Samstag, 17. Dezember 2016

Üben für den Jahresrückblick III

– Tränen der Trauer vergießen (die meisten davon über fremdes Leid)

– Danken


(mich fragen, wie das zusammen geht, Grund genug gibt es für beides (auch Grund im Sinne von Boden genug, um beides zu fassen?))


Wir leben in einem Spannungsfeld. Das auszuhalten, ist ... (eine lebenslange Aufgabe/Übung/Prüfung?)


Habe keine Weisheiten parat, schon gar keine neuen. Was bleibt, ist der Versuch des Ausdrucks. Ist der Versuch. Der Versuch. Ist der stete und immer neue fortwährende Versuch.

Samstag, 10. Dezember 2016

Veränderung

Du hast dich verändert, sagt er.

Ja, sagt sie, wie ein Marmorblock, aus dem Stück für Stück die eingeschlossene Skulptur befreit wird.


*


hiermit verwandt: Aus dem stummen Stein

Freitag, 9. Dezember 2016

Üben für den Jahresrückblick II

I tried
I succeeded
I failed
I tried again
and so it works

But the hardest exercise of all is trying to feel the beat again ...





Donnerstag, 24. November 2016

Immerhin lese ich wieder

Es ist nicht so einfach, wie ich dachte oder hoffte, mit meiner Rückkehr in die Schreibwelt. Es hakt. Es zieht sich. *seufz* Es ist wie es ist. Oder aber: Et kütt wie et kütt.

Immerhin lese ich wieder. Bücher sowieso, da bin ich dran geblieben. Auch die Tageszeitung am Morgen. Aber ich hatte über mehrere Monate weder Zeit noch Muße, andere Blogs zu lesen, höchstens eine Stippvisite war mal drin, Kommentieren ging gar nicht. Jetzt ist sie auf einmal wieder da, die Muße, ist noch nicht voll wieder da, aber kehrt doch spürbar zurück. Ich habe wieder Lust, mich einzulassen, bin wieder berührbar, entwickle erneut Assoziationen auf das Gelesene, das Gefühl der Bereicherung durch andere ist wieder da, Bereicherung durch Texte, die fremd-vertraute Gedanken bergen ... Schön ist das.

Vor einigen Wochen (oder Monaten? Die Zeit rast) war plötzlich meine Blogroll verschwunden. Unwiederbringlich. Blogger hat irgendwelche Einstellungen verändert. Tja. Nach und nach finde ich die Verlorengegangenen wieder, es sind noch längst nicht alle wieder da. Ist vielleicht okay so. Immerhin lese ich wieder.

Mittwoch, 16. November 2016

Fragment

Wie man Fuß fasst in der Welt, der großen weiten und der eigenen kleinen nicht minder weiten, wenn die Fesseln erst einmal abgeworfen sind.
Welche Fesseln, fragst du, und ich antworte nicht gleich, weil es schwierig ist, etwas zu vermitteln, wirklich schwierig. Es so zu vermitteln, dass es unverfälscht ankommt. Du würdest, vermutlich, nicht verstehen.
Welche Fesseln? Du insistierst, ich frage mich, welche Möglichkeiten ich habe.
Weißt du, sage ich, ich habe Angst um meine Antwort, deshalb fällt es mir schwer, sie hinauszulassen.
Du redest vielleicht ein wirres Zeug, sagst du.
Siehst du, sage ich, genau davor habe ich meine Antwort beschützt.
Wie man Fuß fasst in einer Welt, die wissen will, nicht um zu wachsen, sondern um zu herrschen. Wie man dort Fuß fassen soll, frage ich mich. Und wieso man dort Fuß fassen will, wenn man doch gerade erst die Fesseln ...
Ich gehe dann lieber mal, sagst du.
Gute Idee, sage ich, und schließe die Tür, meine Tür, hinter dir.
Wer fällt mir jetzt ins unausgesprochene Wort? Ins nicht zu Ende Gedachte? Wer stellt die falschen Fragen aus den falschen Gründen?
Woran wachse ich jetzt? (Das fragst du nicht im Ernst!)

Sonntag, 13. November 2016

Lass mich (Innerung II)

Lass mich, sage ich, lass mich in Ruhe arbeiten (auch wenn es für dich so aussehen mag, als säße ich untätig herum, nur weil meine Hände im Schoß liegen, weil mein Blick durchs Fenster in die Ferne schweift und sich zugleich nach innen richtet, weil meine Brust sich hebt und senkt mit Atemzügen so regelmäßig wie im Schlaf).  Du weißt (oder könntest wissen, wenn du neben all deinen Tätigkeiten auch diese Form der Arbeit – es ist müßig, lassen wir das), du weißt, könntest wissen, aus Erfahrung, dass auf meine Zeit der Innerung stets eine Zeit der Äußerung folgt (dass du nicht beide brauchst und praktizierst – wie schaffst du das?). Also noch einmal die Bitte (die Aufforderung, der Befehl): Lass mich. In Ruhe. Arbeiten. 

Samstag, 12. November 2016

Unfassbar

Unfassbar, nicht wahr, dass die Menschenrechte für ausnahmslos jeden gelten, auch für den, der sein Kind schlägt.

Freitag, 11. November 2016

Thank you, Leonard Cohen

.

(I hope the light gets in.)

Sonntag, 6. November 2016

. . . – – – . . .

Hallo ihr da draußen, hört ihr mich?

Ich bin eine Gefangene der Amerikanischen Kiefernwanze


*
Seit gut zwei Wochen hält sie mich mit ihrer Meute in meiner Wohnung fest. Ich vermute, dass sie noch mehr Menschen gefangen hält. Die Straßen sind seit Tagen wie leer gefegt. Die Leitungen zur Außenwelt sind unterbrochen. Hin und wieder blinkt ein Licht aus der Villa vom gegenüberliegenden Hügel. Morsezeichen? Ich kann sie nicht deuten geschweige denn selbst versuchen, eine Botschaft zu senden, die umfangreicher ist als das übliche
 . . . – – – . . .


Ich bin eine Gefangene.
Anfangs öffnete ich hin und wieder kurz das Fenster, um etwas Luft hereinzulassen. Jedesmal kamen mehrere Wanzen mit ins Zimmer. Der letzte Staubsaugerbeutel ist voll und verströmt einen unangenehmen Geruch. Ich kann nicht nach draußen, um ihn in die Mülltonne zu werfen.
Es ist feucht in der Wohnung, überall hängt Wäsche zum Trocknen herum. Den Wäscheständer konnte ich nicht vom Balkon hereinholen, er war über und über mit Wanzen besetzt.
Zum Glück habe ich genug zu trinken, die Wasserleitungen funktionieren einwandfrei. Und dank der Notfallbevorratung habe ich ausreichend Nahrung, um über den Winter zu kommen.
Ich hoffe auf Frost. Auf bitteren, tödlichen Frost, der meine Feinde auslöschen und mir die Freiheit wiedergeben wird. Aus meinem Fenster sehe ich die Berge. Ab etwa 800 Metern Höhe liegt Schnee. Es kann nicht mehr lange dauern. Hoffentlich!

Hallo ihr da draußen, hört ihr mich?

. . . – – – . . .






* Fotograf: Didier Descouens
    Lizenz: Wikipedia

Montag, 31. Oktober 2016

Üben für den Jahresrückblick I

Man könnte sagen, dies war ein Jahr, in dem ich alles erreicht habe:

neuer Job
neue Wohnung
Nobelpreis

Was will ich mehr



Donnerstag, 27. Oktober 2016

Klartext

My dear vom anderen Stern, do you belong to me? To us? To this one and only world? You don‘t speak my language (which language is mine? Oops! Ups! Hoppla!) Ich liebe die Vielfalt, aber dich möchte ich auf den Mond schicken. Ein kleiner Schritt für dich, ein großer für mich. (Wieso stimmen die Entfernungen nie? Na gut, manchmal schon.) Please, take me with you to your father‘s, your mother‘s home. 
Don‘t let us be boring. Let us do something special, something extraordinary. Let us do something greeeeeaaaaaaat. (Hello! Can you hear me? Let me tell you: Every broken language bares a broken world, a broken star, a broken human. And: Every language, every single language is a broken language. there are no others. No problem! This could be amusing, it could be a big game. But unfortunately we unlearn so much from childhood to adulthood.) Ich werfe dir mal einen Ball zu, ein Wort: Klartext. Do you like Klartext? Do you know, what Klartext means? Plain language. Flache Sprache. (Scherz!) (Ich will doch nur spielen!) Let us (= you and me and everyone) be multidimensional. Lass uns (dich und mich und jede und jeden) den gesamten Raum nutzen. Pfeif auf die begrenzte Zeit, wir werden sowieso nicht fertig. (Zum Glück!, möchte ich sagen.)
Let us do something special, something extraordinary. Something like sitting there for hours, doing – nothing. (Ha! I saw your smile, you can‘t hide it. Therefor I love you, my dear vom anderen Stern. Sometimes it‘s easy.)

