Immer wenn ich im Netz über Diskussionsbeiträge zu Aléa Torik und ihren Romanen stolpere, richtet sich mein Fokus fast spiegelreflexartig auf einen kleinen feinen Dokumentarfilm, der 2002 in Litauen gedreht wurde. Leider wurde ihm, so schließe ich aus der geringen Googletrefferzahl, nur mäßig Beachtung geschenkt. Der Film trägt den Titel "Kurmis", lief unter dem Titel "Ein Maulwurf" auf den Nordischen Filmtagen Lübeck 2002 und unter dem Titel "Das Ohr des Fotografen" 2003 auf 3sat. Da habe ich ihn gesehen.
Die damalige Filmstudentin Dalia Survilaite erzählt in ihrem Film aus dem Leben eines von Geburt an blinden Fotografen und von seinem ganz speziellen "Blick" auf die Welt um ihn herum. Sie begleitet ihn u.a. auf seiner Motivsuche quer durch die Stadt, bei Kinobesuchen und zur Ausstellung seiner Fotos. Wie er sich anhand von Geräuschen zu seinen Fotografien anstoßen und leiten lässt, das ist beeindruckend, den so entstandenen Bildern wohnt das Geräusch inne, man sieht sie nicht nur mit den Augen, sondern nimmt eine doppelte Perspektive ein. Faszinierend fand ich das damals. Als ich jetzt nach dem Film googelte, war ich überrascht, dass seine Laufzeit nur 10 Minuten beträgt, ich hatte ihn viel länger in Erinnerung, vermutlich weil er enorm viel beinhaltet an Ungewohntheit und Blickerweiterung.
Als im vergangenen Jahr Aléa Toriks Roman "Das Geräusch des Werdens" erschien, fiel mir sofort der Film wieder ein. Von Beginn an läuft die Diskussion um das Versteckspiel der inzwischen bekannten Person hinter dem Pseudonym Aléa Torik für mich als drittrangig hinter der Frage, ob der Autorin die Geschichte dieses real existierenden Fotografen bekannt war, einer Frage, die wiederum zweitrangig platziert ist hinter meinem Interesse, das in diesem Fall erstrangig dem Kurzfilm und der in ihm dokumentierten Geschichte eines echten Menschen und seiner besonderen Begabung gehört.
Nichts gegen Fiktion, bei weitem nicht! und nicht einmal etwas gegen das Spiel mit den Identitäten. Es besteht auch eigentlich nicht die Notwendigkeit, das eine (den Film) gegen das andere (das Buch) auszuspielen oder überhaupt einen Vergleich anzustellen oder auch die Frage nach Urheberschaft oder so etwas zu stellen. Nur kriege ich in diesem Fall die Dinge einfach nicht auseinander, ich kann nicht den unter Übersehenwerden leidenden Autor, der deshalb in die Verkleidungskiste greift und so endlich zu Erfolg gelangt, trennen von dem Übersehenwerden eines großartigen Dokumentarkurzfilms. Und ich kann es deshalb nicht trennen, weil beide eine (zufällig?) ähnliche Geschichte erzählen, aber der Film war zuerst da. Deshalb verweigere ich mich dem Hype um den fiktiven Romanprotagonisten und vor allem um seinen Erfinder(?) und widme meine Aufmerksamkeit stattdessen lieber der echten Geschichte eines echten Menschen.
Nachtrag 16:34 Uhr: Gerade habe ich den Film gefunden. Die Qualität ist nicht besonders gut, aber es reicht für einen Eindruck. Und ich musste feststellen, dass mich meine Erinnerung getäuscht hat: Ein Gang durch eine Fotoausstellung kommt im Film nicht vor. Vielleicht war im Vor- oder Nachwort davon die Rede, vielleicht hat mein Unterbewusstsein eine solche Szene hinzugefügt.
Donnerstag, 28. Februar 2013
Dienstag, 26. Februar 2013
Ohne mich ganz
- Du gehst?
- Ja, ich habe hier alles gesehen.
- Wie lange wirst du fort bleiben?
- Bis ich auch dort alles gesehen habe.
- Darf ich dich begleiten?
- Selbst wenn das möglich wäre: nein.
- Dann will ich auf dich warten.
- Lass das kein Versprechen sein.
- Was würdest du gerne vorfinden bei deiner Rückkehr?
- Nichts, das nicht ohne mich ganz wäre.
- Ja, ich habe hier alles gesehen.
- Wie lange wirst du fort bleiben?
- Bis ich auch dort alles gesehen habe.
- Darf ich dich begleiten?
- Selbst wenn das möglich wäre: nein.
- Dann will ich auf dich warten.
- Lass das kein Versprechen sein.
- Was würdest du gerne vorfinden bei deiner Rückkehr?
- Nichts, das nicht ohne mich ganz wäre.
Montag, 25. Februar 2013
Nochmal zum "N..."-Wort
Nachgereicht zum Blogartikel Naive kleine Hexe
Für alle, die weiterhin an der Diskussion und vor allem auch an weiteren sachlichen Beiträgen aus anderen Perspektiven interessiert sind:
lesenswerter Blog: Initiative Schwarze Menschen in Deutschland e.V.
aktueller Artikel: Die Anwälte des Teufels. Oder: „Rettet das Schimpfwort!“
Für alle, die weiterhin an der Diskussion und vor allem auch an weiteren sachlichen Beiträgen aus anderen Perspektiven interessiert sind:
lesenswerter Blog: Initiative Schwarze Menschen in Deutschland e.V.
