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Freitag, 10. April 2015

Verleihung des "AMBASSADOR OF CONSCIENCE AWARD" an Joan Baez und Ai Weiwei

(Text: ai)


Die US-amerikanische Folkmusikerin Joan Baez und der chinesische Künstler Ai Weiwei - beides weltbekannte Aktivisten - werden mit dem Ambassador of Conscience Award 2015 ausgezeichnet.
Mit dem Preis würdigt Amnesty Aktivisten und Künstler, die sich durch ein herausragendes, langjähriges Engagement für die Menschenrechte auszeichnen. Auf der feierlichen Preisverleihung am 21. Mai 2015 in Berlin wird unter anderem die Sängerin Patti Smith sprechen. Der irische Musiker und Oscar-Gewinner Glen Hansard (The Frames, The Swell Season) und die britische Blues-Sängerin Jo Harman werden den Abend musikalisch unterstützen. Karten sind ab sofort im Vorverkauf erhältlich.
„Joan Baez und Ai Weiwei sind eine Inspiration für tausende Menschenrechtsaktivisten, in Amerika, Asien und darüber hinaus." - Salil Shetty, Internationaler Generalsekretär von Amnesty International.

Karten erhältlich über: www.eventim.de/art-for-amnesty

Mehr Informationen zum Preis und den Preisträgern: www.amnesty.de/ambassador-of-conscience




Wie gerne würde ich dahin. Mal sehn ...



Everlasting:











Never Sorry:





Mittwoch, 4. Februar 2015

der Wahrheit nicht nahe genug

Ich hatte noch nie ein besonderes Faible für Biografien. Vielleicht deshalb, weil sie – anders als die Fiktion – der Wahrheit nicht nahe genug kommen.


(Natürlich gibt es Ausnahmen. Auch zähle ich das Tagebuch nicht dazu, das ich wegen seiner vor allzu vielen Reflektionen geschützten Direktheit schätze.)



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Nachtrag am Nachmittag:

Da töne ich heute früh rum von wegen Fiktion sei mir lieber als Biografien, u.a. wegen der größeren Wahrheitsnähe der Fiktion, und was packe ich dann wenig später im Laden aus:

„Die talentierte Miss Highsmith"

Eine rund 1000 Seiten starke Biografie über Patricia Highsmith, geschrieben von Joan Schenkar, zum 20. Todestag von Patricia Highsmith am 4.2.2015 bei Diogenes erschienen. Hier

Die musste ich dann doch haben. Denn:
Patricia Highsmith! Hallo!
Meine hochverehrte und heißgeliebte Verfasserin hochspannender, ab- und tiefgründiger, psychologisch subtiler Kriminal- und anderer Romane, die unvergessliche Figuren geschaffen hat, von denen Tom Ripley wohl die bekannteste sein dürfte. 
Auch das wiederkehrende Motiv der Auseinandersetzung mit einem fundamentalistisch geprägten Christentum hat mich, aus persönlichen Gründen, sehr interessiert. Wie genau sie da die schleichenden Manipulationen und Abhängigkeiten schildert ...

Ich habe alles von ihr gelesen, einiges mehrfach, und ja, ich empfinde etwas wie Verehrung für sie als Schriftstellerin, für ihre unglaubliche Schaffenskraft, den Sog, den ihre Geschichten ausüben und dem man sich kaum entziehen kann – manchmal erschreckenderweise, blickt man doch plötzlich in eigene Abgründe ...

Verehrung aber auch für ihre Person. Denn natürlich habe ich am Rande auch immer etwas von ihrem komplizierten und unkonventionellen Leben mitbekommen, das hat mich durchaus fasziniert. Hier liegt es nun in gebündelter Form vor. 
Joan Schenkar hat gründlich recherchiert, über Jahre hinweg Archivmaterial gesichtet, darunter rund 8000 Seiten von Highsmiths Tagebuchnachlass; sie hat Gespräche mit persönlichen Vertrauten der Schriftstellerin geführt. Und sie hat, wenn man dem Klappentext glauben darf, nicht sachlich-trocken, sondern „klug, humorvoll, unverblümt und in sprühender Prosa" geschrieben. Die ersten Seiten, die ich eben quergelesen habe, bestätigen das. 
Ich freu mich total auf dieses Buch, das mit den folgenden Sätzen beginnt:

„Sie war nicht nett. Sie war selten höflich. Und niemand, der sie gut kannte, hätte sie großzügig genannt. Patricia Highsmith war – abgesehen von einer unkonventionellen Künstlerin mit Ausnahmetalent – so etwas wie das Negativ eines alten Fotos, bei dem alles Schwarze weiß und alles Weiße schwarz war. Lady Diana Cooper hat das Gleiche über Evelyn Waugh gesagt."