Donnerstag, 13. Oktober 2016

1. Prost! Auf Dylan!; 2. Oops, I did it again (Brexit III)

1.
Erst mal das Glas heben auf Dylan und die bejubelnswerte Entscheidung der Nobelpreisjury. Ja! Ich freu mich tierisch. Hab immer wieder gehofft, dass er ihn endlich bekommt, den hochverdienten Preis. Gleich mal „Bringing It All Back Home“ oder „Blood On The Tracks“ laufen lassen, oder doch lieber „Love And Theft“ oder  „Tempest“ oder ... Auf jeden Fall feiern. Mit mir allein. Und ihm. Kann ja sowieso die halbe Welt nicht nachvollziehen, dass ausgerechnet er diesen Preis bekommt. Na und, mir doch egal. Jetzt hat er ihn. Thank you Stockholm!
Und Prost! rüber zur Veranda!
Uuund noch schnell den Link zu einem fast drei Jahre alten Text auf Sichten und Ordnen einfügen: All Along the Watchtower. Lyrik ist nicht tot. Sie ist bloß dahin zurückgekehrt, wo sie herkam: Zum Lied.“ Jawoll! 


2.
Ich war wieder da.
Und ich hab's wieder getan, in leicht abgewandelter Form.
Pst.
Liverpool, my love.
Hope I see you again soon.
No matter what Theresa says. (I know it does matter, but not in every way.)

Sonntag, 2. Oktober 2016

Gerne mehr

Gerne mehr mehr mehr
von alldem
und einen riesengroßen Gärtopf
(du mittendrin mit alldem und 
deinen aufgehenden Gedanken)
und ein Übermaß an Stunden und Tagen
(die Nächte nicht mitgezählt)
und immer noch mehr und mehr
und mehr
bis es genügt
(unvorstellbarer-, aber möglicherweise)

Samstag, 1. Oktober 2016

Wir haben Zeit

Du hörst den Schrei genau. Natürlich hörst du ihn, schließlich herrscht um dich herum Stille und auch du bist stumm, seit langem. Also hörst du den Schrei, weigerst dich aber, ihn zu orten. Tja ...

Blättern Sie ein wenig zurück, schließen Sie die Augen, tippen Sie mit dem Finger (einem beliebigen, wenn auch vorzugsweise dem rechten Zeigefinger) auf eine Stelle und lesen Sie, was da steht. Erinnert es Sie? Woran? Erkennen Sie es/sich wieder? Wie weit sind Sie inzwischen von dieser Stelle entfernt? Lichtjahre? Einen Katzensprung? Wer sind Sie und seit wann? Möchten Sie darüber sprechen? Mit wem?

Der Schrei verstummt, ihm wachsen Ohren aus dem Bauch heraus, du öffnest den Mund, sehnst dich nach Wahrheit, weißt aber nicht ... Tja ...

Darf ich Ihnen das Du anbieten? (Erinnern Sie sich, dass wir damit begannen? Dass die Fremdheit erst später kam, schleichend, erinnern Sie sich? (Du dich?)) Darf  ich? Ihnen? Das Du? Anbieten?

Die Stille ist erdrückend und fordernd zugleich. Sie ist aber auch eine dargebotene Hand. Bereit zu nehmen, was auch immer da ist. Du zögerst, da ist dein Anspruch (siehe oben), der steht dir im Weg, dennoch willst du nicht von ihm lassen. Darüber sollte kein Urteil von niemandem gefällt werden. Als Dilemma wollen wir die Angelegenheit nicht bezeichnen, dafür ist sie zu ... Zu was? Uneindeutig? Prekär? Diese Neigung zu Definitionen! Schon schwirrt dir der Kopf. Stummes Rauschen. Tja ...

Lassen Sie das sich. Lassen Sie einfach. Lassen Sie. Und lassen Sie auch das. Und lassen Sie sich um Himmels Willen nichts vorschreiben! Wir können auch noch ein wenig warten mit dem Du. Wir haben Zeit.

Mittwoch, 21. September 2016

ich würde so gerne endlich wieder PLÖHZINN MACHEN

Da geht was
da blüht
da tut sich
da rankt
wie verrückt
wie zart
wie wild
(streiche das erste wie)
((und das zweite auch))
(((ist klar, oder?)))
ich würde so gerne
endlich wieder
PLÖHZINN MACHEN
da drüben
irgendwo da 
da da da drüben
da geht was
zum Glück
schwappt
(Achtung, schiefes Bild)
ein Zweiglein rüber

es kann doch nicht sein dass aus mangel an zeit hatten meine tage denn früher fünfzig stunden und mehr nein natürlich nicht aber dieser Alltag dieser volle fast übervolle und auch noch alles selbst gewählt und bin ja zufrieden bis glücklich damit aber dann ist da immer noch dieses eine das fehlt und wie füge ichs ein in dieses mein neues leben wie frage ich in die Luft immerhin die ist mir geblieben keinerlei atemprobleme treppauf treppunter das läuft prima super aber das kann doch nicht alles zeit für die dinge die nur zutage treten wenn sie raum genug haben sprich zeit zeitenraum muße bis beinahelangeweile dann dann ach ich hoffe hoffe sehr es muss nämlich es muss wirklich wieder 

soll ich noch werben für drüben? dieses drüben da da da? irgendwo da? nein; ist gut so


Und raus damit, ist doch mal ein Anfang!

Sonntag, 18. September 2016

Time flies

Time flies. Allerdings verfliegt sie kaum spürbar an diesem Sonntag ohne Verpflichtungen, bei einem ausgedehnten Frühstück mit Blick hinaus in eine frühherbstliche Regenlandschaft und der Gewissheit, dass der Tag reichlich Raum bietet für die (gemütlichen!) Vorhaben. Erstmal ein altes Mixtape rauskramen, das mir vor ich glaube fünfzehn Jahren eine Kollegin schenkte, den Anlass weiß ich nicht mehr. Vaya Con Dios: „Time Flies“ läuft irgendwann und hüllt mich in eine längst abgestreifte Haut, sodass ich minutenlang wieder eine bin, die ich mal war, wieder genau weiß und spüre, wie es, wie ich war. Damals. Time flies. Dann kommt der nächste Song und die Haut ist wieder verschwunden, hinterlässt nur einen winzigen unsichtbaren Abdruck und den Wunsch, diesen Moment festzuhalten. Was ich hiermit getan habe.


Vaya Con Dios: Time Flies



Einen schönen Sonntag, liebe LeserInnen!

Freitag, 16. September 2016

Mutterstück

Dass mir die Zeit fehlt ...

