Montag, 30. April 2012

Steine sammeln

1
Manchmal bist du 
so voller Zweifel 
dass du jeden 
Stein liegen lässt 
aus Furcht er 
könnte dir davonfliegen

2
Steine sind so schwer, weil sie liegen bleiben wollen.

3
Ich habe einen Stein vom Bauch auf den Rücken gedreht.
Er war stumm vor Glück.

4
To-do-Liste:
- eine Blume nicht pflücken
- einen Vogel nicht verscheuchen
- einen Stein nicht umdrehen

5
Ein Buch muss der Meißel sein für den rohen Stein in uns.

6
Ärgere keinen Unschuldigen, oder halte dich etwas mehr als die Weite eines Steinwurfs von ihm entfernt.

.
.
.

Freitag, 27. April 2012

Unverhüllte Kaiser

- Kommst du?
- Ja, aber ich fühle mich unvorbereitet.
- Das ist die beste Voraussetzung.
- Ich habe kein Bild von dir.
- Das hoffe ich.
- Werden wir uns denn finden?
- Da hege ich nicht den geringsten Zweifel.
- Aber es sind so viele.
- Wir werden die einzigen sein ohne Rose im Knopfloch.
- Weil wir nichts zu verlieren haben?
- Weil wir nichts tragen werden, woran sich eine Rose befestigen ließe.
- Wir werden nackt sein?
- Wir werden unverhüllte Kaiser sein.
- Sie werden mit Fingern auf uns zeigen.
- Sie werden es nicht sehen.
- Weil sie blind sind?
- Weil sie es sich nicht vorstellen können.
- Und wir werden es sehen?
- Ja.
- Was macht dich so sicher?
- Dass wir es für möglich halten.

Mittwoch, 25. April 2012

Auf der Suche

nach dem schlichtesten Wort:
ja
danke
du
.
.
.

Emily Dickinson: The Brain

"The Brain – is wider than the Sky –
For – put them side by side –
The one the other will contain
With ease – and You – beside –

The Brain is deeper than the Sea –
For – hold them – Blue to Blue –
The one the other will absorb –
As Sponges – Buckets – do –

The Brain is just the weight of God –
For – heft them – Pound for Pound –
And they will differ – if they do –
As Syllable from Sound -"


aus: Englische und amerikanische Dichtung, Zweisprachige Ausgabe, dtv 2000

Samstag, 21. April 2012

Ohne Macht

Da stehen sie am Kai und tun gelassen, stehen ganz hinten und drängeln nicht. Sie wollen sowieso nicht mit aufs Boot. Nein, denn Menschenmengen sind ihnen zuwider. Sie sind da nun mal anders.
Sie betrachten dieses Schauspiel nur. Aus irgendeinem Interesse, das sie noch auf ausreichende Distanziertheit überprüfen müssen. Da gehen sie gerne auf Nummer sicher. Aber wenn sie soweit sind, werden sie es hinausposaunen und exakt den Ton treffen. Schlagartig wird dann die Menge verstummen und ihnen die Köpfe zudrehen. 
Auf diesen Moment der geballten Aufmerksamkeit müssen sie sich noch vorbereiten. Denn wenn die Gasse gebildet wird, um ihnen den Vortritt zu gewähren auf das Boot, sollen ihre Schritte sicher sein, und das Zittern ihrer Hände unter Kontrolle. Der Schweiß auf ihren Stirnen soll getrocknet sein und ihr Blick zum Standhalten in der Lage. Niemand soll ihnen auch nur ein Fünkchen einer Angewiesenheit ansehen, die sie sich selbst nie und nimmer eingestehen würden. 
Sie werden über den Steg schreiten, ohne zu wanken, und werden sich respektvoll grüßen lassen, bevor sie vom Deck herab ihren Blick über die Köpfe gleiten lassen, um schließlich mit einer Handbewegung das Weiteratmen zu befehlen ...
Aber ihre Phantasie ist nicht stark genug, um ihre Füße aus der Verwurzelung zu lösen. Immer noch stehen sie dort, ein leises Grauen beschleicht sie angesichts ihrer eigenen Gedanken. Und so belassen sie es bei ihrer Ohnmacht. 
Ein Halt wäre gut.

Freitag, 20. April 2012

Kopf und Herz (Loses Blatt #41)

Der Kopf will auch geliebt, das Herz will auch verstanden werden.

Donnerstag, 19. April 2012

Bitte ...

... sag jetzt nichts
abseits eines Gedichts.

Mittwoch, 18. April 2012

Wirklich?