aktueller Artikel: Die Anwälte des Teufels. Oder: „Rettet das Schimpfwort!“
Alles mündet in Mensch
Wie sich der Vater zu jeder Mahlzeit quer über den Tisch legt und sich auf alle Teller verteilt in Schweigehäufchen, und wie wir Kinder glauben, dass er das tut, um zu gebieten, und dass er das volle Recht dazu hat, wir also unsere gehorsam-scheuen Münder nur öffnen, um winzige Häppchen hineinzuführen, jedes zweite vom Schweigehäufchen abgetragen, dabei könnte es auch die Mutter sein, die den strengen Vater austeilt mit ängstlichem Blick und die uns nur glauben machen will, dass zuerst das Gebieterische war und darauf die Angst, aber erst viele Jahre später denken wir, dass es auch so gewesen sein kann, dass zuerst die Angst war, eine Macht, die im Sichkleinmachen das Gebieten erzwang, und wir wissen nicht, ob wir uns vielleicht irren, nicht nur in der Wahl zwischen diesen beiden Möglichkeiten, sondern in der Beschränkung auf die Zahl zwei, wodurch wir etwas Totales erschaffen, viel zu simpel, das ahnen wir schon, aber anders nicht zu begreifen für unsere nie erwachsen gewordenen Seelen, die sich auf Schwarzweiß spezialisiert haben, nur manchmal, da denken wir in blassen Farben, Grautonnuancen noch fast, und befreien uns gewaltsam aus der kontraststarren Enge, die wir uns als Geborgenheitsgatter geschaffen haben, und dann sehen sich die Mutter und der Vater auf einmal so ähnlich, dass wir stutzen, denn wie kann das sein, diese Ähnlichkeit, wo wir doch gerade beginnen zu differenzieren, und neugierig geworden treiben wir das Ganze auf die Spitze und nehmen diese ähnlichen Elternbilder, halten sie neben den Spiegel, aus dem wir selbst uns entgegenblicken, und siehe da: die Ähnlichkeit ist eine übergreifende, wir sehen zwar deutlicher und in Farbe, und Details fliegen aus den Hintergründen auf uns zu, auch ganz und gar fremde, aber alles mündet in Mensch.
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Autofiktion,
Kurze Texte,
Vater Mutter Kind
Sonntag, 24. Februar 2013
Dagewesenheit
Sie haben sich ganz klein gemacht und so leicht, da war zum Schluss gar nichts mehr übrig von ihnen. Nichts Sichtbares jedenfalls. Vielleicht noch ein kleines verklingendes Geräusch, wie ein leiser Nachhall, aber das konnte auch eine Einbildung sein. Aber eine leere Stelle war da, die, wenn man mit der Hand hineingriff, zuschnappte mit einer Art Nichttemperatur, einer Kälte- und Wärmelosigkeit, die irritierte, absolut irrierte, weil sie so eigentlich nicht sein konnte. Wo gab es das denn, was sollte das für ein Phänomen sein, die gleichzeitige Abwesenheit von Wärme und Kälte. Nein, kein Vakuum, die Stelle war eindeutig randvoll gefüllt. Ein Nachlass. Eine deutlich spürbare Dagewesenheit, welche die auf sie gerichteten Blicke bündelte und aus den mikrofeinen Resten der einst übersehenen Anwesenheit ein Leuchten erzeugte. Da konnte man nur wünschen, man hätte die Quelle dieses Leuchtens früher bemerkt. Als sie noch zu bemerken war. Aber da hatte es immer nach dem Einzigen ausgesehen, was man für möglich und angemessen gehalten hatte: nichts. Eine ins Abwesen getriebene Anwesenheit. Und nun dieses Leuchten. Ein Nachlass von "nichts"? Nie und nimmer! Diese Nichttemperatur, diese sich jedem anderen Füllstoff verweigernde, bis zum Rand mit Licht und Leere gefüllte Stelle. Zeugen einer vollkommenen Dagewesenheit. Zu spät nun für ein Umdenken und ein genaueres Hinsehen. Fragte man sich nur noch, ob man zum Tagesgeschäft übergehen sollte mit einer Als-ob-nichts-gewesen-sei-Haltung oder ob man eine Klage anstimmen sollte, von der aber niemand im Voraus wissen konnte wie laut und wie lange laut und lange genug wäre. Füllte sich also gegenüber der Abwesenheitsstelle eine andere, ähnlich dimensionierte mit Ratlosigkeit und Unentschlossenheit und füllt sich diese bis heute.
Freitag, 22. Februar 2013
Tarte flambée, Crémant, et ainsi de suite
Elsass, ich komme!
Regelmäßige Leser_innen meines Blogs wissen, dass ich im Elsass meinen internetfreien Zufluchtsort habe.
Ich werde Flammkuchen und Muscheln essen, Wein und Crémant trinken, durch Felder, Fachwerkstädtchen und mindestens einen Krimi spazieren und es mir gutgehen lassen. Immerhin ein Wochenende lang.
Und hier darf solange geschehen und nichtgeschehen, was will.
Eventuell in der Zwischenzeit eintrudelnde Kommentare werde ich dann erst am Sonntag freischalten und beantworten können.
Salut!
Regelmäßige Leser_innen meines Blogs wissen, dass ich im Elsass meinen internetfreien Zufluchtsort habe.
Ich werde Flammkuchen und Muscheln essen, Wein und Crémant trinken, durch Felder, Fachwerkstädtchen und mindestens einen Krimi spazieren und es mir gutgehen lassen. Immerhin ein Wochenende lang.
Und hier darf solange geschehen und nichtgeschehen, was will.
Eventuell in der Zwischenzeit eintrudelnde Kommentare werde ich dann erst am Sonntag freischalten und beantworten können.
Salut!
Stehen lassen (Loses Blatt #55)
Etwas einfach mal stehen lassen. Auch so etwas wie sich selbst. Auch an einem unbehaglichen Ort.
Donnerstag, 21. Februar 2013
Senfdazugeber
Es folgt ein Text, der als spontane Unmutsäußerung begann, der mich am Ende aber selbst ins Nachdenken brachte darüber, warum mich ausgerechnet das im Folgenden Geschilderte so stört; was es mit mir zu tun hat und mit einer Seite an mir, die ich in Wirklichkeit vielleicht als Schwäche oder Mangel betrachte ... Demzufolge ist dieser Beitrag nicht unbedingt als fester Standpunkt sondern als Suche zu lesen, und auch da nicht als Suche nach einer abschließenden Meinung, sondern eher nach etwas Beweglichem, jedenfalls Differenziertem.
Manchen fällt zu allem etwas ein. Und zwar so unmittelbar, dass sie gar nicht lange bei dem Gegenstand verweilen müssen, sie können sofort zu ihren eigenen Gedanken springen, mit diesen den Anlass gebenden Gegenstand überlagern, sich an sich selbst und ihren Assoziationen freuen und vor allem: sie sofort äußern. Dabei meinen sie es unter Umständen sogar gut. Sie wollen das Entdeckte nicht isoliert dastehen lassen. So kommt es ihnen nämlich vor: Als könnte es frieren oder hungern oder traurig sein, wenn sich nicht gleich eine Bemerkung von außen anschmiegt. Und so wird das Entdeckte aus seiner Alleinheit befreit und gewürdigt (glauben sie); wird es klein gemacht und am Entfalten gehindert (meine ich).
Nein, ich mag sie nicht, die immer zu allem sofort etwas beizutragen haben, und handele es sich nur um die Äußerung, dass das Entdeckte sie sprachlos mache.