Deine Mutter. Erst gebärt sie dich, dann stirbt sie. Dazwischen liegen Jahrzehnte, in denen euer Verhältnis sich auswirkt: in die Vergangenheit, in die Zukunft, in die Struktur deines Körpers, deines Wesens. Zum Glück gibt‘s fähige Therapeutinnen. Und die Zeit. Und die wunderbare Möglichkeit sich zu entwickeln. Dem Kokon, den klebrigen Fäden zu entschlüpfen. Du zu sein, wie frisch gewaschen. Wenn auch nicht mehr die Jüngste. Was dann aber so unwichtig ist, wie du es dir nie hättest träumen lassen. Wenn du die Straße entlang gehst, senkst du deinen Blick nicht. Das fällt dir auf, es ist eine Veränderung. Es fällt dir auf und es macht dich froh. Und es macht dich stolz. Du hast es bis hierher geschafft. Du hast es weit gebracht. Und da kommt noch mehr. Manchmal vermisst du sie. Deine Mutter. Wenn sie dich heute sehen könnte. Du ahnst, dass sie froh wäre. Dass sie Frieden schließen könnte. Nicht zuletzt mit sich. Vielleicht hat sie es längst getan. In ihren letzten Stunden, Tagen, Jahren. Und hat es für sich behalten, weil sie dich nicht schon wieder hineinziehen wollte, weil auch sie die klebrigen Fäden abstreifen wollte, weil sie wusste, dass es für bestimmte Wege keine Abkürzungen gibt und dass jede ihren Weg selbst und allein gehen muss, darf ... Deine Mutter. Erzähl deiner Tochter von ihr. Und von dir.


Zu diesen Gedanken, die ich in wenigen Minuten aufgeschrieben habe, wie sie mir kamen, und die ich unbearbeitet so stehen lasse, hat mich das Lesen in Elkes Blog Tausend Mutterbilder angeregt. Schnell aufgeschrieben, zu mehr fehlt mir – immer noch – die Zeit.

Sonntag, 21. August 2016

..., sagte das Leben I (Loses Blatt #78)

„Nimm Platz“, sagte das Leben. „Wo So viel du willst.“

Freitag, 19. August 2016

Hello again!

Ab heute habe ich Internet in meiner neuen Wohnung. Meiner eigenen, allein meinigen wunderwunderwunderbaren Wohnung. Mit Dachterrasse und Fernblick und Vogelsang. Alles ist wie es sein soll.
Und jetzt, nach anstrengenden letzten Monaten – anstrengend in vielerlei Hinsicht – komme ich an, bin ich (wieder) da. Für mich. Und – vielleicht auch das – wieder in Kontakt mit der Welt im Netz (neben der es diese andere, haitisch erfahrbare gibt – die Autokorrektur macht aus haptisch haitisch, drollig, aber ich meine haptisch, lern gefälligst dazu, Autokorrektur, ich tu‘s auch, unablässig ...). Die Welt im Netz ist mir fremd geworden in den vergangenen Wochen, in die Ferne gerückt, unvermisst, da war, da ist so viel anderes. Gutes.
Aber das Schreiben. Das Schreiben fehlt(e) mir doch.
Ich muss mich wieder eingewöhnen.
Derweil ein paar Spuren hinterlassen.
Endlich mal wieder einen Fuß in den Garten setzen, den virtuellen, der auch mein eigener ist, allein meiner, was mir immer so viel bedeutet hat. Möglicherweise bekommt er jetzt einen anderen Stellenwert, ist mir dieser allein meinige Raum im Netz nicht mehr so wichtig, da es ja nun diesen realen gibt ... Blödsinn, die virtuelle Welt war mir noch nie das Gegenteil der realen, sondern immer Teil davon. Der Raum, den ich meinen eigenen nennen darf, ist nun einfach größer, weiter, umfassender. Alles bestens.

Tja, wie gesagt, ich bin zurück. Möglicherweise. Weiß noch nicht wie und in welchem Umfang. Das wird sich zeigen.

Sonntag, 26. Juni 2016

Let‘s stay friends (Brexit II)

Gestern schrieb ich „Einen Briten umarmen“. Heute denke ich, um noch eins draufzusetzen, jeder sollte einen Briten umarmen. Jeder Brite, jede Britin sollte einen oder eine haben, der oder die ihn oder sie umarmt und sagt: Bleib doch. Bitte. Please don‘t go. Stay.
Aber es wurde ja gesagt. Tausendfach. In verschiedenen Stellungnahmen und Petitionen. Vergeblich.
Es ist so traurig. Ich bin traurig.
Im Oktober werde ich nach England reisen. Meine Tochter besuchen, die dort studiert. Mal sehen, wie es für sie weitergeht. Ihr gesamter Freundeskreis – Briten und diverse andere – ist betrübt, erschüttert, entsetzt. Alle, die sie kennt, haben für Remain gestimmt. Wie geht es nun weiter?
Das Fitzelchen Hoffnung, die Wahl ließe sich rückgängig machen, könnte wiederholt werden und diesmal ein anderes Ergebnis erzielen. Illusorisch.
Wie geht es weiter?
Ich möchte nicht spekulieren. Kann es auch nicht, zu komplex das Thema.
Aber ich denke mir, dass es neben der politischen Dimension noch eine andere geben muss. Eine menschliche, eine Verbindung, die nicht auf dem Papier steht und die nichts mit Zahlen zu tun hat. Eine Verbindung, die anderer Art ist, emotional und intellektuell begründet, eine, die mit Kultur zu tun hat und gleichen Bedürfnissen, Freude an Austausch, Interesse an Neuem und Anderem, Lust auf Gemeinschaft über Grenzen hinweg ... So etwas.
Ich gebe die Hoffnung auf Verständigung und Freundschaft nicht auf. Auch nicht unter erschwerten Bedingungen.
Let‘s stay friends. Und das meine ich nicht als die abgedroschene Floskel am Ende einer Liebesbeziehung. Nein, ganz ehrlich: Let us stay friends.

Samstag, 25. Juni 2016

Einen Briten umarmen (Brexit I)

Ich erinnere mich an Liverpool vor gut zwei Jahren. Im Cavern Club trat eine Beatles Cover Band auf. Alle sangen lauthals mit. Wir alle. Ein bunt gemischtes Wir. Tranken Bier und Cider. Waren ausgelassen. Ein Liverpooler spendierte mir einen Strawberry Cider. Wir unterhielten uns, so gut es eben ging im Lärm der aufgedrehten Boxen und der „All you need is love“ schmetternden Menge. Wir sprachen uns direkt ins Ohr, um etwas zu verstehen, rückten dicht zusammen, er legte seinen Arm um meine Taille. Wohlige Nähe. Menschliche Nähe. Verbundenheit durch Musik und Rausch und Lust. Alles in Maßen. Friedlich. Frei. Kein Gedanke an Nationalität, EU, politische Anschauungen. „Imagine there‘s no countries ...“ Ob das heute anders wäre? Ich glaube nicht. Ich hoffe nicht. Ich werd‘s ausprobieren. Baldmöglichst. Wieder einmal mit Menschen verschiedenster Nationalität Beatles Songs singen. Laut und ausgelassen. Strawberry Cider trinken. Einen Briten umarmen. „All you need is love“ glauben. Wenigstens einen Abend, eine Nacht lang.




Samstag, 18. Juni 2016

Still so still

Still so still
unter tausend Fäden den gefunden,
der mich löst
er hält mich und ich ihn
lose in der Hand

Still so still
das Wasser rauscht
vorbei hindurch
die Füße nackt
weil: Sommer!

Wie viele Kindheiten hatten wir?
Welche davon waren heil?

Das Fischlein springt
der Haken fängt sich in der Luft
in allen Wipfeln du
und:

Still so still
weil ich es will
so hat das Älterwerden sich gelohnt
der Blick geht weit
und hält erst hinterm Horizont
im Innern bin ich
die mir innewohnt

Sonntag, 5. Juni 2016

Ich werde sie vermissen oder I like birds

Zwei Seiten, durch eine Glasscheibe getrennt.
Auf der einen Seite sitze ich, auf der anderen sie.
Ich sitze drinnen, sie sitzt draußen.
Ich lese die Zeitung, sie verfolgt ihre eigenen Nachrichten.
Ich sehe mir den Wetterbericht an, sie hält ihre Nase in den Wind.
Ich betrachte sie, sie sieht ab und zu in meine Richtung.
Ich denke darüber nach, wie es wohl ist, eine wie sie zu sein. Sie – Ich werde nie wissen, was sie denkt.
Ich wünschte, ich hätte Flügel. Sie ist wunschlos glücklich. (Stelle ich mir vor.)
Ich seufze, sie singt.
Ich beiße in mein Marmeladenbrot, sie verschlingt einen Regenwurm.
Ich werde sie vermissen. Sie – vermisst nichts und niemanden. (Stelle ich mir vor.)