Es war nicht alles Gold, was heute glänzt. 
Wirklich nicht? 
Mein Leben ist ein Möbiusband, immer wieder komme ich an denselben Stellen vorbei, manchmal habe ich ein Poliertuch einstecken, dann hauche ich das früher Erlebte an und reibe es ein wenig, bis es glänzt, mit jedem Mal mehr. Warum auch nicht? 
Vielleicht waren die Schaumgebirge gar nicht so gewaltig, war der Bademantel weniger kuschelig, der Grießbrei nicht jedesmal vorhanden, die Lieblingsserie nicht immer erlaubt. 
Vielleicht waren die Hände der Mutter manchmal grob statt sanft, was höchstwahrscheinlich ist, war sie doch damals schon unglücklich und voll von ohnmächtigem Zorn. Vielleicht also. Es bleibt eine Vermutung.
Sicher aber weiß ich, wie es hätte sein sollen, und wie es gemeint und gewollt war, und dass alles nicht so Perfekte bis Misslungene die Gebenden trauriger machen konnte als die Empfangenden. 
Es gibt Gravierendes, da genügt kein Wisch mit dem Poliertuch. Aber die Samstagnachmittage einer gewissen Phase meiner Kindheit und auch andere Stellen auf dem Möbiusband sind inzwischen auf Hochglanz poliert (Vielleicht ist das Poliertuch mit Versöhnlichkeit getränkt?), und ich wünschte, die damals Beteiligten könnten sehen, welch gutes Rohmaterial sie mir hinterlassen haben.

Der tätowierte Tag

Du tätowierst den Tag
mit deinem sturen Blick
und deinem Wort
das so ausschließlich ist
du legst dich fest
und stichst dann zu
und schreibst den Stunden ein
was deinem engen Hirn entspringt
gib Acht
das wäscht sich nie mehr raus

Montag, 16. April 2012

Gold

Ich erinnere mich an eine Zeit, die vorüberging wie alle anderen, aber die, als sie war, eine Kugel zu sein schien, eine Kugel aus geschmolzenem Gold, darin eine nicht enden wollende Zahl Samstagnachmittage, Badewannen, gefüllt mit Schaumgebirgen, Tauchwettbewerbe, verschrumpelte Finger und Zehen, ein blauer Frotteebademantel mit tiefen Taschen, die Hände der Mutter, die sanft die Haare aus dem Gesicht streichen, während ein warmer Luftstrom aus dem Föhn die Kopfhaut massiert und in den Ohren kitzelt, der Platz auf der Couch mit dem goldbraunen Cordbezug, auf den ich mich mit angezogenen Füßen kuschelte, in Erwartung des Grießbreis mit der Butterpfütze und der Vorabendserie, deren Titelmelodie ich immer noch auswendig kenne, und ob das alles so war, wie ich es erinnere, so golden, könnte ich nicht beschwören, aber es ist im Laufe der Jahre so geworden, und in dieser Bearbeitungsmöglichkeit im Nachhinein liegt eine Freiheit, die derjenigen der Wahlmöglichkeit im Vorhinein nicht unähnlich ist, eine Freiheit, die lediglich genommen werden will, denke ich mir, und setze auf meine heutige Einkaufsliste ein Päckchen Grieß.

Samstag, 14. April 2012

Wind (Der Betrachter 4)

Er blies in die graue Schicht, die sich über den Tisch gelegt hatte. Buchstaben wirbelten durchs Zimmer. Darunter tauchte ein Laib Brot auf, noch warm, das roch er, ohne die Entfernung zwischen seiner Nase und dem Tisch verringert zu haben. Ein Krug Wasser stand daneben und ein blitzsauberes Glas, des weiteren eine Schale mit Äpfeln. Er zog sein Messer aus dem Gürtel, schnitt einen Kanten vom Brot und biss hinein. Das war sein Garten Eden. Wenn er gegessen hatte, würde er draußen die graue Schicht von der Wiese fegen. Er würde die Windmaschine anwerfen und mit ihrer Hilfe das Dach der Hütte, den Schuppen, die Bäume und Sträucher von ihren Buchstabenschleiern befreien.
Seit wann war er erwachsen? Er erinnerte sich, es gab ein Datum, an dem war großartig gefeiert worden mit Torte und Kerzen, die Mutter hatte zusammen mit den Besuchern gesungen, ihre Augenwinkel waren mit glitzernden Diamanten geschmückt. Sein Gesicht war schwer von Küssen, und mehrmals hatte seine Mutter 'Ach' und 'mein lieber großer Junge' gesagt. Freude war in seine Brust gekehrt, denn er hatte gelernt, dass sie eingesperrt war wie er, nur dass sie keinen Fluss hatte, an den sie sich zurückziehen konnte. Sie meinte, was sie sagte. Er hatte mit seinen Armen einen Wall aus Dankbarkeit um sie gelegt und gehofft, dass sie spüren konnte, wie sehr er meinte, was er tat.
Wirklich erwachsen war er erst jetzt, einen ganzen Zeitraum später, und das Entfernen der grauen Schichten war nur ein erster Schritt, das wusste er.  Aber dass der Fluss nicht versiegte, wusste er auch. Und dass der Wind sein Freund war, ebenso.
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Er hat uns einen Blick in die Zukunft gewährt, angeregt vom Wind, der von einer Insel herüberweht. Warten wir auf weitere Berichte. Es sieht aus, als dürften wir hoffen.