- Rumms, Deckel drauf. Hallo, hier bin ich, seht mich auch an. Steigt alle mit ins (Kommentar)Boot, lasst es auf den künstlich erzeugten Wellen hüpfen, sich von der Quelle entfernen. Jippieh, wir sind toll und wir sind in Fahrt! Worum ging es nochmal? Egal, wir plappern, wir plaudern, wir plätschern dahin, wir sind nicht still, sondern in ständiger Bewegung, das bringt uns weiter, wir sind so klug und gewandt und voller Esprit. -
Nein, ich mag sie nicht, die nichts, aber auch wirklich rein gar nichts still für sich in ihrem Kopf oder ihrem Herzen oder einem anderen Innenraum bewegen können, still und ausdauernd, so dass es Zeit hat, sich zu entfalten, sich von allen Seiten zu zeigen, auch den zunächst verborgen; zu wirken und am Ende zu mehr zu führen als einer simplen Reaktion von Ah und Oh und wie wunderbar oder mitgeteilter Sprachlosigkeit. Die, denen es nicht darum geht, in das Entdeckte einzutauchen und es wirklich kennenzulernen, sich damit zu beschäftigen, sondern die immer gleich den 180-Grad-Schwenk zurück zu sich vollziehen und schauen, was "es" mit ihnen "macht". Und es kann eine Menge machen, aber es könnte viel viel mehr, wenn es erst einmal ruhig betrachtet würde, in einer von sich selbst absehenden Weise.
Nein, ich mag sie nicht, diese sofort und zu allem ihren Senf Dazugeber, und ich weiß, dass es krass klingt und dass ich besser differenzieren müsste, schließlich gibt es Textbeiträge, die ausgesprochen zur Diskussion einladen, mein Missmut passt bei weitem nicht in allen Fällen; und dass ich vielleicht sogar manche vergraule, weil sie sich zu Unrecht gemeint fühlen (dabei meine ich z.B. keinen einzigen der bei mir Kommentierenden, ehrlich, Ihr seid alle wunderbar!); aber ich möchte auch niemandem diese meine sehr subjektive Sicht vorenthalten.
Letztlich sagt aber diese meine Kritik ebensoviel über die Kritisierende (also mich) aus wie über die Kritisierten.*
Und damit habe ich mich nun quasi selbst überführt und werde also darüber nachzudenken haben, wo meine eigenen Anteile liegen, die dazu führen, dass mich o.g. Sachverhalt immer wieder so aufzubringen vermag. Jaja.
Komma,
* Dieser Satz lautete vorher so: "Letztlich sagt aber jede Kritik mindestens ebensoviel über die Kritisierende wie über die Kritisierten, wenn nicht sogar mehr." und war damit missverständlich, worauf mich @tatti in einem Kommentar hinwies: "Ich habe den Satz so gedeutet, dass es um kritisierende Kommentare geht:" Deshalb die Korrektur. Danke, @tatti
*
Manchen fällt zu allem etwas ein. Und zwar so unmittelbar, dass sie gar nicht lange bei dem Gegenstand verweilen müssen, sie können sofort zu ihren eigenen Gedanken springen, mit diesen den Anlass gebenden Gegenstand überlagern, sich an sich selbst und ihren Assoziationen freuen und vor allem: sie sofort äußern. Dabei meinen sie es unter Umständen sogar gut. Sie wollen das Entdeckte nicht isoliert dastehen lassen. So kommt es ihnen nämlich vor: Als könnte es frieren oder hungern oder traurig sein, wenn sich nicht gleich eine Bemerkung von außen anschmiegt. Und so wird das Entdeckte aus seiner Alleinheit befreit und gewürdigt (glauben sie); wird es klein gemacht und am Entfalten gehindert (meine ich).
Nein, ich mag sie nicht, die immer zu allem sofort etwas beizutragen haben, und handele es sich nur um die Äußerung, dass das Entdeckte sie sprachlos mache.
- Rumms, Deckel drauf. Hallo, hier bin ich, seht mich auch an. Steigt alle mit ins (Kommentar)Boot, lasst es auf den künstlich erzeugten Wellen hüpfen, sich von der Quelle entfernen. Jippieh, wir sind toll und wir sind in Fahrt! Worum ging es nochmal? Egal, wir plappern, wir plaudern, wir plätschern dahin, wir sind nicht still, sondern in ständiger Bewegung, das bringt uns weiter, wir sind so klug und gewandt und voller Esprit. -
Nein, ich mag sie nicht, die nichts, aber auch wirklich rein gar nichts still für sich in ihrem Kopf oder ihrem Herzen oder einem anderen Innenraum bewegen können, still und ausdauernd, so dass es Zeit hat, sich zu entfalten, sich von allen Seiten zu zeigen, auch den zunächst verborgen; zu wirken und am Ende zu mehr zu führen als einer simplen Reaktion von Ah und Oh und wie wunderbar oder mitgeteilter Sprachlosigkeit. Die, denen es nicht darum geht, in das Entdeckte einzutauchen und es wirklich kennenzulernen, sich damit zu beschäftigen, sondern die immer gleich den 180-Grad-Schwenk zurück zu sich vollziehen und schauen, was "es" mit ihnen "macht". Und es kann eine Menge machen, aber es könnte viel viel mehr, wenn es erst einmal ruhig betrachtet würde, in einer von sich selbst absehenden Weise.
Nein, ich mag sie nicht, diese sofort und zu allem ihren Senf Dazugeber, und ich weiß, dass es krass klingt und dass ich besser differenzieren müsste, schließlich gibt es Textbeiträge, die ausgesprochen zur Diskussion einladen, mein Missmut passt bei weitem nicht in allen Fällen; und dass ich vielleicht sogar manche vergraule, weil sie sich zu Unrecht gemeint fühlen (dabei meine ich z.B. keinen einzigen der bei mir Kommentierenden, ehrlich, Ihr seid alle wunderbar!); aber ich möchte auch niemandem diese meine sehr subjektive Sicht vorenthalten.
Letztlich sagt aber diese meine Kritik ebensoviel über die Kritisierende (also mich) aus wie über die Kritisierten.*
Und damit habe ich mich nun quasi selbst überführt und werde also darüber nachzudenken haben, wo meine eigenen Anteile liegen, die dazu führen, dass mich o.g. Sachverhalt immer wieder so aufzubringen vermag. Jaja.
