen, aber der größte Teil von mir lässt sich fallen in deine Allumfassung, weil sie so gar nichts gemein hat mit der Allumfassung wie ich sie von den Hütern kenne.

'Bleib doch bitte für immer', sage ich nicht, sondern schweige ich in mich hinein, auch wenn es dort meinen kompletten Innenraum bis zum Bersten füllt.

'Haben wir nicht eine wundervolle Zeit zusammen', sagst du.

Donnerstag, 13. Juni 2013

Wie es sein wird (nach dem Traum 14)

Wie es sein wird? Wir wissen es nicht. Das heißt, manchmal glaube ich, du weißt es sehr wohl, willst mich aber nicht teilhaben lassen an diesem Wissen. Ich frage dich auch nicht. Das wäre wie ein Überspringen und ein Auslassen. Aber ich will nichts überspringen und auslassen, ich will alles, jeden einzelnen Augenblick. Ich weiß nicht, wie lange wir uns noch hier am Fluss aufhalten werden. Und warum der Sommer nicht zu enden scheint, weiß ich auch nicht. Vergesse ich diese Fragen und wende mich stattdessen dem zu, was ist, so verengt sich zwar mein Fokus, stellt sich scharf auf den Moment, und dehnt sich aber zugleich die Zeit bis an den äußersten Rand, dort, wo sie nicht mehr fortschreitet und vergeht, sondern wo sie in sich ruht. Eine weiche Kugel mit einem unendlichen Innenraum.

Wären da nicht unsere Leiber, die nach dem erhitzten Aneinander und Ineinander sich wieder voneinander lösen und abkühlen. Unsere Hände streichen über Gänsehaut und winzige Nachbeben, und all dieses zarte, sich aufbäumende Leben scheint gefangen nicht im wieder und wieder sich reproduzierenden Jetzt, sondern im fortlaufenden Variieren. Minimale Veränderungen der Lust, der Gier und des Sattseins. Wir schlafen inzwischen nicht mehr regelmäßig ein in den Bächen, die wir vergossen haben, lassen sie nicht mehr von unserer Haut und der Erde, auf der wir erschöpft in den Schlaf sinken, einsaugen, sondern waschen sie im Fluss ab. Und waschen sie uns inzwischen nicht mehr gegenseitig ab, was dann regelmäßig zu neuen Ausbrüchen von Lust führte, sondern waschen jedes sich selbst. Wie mein Körper sich anfühlt, so losgelöst von deinem. Kaum zu glauben, dass er für sich ein Ganzes ist.

Erinnerst du die Nacht, die erste, die wir voneinander abgewandt einschliefen? Ich lag noch lange wach und erforschte mich. Und fragte mich, ob du das gleiche tatest. Und in der zweiten Nacht schon fragte ich mich das nicht mehr, sondern wandte mich mir zu und der Möglichkeit, meinen Arm weit zur Seite strecken zu können, ins Dunkle, an der Unterseite das feuchte Gras und an der Oberseite himmelhoch Luft.

Wie es sein wird? Ich versuche, diese Frage vom Zwischenuns zur Nachtigall umzulenken. Ich stelle mir vor, wie sie eines Tages aufwachen wird. Wie sie singen wird. Und dass es unbeschreiblich schön sein wird.
 



Samstag, 8. Juni 2013

Das Losbinden (nach dem Traum 13)

- Warum haben wir sie eigentlich festgebunden? (fragst du)
- Um zu verhindern, dass sie davonfliegt, sobald sie aufgewacht ist. (erwidere ich)
- Warum soll sie nicht davonfliegen dürfen?
- Sie kennt die Freiheit doch gar nicht. Wer weiß, ob sie alleine zurecht käme.
- Ist das der Grund? Dass wir sie schützen wollen?
- Du vermutest etwas anderes dahinter?

[Tut es etwas zur Sache, wer welchen Part in diesem Dialog übernimmt? Könnten die Rollen nicht ebenso gut vertauscht sein? Hier findet ein Gespräch statt, in dem zwei etwas miteinander zu ergründen versuchen. Vielleicht wäre dies sogar in Form eines Selbstgesprächs möglich. In jedem Falle bedarf es eines Gesprächs.]

- Vielleicht wollen wir sie einfach bei uns behalten.
- Was wäre falsch daran? Schließlich lieben wir sie.
- Vielleicht bliebe sie ja freiwillig.
- Das können wir nicht wissen.
- Wir können es herausfinden.
- Wie?
- Indem wir sie losbinden.

[Sie bemühen sich aufrichtig. Sie blicken ihren Sehnsüchten und Ängsten ins Auge. Sie möchten das Richtige tun. Sie fürchten sich vor Verlust. Sie können frei entscheiden, und sind nahe daran zu erkennen, dass nur eine ihrer möglichen Entscheidungen mit Freiheit zu tun hat.]

- Wir werden nicht mehr ruhig schlafen können.
- Wir könnten es als Übung betrachten.
- Eine Übung in Loslassen? In Mut? In Vertrauen?
- Eine Übung in Liebe.
- ...
- ...

[Sie weinen ein wenig. Aber nicht aus Sentimentalität, nein, es gehört einfach als Lebensäußerung dazu und hat nichts Verzweifeltes. Sie wissen es ja: Die Liebe erweist sich im Freilassen. Sie wissen das auch ohne Konfuzius, von dem sie noch nie etwas gehört haben.] 