Bin ich jetzt inkonsequent, oder habe ich mich gar selbst widerlegt? 
Nein. Meine Begeisterung für diese Biografie ist die Ausnahme (derer es mehrere gibt, wie ich es heute früh bereits erwähnte: Doris Lessing, Bob Dylan und ein paar wenige weitere ..., ja, ich geb’s zu). Und die Ausnahme bestätigt nur die Regel meines  morgendlichen Bekenntnisses. 

Freitag, 7. November 2014

Käthe Kollwitz oder: Berührt

"Mag man tausend Mal sagen, daß das nicht reine Kunst ist, die einen Zweck in sich schließt.
Ich will mit meiner Kunst, solange ich arbeiten kann, wirken."

Käthe Kollwitz, 29. Dezember 1922


Was will ich mit einer Kunst, die mich nicht berührt? Nicht im Sinne von streichelt, Wohlgefühl erzeugt, einlullt. Nein. Sondern im Sinne von anstößt, aufrüttelt, weckt, in Bewegung setzt. Also vielleicht eher bewegt statt berührt. Aber auch dieses bewegt hat manchmal so einen seltsam gefühligen Beigeschmack. Vielleicht also eher anfasst. Oder packt. Irgendein Begriff, der auch etwas stark Körperliches beinhaltet. Etwas, das mich als ganzen Menschen anspricht, nicht nur die Emotion, sondern auch Geist und Körper. Ich will nicht nur fühlen, sondern auch denken und spüren. Jedenfalls hat Käthe Kollwitz mich in diesem umfassenden Sinne berührt.


Käthe Kollwitz arbeitete 18 Jahre lang an den trauernden Elternfiguren als Gedenkmal für den 1914 gefallenen Sohn Peter. Er hatte sich mit 18 freiwillig gemeldet, gegen den Willen des Vaters, aber unterstützt von der Mutter, die sich stets solidarisch mit den Söhnen zeigte und nichts mehr wollte als deren freie Entfaltung. Bereits am ersten Tag seines ersten Einsatzes fiel Peter, von einer einzigen Kugel tödlich getroffen.
Der Wandel, den Käthe Kollwitz in den darauf folgenden Jahren durchmachte - von einer überzeugten Patriotin hin zu einer noch tiefer überzeugten Pazifistin und Internationalistin - dieser Wandel ist in den vielen graphisch und gestalterisch dokumentierten Schritten und Überlegungen, den Durchlebungen eigentlich des Trauerprozesses, des Schuldgefühls, der Ohnmacht und des Aufbegehrens nach dem Tod des Sohnes deutlich erkennbar. Wirken die ersten Entwürfe der Skulptur noch wie zusammengekauert in eine elterliche Trauereinheit, die geschlagen ist und sich ohnmächtig ergibt, so entfalten sich die Figuren im Laufe der Jahre zu zwei einzelnen, ähnlich in ihrer Körperhaltung und doch verschieden, einander zugewandt, klar durch ihre Trauer um den einen Menschen miteinander verbunden, aber dennoch jede für sich tief getroffen und stark in sich selbst. Die anfangs passiv ergebene Haltung hat sich in eine aktive verwandelt. 
Kollwitz hat zahlreiche Skizzen zu Details vor allem der Hände und Arme hergestellt auf der Suche nach genau dem richtigen Ausdruck. Zum Glück sind diese Skizzen und Entwürfe (nicht alle, manche hat sie selbst zerstört) eines langen Schaffensprozesses erhalten. Denn nicht erst das abgeschlossene Werk zeigt diesen einen richtigen Ausdruck, nach dem sie gesucht hat, sondern schon jeder einzelne Entwurf zuvor bildet die Schritte eines langen Prozesses deutlich und genau ab. Jeder einzelne bildnerische Versuch trifft es und stellt einen Abschnitt auf dem Weg des Trauerns und des Überdenkens der eigenen politischen Einstellung dar. 
Die Skulptur, die am Ende dieses Weges steht, versinkt nicht mehr im ohnmächtigen Schmerz über den Verlust, sondern ist in ihrer Trauer zugleich auch eine Absage an die angebliche Unvermeidlichkeit, eine Absage an alle Kriegstreiber. Die Elternfiguren in ihrer unterschiedlichen Haltung - beide kniend und mit vor der Brust verschränkten Armen, der Vater aufrecht, die Mutter nicht mehr gebeugt, sondern sich beugend (was für ein Unterschied und was für eine Kunst, diesen darzustellen!) - trauern nun für sich um ihren Sohn, nicht um einen Kriegshelden. Sie nehmen ihn rückwirkend in Schutz vor der Vereinnahmung durch die Kriegsmaschine, nehmen ihn sich zurück, den Sohn, auf den kein Kriegstreiber ein Anrecht hat. Die Mutter in später Einsicht ihres patriotischen Irrtums, vielleicht auch um Vergebung bittend. Der Vater unerbittlich in seiner schon zuvor ablehnenden politischen Haltung. Sie unterwerfen sich nicht länger, höchstens dem Tod und dem Leben, aber keiner menschlichen unmenschlichen Macht.