Komma,
* Dieser Satz lautete vorher so: "Letztlich sagt aber jede Kritik mindestens ebensoviel über die Kritisierende wie über die Kritisierten, wenn nicht sogar mehr." und war damit missverständlich, worauf mich @tatti in einem Kommentar hinwies: "Ich habe den Satz so gedeutet, dass es um kritisierende Kommentare geht:" Deshalb die Korrektur. Danke, @tatti
Dienstag, 19. Februar 2013
Ruhig-bewohnte Gesichter
Ein Gesicht hat die Kleine! Eins von der Art, die nur Lächeln und Entzücken hervorrufen. Ohs und Ahs und die Hände Zusammenschlagen und Berührenwollen, aber ganz sanft. So ein Gesicht.
Und es ist ganz gleich, ob sie lacht, oder komisch den Mund verzieht oder die Stirn runzelt oder die Zunge herausstreckt oder oder oder Immer möchte man sie am liebsten küssen und ein Leben lang vor Verletzungen bewahren.
Und so richtet sie sich sorglos ein in ihrem Gesicht, das soviel Zustimmung erfährt. Sie wird darin wohnen wie in einem genau passenden Haus und es ohne Scheu herzeigen, ob von vorne oder im Profil. Nie wird sie es für nötig erachten, vor dem Spiegel auszuprobieren, welche Miene ihr am besten steht, ob die linke oder die rechte Profilseite ihre Schokoladenseite ist, wie sie die Haare vorteilhaft fallen lassen kann, um weniger schöne Stellen zu verdecken.
Sie wird in ihrem Gesicht zuhause sein und wird es ganz stillhalten können, auch wenn sie einer gründlichen Betrachtung ausgesetzt ist, selbst dann. Sie muss weder Mund- noch Augenregion in Bewegung halten, um der Entdeckung eines Makels zu entgehen, denn da ist ja keiner.
Voraussetzung für ein glückliches Leben? Wohl kaum, da spielen ganz andere Faktoren eine viel entscheidendere Rolle.
Trotzdem: Ich sehe gern in solche ruhig-bewohnten Gesichter. Viel zu wenige gibt es davon. Auch meins gehört nicht dazu, ich bin immer noch mit Einrichten beschäftigt.
Und es ist ganz gleich, ob sie lacht, oder komisch den Mund verzieht oder die Stirn runzelt oder die Zunge herausstreckt oder oder oder Immer möchte man sie am liebsten küssen und ein Leben lang vor Verletzungen bewahren.
Und so richtet sie sich sorglos ein in ihrem Gesicht, das soviel Zustimmung erfährt. Sie wird darin wohnen wie in einem genau passenden Haus und es ohne Scheu herzeigen, ob von vorne oder im Profil. Nie wird sie es für nötig erachten, vor dem Spiegel auszuprobieren, welche Miene ihr am besten steht, ob die linke oder die rechte Profilseite ihre Schokoladenseite ist, wie sie die Haare vorteilhaft fallen lassen kann, um weniger schöne Stellen zu verdecken.
Sie wird in ihrem Gesicht zuhause sein und wird es ganz stillhalten können, auch wenn sie einer gründlichen Betrachtung ausgesetzt ist, selbst dann. Sie muss weder Mund- noch Augenregion in Bewegung halten, um der Entdeckung eines Makels zu entgehen, denn da ist ja keiner.
Voraussetzung für ein glückliches Leben? Wohl kaum, da spielen ganz andere Faktoren eine viel entscheidendere Rolle.
Trotzdem: Ich sehe gern in solche ruhig-bewohnten Gesichter. Viel zu wenige gibt es davon. Auch meins gehört nicht dazu, ich bin immer noch mit Einrichten beschäftigt.
Sonntag, 17. Februar 2013
Einsortiertsein
Manchmal merkt einer, dass er dich falsch einsortiert hat, nimmt dich wieder heraus aus dem eckigengen Kasten und - steckt dich in einen anderen. Ein kurzes Zögern zwischen diesen beiden Vorgängen, das wenigstens ist ihm zugute zu halten.
Manchmal geschieht so ein Erkennen und Korrigieren mehrmals hintereinander in Folge. In unterschiedlich großen Zeitabständen. Denn die Aufmerksamkeit mäandert, und nicht jeder Kasten wird gleich häufig herausgezogen zur Begutachtung des Inhalts.
Und so wanderst du von einer Behausung zur nächsten, lavierst zwischen Belustigt- und Verzweifeltsein, hoffst auf ein Zeichen echter Neugier.
Denn diese könnte bewirken, dass du fallengelassen würdest, oder frei-, jedenfalls dem Eingeordnetwerden entkämest, da dessen Sinnlosigkeit erkannt wäre.
Und das würde Möglichkeiten eröffnen, Horizonte verschieben, ganz weit hinaus, das würde - gar nicht auszudenken, was das alles würde. Könnte.
Diese Freiheit. Diese Unwägbarkeit. Diese Freiheit.
Manchmal geschieht so ein Erkennen und Korrigieren mehrmals hintereinander in Folge. In unterschiedlich großen Zeitabständen. Denn die Aufmerksamkeit mäandert, und nicht jeder Kasten wird gleich häufig herausgezogen zur Begutachtung des Inhalts.
Und so wanderst du von einer Behausung zur nächsten, lavierst zwischen Belustigt- und Verzweifeltsein, hoffst auf ein Zeichen echter Neugier.
Denn diese könnte bewirken, dass du fallengelassen würdest, oder frei-, jedenfalls dem Eingeordnetwerden entkämest, da dessen Sinnlosigkeit erkannt wäre.
Und das würde Möglichkeiten eröffnen, Horizonte verschieben, ganz weit hinaus, das würde - gar nicht auszudenken, was das alles würde. Könnte.
Diese Freiheit. Diese Unwägbarkeit. Diese Freiheit.
Donnerstag, 14. Februar 2013
Kalkulation
Die Kompromisse, die du eingehst, um nicht allein zu sein.
Die Einsamkeit, die du in Kauf nimmst, um dir selbst treu zu sein.
Der Preis, den du zu zahlen bereit bist.
Und die Frage, ob du dem Lohn gewachsen bist.
Die Einsamkeit, die du in Kauf nimmst, um dir selbst treu zu sein.
Der Preis, den du zu zahlen bereit bist.
Und die Frage, ob du dem Lohn gewachsen bist.