***


Buchtipp:


„Winner of both The Independent nature book of the year 2012, and The Guardian natural history book of the year, 2012. A winner also of the British Birds and British Trust for Ornithology BIRD BOOK OF THE YEAR 2012. and short-listed for the Royal Society Winton Science Book Prize.“ 
(zitiert von der  Website des Buches)


Einen sehr schönen TED-Talk von Tim Birkhead findet man hier: The early birdwatchers




***



 I like birds!


:-)

Freitag, 3. Juni 2016

Zum Glück wurde nichts von alledem gesagt.

„Was kann ich tun?“ (Er)

„Gib mir zu denken. Reich mir das Wasser. So was in der Art ...“ (Sie)

Er versteht‘s nicht. Nimmt‘s wörtlich. Aber nicht wörtlich genug. 

Das Wasser, das er ihr bringt, schüttet sie ihm ins Gesicht.

Er prustet. Zuckt zurück. Springt sie an (aber nur mit seinem Blick). 

Wie ein Tier, denkt sie. Aber nein, nicht einmal das.

„Nichts. Nichts kannst du tun.“ (Sie)

„Du bist mir ein Rätsel.“ (Er)

„Ich wünschte, du wärest mir ebenfalls eins.“ (Sie)

Das Tier (das er nicht ist) fällt in sich zusammen.

„Das bringt doch alles nichts.“ (Er)

„Weil du es nicht bringst.“ (Sie, so was von gemein)

Da bricht er endgültig aus. (was auch immer man sich darunter vorstellen mag)

Zum Glück wurde nichts von alledem gesagt, denkt sie. Zum Glück habe ich‘s nur aufgeschrieben.

Dienstag, 31. Mai 2016

Freundinnen

"Wie du das alles bewältigst." Sie staunt über meine Tatkraft.

"Ach, ich weiß nicht. Es bleibt trotzdem so vieles liegen", wiegele ich ab. 
Das ist keine falsche Bescheidenheit meinerseits, ich sehe es wirklich so. Mag sein, dass ich zu hohe Erwartungen an mich habe. Aber es ist nun einmal Fakt, dass die Welt noch nicht gerettet ist.

"Hey!" Sie streicht mir über den Arm. "Du musst die Welt nicht im Alleingang retten."
Sie kann meine Gedanken lesen, konnte es schon immer. Sie durchschaut mich, das nervt manchmal.

Wir sind Freundinnen, ein eingespieltes Team. Eingefahren. Festgefahren, denke ich in Augenblicken wie diesem, aber das ist irgendwie gemein. Oder?
Wir kennen uns gut, das hat etwas Beruhigendes. Und es engt uns ein. Abweichendes Verhalten bewerten wir gerne als nicht authentisch. Aber liegen wir damit richtig? 
Wieviel Entwicklung trauen und gestehen wir einander noch zu? Wieviel Überraschendes sind wir noch bereit anzunehmen, mit offenen Armen?

Manchmal wünschte ich, wir lernten uns gerade erst kennen und machten uns ganz neu miteinander vertraut. Ob wir dann freier wären, offener im Nehmen und im Geben? Ob wir uns sympathisch wären und mehr voneinander erfahren wollten?
Vielleicht entschieden wir uns heute dafür, entfernte Bekannte oder gar Fremde zu bleiben.

"Worüber grübelst du denn jetzt schon wieder nach, hm?" Sie zwickt mich in die Wange und wuschelt mir durchs Haar.

Soll ich’s ihr sagen?
Soll ich sagen, dass ich wünschte, wir kennten uns nicht, um unserer Freundschaft eine neue Chance zu geben? Auch auf die Gefahr hin, dass ...

"Bitte, sag’s nicht", flüstert sie, hält die Luft an und nimmt meine Hand, umschließt sie so fest, dass ich weiß: Sie wird mich nicht mehr loslassen.

Auf immer, denke ich, jede so oder so zu deutende Betonung vermeidend, und erleichtert atmet sie aus.

Montag, 30. Mai 2016

alle Arten von Büchern

„Daher möchte ich Sie bitten, alle Arten von Büchern zu schreiben, sich vor keinem Thema zu scheuen, wie trivial oder umfangreich es sein mag.“
(Virginia Woolf 1928 zu ihren Schriftstellerkolleginnen) 

Sonntag, 29. Mai 2016

Lust auf ... (Momentaufnahme)

Was man von ihr wissen kann, wenn sie schweigt:
Dass sie schweigt. Nichts weiter.


Sie sitzt im Basilikumduft der Küche (dieser unglaublich üppige Busch im roten Topf), das Fenster gekippt, damit sie den Vögeln draußen lauschen kann. Im Wohnzimmer stehen einige bereits gepackte Kartons. Weitere warten darauf, gefüllt zu werden. Was wiegt schwerer, fragt sie sich, das 100teilige V&B-Geschirr (Bone China) oder die Erinnerungen? Die unzähligen Bücher oder die in diesem Haus gelebten Jahre? Unmöglich zu beantwortende Fragen. 

Dieser kompakte Abschied.

Sie lebt in Bob Dylan Songs in diesen Wochen. Der vertraute Halt. Etwas, das bleibt, das nicht verloren geht, das sie mitnehmen kann, wohin auch immer sie geht. A rolling stone gathers no moss.


Lust auf neuen Plöhzinn.
Lust auf Licht und Schatten.
Lust, in den Schuppen zu gehen und selbst ein Boot zu bauen.
Lust, zu pfeifen. Auf alles Mögliche.


Dieser kompakte Abschied.
Das Gute daran, das Beglückende. Und das Schmerzhafte. Die Lust.

Freitag, 29. April 2016

Kreisen

Wenn ich nur wüsste, ob ich noch schwimmen kann. Wie finde ich‘s heraus?
Wem schulde ich etwas? Den Versuch nur mir. Das Scheitern auch. Und sonst?
Bin ich einer Idee verpflichtet? Welcher? Wessen? 

Mein Tag hat 24 Stunden. Aber was kümmert‘s mich?

Im Garten steht eine blaue Bank. An vielen Stellen blättert die Farbe ab. Ich sehe mich an einem heißen Sommertag auf dieser Bank sitzen, beschattet vom Fliederbusch, mit den nackten Füßen durchs Gras streichend, nichts denkend, nichts fühlend, nur spürend: ganz Körper in Sonnenlicht und schattigem Grün und summender Stille. Prägung. Zeitlos. (Daraus soll einmal mein Grabtuch gewebt sein, denke ich, und setze es in Klammern, zu morbide erscheint mir der Gedanke für potentielle Leser, wie wenig Zutrauen immer noch ...)

Mein Tag hat 24 Stunden. Neuerdings randvoll gefüllt mit so genanntem „Real Life“ (dabei glaube ich gar nicht an die Trennung von „Realem“ und Virtuellem Leben, mir ist beides gleichermaßen real). Ich bin höchst zufrieden damit (um nicht zu sagen glücklich, davor hüte ich mich, ein wenig abergläubisch, naja ...). Ich werde einen neuen Rhythmus finden. Ich vermisse das Schreiben. Das Schreiben als etwas, in das ich mich fallen lassen kann und in dem sich mir in diesem Fallen etwas offenbart, Teile einer Welt, die Teil ist von mir ...

Im Garten steht eine blaue Bank. Auf der sitzt mit nackten Füßen die Welt und wartet, während der Flieder zu blühen beginnt und das Gras wächst und die Stille summt und das Kreisen nicht endet ...