Mich hat das tief beeindruckt, ebenso wie ihre anderen Werke. Und wie aktuell diese gerade (wieder) sind (oder eigentlich immer, wenn wir global denken und vor allem hinsehen): Die Auseinandersetzung mit dem Krieg durch Darstellung des unermesslichen Leides, des Verlustes, des Todes!, all dessen, was die bloße Erwägung kriegerischer Handlung als probates Mittel zur Lösung von Konflikten als absurd und zutiefst inhuman entlarven müsste. 
Kunst kann das. Wirken. Sie darf das. Vielleicht muss sie es sogar. Aber das wage ich dann doch nicht so sicher zu behaupten.

Freitag, 23. Mai 2014

Margriet de Moor

Mein Exemplar des Romans "Erst grau dann weiß dann blau" von Margriet de Moor, den ich mir 1993 sofort bei Erscheinen kaufte und den ich bereits mehrere Male gelesen habe, der zu den für mich persönlich wichtigsten 10 Büchern gehört, dieser Roman, also mein Exemplar davon, trägt seit Mittwoch Abend auf dem ersten Blatt, gerahmt von meinen Initialen und einer von mir notierten Seitenzahl, das vorgestrige Datum und den Namen der Autorin, handschriftlich mit Füller von ihr eingetragen. Ich bedankte mich bei ihr für die wundervolle Lesung aus ihrem aktuellen Roman "Mélodie d'amour" und sagte ihr, dass mir ihr erster Roman sehr viel bedeutet hat. Dass er mir anteilig Lebensretter war, mir half, meine Integrität wiederzuerlangen bzw. das Recht, um sie zu kämpfen, das sagte ich natürlich nicht. Zuviel Pathos, vor allem für diesen kurzen zur Verfügung stehenden Moment innerhalb einer Schlange von Menschen, die mit einem Buch in der Hand darauf warten, ebenfalls einen kurzen Moment der Zweisamkeit mit der Autorin zu erleben. Für einen Blick in freundliche blaue Augen, einen kurzen Austausch über einen Tisch hinweg. "Was soll ich schreiben?" - "Einfach für ..." - "Gerne. Danke für Ihr Kommen." - "Danke. Vielen Dank."

"Wen wird es stören, daß ich zwischendurch auf eine Landschaft schaue, die niemand außer mir kennt, und mir Dinge ins Gedächtnis rufe, an die zu denken angenehm ist, stolze, barbarische, persönliche Dinge, die ich nie, mit wem auch immer, teilen können werde ..."
Dieser Satz steht auf der Seite, die ich mir vor etwa zwanzig Jahren vorne im Buch notiert habe. Es ist mein Lieblingssatz, zugleich Essenz des Romans. Für mich.
Magda, die Hauptperson verschwindet eines Tages, ohne ihrem Mann oder dem befreundeten Ehepaar eine Nachricht zu hinterlassen. Sie spürte schon lange, 
"daß sich ganz in der Nähe des Lebens, in dem man zufällig gelandet ist, ein anderes befindet, das man seelenruhig genauso gut hätte führen können."
Zwei Jahre lang ist sie unterwegs. Zwei Jahre intensiven Lebens und Erlebens, in denen wir als Leserinnen sie begleiten. Dann kehrt sie zurück, so unauffällig, wie sie verschwunden ist, und nimmt ihr altes Leben wieder auf, als sei nichts gewesen. Kein Wort erzählt sie über die Zeit ihres Fortseins, niemand erfährt etwas. Schwer auszuhalten vor allem für Robert, ihren Mann, schwer bis zur Unerträglichkeit. 
Und das bleibt auch für uns Leser, die wir Magdas Reise ja miterleben durften, ein Geheimnis: Warum sie so gar nichts erzählen will und kann. Ein Geheimnis, das vielleicht ein wenig erklärt wird durch die oben zitierte Textstelle. Es sind Gedanken, die Magda auf der Rückreise, kurz vor der Ankunft durch den Kopf gehen. Verständlich, dennoch ein Rätsel, letztlich unlösbar. 
Was für ein Geschenk, wenn ein Buch seine Leserin mit einer offenen Frage zurücklässt. Einer Frage, die über das eigentliche Romangeschehen hinausgeht. Wie eine im Innern geöffnete Tür in ein fremdes Draußen. Aber immerhin: eine Öffnung, ein Draußen!