Dienstag, 12. Februar 2013
Vergossen: ein Meer
Vergossen: ein Meer
Vergessen: das Boot
Versunken
Ertrunken
Gegessen: das Brot
Getrunken: ein Meer
Gelandet
Gestrandet
Versandet
und: leer
Vergessen: das Boot
Versunken
Ertrunken
Gegessen: das Brot
Getrunken: ein Meer
Gelandet
Gestrandet
Versandet
und: leer
Montag, 11. Februar 2013
Winter, kein Frühling in Sicht
Wie kann man denn aufrichtig schreiben, wenn manche Dinge nicht öffentlich werden sollen, wenn nicht jede Befindlichkeit zur Begutachtung vorgelegt werden will. Wenn aber doch jedes Wort, jeder Satz mitten durch einen hindurch muss, wenn da kein Weg dran vorbei führt. Wenn man sich selbst einfach nicht links liegen lassen, nicht umschiffen kann. Wie kann man dann schreiben? Zum Beispiel ein Frühlingsgedicht -
Es gibt kein helleres Lied (Frühlings-Pantun)
-, das einer adäquaten Stimmung entsprang, aber nicht fertig wurde und deshalb im Entwurfordner landete, und nun ist die Stimmung eine ganz andere, und man möchte dieses Gedicht überarbeiten, aber nichts passt. Aus Wonne wird Frösteln und aus sprießenden Keimen ein innerer Rückzug. Jedes erwachende Wort zieht sich Schürfwunden zu auf seinem Weg in die Tastatur.
Soll ich den Papierkorb leeren und zeigen, was alles darin gelandet ist? Lieber nicht.
Ich finde das Gedicht weder schlecht noch gelungen. Es ist unfertig, ich merke deutlich, dass ihm etwas fehlt, wovon ich dachte, es seien die passenden Worte und Wörter. Die sind es auch, aber dass sie sich nicht einstellen wollen, liegt an meiner veränderten Stimmung. Ich kann diesen Text nicht (mehr) nachempfinden, ja, er klingt teilweise wie Spott in meinen Ohren. Helleres Lied, Aufbruch, Vogel, frei - pff!
Über Scherben könnte ich schreiben, über stillstehendes Blut, über eine im Kern tiefgefrostete Welt. (Sollte ich vielleicht tun.)
Vor drei Jahren habe ich schonmal ein Frühlings-Pantun geschrieben, damals gereimt. Es hatte etwas Fedrigleichtes, Beschwingtes, das mir noch heute gefällt.
Diesmal sollte (wollte) der Schwerpunkt auf der Kraft und der Unbändigkeit des sich Bahn brechenden Frühlings liegen, so jedenfalls entstand die Rohform vor zwei Wochen (die oben schon stark bearbeitet ist). Außerdem wollte ich keine Reime, die wären mir irgendwie zu lieblich.
Jedenfalls habe ich selbst diese Kraft in mir gespürt und wie sie heraus will. Und plötzlich ... Alles dahin ...
*seufz*
Tieftiefster Winter.
Und eine Kehrtwende mitten auf der Schwelle. Tür zu, Heizung an.
(Das ist kein Zustand? Doch, das ist es!)
Es gibt kein helleres Lied (Frühlings-Pantun)
Verborgen unterm Eis
ein keimender Wille
es gibt kein helleres Lied
sing du mir von Aufbruch
ein keimender Wille
geschlossen und stumm
sing du mir von Aufbruch
deine Zunge ein Vogel
geschlossen und stumm
zu gebärende Wonne
deine Zunge ein Vogel
lass sie frei
zu gebärende Wonne
zu gebärende Wonne
verborgen unterm Eis
lass sie frei
es gibt kein helleres Lied-, das einer adäquaten Stimmung entsprang, aber nicht fertig wurde und deshalb im Entwurfordner landete, und nun ist die Stimmung eine ganz andere, und man möchte dieses Gedicht überarbeiten, aber nichts passt. Aus Wonne wird Frösteln und aus sprießenden Keimen ein innerer Rückzug. Jedes erwachende Wort zieht sich Schürfwunden zu auf seinem Weg in die Tastatur.
Soll ich den Papierkorb leeren und zeigen, was alles darin gelandet ist? Lieber nicht.
Ich finde das Gedicht weder schlecht noch gelungen. Es ist unfertig, ich merke deutlich, dass ihm etwas fehlt, wovon ich dachte, es seien die passenden Worte und Wörter. Die sind es auch, aber dass sie sich nicht einstellen wollen, liegt an meiner veränderten Stimmung. Ich kann diesen Text nicht (mehr) nachempfinden, ja, er klingt teilweise wie Spott in meinen Ohren. Helleres Lied, Aufbruch, Vogel, frei - pff!
Über Scherben könnte ich schreiben, über stillstehendes Blut, über eine im Kern tiefgefrostete Welt. (Sollte ich vielleicht tun.)
Vor drei Jahren habe ich schonmal ein Frühlings-Pantun geschrieben, damals gereimt. Es hatte etwas Fedrigleichtes, Beschwingtes, das mir noch heute gefällt.
Diesmal sollte (wollte) der Schwerpunkt auf der Kraft und der Unbändigkeit des sich Bahn brechenden Frühlings liegen, so jedenfalls entstand die Rohform vor zwei Wochen (die oben schon stark bearbeitet ist). Außerdem wollte ich keine Reime, die wären mir irgendwie zu lieblich.
Jedenfalls habe ich selbst diese Kraft in mir gespürt und wie sie heraus will. Und plötzlich ... Alles dahin ...
*seufz*
Tieftiefster Winter.
Und eine Kehrtwende mitten auf der Schwelle. Tür zu, Heizung an.
(Das ist kein Zustand? Doch, das ist es!)
Sonntag, 10. Februar 2013
Aufbewahrungsmethoden
- Wie bewahrst du eigentlich deine Sprache auf?
- In Formaldehyd. Und du deine?
- An der frischen Luft.
- Verträgt sie das denn?
- Nun, sie ist sehr lebendig. Und deine?
- In Formaldehyd. Und du deine?
- An der frischen Luft.
- Verträgt sie das denn?
- Nun, sie ist sehr lebendig. Und deine?
Samstag, 9. Februar 2013
Gelbe Bücher
Ich mag keine gelben Bücher. Genauer: solche mit gelbem Einband.
Warum? Keine Ahnung!
Nicht, dass ich grundsätzlich etwas gegen die Farbe Gelb hätte, ich mag sie an Blumen, Wänden, Kartoffelpürree. Als Symbol für Sonne, Ewigkeit und ein freundliches Wesen. Aber als Farbe eines Buchcovers reizt sie mich null.
