Mittwoch, 31. August 2011

Eine Handvoll Licht

(für R. und J. und L.)


Eine Handvoll Licht
silbern
darin die ganze Welt
so schwer
so leicht
sie fällt sie fliegt
sie sieht (bestimmt!)
und jede beschaute
jede berührte
jede beweinte Stelle
schimmert
so geliebt
so geliebt

Am Ende

Wir hatten schon besser 
geschwiegen
vertrauter
in jener Zeit
fügten uns Wunder zu
später bluteten wir
suchten Heilung
im Verschließen
verpassten
den Zeitpunkt für ein 
Lass uns Freunde bleiben
das Haus rückte uns
auf den Leib
am Ende
reichte der Sauerstoff
nicht mal mehr für ein 
Abschiedswort

Montag, 29. August 2011

Der Besuch

Dieser Text knüpft an einen früheren an, den man, wenn man möchte, zum besseren Verständnis hier nachlesen kann: Gott


Ein Jahr war vergangen, seit wir ihn das letzte Mal gesehen hatten. Dort auf dieser staubigen Straße. Mit seinen seltsamen, in den Wind gesungenen Fragen. Wir erinnerten uns nur ungern daran. Und hatten doch sein Bild sofort wieder klar vor Augen, als wir seinen Brief lasen.
Er lud uns ein in sein Refugium, schrieb, er habe ein Abteil gemietet, einen eigenen Platz, mit dem er Ordnung in sein Leben gebracht habe.
Unsere Neugier ließ sich nicht leugnen, also sagten wir zu, schärften unsere Messer, fragten uns noch einmal gegenseitig die Antworten ab. Wappneten uns. (Nicht, dass dieser Abtrünnige ein ernstzunehmender Gegner gewesen wäre!)

Als wir eintrafen, tanzte er auf dem Parkplatz zwischen Lieferwagen und abgestellten Kartons. Zu einer lauten, ungehörigen Musik, die wir schon von weitem vernommen hatten. Er schaltete sie ab, sobald er uns erblickte und lächelte uns strahlend an.
Wir verschränkten die Hände hinter dem Rücken, widerstanden seiner unangebrachten Herzlichkeit. Hier war eine förmlichere Begrüßung am Platz. Ein unverzügliches zur Sache Kommen.
Er schien zu verstehen und führte uns ins Gebäude. Durch einen hellen Flur gelangten wir zu seinem Abteil. Er öffnete die Tür und ließ uns eintreten: 16 Quadratmeter blanker Estrich und weißer Putz, die Wände an vier Stellen mit verschiedenfarbigen Vorhängen verhüllt; wir fühlten uns an einen Museumsraum erinnert. 

Unser Gastgeber bat uns vor den ersten, weißen Vorhang und zog diesen zurück. Unser Blick fiel auf ein großformatiges Gemälde, das in seinem realistischen Stil wie eine Fotografie wirkte. Oberhalb des Rahmens war ein Schild angebracht, darauf stand in plakativen Buchstaben das Wort:

BRÜDER

„Schaut es euch in Ruhe an“, forderte er uns auf. „Und fragt, wenn ihr etwas nicht versteht.“ Als wäre es vorstellbar, dass wir Fragen an ihn haben könnten. Als wäre es möglich, dass er auf irgendetwas eine Antwort wüsste.
Am linken Bildrand sah man einen bärtigen Mann in einem Schaukelstuhl sitzen, zwischen dicken, bunten Kissen und mit einem Buch in Händen. „Gutenachtgeschichten“ entzifferten wir den Titel. Rechts im Bild stand ein ganz ähnlich aussehender Mann in einem Boot, das, am Ufer vertäut, in seichtem Wasser lag. Er stützte sich auf eine lange Stange, die im Grund des Wassers stak. Der hintere Teil des Bootes war ebenfalls mit Kissen ausgelegt, aus denen ein Buch hervorschaute. „Von Anfang zu Anfang“ war auf dem Umschlag zu lesen. Zwischen den beiden Männern erstreckte sich ein Weg, der zu Füßen des Mannes im Schaukelstuhl begann, durch die tiefsten Schichten des Bildes führte und im Schilfgürtel auf der rechten Seite endete. Folgte man diesem Weg mit den Augen, entdeckte man Stationen eines ganzen Menschenlebens: eine Wiege, ein Märchenbuch, Bauklötze, eine Puppe, ein Schaukelpferd, Fahrzeuge aller Art vom Dreirad bis zum Automobil, eine Schiefertafel mit Griffel und Schwamm, einen Rechenschieber, einen Globus, eine Sternkarte, allerlei Werkzeug und technisches Gerät, ein Schmetterlingsnetz, einen Wanderstab, eine Angelrute, ein Jagdgewehr, Musikinstrumente von der Blockflöte bis zum Klavier. Ein Haus. Einen Garten. Eine Familie. Ein Krankenbett. Ein Sterbebett. Es wimmelte nur so von Details, blühenden wie blutigen, uns schwindelte ein wenig, und nun fragten wir ihn doch: „Wer sind die Brüder?“ 
„Schlaf und Tod“, war seine Antwort. Wir blieben stumm. Wussten wir doch, dass jedes einzelne Wort, an einen Verblendeten gerichtet, pure Verschwendung war.