Also wirklich, jetzt schreibe ich statt über den neuen Roman von Margriet de Moor, der schließlich Gegenstand der Lesung war, über ihren ersten. Und statt den aktuellen signieren zu lassen, hielt ich ihr das alte Buch mit dem halbzerfledderten Umschlag hin. :-)
Ich habe den neuen Roman noch nicht gelesen, das werde ich jetzt tun. Margriet de Moor hat große Teile aus dem ersten Abschnitt vorgelesen. Das Gehörte gefiel mir gut. Ich mag ihre Art zu formulieren, zurückhaltend, auf den Punkt, mit leisem Humor. Übrigens spricht sie perfekt Deutsch, erzählte auch, dass es in ihrer Kindheit noch üblich war, dass an niederländischen Volksschulen die drei Fremdsprachen Englisch, Französisch und Deutsch unterrichtet wurden, und dass ihr Vater, selbst Schulleiter, das Deutsche liebte und es in ihrer Familie nicht die sonst verbreiteten Vorbehalte gab. 

Margriet de Moors Romane sind auch und im Grunde musikalische Kompositionen. Beim aktuellen Buch vergleicht sie die Handlungs- und Erzähltempi der vier Teile mit Musiktempi wie Allegro, Andante, Presto ... 
Stark spürbar war dieses musikalisch-kompositorische übrigens auch in "Sturmflut", der Geschichte zweier Schwestern, die einen Abend lang die Rollen tauschen, ein Spiel mit dramatischen Folgen, denn es ist das Datum der großen Flutkatastrophe 1953, bei der fast 2000 Menschen ums Leben kamen. In gegenläufigem Tempo werden dann das kurze, auf letzte 36 Stunden beschränkte Leben der einen Schwester und das lange, bis zum 85. Lebensjahr fortdauernde der anderen erzählt. Für mich neben "Erst grau dann weiß dann blau" der stärkste Roman de Moors.

Und nun "Mélodie d'amour" - Liebeslied. Ein Roman, der aus vier für sich stehenden Erzählungen besteht, lose miteinander verknüpft durch die Personen, die in einem Teil eine Hauptrolle, in einem anderen Teil eine Nebenrolle spielen. Gelesen hat die Autorin aus der ersten Erzählung. In der geht es um Gustaaf und Atie, seine Frau, die er noch immer innig liebt, obwohl er sie einst betrogen hat. Die Erzählung beginnt mit Aties Tod und beschreibt dann im weiteren rückblickend Szenen aus der Ehe der beiden, ihr tatsächlich vorhandenes Glück, Momente der Zärtlichkeit und Verbundenheit, das Nachdenken über die langsame Veränderung des körperlichen Begehrens, über Krankheit, Untreue, Duldung, das Kippen an einem nicht wirklich bestimmbaren Punkt ... Es ist ein Roman über die Liebe in ihren verschiedenen Spielarten und als Kraft, die sowohl beglückend und heilsam als auch verstörend und zerstörend sein kann.

