Die Worte, die sich einstellen, mag sie nicht. Und die, auf die sie wartet, stellen sich nicht ein. Vielleicht warten die Worte ebenfalls. Darauf, dass sie zu einer anderen Einstellung findet. Sie ahnt, dass es mit der Lautstärke zu tun hat. Der in ihr drin. Wenn sie doch bloß den Knopf zum Leiserdrehen fände.
Sie sehnt sich nach Flügeln. Einem größeren Abstand. Weite. Stille. Sie wartet. Und wendet sich zu: der einen, die sie in sich trägt. Nimmt sich bei der Hand. Und beim Wort. Sagt: Psst
Am Morgen stellt sie fest, dass es nicht die geringste Veränderung in der Wohnung gibt. Nicht eine Spur. Kein Hinweis auf nächtliche Besucher. Aber sie waren doch da? Sie müssen da gewesen sein. Das letzte Mal liegt bereits sieben Wochen zurück. Oh ja! Beim Blick in den Badezimmerspiegel entdeckt sie das neue Tattoo. Damit sind es nun fünf: eine Wolke unter der linken und ein Stern unter der rechten Fußsohle, ein Pfeil an der Innenseite des linken Handgelenks, eine Maus unter der linken Brust und, ganz neu, ein winzigkleiner Vogel. Sein Schnabel ist geöffnet, das Köpfchen angehoben, als wolle er singen. Er sitzt mitten in der zarten Grube am Hals, zwischen den Schlüsselbeinen. Jugulum, denkt sie. Drosselgrube. Eine empfindliche Stelle. Darunter wohnen Atem und Lied. Sie spürt es nie, wenn die Besucher sie mit ihren Werkzeugen bearbeiten. Kein einziges Mal ist sie währenddessen aufgewacht, weiß nicht, ob die Tätowierer mit der Hand arbeiten oder Maschinen benutzen. Jedenfalls sind die Tattoos perfekt und die Stellen, an denen sie sitzen, sind unverletzbar. Das hat sie herausgefunden, als sie das erste Tattoo, auf dessen Entdeckung sie noch völlig panisch reagierte, erst abzuwaschen versuchte und es, als das nicht funktionierte, mit immer härteren Methoden bearbeitete, von denen keine wirksam war, nicht einmal das Messer. Nicht den geringsten Kratzer oder auch nur eine minimale Hautreizung hinterließen ihre Bemühungen, die Wolke unter ihrer Fußsohle zu entfernen. Sie fand sich schließlich damit ab, entdeckte sogar einen Vorteil in dieser partiellen Unverletzlichkeit. Die darauffolgenden Tattoos erschreckten sie bei weitem nicht mehr so wie das erste. Irgendwann freute sie sich darüber, wartete gespannt auf das nächste, ließ ihre Tür bei Tag und Nacht unverschlossen, um den Tätowieren den Zugang zu erleichtern. Sie kamen immer des Nachts, das war gut so. Das ist gut so, denkt sie und betastet sanft das Federkleid des kleinen Vogels. Fast meint sie, den zarten Flaum unter ihren Fingern zu spüren. Und sogar ein leise pochendes Herz? Was bin ich für meine nächtlichen Besucher?, fragt sie sich. Wer bin ich? (Für sie?)