Oder vielleicht reizt sie mich doch, nur eben im negativen Sinne, und hält mich davon ab, mir das so eingebundene Buch näher anzuschauen. Schließlich wähle ich meinen Lesestoff intuitiv - nach Cover und Titel und erstem Satz, in genau dieser Reihenfolge. Wenn ich aber doch hin und wieder ein "gelbes Buch" lese, dann in der Regel deshalb, weil eine Kollegin es mir ans Herz gelegt hat.
So geschehen bei den drei folgenden Titeln:
1. Die Tigerfrau von Tja Obreht
"In meiner frühesten Erinnerung ist mein Großvater kahl wie ein Stein und nimmt mich mit zu den Tigern. Er setzt seinen Hut auf und zieht den Regenmantel mit den großen Knöpfen an, und ich trage meine Lackschuhe und das Samtkleid. Es ist Herbst, und ich bin vier Jahre alt. Das Verlässliche daran: Großvaters Hand, das helle Zischen der Straßenbahn, die feuchte Morgenluft, das Gedränge den Hügel hinauf zum Zitadellenpark. Immer in Großvaters Brusttasche: Das Dschungelbuch mit dem Blattgoldeinband und den alten gelben [!] Seiten. Ich darf es nicht in die Hand nehmen, aber es bleibt den ganzen Nachmittag aufgeschlagen auf seinem Knie liegen, und er liest mir Passagen daraus vor. Obwohl mein Großvater weder sein Stethoskop um den Hals hat noch den weißen Kittel trägt, nennt die Dame an der Kasse ihn "Herr Doktor"."
So ein schöner Anfang! Wäre da nicht der gelbe Einband. Aber zum Glück gab es die begeisterte Kollegin, die mir den Roman wärmstens empfahl. Und so kam ich in den Genuss dieses sprachschönen und bildmächtigen Debüts einer noch sehr jungen Autorin.
Sie fügt die bewegende und bewegte Geschichte des Großvaters ihrer Protagonistin zusammen aus den vielen kleinen Geschichten, die er selbst ihr erzählt hat, als sie noch ein Kind war, und aus jenen, die andere ihr nach seinem Tod erzählten. All diese Geschichten ranken sich im Wesentlichen um zwei Personen: Die Tigerfrau, schön und taubstumm, die einen geflüchteten Tiger pflegt, und einen rätselhaften Mann, der nicht sterben kann.
Zwischen zwei gelben Buchdeckeln 400 Seiten voller Liebe, Legende und Tod.
2. Tal der Herrlichkeiten von Anne Weber
Hier ist der Einband nicht einmal durchgängig gelb, es gibt auch eine blaue Welle, die auf einen weißen Strand rollt. Trotzdem ... Aber dank der Kolleginnen ...
Der Roman erzählt in einem zarten Ton eine zarte Geschichte von zwei zarten Seelen. Er beginnt in Andeutungen, hält sich zurück in der Interpretation seiner Figuren, lullt den Leser fast ein mit seiner traumgleichen Sprache - um dann an manchen Stellen unvermittelt so direkt zu werden in der Beschreibung von sexuellen und gewalttätigen Handlungen, dass man regelrecht erschrickt.
Es ist eine Liebesgeschichte von großer Intensität und kurzer Dauer, die hier erzählt wird. Zwischen einem zerschlagenen Mann, von der Autorin Sperber genannt, und einer nach einem dramatischen Kindheitserlebnis im wahrsten Wortsinn beschädigten Frau, Luchs genannt. Beide sind gebrannt, beide sind aufgrund dessen vorsichtig-misstrauisch, jederzeit zum Rückzug bereit.
Im zweiten Drittel des Buches breitet sich über sechs Seiten hinweg eine der schönsten Beschreibungen eines Liebesakts aus, die ich bisher gelesen habe.
Ein Ausschnitt:
3. Das Sonnenblumenfeld von Andrej Longo
Eine Geschichte von Liebe und Gewalt, tief im Süden Italiens. - So steht es auf der Rückseite des Einbands.
Der größte Teil des knapp 200 Seiten umfassenden Romans spielt an einem heißen Sommertag, dem Festtag des heiligen San Vito Liberatore. Im Dorf ist man mit den Vorbereitungen beschäftigt, und Menschen von weither reisen an, um die Prozession zu sehen und am abendlichen Fest teilzunehmen. Da wird dann die Pizzica getanzt, eine Form der Tarantella, eines sich in immer größere Wildheit steigernden Tanzes.
Und ganz ähnlich diesem Tanz ist auch das Buch komponiert und choreografiert: Am Anfang langsam und bedächtig, von zwei Hauptfiguren ausgehend, dann an Tempo und beteiligten Personen zunehmend bis hin zu einem atemberaubenden Finale.
Ein junges, von der Eifersucht eines Dritten bedrohtes Liebespaar steht im Mittelpunkt, Familien und Freunde der drei kommen nach und nach dazu, schließlich noch zwei zunächst unbeteiligt scheinende Diebe und ein die Abschiebung fliehender Nordafrikaner.
Es wird von Armut erzählt, von Betrug und Leidenschaft. Mitten in einem Sonnenblumenfeld kommt es zum Showdown und wenige Seiten später schließlich zu einem voller Bangen erwarteten Ende, welches geprägt ist von einer Art anarchischer Gerechtigkeit.
Ein Ausschnitt:
Lesen, lesen, lesen!
Warum? Keine Ahnung!
Nicht, dass ich grundsätzlich etwas gegen die Farbe Gelb hätte, ich mag sie an Blumen, Wänden, Kartoffelpürree. Als Symbol für Sonne, Ewigkeit und ein freundliches Wesen. Aber als Farbe eines Buchcovers reizt sie mich null.
Oder vielleicht reizt sie mich doch, nur eben im negativen Sinne, und hält mich davon ab, mir das so eingebundene Buch näher anzuschauen. Schließlich wähle ich meinen Lesestoff intuitiv - nach Cover und Titel und erstem Satz, in genau dieser Reihenfolge. Wenn ich aber doch hin und wieder ein "gelbes Buch" lese, dann in der Regel deshalb, weil eine Kollegin es mir ans Herz gelegt hat.