Margriet de Moor bezauberte am Mittwoch Abend ihr Publikum. Mit ihrer Stimme, dem liebenswerten holländischen Akzent. Mit der Art, wie sie sich irgendwie tänzelnd zwischen dem Zweiertisch auf dem Podium und dem Stehpult, an dem sie las, bewegte. Im Gespräch mit Bettina Schulte, Redakteurin der Badischen Zeitung, die den Abend moderierte und der sie ständig widersprach oder die Antwort verweigerte. Statt sich auf Bewertungen einzulassen ("das ist doch ein Glück; das ist böse; ... das ist sowas wie ein Omen; ... ") oder auf Fragen einzugehen ("Warum reagiert er/ sie so? ... War das der Punkt, an dem es kippte? ..."), erwidert de Moor Dinge wie: "Es ist nicht gut oder schlecht oder ein Zeichen, es ist einfach." oder: "Das weiß ich auch nicht. Ich kann nur vermuten; ich glaube es ist so und so". Sie ist all ihren Figuren innig zugeneigt, aber sie gibt nicht vor, sie bis ins Innerste zu kennen. Das fällt mir in all ihren Büchern auf: Die Integrität, die sie den Figuren verleiht, indem sie eine Grenze des Respekts zieht und nicht jeden Seelenwinkel grell ausleuchtet. 
Desweiteren spricht sie vom Dreiecksverhältnis Autor - Buch - Leser, das ihr gerade in diesem Gespräch wieder so deutlich vor Augen geführt werde. Zwei Jahre lang habe das Buch allein ihr gehört. Nun sei es aus dem Haus wie erwachsene Kinder und mache, was es wolle. Und die Leserschaft dürfe ebenfalls machen, was sie wolle, mit dem Buch. Jede einzelne Leserin dürfe sich Fragen zum Buch stellen und sich diese dann auch selbst beantworten. ... 
So das Erinnerte sinngemäß. Es war ein schöner, lebhafter Abend mit einem vollen, runden Nachklang.

Wer mehr über Margriet de Moor erfahren möchte: Es gibt eine Website, die Wissenswertes zu Biographie, künstlerischem Hintergrund und ihren Büchern bietet. Hier.

Donnerstag, 21. November 2013

Danke, Doris Lessing!

Soll ich noch was zu Doris Lessing schreiben? Ist ja auch schon wieder - wieviele? - Tage her ihr Tod, inzwischen starben noch mehr Menschen, nähere bekannte, auch fernere bekannte wie Dieter Hildebrandt und viele, viele völlig fremde, ferne, in Massen untergehende.
Aber Doris Lessing ...

Ich habe sie mit Ende Zwanzig, Anfang Dreißig gelesen. Verschlungen eigentlich. Angefangen mit dem Goldenen Notizbuch, weitergemacht mit dem Martha-Quest-Zyklus und einigen anderen. Auch die späteren Werke gerne gelesen, manche waren mir dann zu flach, beeindruckend-verstörend Das Fünfte Kind, unglaublich spannend ihre Autobiografie. Schade, dass sie die nicht fortgeführt hat nach dem zweiten Teil.

Doris Lessing war wichtig für mich in einer Zeit, in der ich ausbruchartig versuchte, mich zu emanzipieren, mehr als Mensch denn als Frau, letzteres kam erst später. 
Aus dem Goldenen Notizbuch blieb mir am eindrücklichsten der Versuch der Protagonistin, ihre verschiedenen Lebensbereiche säuberlich getrennt zu halten durch das Führen verschiedenfarbiger Notizbücher. Genau das machte ich auch! Als passten bzw. gehörten die unterschiedlichen Bereiche nicht zusammen, als handelte es sich  gar (aber nur fast!) um getrennte Persönlichkeiten. Dabei waren es lediglich Facetten eines Ganzen, erforderte es einfach nur Selbstrespekt und -erlaubnis, all die Einzelaspekte mit- oder nebeneinander zu integrieren. 
Ich kenne das noch heute im Ansatz, führe aber längst keine getrennten Notizbüchern mehr, nur noch einen DIN A6 Terminkalender, in den ich alles eintrage und dieses eine Blog, das für mich mein Goldenes Notizbuch ist. Hier kommt alles rein, was aus mir raus will, nur notdürftig durch Labels kategorisiert. Ein Mischmasch. Und manches bleibt geheim, das ist dann allermeinst.

Doris Lessing ... In manchem blieb sie mir fremd, eine gewisse Härte oder innere Abgeriegeltheit haftete ihr an, fragwürdig in meinen Augen ihr Selbstversuch, durch Schlaf- und Nahrungsentzug verrückt zu werden, fragwürdig vor allem ihre Auswertung dieses Versuchs und Deutung seines Ergebnisses. Ach, na und, sie hat sich was getraut und zugemutet, auch abseits gängiger Wege. 