Samstag, 16. April 2016

Unpopuläre Meinung zu Böhmermann, Erdogan, Merkel

Ein kurzes Vorwort (, das man getrost überspringen kann, da es sowieso eher peinlich ist):
Wenn ich die Reaktionen auf Merkels Entscheidung, die Justiz zu ermächtigen, im Fall Böhmermann zu ermitteln und zu einem Urteil zu finden, betrachte, wenn ich sie in ihrer Vielzahl und scheinbaren Einigkeit betrachte, dann traue ich mich kaum, meine eigene Meinung kundzutun, denn sie weicht ab vom Gros der Meinungen, mal wieder. Aber wenn ich meiner mir eigenen tiefen Überzeugung folge, dass in einer Demokratie eben nicht die Mehrheit automatisch recht hat und bekommt, sondern jede einzelne Stimme ihren Platz und ihre Bedeutung hat, dann finde ich es wichtig und nötig, auch abweichende Sichtweisen zu äußern und mit in den Raum zu stellen. Dass ich diese Zeilen voranstelle, könnte jetzt bedeuten, dass ich unsere Demokratie für unreif halte und ihr nicht wirklich zutraue, konträre Meinungen friedlich auszuhalten und in einen Dialog einzubinden. Manches am überhitzten Ton der Diskussionen vor allem in Internetforen scheint dies zu bestätigen. Andererseits halte ich unsere Demokratie für so reif wie jedes einzelne ihrer Mitglieder, wenn es denn die verfassungsmäßig garantieren Freiheitsrechte z.B. in Bezug auf Meinungsäußerung nicht nur theoretisch kennt, sondern auch praktisch nutzt. Ich möchte nicht feige sein und die Gründe für diese Feigheit dann auch noch der Gesellschaft zuschreiben. Sie liegen in mir selbst und ich finde es immens wichtig, diese Feigheit zu überwinden. (OMG, dieses Vorwort wird länger und länger, fast geniere ich mich dafür. Ich sollte endlich zur Sache kommen.)


Zur Sache:

Was Böhmermanns Schmähgedicht betrifft, das man ja im Kontext seiner vorangestellten Äußerungen zu Satire sehen muss, finde ich, dass er auf großartige Weise einem Machthaber (Erdogan), der seine Macht nicht nutzt, um dem Volk zu dienen, sondern um es zu unterdrücken, vor die Füße gespuckt hat. Bravo! 
Ich halte Satire, und zwar gerade in solch zugespitzter Form für wichtig und sogar für notwendig als Mittel der Kritik an Inhabern von Führungspositionen, an Regierungen, an ideologischen Gruppierungen, an Kirchen und Instutionen, die – allzu häufig mit Billigung des Volkes, der Bürger, der Mitglieder etc. – ihre Macht missbrauchen, um zu herrschen, zu kontrollieren und zu manipulieren und die Freiheitsrechte der Menschen, denen sie eigentlich dienen sollten, mit Füßen treten. Respektlosen Machthabern muss man mit Respektlosigkeit begegnen.
Deshalb Bravo! und Danke!, Jan Böhmermann.

Was Erdogans beleidigte Reaktion betrifft: War doch klar. Ihn zeichnen, wie jeden Despoten, zwei grundlegende Eigenschaften aus: Anmaßung (oder gar Größenwahn?) und Kleingeistigkeit. Eine gefährliche Mischung. Er musste so reagieren, es ist eine logische Folge seiner (ideologisch bedingten) Persönlichkeitsstruktur. (Behaupte ich einfach mal.)

Was nun Merkels Reaktion betrifft: Davon abgesehen, dass diese besser sofort erfolgt wäre, statt nach dem merkeltypischen Zögern (geschenkt!), halte ich es für richtig, dass sie die Justiz ermächtigt, den Fall zu übernehmen. Denn mit dieser Ermächtigung tritt sie von ihrer eigenen Macht als Regierungsoberhaupt zurück und übergibt sie an die Justiz. Wo sie (die Macht, Recht zu sprechen) auch hingehört. Mit dieser Ermächtigung beugt Merkel sich nur scheinbar und auf den ersten Blick dem Willen Erdogans. In Wirklichkeit aber macht sie mit ihrer Geste deutlich: Dies hier ist Deutschland. Hier stellt sich die Regierung nicht über geltendes Recht. Hier hat in Rechtsfragen die Justiz das Sagen. Herr Erdogan, nehmen Sie sich ein Beispiel!
Ich hoffe sehr und vertraue darauf, dass unsere Justiz mit ihrem Urteil ein Zeichen setzen wird, das Erdogan und seine Vertreter und Beobachter vor Gericht beschämt, weil es nämlich hoffentlich!, hoffentlich! ein Urteil sein wird, das unsere Freiheitsrechte betont und verteidigt und den Despoten Erdogan in seine Schranken weist. Ich hoffe es sehr.

Lieber Jan Böhmermann, ich drücke Ihnen sämtliche mir zur Verfügung stehenden Daumen! Ihnen und unserer Demokratie.



Dienstag, 12. April 2016

Zögern Sie nicht (Liste A)

Lassen Sie sich Ihre Sehnsucht nicht von den Augen ablesen. Oder doch.

Geben Sie nie den kaum greifbaren Gedanken auf, es könnte da etwas anderes

Kommen sie nicht vom Weg ab. Es sei denn, Sie wollen.

Lassen Sie sich nichts vorschreiben
                                       - werfen
                                       - machen
                                       - beten
                                       - gaukeln. Ausnahme: Letzteres.

Geben Sie nicht auf. Manchmal aber doch.

Scheitern Sie fröhlich. In beliebiger Lautstärke.

Seien Sie sich wohlgesonnen.

Siezen Sie sich und alle anderen. Duzen Sie alternativ.

Bringen Sie Ihrem Spiegelbild das Lächeln bei.

Nehmen Sie diese Liste nicht zu ernst. 

Ergänzen Sie die Liste nach Belieben.

Ignorieren Sie die Liste. Oder auch nicht.

Geben Sie sich die Erlaubnis.

Zögern Sie nicht.

Das ist das Ziel.




Freitag, 25. März 2016

Einige von uns

Einige von uns fielen vom Himmel
einige von uns zählten die Sterne
einige von uns zähmten einen Tiger
einige von uns flogen wie der Wind
einige von uns zogen in den Krieg
einige von uns warfen Bomben
einige von uns wurden schwer verletzt
einige von uns konnten nicht vergessen
einige von uns wurden verrückt
einige von uns liefen Amok
einige von uns verloren ihr Liebstes
einige von uns waren einsam
einige von uns rächten sich
einige von uns drehten sich im Kreis
einige von uns hatten Albträume
einige von uns glaubten an Gott
einige von uns glaubten an Monster
einige von uns waren Monster
einige von uns säten Getreide
einige von uns bohrten Brunnen
einige von uns bissen ins Gras
einige von uns starben fast vor Scham
einige von uns trauten sich was
einige von uns verirrten sich
einige von uns sahen Wunder
einige von uns saßen im selben Boot
einige von uns zeigten mit dem Finger
einige von uns behaupteten,
einige von uns seien anders
einige von uns verschlossen sich
einige von uns wollten dazugehören
einige von uns wussten Bescheid
einige von uns nahmen das Ruder
einige von uns stießen
einige von uns ins Meer, wo
einige von uns ertranken und
einige von uns gerettet wurden
einige von uns zogen Grenzen, die
einige von uns übertraten, worauf 
einige von uns zu den Waffen griffen, um
einige von uns in Schach zu halten, bis
einige von uns zur Vernunft kamen und 
einige von uns die Zäune einrissen, damit 
einige von uns miteinander in Kontakt treten konnten und
einige von uns erkannten, dass es gar keine anderen gab als immer nur
einige von uns 

Donnerstag, 17. März 2016

Du riechst gut

Fort
Schlaf
Wer bist du?
Am Meer


Jetzt sag schon: Wo warst du?

Ich bin unseren Träumen gefolgt.

Du hast ein Aber zwischen uns gesetzt.

Nein, ich habe ein Und eingefügt.

Sie ist wieder da. Und sie zieht an mir. Möchte mir zeigen, was sie gesehen hat. Stellt etwas in Aussicht. Es scheint sehr real. (Kann etwas realer sein als real?) Sie ist unseren Träumen gefolgt, hat im Wachzustand erlebt, was wir sonst nur im Schlaf ... OMG! Jetzt will sie, dass ich mitkomme, mich mit eigenen (offenen!) Augen überzeuge. Im Schlaf erschien es mir schon so real. Geht es denn noch realer? Realer als im Traum? Ich fasse es kaum, aber sie, sie sprüht vor Begeisterung und vor Leben. (Ja, vor Leben, das muss ich ihr neidlos zugestehen.) Ja, sage ich, ich geb‘s zu: Nicht du bist für das Aber verantwortlich, sondern ich. Das Aber des trägen Zweifels. Du hast das Und der Möglichkeit und des Muts ausprobiert. Ich sollte dir vertrauen. Trotz deiner Schrammen, der Blasen an den Füßen und des zerzausten Haars. Trotz des Sonnenbrands auf deinen Schultern. Du riechst gut. Nach (Darf ich das sagen, auch wenn es abgedroschen klingt?) Freiheit.