Donnerstag, 12. April 2012

Es gehört ihnen nicht

Streichst wieder herum
im Unerreichbaren du
weißt doch ihre Himmel
schmettern dich zu Boden
dass du dich verkriechst
mitsamt deinem Nest zu
den Wurzeln flüchtest wie
ein Wurm dich vergräbst
die Flügel faltest über
deiner Scham mit grauer
Erde dich bedeckst ach
würdest du ein Klagelied
von deinen Lippen stoßen
würdest du deinen Leib
unters Tor werfen würdest
das Wort nehmen dieses
Wort dir zu eigen das sie
so schlau und so eifrig in
Besitz nahmen für ihre
eroberten Höhen ach
vertrau doch der Kraft 
deines Hungers entreiß 
ihnen das Wort es gehört 
ihnen nicht nimm es in 
deinen Mund unter deine 
Zunge schmecke das Wort
roll es an deinen Zähnen
entlang iss werde satt

Mittwoch, 11. April 2012

Peter und Marion

Warum sie mir gerade jetzt wieder einfallen, weiß ich nicht, oder doch, schließlich war gerade Ostern, überall sind noch Hasenspuren zu finden, direkt neben meinem Laptop hockt ein unversehrtes Exemplar seiner Gattung, eingehüllt in Goldfolie, ein rotes Schleifenband mit Glöckchen um den Hals, also ist es gar nicht so verwunderlich, dass ich in diesem Augenblick an Peter und Marion denken muss, die zwei Hasen (richtiger: Kaninchen), die während meiner Kölner Kindheit ein Jahr lang zur Familie gehörten, genauer: so lange, bis wir in den Winterurlaub fuhren, in ein Ferienhäuschen in der verschneiten Eifel, und niemanden hatten, der sich um Peter und Marion kümmern konnte, mitnehmen ging nicht, aber unsere Eltern hatten eine Lösung gefunden, nämlich einen Bauernhof, der auch Kleintiere hielt und sich ihrer annehmen würde, und zwar, wie uns während der Ferien mitgeteilt wurde, auch über unseren Schneeaufenthalt hinaus, da die lieben Hasen (richtiger: Kaninchen) es draußen auf dem Land doch viel besser hatten als bei uns in der Stadt mit der begrenzten Auslaufmöglichkeit, was meiner Schwester und mir einleuchtete, schließlich liebten wir unsere Tiere und wollten nur ihr Bestes, so dass wir uns bereits während des Ferienaufenthaltes mit dem Verlust abfanden und uns auch nichts dabei dachten, als es bereits am zweiten Tag, nach Schneeballschlacht und Schlittenfahrt, zum Mittagessen ein leckeres Hirschgulasch gab.

Dienstag, 10. April 2012

Dazwischen

Einmal ein Dazwischen
unüberbrückt lassen
hochtiefer Raum
Platz für zwei
Flügelspannbreiten
unter freiem Himmel
berühren sich Ränder
so nah wie weit

Donnerstag, 5. April 2012

À bientôt!

Über Ostern ins Elsass. 
Ohne Netz, aber mit doppeltem Boden aus gewechselten Tapeten und bedrucktem Papier.
À bientôt!

Montag, 2. April 2012

Lust auf Abschied

(eine mentale Übung)


Manchmal diese Lust auf Abschied. Ein letzter Blick, kein letztes Wort, Erstaunen zeugend, ein Stammeln: Wirklich? Gehen willst Du? Warum? Wohin? Wieso so plötzlich? 
Mit Frühling in der Kehle und dem Weg schon unter den Füßen antworte ich stumm: Ich werfe euch ab, ihr Bekümmerten, ihr von mir Umsorgten, Gehätschelten. Ich werfe euch ab und lasse euch zurück am Ausgangspunkt eures eigenen Weges. Das ist ein Geschenk, hört ihr?! 
Und ich werfe auch das ab: meine Erwartung einer Geste, die Verstehen, und noch mehr: die Einverständnis signalisiert. Bleibt liegen, oder steht auf und protestiert; tut, was immer euch gefällt, ich werde dem nichts entgegensetzen.
Dieser Verzicht leert meine Hände und schafft Platz unter meiner Haut für neue Abdrücke. Heftet eure Blicke an meinen Rücken und haltet von meinem noch unsicheren Gang, was ihr wollt: Meine Seele streift bereits durch hohes Gras und riecht das Land, das vor ihr liegt.
(Das ist ein Geschenk, hört ihr?)