Sie war nicht vereinnahmbar. Und jetzt, da ich das schreibe, wird mir klar, dass es wohl genau diese Eigenschaft war, die sie für mich so anziehend machte. Nachdem ich mich selbst über Jahre hinweg vollkommen hatte vereinnahmen lassen. Doris Lessing, eine Frau, die sich zweifelhaften Vereinigungen anschloss, diese aber auch wieder verlassen konnte, inklusive (selbst)kritischem Rückblick, die sich später jeglicher Gruppierung und Bewegung verweigerte, aber immer politisch denkend blieb.

Genau in dieses Verweigerungsverhalten passte auch ihr Vorwort in der 1971er Auflage vom Goldenen Notizbuch, auf das ich mich hier im Blog schon einmal bezogen habe: Es gibt nur eine Art, Bücher zu lesen

Seltsam kurz übrigens der Wikipedia-Artikel, aber wenigstens gibt's dort eine vollständige Literaturliste.
Ein paar ihrer Werke will ich wiederlesen. Das ist ein Schatz, den sie da hinterlassen hat.

Danke, Doris Lessing!

Donnerstag, 24. Januar 2013

Ein Film, ein Buch, ein Mensch

Gestern auf ARTE gesehen:




Ein wunderbarer Film:
So viele Jahre liebe ich dich (ARTE Filmausschnitt und Beschreibung)
                                    (WIKIPEDIA-Artikel)

von einem wunderbaren Menschen:

der u.a. auch dieses wunderbare Buch geschrieben hat:
Monsieur Linh und die Gabe der Hoffnung



Man kann ein Buch empfehlen, man kann einen Film empfehlen, aber man kann natürlich keinen Menschen empfehlen, auch wenn es gerade dieses Menschsein, das Menschliche ist, was ihn als Autor und Filmmacher ausmacht. 
Für mich ist Philippe Claudel jemand, dessen Werke geeignet sind, die Welt und den Menschen besser zu machen. Er belehrt nicht, er moralisiert nicht, er sieht hin und zeigt, und das auf eine unbeschönigende, liebevolle Weise, die zutiefst berührt und an der nichts stört, weil sie nämlich weder plump noch künstlich, sondern aufrichtig und in Schönheit daherkommt.
Das Buch habe ich bereits vor Jahren gelesen, es hat mich in seiner schlichten Sprache überzeugt, einer Schlichtheit und Knappheit, welche die Gewalt, von der erzählt wird, umso deutlicher und gleichzeitig unfassbarer machen. Ein dünnes Bändchen von 128 Seiten, mehr Erzählung als Roman, mit einer erahnbaren und dennoch schockierenden Wendung gegen Ende.
Und der Film! Dass ich den verpasst habe, als er 2008 in die Kinos kam ... Ein Zufall, dass ich ihn gestern Abend auf ARTE entdeckte, wo er in den folgenden Tagen noch zweimal wiederholt wird.

Donnerstag, 29. November 2012

Ljudmila Ulitzkaja: Das grüne Zelt

Hätte damals am Gymnasium die Russisch-AG nicht wegen Raummangels in der nullten Stunde (also bereits um 7:00 Uhr!) stattfinden müssen, wäre ich mit Sicherheit länger als ein halbes Jahr dabeigeblieben, und das Wenige bis zu meiner Kapitulation Erlernte wäre nicht innerhalb kürzester Zeit in Vergessenheit geraten. Ich hatte nämlich ein Faible für die Sprache Tolstois, mir gefielen ihr Klang und das kyrillische Alphabet, gefallen mir bis heute. 
Hätte der Unterricht damals also nicht zu solcher Unzeit stattgefunden, wäre ich nun (möglicherweise) des Russischen mächtig und könnte mir die Lesung, die zu besuchen ich gestern Abend das Vergnügen hatte, im Originalton ins Gedächtnis rufen. So muss nun leider die - allerdings geniale - Übersetzung Ganna-Maria Braungardts herhalten.

Ljudmila Ulitzkaja gehört zu meinen Lieblingsautorinnen, seit ich 1997 ihren ersten Roman Medea und ihre Kinder las. Es folgten Reise in den siebenten Himmel, Die Lügen der Frauen, Ergebenst, euer Schurik, Maschas Glück, zwischen diesen einige, die ich nicht gelesen habe und hier deshalb nicht aufzähle.