Dienstag, 8. März 2016

Unglaublich tapfer (Welttag der Frau 2016)

Feiern wir heute, dass wir Frauen sind?

Aber das feiern wir doch jeden Tag.

Wir sind so unglaublich tapfer.

Ja, das sind wir.

Dann ruhen wir uns heute aus?

Und lassen die Tapferkeit im Schrank.

Stellen wir auch Forderungen?

Nein, dazu lassen wir uns nicht herab.

Aber wie wollen wir dann etwas erreichen?

Wir nehmen es uns.

Weil es uns gehört?

Weil es uns gehört.

Und fragen nicht um Erlaubnis?

Und fragen nicht um Erlaubnis.

Wir sind so unglaublich tapfer.

Ja, das sind wir.

Samstag, 5. März 2016

Am Meer

Fort
Schlaf 
Wer bist du?

Wo wir nie getrennt sind: am Meer. Da sind wir eins. Sind uns eins. Spazieren einträchtig am Strand, bücken uns nach durchlöcherten Steinen und Muscheln, um diese auf eine Schnur zu fädeln. Lassen unsere nackten Füße von den Wellen umspülen. Jede siebte geht uns bis zum Knie. Wir haben die Haare hochgebunden, unser Nacken ist von der Sonne gerötet, die Lippen schmecken nach Salz. Wir brechen Austern vom Fels, schlürfen sie an Ort und Stelle, mit geschlossenen Augen und ohne Champagner zum Nachspülen. Luxus pur bedeutet genau das: den Mund voll Meer. Nichts sonst. Der Wind küsst uns die Stadt von der Haut. Wir könnten bleiben. Könnten wir? Bleiben? Sie und ich? (Sie hat mir immer noch nicht erzählt, wo sie war an diesem einen Tag. Und es war ja nicht das erste Mal, dass sie plötzlich fort war.)

Donnerstag, 3. März 2016

Wer bist du?

Fort
Schlaf

Wer bist du, wenn du spielst?
wenn du schläfst
wenn du träumst
wenn du liebst (Wen? Sie? Dich?)

Wer bist du, wenn du du bist?
wenn du sie bist
wenn eine fehlt

Wer bist du, wenn du aufwachst?
aus dem Spiel
aus dem Schlaf
aus den Träumen
aus der Liebe

Wer bist du, wenn eine fehlt?
wenn du fort bist
wenn sie fort ist

Wer bist du ohne sie?
ohne dich
allein in deiner Haut
Wer?


***


Das Gefühl, dies könnte eine neue Reihe werden. Eine Reihe über Sie, wieder mal. Ähnlich und doch neu. Eine Variation. Der erste Text (Fort) stand fast zwei Wochen für sich allein. Ungewöhnlich. Ich wartete auf mehr, hatte aber zu wenig Zeit, um ununterbrochen mit konzentriertem Warten beschäftigt zu sein. Das Real Life, das reale Leben nahm mich ein (und tat dies übrigens auf wunderbare Weise, oh ja). Gestern dann dachte ich: Lass die Texte doch einfach purzeln, sie sind ja längst da, nichts, worauf du warten müsstest. Wie recht sie hat/ich habe!
Let it purzel! In aller Unvollkommenheit. (Gib‘s zu: Genau das liebst du doch!) Ja, ich geb‘s zu. Diesmal also Purzeltexte. Kleine Stücke, unbehauen. Erwartet nicht zu viel. Ich tu‘s auch nicht. Und sie – hoffentlich – auch nicht.

Mittwoch, 2. März 2016

Schlaf

Fort

Sie wachte erneut auf, diesmal am Abend, als sie gerade im Begriff war, das Licht zu löschen. Sie hatte das Fenster aufgestellt, der Wind bauschte die Vorhänge und der runde Mond rollte fast zu ihr herein. Da wachte sie zum zweiten Mal auf und – war wieder ganz. Sie, die andere, war zurückgekehrt, hatte sich still wieder in sie eingefügt. Mehr musste nicht gesagt werden. Mehr musste niemand wissen. Sie nicht und sie nicht und keine. Dennoch: Wo war sie gewesen? (Wo bist du gewesen? Sag, wo?) Stumme Zwiesprache. Ein Körper mit dem richtigen Gewicht, um die Kuhle in der Matratze auszufüllen. Eine Seele, die Hand in Hand wandert. E i n  mäandernder Geist. Sie in sich. So weit. Alles, was Wort werden kann, ist möglich. Schlaf, du. Schlaf. Und träume den nächsten Dialog.

Donnerstag, 18. Februar 2016

Fort

Als sie am Morgen aufwachte, stellte sie fest, dass sie über Nacht gegangen war. Fort. Sie sprang aus dem Bett, riss sich den Schlafanzug vom Leib und betastete sich von oben bis unten, drehte und wendete sich vorm Spiegel. Ihre Haut war intakt. Dennoch war sie sich entschlüpft. Sie warf sich den Morgenmantel über und lief durch den Flur zur Haustür, diese stand offen. „Haaallooo!“, rief sie in den klammen Morgen hinaus, ihre Stimme noch belegt vom Schlaf und den Dialogen im Traum. Und noch einmal: „Haaallooo!“, schon etwas zögerlicher. „Hallo!“, antwortete der Nachbar von gegenüber und winkte ihr zu. Irritiert winkte sie zurück. Auf einmal spürte sie die Kälte der Fliesen an den nackten Füßen. Sie schloss die Tür, nahm die Zeitung aus dem Briefkasten und ging in die Küche, um sich einen Kaffee zu kochen. Sie zog den Rolladen hoch und setzte sich mit ihrer Tasse an den Tisch, die Hände um das heiße Porzellan geschlossen. Draußen vorm Fenster lag ungerührt der neue Tag. Lebendig und kühl. Und dort draußen bewegte sie sich fort. Fort von ihr. Sie schlug die Zeitung auf. Da war die ganze Welt auf dünnem Papier. Eine grausame Welt, in der man sich leicht abhanden kommen konnte.

Montag, 8. Februar 2016

All das. (Psst III)

Du. Ich. Die anderen. Die vielen. Das Viele. All das. Das alles. Du. Ich. Und wir. All inclusive. Auch die Ruhe. Auch der Sturm. Einatmen. Ausatmen. All das. Zeit. Und Raum. Tag. Und Nacht. Frühling. Sommer. Herbst. Und