So geschehen bei den drei folgenden Titeln:
1. Die Tigerfrau von Tja Obreht
"In meiner frühesten Erinnerung ist mein Großvater kahl wie ein Stein und nimmt mich mit zu den Tigern. Er setzt seinen Hut auf und zieht den Regenmantel mit den großen Knöpfen an, und ich trage meine Lackschuhe und das Samtkleid. Es ist Herbst, und ich bin vier Jahre alt. Das Verlässliche daran: Großvaters Hand, das helle Zischen der Straßenbahn, die feuchte Morgenluft, das Gedränge den Hügel hinauf zum Zitadellenpark. Immer in Großvaters Brusttasche: Das Dschungelbuch mit dem Blattgoldeinband und den alten gelben [!] Seiten. Ich darf es nicht in die Hand nehmen, aber es bleibt den ganzen Nachmittag aufgeschlagen auf seinem Knie liegen, und er liest mir Passagen daraus vor. Obwohl mein Großvater weder sein Stethoskop um den Hals hat noch den weißen Kittel trägt, nennt die Dame an der Kasse ihn "Herr Doktor"."
So ein schöner Anfang! Wäre da nicht der gelbe Einband. Aber zum Glück gab es die begeisterte Kollegin, die mir den Roman wärmstens empfahl. Und so kam ich in den Genuss dieses sprachschönen und bildmächtigen Debüts einer noch sehr jungen Autorin.
Sie fügt die bewegende und bewegte Geschichte des Großvaters ihrer Protagonistin zusammen aus den vielen kleinen Geschichten, die er selbst ihr erzählt hat, als sie noch ein Kind war, und aus jenen, die andere ihr nach seinem Tod erzählten. All diese Geschichten ranken sich im Wesentlichen um zwei Personen: Die Tigerfrau, schön und taubstumm, die einen geflüchteten Tiger pflegt, und einen rätselhaften Mann, der nicht sterben kann.
Zwischen zwei gelben Buchdeckeln 400 Seiten voller Liebe, Legende und Tod.
2. Tal der Herrlichkeiten von Anne Weber
Hier ist der Einband nicht einmal durchgängig gelb, es gibt auch eine blaue Welle, die auf einen weißen Strand rollt. Trotzdem ... Aber dank der Kolleginnen ...
Der Roman erzählt in einem zarten Ton eine zarte Geschichte von zwei zarten Seelen. Er beginnt in Andeutungen, hält sich zurück in der Interpretation seiner Figuren, lullt den Leser fast ein mit seiner traumgleichen Sprache - um dann an manchen Stellen unvermittelt so direkt zu werden in der Beschreibung von sexuellen und gewalttätigen Handlungen, dass man regelrecht erschrickt.
Es ist eine Liebesgeschichte von großer Intensität und kurzer Dauer, die hier erzählt wird. Zwischen einem zerschlagenen Mann, von der Autorin Sperber genannt, und einer nach einem dramatischen Kindheitserlebnis im wahrsten Wortsinn beschädigten Frau, Luchs genannt. Beide sind gebrannt, beide sind aufgrund dessen vorsichtig-misstrauisch, jederzeit zum Rückzug bereit.
Im zweiten Drittel des Buches breitet sich über sechs Seiten hinweg eine der schönsten Beschreibungen eines Liebesakts aus, die ich bisher gelesen habe.
Ein Ausschnitt:
"Und weiter wuchs zwischen ihnen das Verlangen; Sperbers Hand nahm, behutsam kreisend, ihre Liebkosungen wieder auf. Der wachsweiche, noch atemlose Körper der Geliebten rollte zur Seite, und Sperber schmiegte sich an ihren Rücken. Und das fremd-vertraute Wesen, das zwischen seinen Schenkeln zuckte und sich gebieterisch gebärdete, schlug wie zum Spiel gegen ihre Flanke. Luchs, gar nicht willenlos, drehte sich auf den Bauch. Lange lustwandelte er über ihren Rücken, bevor seine Hand, tief in die offene Schenkelschere greifend, aufs Neue Zuflucht fand. Beim Hin und Her seiner starren Finger vernahm er das leise lockende Gurgeln und Schmatzen, das aus der Tiefe kam, und er wollte in die Quelle eintauchen und an ihr trinken, wollte mit Leib und Seele in ihr versinken."
3. Das Sonnenblumenfeld von Andrej Longo
Eine Geschichte von Liebe und Gewalt, tief im Süden Italiens. - So steht es auf der Rückseite des Einbands.
Der größte Teil des knapp 200 Seiten umfassenden Romans spielt an einem heißen Sommertag, dem Festtag des heiligen San Vito Liberatore. Im Dorf ist man mit den Vorbereitungen beschäftigt, und Menschen von weither reisen an, um die Prozession zu sehen und am abendlichen Fest teilzunehmen. Da wird dann die Pizzica getanzt, eine Form der Tarantella, eines sich in immer größere Wildheit steigernden Tanzes.
Und ganz ähnlich diesem Tanz ist auch das Buch komponiert und choreografiert: Am Anfang langsam und bedächtig, von zwei Hauptfiguren ausgehend, dann an Tempo und beteiligten Personen zunehmend bis hin zu einem atemberaubenden Finale.
Ein junges, von der Eifersucht eines Dritten bedrohtes Liebespaar steht im Mittelpunkt, Familien und Freunde der drei kommen nach und nach dazu, schließlich noch zwei zunächst unbeteiligt scheinende Diebe und ein die Abschiebung fliehender Nordafrikaner.
Es wird von Armut erzählt, von Betrug und Leidenschaft. Mitten in einem Sonnenblumenfeld kommt es zum Showdown und wenige Seiten später schließlich zu einem voller Bangen erwarteten Ende, welches geprägt ist von einer Art anarchischer Gerechtigkeit.
Ein Ausschnitt:
"Fellone riss einen Fetzen von ihrem geblümten Kleid ab und stopfte ihn ihr in den Mund, damit sie nicht mehr schreien und beißen konnte.
Dann knöpfte er sich die Hose auf.
Genau in dem Moment strich, gleich einem Murmeln, der Scirocco durch das Feld. Und die Sonnenblumen drehten zu Tausenden ihre Köpfe in Richtung Teich, so als wendeten sie ihren Blick ab vor Scham. Fellone bemerkte sie nicht einmal.
Die Wut rötete seine Augen, und sein Lächeln war zur Fratze eines Schakals geworden.
Doch während er sich die Hose runterzog, ertönte inmitten der Blumen der laute Klang der Tammorra.
Lorenzo!, dachte Caterina.
Und ihr fiel wieder ein, wie sie mit der Cousine Sognafuturo gespielt und davon geträumt hatte, dass ein Ritter den Seiten eines Romans entstieg und sie vor Gefahren beschützte.
Lorenzo!, dachte sie noch einmal.
Und trotz allem überkam sie ein Lächeln, das ihr Herz erleuchtete."