Und nun ihr neuester, 600 Seiten starker Roman Das grüne Zelt, in dem es um drei Freunde geht, die in der Sowjetunion zu Dissidenten werden. 
Aus dem Klappentext: "Ilja, der Fotograf, vervielfältigt und verbreitet in seiner Freizeit verbotene Literatur. Als sich Jahre später herausstellt, dass er auch für den KGB tätig war, muss er fliehen. Micha ist Jude und schreibt seit seiner Jugend Gedichte. Wegen seiner Nähe zum Samisdat wird er denunziert und kommt ins Lager. Sanja kümmert sich während Michas Haft um dessen Frau und kleine Tochter. Dennoch hält ihn nach Michas Tod nichts mehr in der Sowjetunion."

Die Geschichte ist breit angelegt, in mehreren ineinander verwobenen Strängen erzählt und mit üppigem, um die überschaubare Hauptgruppe von sechs Menschen gruppiertem Personal ausgestattet. Es vermischen sich Biografie und Fiktion, einige Personen existierten real, werden aber wohl eher den russischen Lesern bekannt sein, manches entspringt den konkreten Erfahrungen der Autorin.
Wie in ihren früheren Werken besticht sie auch hier mit einer Kombination aus entlarvendem Blick und zwerchfellkitzelndem Humor, soviel lässt sich nach dem Hören eines Ausschnitts bereits sagen.

In einem vom Hanser-Verlag auf YouTube hochgeladenen Interview beschreibt Ulitzkaja ihr Verhältnis zur Sowjetmacht und ihre Beobachtung einer "Restalinisierung" in Russland, welche sie zum Schreiben des Grünen Zelts veranlasste:



 
Ihre Lesung beendete sie auf die Frage aus dem Publikum, ob sie ihre Bücher als Frauenliteratur bezeichnen würde, mit einer Feststellung, die ich hier mit Vergnügen festhalte und weitergebe: Der Begriff Frauenliteratur werde immer als Abwertung verstanden. Es sei natürlich eine Tatsache, dass Frauen viel später mit dem Schreiben begonnen haben als Männer, folglich stamme aber auch die größere Anzahl schlechter Bücher von Männern. Ihrer Auffassung nach sei inzwischen die Zeit der Frauen angebrochen, was auf eine Rettung der Erde hoffen lasse.

Das grüne Zelt nehme ich mir nun vor und empfehle es hier bereits ungelesen allein aufgrund meiner Erfahrung mit ihren früheren Büchern und des gestern Abend Gehörten.

Dienstag, 12. Juni 2012

Hoppe oder Mein schönstes Ferienerlebnis war, ...

... als wir mit der Reisegruppe in dem total überfüllten Bus nach Hameln gefahren sind. Dort hat uns die Reiseleiterin Frau Hoppe in Empfang genommen, sie war als Ratte verkleidet und hat uns mit ihrem Dirigierstab nach Kanada gelotst auf das dickste Eis der Welt. Wir spielten im Dunkeln Eishockey mit einem leuchtenden Puck, den hat sie erfunden, wie noch einiges andere mehr, sie ist nämlich eine ganz patente Frau. Und eine glückliche dazu, was von ihrem Namen kommt (Felicitas) und davon, dass sie eine Erfindungsgabe besitzt, die ihr erlaubt, alle möglichen Leben zu leben, nicht nur das eine, von dem man immer denkt, es sei vorgeschrieben. Nein, sie schreibt es sich selbst, und zwar weder vor noch nach, sondern im Entstehen. Oder entsteht es im Schreiben? Ach, das ist eigentlich eins. 
So ist sie, die Frau Hoppe, sie sprengt die Grenzen, aber das macht sie ganz leise, ohne lautes Sprenggeräusch mit Knall und Bumm, sie macht es leise, und das heißt, sie geht in ein fremdes Land hinein, als sei da gar keine Grenze, und dann ist da auch keine. Einen Augenblick lang zweifelt man an der eigenen Wahrnehmung, aber dann merkt man auch schon, dass das überhaupt keine Rolle spielt, denn nun befindet man sich ja schon in diesem fremden Land und musste sich gar nicht ausweisen. So einfach! (Es ist nie zu spät, notiere ich mir, denn da gibt es doch noch so einiges Fremde zu bereisen.)
Frau Hoppe hat auch das Glück, dass sie alles darf, und das kommt so: Sie erlaubt es sich einfach. Immer wieder kommen Menschen zu ihr, die wissen möchten, in welches Schubfach sie ihr geschriebenes Leben einordnen sollen, und denen sagt Frau Hoppe: Machen Sie es einfach, wie Sie mögen, ruhig auch komplementär, falls das hilft. Was natürlich keiner versteht, und das sollte doch nun wirklich ein Hinweis sein, wie er deutlicher nicht zu haben ist.
Wir waren dann auch noch mit ihr in Australien, und dort hat sie uns wieder uns selbst überlassen, nicht ohne jedem von uns eine handschriftlich beglaubigte Kopie ihrer Reiseerlebnisse zu überreichen. Und sie hat es zwar nicht ausdrücklich gesagt, aber ich glaube, wir dürfen diesen Bericht lesen, wie wir wollen und einordnen, wie wir wollen, wenn wir es denn wollen, denn Frau Hoppe ist nicht nur eine patente und eine glückliche Frau, sondern auch eine großzügige und eine weitherzige.
Ja, das war schön, und in aller Freude habe ich ganz und gar vergessen, mich bei Frau Hoppe zu bedanken, aber das ist nicht so schlimm, denke ich, denn ich kann es ja nachher aufschreiben in meinem Blog, und vielleicht liest sie es dann und schließt daraus, dass es sich lohnt, diese abenteuerhungrigen Reisegruppen in Empfang zu nehmen und im Rattenkostüm durch Hameln zu führen und weit über Hamelns Grenzen hinaus.