Winter


Sonntag, 7. Februar 2016

Auweia oder: Zack, Stempel drauf

Echt extrem, das alles. Was genau? Die ganze Stimmung. Die Lautstärke. Die Positionierungen. Die Gegensätze. Das Be- und Verurteilen. Die Lagerbildung. Die Angst. Das Geschrei. Das Verstummen. Das alles.
Jede Äußerung, scheint mir, wird im Schnellverfahren daraufhin untersucht, in welche Kategorie sie und ihr Absender einzuordnen sind. Und dann: Zack, Stempel drauf und Zack, ab in die Schublade. Von denen gibt es nur zwei: eine linke und eine rechte. Manchmal wird man umsortiert, evtl. sogar mehrmals, sorgt für Verwirrung (Hä? Gestern hat sie noch gesagt, sie will mit dem Islam nichts zu tun haben, heute sagt sie Refugees welcome, und zwar ohne Obergrenze. Gestern ist sie noch für Frauenrechte eingetreten, heute wettert sie gegen #ausnahmslos. Ja was denn nun?)
Leute! Schon mal was von Komplexität gehört? Von Differenzierung? Von Sowohl als auch statt Entweder oder? (Ich weiß, das sagte ich bereits an anderer Stelle, evtl. sogar mehrmals. Das muss so.) 
Kann es vielleicht sein, dass sie für einen grundsätzlich scharfen kritischen Umgang mit den Religionen ist, und zwar mit allen? (Achsooooo!)
Kann es vielleicht sein, dass sie sich grundsätzlich einer humanistischen Haltung verpflichtet fühlt, weil sie diese als einzige für geeignet erachtet, ein friedliches und freiheitliches Miteinander zu gewähren? (Achsooooooo!)
Kann es vielleicht sein, dass sie alle Menschenrechte als gleich wichtig erachtet und deshalb beispielsweise die Gleichberechtigung nicht der Meinungsfreiheit unterordnet oder umgekehrt sondern sie nur miteinander verwirklicht sieht? (Ahaaaaaaa!)
Kann es vielleicht sein, dass sie nicht so schnell darin ist, sich eine Meinung festzuzurren, weil sie gerne jedes einzelne Detail anhand der oben genannten Kriterien überprüft? Dass sie Zeit zum Denken braucht, zum Nachdenken, dies gerne auch laut tut, weil es dann klarer wird, es gerne auch öffentlich tut, immer in der Hoffnung auf andere, die nicht gleich mit Zack, Stempel drauf, Zack, Schublade zu reagieren, sondern die ebenso nachdenken, abwägen, gerne in den Dialog treten zwecks eines gemeinsamen Lernprozesses. Und die währenddessen erstmal helfen, wo Hilfe nötig ist, einfach aus dem Grund, weil sie nötig ist ...
Ich bin es so müde, dieses: Zack, Türe zu. Zack, Faust auf den Tisch. Zack, Dagegen demonstriert. Zack, Aktionsbündnis gebildet. Zack, Denkverbot erteilt. Zack, Zäune nach außen errichtet. Zack, Zäune im Inneren errichtet. Zack, Stempel drauf. Zack, Schublade zu.
Erst wird scharf beobachtet, dann wird scharf geschossen, erst mal nur mit Worten und Blicken (Wenn die töten könnten! Auweia.)
Man traut sich kaum noch ...
Dabei müsste man dringend ...



Freitag, 5. Februar 2016

Wir schaffen das (Humanität statt Küchenphilosophie)

Vor vielen Jahren, als meine Kinder noch klein waren und meine Mutter noch lebte, hatte ich mit ihr ein Gespräch darüber, ob man Babys schreien lassen darf/soll oder nicht. Ich habe meine Kinder nicht schreien lassen, bin nachts immer aufgestanden, auch wenn ich müde und genervt war. Allerdings haben beide sehr früh durchgeschlafen und mein Sohn hat, nachdem die Koliken der ersten drei Monate überwunden waren, sowieso kaum noch geschrien. Meine Tochter war da anders, fordernder. Ob die grundlegende Zufriedenheit der beiden es mir leicht gemacht hat oder ob Ursache und Wirkung umgekehrt liegen, kann ich nicht mit Sicherheit sagen (obwohl ich klar zu einer Richtung tendiere). Inzwischen sind die beiden 25 und 23 Jahre alt, die Kleinkindphase erscheint mir im Rückblick sehr kurz. Wie überhaupt die ganze Kindheit mit all ihren Entwicklungsschritten.
Worauf ich hinaus will: Meine Mutter legte mir als Schwäche aus, dass ich die Kinder nicht schreien ließ. Nicht schreien lassen konnte, wie sie es ausdrückte. Sie hingegen hatte es gekonnt. Sie ließ mich und später meine Schwester schreien. Wenn wir abends gefüttert und gewickelt waren, ging es ins Bett und dann hieß es schlafen. Schrien wir, behielt sie die Nerven und wartete, bis wir uns von selbst beruhigt hatten. Dass sie ihr Verhalten damals als Stärke betrachtete, ließ sie mein Verhalten als Schwäche auslegen. Ich besaß wohl nicht die gleiche Nervenstärke wie sie. Ihr war mit Sicherheit nicht bewusst, dass ihre Methode ein Abkömmling der sog. schwarzen Pädagogik war. 
„Kinder würden nur aus Langeweile schreien und hätten durchschaut, dass sie mit dem Schreien erreichen, dass sich Mutter oder Vater sofort um sie kümmern. Zudem hätte es noch niemandem geschadet, wenn er als Kind eine Zeit lang hätte schreien müssen.“ *
Karl Heinz Brisch, Chef der Psychosomatik am Haunerschen Kinderspital der Universität München, sagt: 
"Nach wie vor haben Eltern in Deutschland Angst, ihr Kind zu verwöhnen. Dabei weiß man, dass Kinder auf lange Sicht länger schreien, wenn sie erst warten müssen, anstatt dass die Eltern prompt auf ihr Schreien reagieren." *
Und Florian Heinen, Chef der Abteilung für Neuropädiatrie und kindliche Entwicklung am Haunerschen Kinderspital, ergänzt:
"Schreien Kinder, ist das ein für Eltern deutlich zu lesendes Signal: Hier braucht es Achtsamkeit, Behutsamkeit und natürliches Interesse - schlicht Liebe. Was es nicht braucht, ist Verunsicherung der Eltern und Küchenpsychologie. Das hat nur negative Folgen." *
Noch einmal Karl Heinz Brisch:
"[Kinder, die man schreien lässt,] lernen früh, auf ein Notfallprogramm im Gehirn umzuschalten, das analog dem Totstellreflex bei Tieren dem Überleben in absoluter Todesbedrohung dient." *
Und Fabienne Becker-Stoll, Direktorin des Staatsinstituts für Frühpädagogik:
"Kinder brauchen verlässliche körperliche Nähe, um seelische Grundbedürfnisse zu befriedigen und Stress abzubauen. Nur dann können sie sichere, vertrauensvolle Bindungen zu den Eltern und später zu anderen Menschen aufbauen. Wir würden gerne elterliches Selbstvertrauen verordnen, nicht elterliche Überreflexion." *
Ein solches Selbstvertrauen ist dringend nötig im Dschungel der unzähligen Erziehungsratgeber und im Konkurrieren der Pädagogen (und leider auch Eltern) um die besten Methoden. Ein blühendes Geschäft ist das, was zu einem großen Teil weder Kind noch Eltern hilft, sondern im Gegenteil Unsicherheit und Schuldgefühle befördert. Selbstvertrauen ist nötig, Liebe zum Kind, die Einsicht in den Sinn säuglings- und kleinkindhafter Ausdrucksmöglichkeit (Schreien). Einem Kind zu geben, was es braucht, bedeutet nicht, es zu verhätscheln und zu verweichlichen, sondern es im Gegenteil zu einem starken, vertrauenden Menschen zu erziehen. Das hat nichts mit Schwäche zu tun, sondern mit Stärke und Verantwortungsbewusstsein. Und: Es ist zu schaffen. Am besten (und für manche nur dann), wenn diese Haltung auch von außen gestützt und gefördert wird.

Ich bin damals mit meiner Mutter auf keinen gemeinsamen Nenner gekommen. Nicht schlimm. Ich glaube nicht, dass ich einen irreparablen Schaden davongetragen habe, weil meine Eltern mich schreien ließen. Und wenn doch, ist er inzwischen, auch dank diverser Therapien halbwegs behoben. Ich glaube ebensowenig, dass meine Kinder, nur weil wir sie nie schreien ließen, die glücklichsten und zufriedensten Menschen der Welt sind. Dazu gehört mehr.
Ich glaube aber, dass es eine Stärke ist und nichts anderes, wenn man sich dem Schwächeren zuwendet, wenn man sich kümmert und Sorge trägt. Es ist ein Stärke, keine Schwäche, eine Fähigkeit, keine Unfähigkeit, und es bewirkt etwas Gutes.
Es ist hingegen keine Stärke, wenn man sich dem Bedürfnis des Schwächeren verschließt, wenn man dicht macht und darauf wartet, dass der Hilferuf verhallt. Wenn man glaubt, das Problem erledige sich dann von selbst. 
Und wo genau liegt eigentlich das Problem? Auf der Seite dessen, der in seiner Ruhe gestört wird, oder auf der Seite dessen, der Hilfe benötigt und sie berechtigt einfordert bzw. erbittet? Und wieso ist diese Konfrontation überhaupt ein Problem? Ist es nicht zunächst einmal einfach eine Begegnung? Etwas, das das Leben an möglichen Ereignissen bereithält? Entsteht das Problem in diesem Fall nicht erst dann, wenn die Hilfe verweigert wird und damit auf der einen Seite ein unmenschliches Verhalten als Stärke propagiert und etabliert wird und auf der anderen Seite ein Hilfesuchender frustriert und in seinem Vertrauen verletzt zurückbleibt, mit unabsehbaren Folgen für sein Leben und seine Persönlichkeit? Was macht das mit uns Menschen, wenn wir in unserem Menschsein herausgefordert sind? Wie verhalten wir uns, um Menschen zu bleiben?