Das Bild wurde wieder verhüllt und der zweite, ebenfalls weiße Vorhang zurückgezogen. Zum Vorschein kam ein Gemälde, das in Format und Technik dem ersten glich. Sein Titel lautete:

HOHES GERICHT

Abgebildet war ein Gerichtssaal, in dem mehrere Männer in schwarzen Roben über Tische und Bänke tanzten. Manche hatten ihre Röcke angehoben, so dass ihre haarigen Schenkel zu sehen waren. Sie vollführten waghalsige Sprünge, klatschten in die Hände und lachten mit breiten Mündern. Jeder einzelne von ihnen blickte dem Betrachter direkt ins Gesicht und drückte dabei ein Auge zu. Wir waren empört. Und verzichteten diesmal auf eine Erklärung.

Nachdem auch dieses Bild wieder verhüllt war, ging es weiter zur Wand gegenüber der Tür. Kaum war der dortige, türkisfarbene Vorhang zur Seite gezogen, mussten wir für einen Moment die Augen schließen, so sehr blendete uns die plötzliche Helligkeit. Tageslicht, strahlender Sonnenschein. Wir standen vor einem hohen, breiten Gemälde, das einen überraschend naturgetreuen Blick aus einem Fenster suggerierte. Es trug die Überschrift:

HIMMEL

Wir sahen hinaus auf einen blühenden Garten: Grünes Gras, blaue Hortensien, Kirsch- und Apfelbäume, bunte Blumen und Schmetterlinge, alles bewegt von einem sanften Lüftchen. Hier und da waren Personen zu erkennen, nackt!, einzeln, zu zweit, in Grüppchen. Ihr Anblick trieb uns die Schamröte ins Gesicht.  An der hausfernen Seite wurde der Garten durch Granitfelsen begrenzt. Dort wand sich eine grob in den Stein gehauene Treppe hinunter in eine Bucht. Unser Blick fiel auf ein Meer, das in den gleichen Blau- und Grüntönen schimmerte wie der Vorhang. Vor dem Horizont hoben sich einige kleine Segelboote ab. Dahinter stand die Sonne, groß und rund und leuchtend. Unsere Augen schwammen vor Blendung durch täuschenden Schein, und unsere Herzen drohten weich zu werden von der Verführung durch äußere Schönheit. Wir wandten uns ab. Eine Aussicht, nichts weiter! Der Glaube an einen Himmel auf Erden war uns bekannt und in seiner ganzen Absurdität bewusst.

Fehlte noch das Bild an der Wand rechts der Tür. Unser Gastgeber blickte uns der Reihe nach an und zog dann den nachtschwarzen Vorhang zur Seite. Ein Bild mit weißem Hintergrund wurde freigelegt. Eine Gruppe von Personen war darauf zu sehen, sie schauten dem Betrachter direkt in die Augen. Sie ähnelten sich stark, sowohl was die Gesichtszüge und die Körperhaltung, als auch die Kleidung betraf. Alle trugen staubgraue Anzüge, scharfe Bügelfalten, korrekt gebundene Krawatten, blank polierte Schuhe. Irgendwie imponierten sie uns. Irgendwie waren sie uns unheimlich. Als wir uns vorbeugten, um nach eventuellen unterscheidenden Details zu suchen, beugten sich die Gestalten im Bild ebenfalls vor, uns entgegen. Wir schraken zurück. Einige von uns gerieten ins Taumeln. Desgleichen die Figuren im Bild. Schließlich fassten wir uns, traten nochmals einen Schritt näher heran und erkannten nun, dass wir vor einem Spiegel standen. Er trug den Titel:

DIE ANDEREN

Wir griffen nach unseren Messern, nach unseren geschliffenen Antworten - und ließen sie dann doch stecken. Verzichteten auf jedes weitere Wort, jede weitere Geste.
Wir wurden hinausgeleitet und verließen umgehend und ohne seinen Abschiedsgruß zu erwidern diesen Ort. Als wir noch einmal über die Schulter zurückblickten, sahen wir, wie er zwischen Lieferwagen und Kartons ein Rad schlug. In unserem Rücken hörten wir, wie die Musik wieder eingeschaltet wurde, spürten wir, wie er wieder zu tanzen begann.
Und leider begleiteten uns die Bilder und Klänge auch noch, nachdem wir viele Kilometer zwischen ihn und uns gelegt hatten.

Samstag, 20. August 2011

Tochter

Sie will meine Hand nicht mehr und entzieht sich meinen Blicken, und ich frage mich: Ist sie angekommen? Sucht sie noch? Geht es ihr gut?
Eine Zeitlang genügte es, meinen Kopf zu wenden oder mein Blickfeld zu dehnen, um ihren Weg weiter zu verfolgen. Ich zählte ihre Schritte, die mal kurz, mal lang waren, mal tänzelnd, mal schwer. Am liebsten barfuß oder in Turnschuhen. Und ständig wechselten sie die Richtung.
Was ich deutlich vor mir sehe, ist ihr gerader Rücken, ihre Lust auf Musik und eine eigene Gangart, ihr weites Herz.
Ich will unauffällig Ausschau halten nach ihr, denn sie wird wiederkommen, um zu erzählen und zu hören und für eine weitere feste Umarmung, bevor sie erneut aufbricht in den Teil der Welt, der nur ihr gehört.

Mittwoch, 17. August 2011

Gegessen

Gegessen
was war
und
was hätte sein können
alle Hoffnung
geschluckt
verdaut
was war
aber nicht
was hätte sein können
alle Hoffnung
ein Stein
-
[ein Acker?
ein Samenkorn??]

Sonntag, 14. August 2011

Sichselbst(kritisch)

Sie pirscht sich an
den Tod heran
fürs Leben hat sie
manchmal nur
ein Schulterzucken
müde Scham und
tröpfelnde Lust
mit Wut kehrt sie 
den Jammer vor die Tür
der Schrei muss auf die Bank

wie hält man das bloß aus
fragt sie
pflückt im Vorbeigehn
eine Blume
die nichts weiß
und alles glaubt
ach sagt sie ach
das Klagen war so schön
das Wüten tat so gut
das Lieben ist so schwer

sie gräbt sich selbst
aus ihrer Haut heraus
schlägt ihre Zähne
in die Zeit
klagt ach 
dem Weg dem Grün dem Fels
verwandelt euch
in was ihr wollt
ich werde werde werde
die niemand ist als ich

und Welten stürzen
über ihre Lippen
in den Teich
der nichts trägt
als ihr Bild

Donnerstag, 11. August 2011

Mäuseherz

Spuck's aus, Mäuseherz
spuck den Zorn aus
lass die Hunde los
nimm den Schreck
in ihren Augen
ihre harten Hände
nimm den Schmerz
auf deiner Wange
lach darüber
weil er nichts ist
nichts gegen die Jahre
nimm ihre leeren Münder
und pflanz die Freiheit Babels
in dein Mäuseherz

Montag, 1. August 2011

Es fehlt gerade an nichts

Mir und hier fehlt es gerade an nichts; noch nicht einmal das, was nicht da ist, fehlt, denn stattdessen ist da Vorfreude und eine Art Gewissheit.
Nichts muss ersetzt werden, die Ersetzer ruhen in Neutralität, ich liebe sie kaum.
Und was soll ich sagen, sogar die Sonne scheint, obwohl - weil deutscher Sommer - die Wahrscheinlichkeit so gering (geschätzt) ist.
Ich kann nichts dafür. Und anstatt mich zu entschuldigen (überhaupt: was für eine absurde Idee!), winke ich die Feen durch und bedanke mich ins Blaue hinein, und ins Grüne.


(Manchmal wünschte ich mir statt der Schwarz-auf-Weiß-Konservierungsmethode eine, mit der man Momente in Gläser abfüllen kann, um sie später und viel, viel später noch riechen und schmecken zu können.)