***

Wie vermutlich unschwer zu erraten ist, komme ich gerade von einer Lesung mit Felicitas Hoppe. Von den ca. tausend möglichen Arten, über meine Eindrücke von diesem Abend zu schreiben, hat sich mir obige aufgedrängt, warum weiß ich nicht, frage ich mich aber auch nicht. Vielleicht liegt es einfach an dieser bodenständigen und zugleich innerlich so weiten Frau, die zu erleben für mich ein großes Vergnügen war und ein Anstoß hinsichtlich des Erinnerns und Bewertens meiner eigenen Biographie und meines Schreibens.
(Wer "kluge" Rezensionen lesen möchte, wird sie im Netz zur Genüge finden.)

***

Und hier nun, wärmstens empfohlen: Hoppe

Freitag, 7. Oktober 2011

Aha, Tranströmer

Zugegeben, ich hatte bisher nichs von ihm, dem inzwischen 80jährigen Schweden Tomas Tranströmer gehört und gelesen. Was mir aber nicht zum ersten Mal passiert mit einem Literaturnobelpreisträger (und das, obwohl ich im Literaturgeschäft tätig bin. Tja ...).
Aber im Vergleich zu einigen früheren Entscheidungen des Komitees, die für mich schwer nachvollziehbar waren - ganz abgesehen von der wiederkehrenden Enttäuschung, dass Bob Dylan immer und immer noch nicht für die unglaubliche Virtuosität seines Textschaffens ausgezeichnet wurde - im Vergleich dazu also, finde ich die diesjährige Wahl, getroffen nach ästhetischen Gesichtspunkten, schlichtweg schön und im Sinne einer Balance auch wichtig.

Mir gefällt, was Tranströmer übers Dichten sagt:

"Ich sehe ein Gedicht nicht als eine Erklärung, sondern als eine neue Perzeptions- und Kommunikationsweise. Wie in einem Bahnknotenpunkt, wo sich die Züge aus allen Richtungen treffen, gibt ein Gedicht plötzlich einen neuen Kommunikationsknotenpunkt, von dem aus die Wirklichkeit zwar nicht erklärt, aber in einer neuen Beobachtung gezeigt wird."

Und mir gefällt, was er dichtet:

Der Adlerfels

Hinterm Glas des Terrariums
die Reptile
seltsam reglos.

Eine Frau hängt Wäsche auf
im Schweigen.
Der Tod ist windstill.

In der Tiefe des Bodens
gleitet meine Seele
schweigend wie ein Komet.

Über das Wenige, das meine Tageszeitung zu Tranströmer weiß, hinaus finden sich im Netz mehrere empfehlenswerte Artikel, u.a. dieser:

Und nun werde ich mir, um nicht nur das über den Preisträger, sondern vor allem das von ihm Geschriebene zu lesen, folgenden Band besorgen:
Tomas Tranströmer, Sämtliche Gedichte, übersetzt von Hanns Grössel, Carl Hanser Verlag 1997, ISBN: 978-3446189614