- Lass uns noch eine Nacht darüber schlafen.
- Lass es uns lieber jetzt gleich tun.
- Warum so eilig?
- Weil wir längst wissen, dass es das Richtige ist.

[Nun ist es an uns, die Luft anzuhalten - - -]

*

Vor zwei Stunden haben wir unsere (unsere?) Nachtigall losgebunden. Davor haben wir sie noch einmal umgebettet und ihr ein wenig Wasser eingeflößt. Sie schläft nach wie vor und atmet ganz ruhig. Wir hingegen sind jetzt sehr aufgeregt.

Donnerstag, 6. Juni 2013

Kurznachricht (nach dem Traum 12)

Es juckt uns in den Fingern, die Nachtigall loszubinden. Noch wagen wir es nicht.


(zur Erinnerung: Wir hatten sie festgebunden.)

Mittwoch, 5. Juni 2013

Flughemmung, Poolbillard und zwei gute Sätze

Heute bin ich im Buchladen auf einen Satz gestoßen, der hatte auf mich eine Wirkung vergleichbar dem Eröffnungsstoß beim Poolbillard: Alle Kugeln rollten auf einmal los, in unterschiedliche Richtungen. Ich fand den Satz auf der Rückseite des Umschlags des neuen Romans von Eugen Ruge, "Cabo de Gata". Er lautet:


"Diese Geschichte habe ich erfunden, um zu erzählen, wie es war."

Ja!

Das Spiel ist eröffnet, die Kugeln in Bewegung.
Ich will hier überhaupt nicht auf Ruges Roman eingehen, der sicher sehr gut ist, ich hatte die Zeit, kurz hineinzulesen, die Sprache gefällt mir. Was mir auffiel, waren die vielen Absätze, die mit "Ich erinnere mich" beginnen. Daran konnte ich in Gedanken anknüpfen, das war der nächste Stoß, etwas ist ins Rollen gekommen, das Spiel (meins) geht weiter.
(Falls jemand doch an Informationen zum Buch interessiert ist: hier.)

Meine Gedanken sprudelten, aber ich hatte noch eine Stunde zu arbeiten und keine Gelegenheit, mir Notizen zu machen. Dennoch werde ich versuchen, das Rollen in meinem Kopf in Worte zu fassen, ohne es aufzuhalten.

Wunderbarerweise hat inzwischen Karin von KaineKolumnen meinen letzten Blogartikel als Anregung für eigene weiterführende Gedanken genutzt, die sich wiederum nahtlos einfügen in meine Assoziationen nach dem morgendlichen Satzfund. Auch von ihr nehme ich einen Satz mit:


"Wiedergeben und Erfinden – sie tasten sich an der Wirklichkeit entlang, die wahrhaftig ist, wenn ich aufrichtig bleibe."

Danke!

Auch ich erfinde Geschichten, um zu erzählen, wie es war. Es, das ist ein bestimmtes Erleben zu einer bestimmten Zeit. Es will erzählt sein. Darüber zu schreiben, scheint mir notwendig. Gar nicht mal um meinetwillen, denn es betrifft nicht nur mich, es ist gesellschaftsrelevant. Aber wie halte ich mich da heraus?

*

Ich erinnere mich an den Moment der Erleuchtung und dass von da an alles in einem anderen Licht erschien.

Ich erinnere mich an meine Begeisterung, an meinen Willen zum absoluten Gehorsam und an meinen Lerneifer, der später auch zum Lehreifer wurde.

Ich erinnere mich an meine Haltung: knieend, mit geschlossenen Augen und gefalteten Händen, oder stehend mit zum Himmel gerecktem Gesicht und erhobenen Händen, oder stillsitzend und den Lehrern lauschend, oder herumlaufend und Handzettel verteilend, oder liegend mit nur einem Gedanken vor dem Einschlafen und nach dem Aufwachen.

Ich erinnere mich an das kleine schwarzgebundene Buch mit den über 1800 Seiten, die ich nahezu in- und auswendig kannte.

Ich erinnere mich daran, wie ich dazu angehalten wurde, alles wörtlich zu nehmen und wie bereitwillig ich dem Folge leistete.

Ich erinnere mich an das vollständige Untertauchen in einem Wasserbecken.

Ich erinnere mich an eine Gemeinschaft, die mich freundlich aufnahm und sich für restlos alles interessierte, was mich betraf, je intimer desto besser.

Ich erinnere mich an das Gefühl von Angenommensein, von Zugehörigkeit, von Sicherheit.

Ich erinnere mich an das Gefühl von Zwang, von Manipulation, von Kontrolle, das aber erst nach Jahren aufkam.

Ich erinnere mich an den Moment des Aufwachens und wie ich die vermeintliche Erleuchtung als Verblendung erkannte.

Ich erinnere mich an den Ausbruch, an das Überbordwerfen, an das Auftauchen und an das Abheben.

Ich erinnere mich an die lange Zeit der Angst nach dem Ausstieg.

Ich erinnere mich an meine Auswilderung.



Ich erinnere mich daran, wie alles gut wurde.


*

Wie schreibt man über etwas sehr Persönliches, über etwas, das zu erzählen man für wichtig hält, das aber dennoch privat bleiben soll, aus dem man sich als Person komplett heraushalten will? Man erfindet eine Geschichte, um zu erzählen, wie es war. Oder? Und bemüht sich dabei um Aufrichtigkeit.
...

(Fortsetzung folgt)

(Und meine Schreibhemmung bezeichne ich ab sofort als Flughemmung.)