Lesen, lesen, lesen!
Freitag, 8. Februar 2013
führst die Welt noch einmal zum Mund
Wenn kein und jedes Wort stimmt, wenn das Revidieren kein Ende nimmt und die Umschreibungen immer nur Annäherungen an etwas sich stetig Entfernendes sind, wenn ein Abschied ansteht und ein täuschend beliebiger Neuanfang, wenn das Grab wieder und wieder geöffnet wurde zu Zwecken der Obduzierung, wenn dies einem Leichenschmaus gleichkam, einem kannibalischen, wenn es entgleitet und am Ende die Hände leer sind und nichts, rein gar nichts bleibt, kein Vor und kein Zurück, wenn du dann mit diesen leeren Händen ins Nichts greifst,
dann
- vielleicht -
wachst du zum zweiten Mal auf
und
führst die Welt noch einmal zum Mund
lässt ihr Drehgeräusch noch einmal in den Ohren zergehen
schmiegst dich noch einmal in ein Lager aus wilden Tieren und Sturm
setzt deinen Fuß noch einmal über den Abgrund aus unauslöschlichen Bildern
und
sagst weder bitte noch danke
dann
- vielleicht -
wachst du zum zweiten Mal auf
und
führst die Welt noch einmal zum Mund
lässt ihr Drehgeräusch noch einmal in den Ohren zergehen
schmiegst dich noch einmal in ein Lager aus wilden Tieren und Sturm
setzt deinen Fuß noch einmal über den Abgrund aus unauslöschlichen Bildern
und
sagst weder bitte noch danke
sondern
erlaubst dir
zu sehen
zu hören
zu schmecken
was will
und auch
dessen Namen
zu sehen
zu hören
zu schmecken
was will
und auch
dessen Namen
Donnerstag, 7. Februar 2013
Beasts of the Southern Wild
Es war einmal ein kleines Mädchen namens Hushpuppy, die lebte eingebettet in den Rhythmus eines universalen Herzschlags, hörbar gemacht durch den vielstimmigen Chor der Lebewesen um sie herum, denen sie, ob Mensch, ob Tier, ihr Ohr an die Brust legt. bummbumm bummbumm (Soundtrack)
In Hushpuppy's kleiner Welt voller Entbehrung und Reichtum erweisen sich diejenigen als mutig - unabhängig von Alter, Körpergröße und Muskelkraft - die nicht weg-, sondern hinsehen. Und Hushpuppy sieht genau hin.
Seit ich im Dezember Melusines schöne und kluge Kritik gelesen hatte, wollte ich den Film sehen. Und gestern endlich.
(Du hattest recht damit, Melusine, dass dieser Film auch mich bezaubern würde!)
Mittwoch, 6. Februar 2013
Dienstag, 5. Februar 2013
Aufgabe
In der Antwort auf einen Kommentar das Wort "Lebensaufgabe" benutzen, davor zögern und auch danach noch denken, wie es missverstanden werden kann. Diese Möglichkeit zulassen.
Der Doppeldeutigkeit des Wortes "Aufgabe" nachgehen, mir dies zur Aufgabe machen, beide Bedeutungen zusammenbringen (eigentlich -zwingen) in eine, Bedeutung wie Handlung, Kapitulation leisten.
Beim zuerst Gemeinten wieder ankommen und das andere darin eingeschlossen finden, nicht mehr als Widerspruch, sondern als zugehöriges Element.
Eine Winzigkeit. Eine große Liebe. Zu den Wörtern und ihrer Genauigkeit (die sich manchmal erst dem zweiten und dritten Blick offenbart).
Montag, 4. Februar 2013
Ausharren
Sie senken die Köpfe. Er auf der einen, sie auf der anderen Seite der Mauer.
Ich verstehe dich nicht, ruft er hinüber.
Darum geht es nicht, erwidert sie, darum ist es nie gegangen.
Er scharrt mit den Füßen im Erdreich, überlegt, eine Schaufel zu holen. Vielleicht, wenn er sich bis zur Verankerung graben könnte ...
Bist du noch da?, ruft er.
Ja, erwidert sie, und das ist mein letzter Hinweis, deutlicher geht es nicht. Wenn du jetzt immer noch nicht drauf kommst ...
Ein Ja, denkt sie, nichts weiter als ein Ja, einmal, aus seinem Mund.
Sie hat sich niedergelassen, sitzt mit dem Rücken an die Mauer gelehnt, diese ist kalt und heiß. Wie wir, denkt sie. Wie wir in unseren abweisenden und in unseren zornigen Momenten. Sie lässt eine Hand über die Fläche gleiten.
Hier gibt es keine einzige warme Stelle, ruft sie zu ihm hinüber, wie ist es auf deiner Seite?
Er legt seine Hände auf die Mauerfläche, spürt mit der einen die Kälte, mit der anderen die Hitze. Wenn ich ausharre, denkt er, wenn ich ein wenig Geduld habe, dann müsste ein Ausgleich stattfinden. Und so geschieht es. Die Wärme seiner Hände überträgt sich auf die Mauer.
Das ist es, denkt er, ein Ausharren, einmal, von ihrer Hand.
Bist du noch da?, ruft sie.
Ja!, erwidert er, verwirft den Gedanken an die Schaufel, dreht sich um, lehnt sich mit dem Rücken an die Mauer.
Bleibst du?, ruft sie.
Ja!, erwidert er, und blickt in die aufkommende Dämmerung, in die Nacht, in den Morgen, in den neuen Tag ...
Sie erhebt sich und legt die Hände auf die heißkalte Fläche.
Dann bleibe ich auch, ruft sie, und harrt aus, sein Ja im Ohr, die Hände still an der Mauer, die Nacht hindurch, bis in den Morgen, bis in den neuen Tag ...
Wärme dringt an seinen Rücken.
Samstag, 2. Februar 2013
Anonym ...
... durchstößt du diesen unschätzbaren Raum,
zu wertvoll,
um nicht rigoros als unerlaubtes Land von mir bewacht zu werden,
um nicht rigoros als unerlaubtes Land von mir bewacht zu werden,
versuchst,
den Schleier anzuheben,
den Schleier anzuheben,
der doch nur meiner Hand gehorcht,
und trotzdem es dir nicht gelingt,
vermeinst du,
mich zu sehen,
du merkst nicht,
vermeinst du,
mich zu sehen,
du merkst nicht,
dass dein Blick nicht weiter reicht als bis zur Spiegelfläche,
der Innenseite deiner Anonymität.
der Innenseite deiner Anonymität.
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