Man sieht vielleicht spätestens jetzt, dass es mir hier um mehr geht als um schreiende Säuglinge und verunsicherte Eltern. Ich wollte hier weder Erziehungstipps verteilen noch einen pädagogischen Appell schreiben. Mir fiel ganz einfach im Zusammenhang mit der Flüchtlingssituation das Gespräch mit meiner Mutter wieder ein. Unsere entgegengesetzten Definitionen dessen, was Stärke und was Schwäche ist. Ich musste an Angela Merkel und ihren Satz „Wir schaffen das.“ denken. Daran, wie unterschiedlich Politiker und Bürger reagieren. Auf wie gegensätzliche Weise sie Stärke zeigen. Wie eigentlich jeder meint, es sei zu schaffen, damit aber weder dasselbe Ziel noch denselben Weg im Auge hat. Die einen fühlen sich gestört und bedroht, wollen ihre Ruhe und ihren Frieden (definiere Frieden!) sichern und ihre (vermeintliche!) Stärke im Abschotten und sogar Abwehren zeigen, die anderen wollen auch den Frieden und sehen diesen zu erreichen und verwirklichen, indem sie friedlich handeln, sich selbst als Menschen im humanitären Sinne erweisen und dem Gegenüber die Zuwendung und Hilfe gewähren, die er/sie erbittet und benötigt.

Noch einmal zurück zu dem schreienden Säugling: Ich gehe nicht vor ihm in die Knie, ordne mich nicht unter, gebe mich und meine Prinzipien nicht auf, wenn ich auf sein Schreien reagiere (das immer notwendiger Ausdruck eines berechtigten Bedürfnisses ist). Ich folge im Gegenteil meinem Prinzip, nämlich dem der Humanität. Und ich tue dies aus einer menschlichen Stärke heraus, selbstbewusst.
Hier hinkt der Vergleich natürlich, denn wir haben es bei den Flüchtlingen (abgesehen von ihren Kindern) mit erwachsenen Menschen zu tun. Wir sind nicht ihre Erziehungsberechtigten (!!!). Wir können sie nicht wie Kinder behandeln. Aber sie bitten um Hilfe, und diese haben wir zu gewähren, so lange und in dem Maß, wie es nötig ist. Keiner verlangt von uns, dafür unsere Prinzipien zu verraten (welche Prinzipien?), uns klein zu machen. Nichts spricht dagegen, dass wir auch offensiv mit ihnen diskutieren, wenn es um die Art des Umgangs miteinander geht. Solche Diskussionen führe ich schließlich auch mit Nachbarn und Kollegen. Mir muss nicht gefallen, was jemand tut, sagt, glaubt. Ich kann ihn lassen, solange er mich ebenfalls lässt. So einfach ist das. Und so schwer. Mal ehrlich: Dieses Problem beschäftigt uns nicht erst, seit die Flüchtlinge zu uns kommen. Familie, Nachbarn, Kollegen – Herausforderung genug, was das Prinzip „Leben und leben lassen“ betrifft. Jetzt haben wir eine erweiterte Herausforderung. 
Wir sind Menschen. Wir sind lernfähig.


* Alle Zitate entstammen dem Artikel „Liebe statt Küchenphilosophie“ aus der Süddeutschen Zeitung vom 4. Juni 2014.

Sonntag, 31. Januar 2016

Psst II (Momentaufnahme)

Die Worte, die sich einstellen, mag sie nicht. Und die, auf die sie wartet, stellen sich nicht ein. Vielleicht warten die Worte ebenfalls. Darauf, dass sie zu einer anderen Einstellung findet. Sie ahnt, dass es mit der Lautstärke zu tun hat. Der in ihr drin. Wenn sie doch bloß den Knopf zum Leiserdrehen fände.

Donnerstag, 28. Januar 2016

Psst

Sie sehnt sich nach Flügeln.
Einem größeren Abstand.
Weite.
Stille.
Sie wartet.
Und wendet sich zu:
der einen, die sie in sich trägt.
Nimmt sich bei der Hand.
Und beim Wort.
Sagt:
Psst


„Singet leise, leise, leise“


Mittwoch, 27. Januar 2016

Das Internet geht mir auf die Nerven (Momentaufnahme)

Dieses Denken in Extremen. Wie verführerisch das doch ist. Welche wunderbare Zugehörigkeit es verschafft. Als Alternative scheint es für viele nur den sogenannten „goldenen Mittelweg“ zu geben, den sie zurecht unattraktiv finden, weil er erstens einsam und unpopulär ist und zweitens in der Regel nichts anderes als einen faulen Kompromiss bedeutet. Augen zu, Ohren zu, Mund zu um des lieben „Friedens“ willen. 
Dabei gibt es weitere Möglichkeiten. Nur leider keine für Denkfaule, Mitläufer, Populisten und Feiglinge.
Da wäre zum einen die Möglichkeit der Differenzierung. Etwas, das den Extremen abgeht, immer, gleich welcher Couleur. Das genaue Hinsehen und exakte Benennen. Der Mut zum Fakt; der Verzicht auf ideologischen Rückhalt und auf das berauschende Gefühl, einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten anzugehören.
Da wäre zum anderen das Sowohl als auch. Was sich mit ersterem überschneidet.
Ich kann z.B. sowohl Mitglied bei Amnesty International sein (bin ich), die örtlichen Flüchtlinge freundlich willkommen heißen und unterstützen (tue ich), Kunden mit rechtsextremen Ansichten aus dem Laden werfen (habe ich getan), Leserbriefe gegen rechte Hetze schreiben (habe ich auch getan) als auch  ein links-feministisches Aktionsbündnis wie #ausnahmslos ablehnen. Warum, habe ich den beiden letzten Blogartikeln andeutungsweise dargelegt. 
Das Internet geht mir gerade auf die Nerven wie schon lange nicht mehr. Diese lauten Ränder! Trotzdem stürze ich mich ständig und fast schon suchtmäßig auf die neuesten Artikel und Kommentare, um meinen Unmut zu nähren. Das ist tut mir nicht gut.
Vielleicht klinke ich mich mal für eine Weile aus. Oder versuche, mich aus den Diskussionen im Netz herauszuhalten und stattdessen über andere Dinge zu schreiben ... Mal sehn, ob es mir gelingt.
Es geht um Freiheit. Immer. In jeder Hinsicht.

Samstag, 23. Januar 2016

Lichtblicke in der Debatte um Köln

Es gibt Lichtblicke in der Debatte um die Silvesternacht in Köln, einer Debatte, die nun doch zunehmend stattfindet, auch wenn die Vertreter*innen der extremen Positionen, seien es rechtspopulistische oder links- u./o. feministisch-ideologische, samt ihrer Anhängerschaft noch so laut tönen. Es gibt sie inzwischen, die sachlichen, nüchtern argumentierenden Stimmen, die weder beschönigen noch polemisieren, sondern benennen und gemeinschaftlich nach Lösungsansätzen suchen.


Die „Kölner Botschaft“ ist so ein Lichtblick. Ein Statement prominenter Bürger der Stadt, das leidenschaftlich ist im Ausdruck seiner Liebe zu Köln und das sachlich ist in seinen Forderungen, die den Ereignissen der Silvesternacht und ihren Folgen entspringen:
[...] Um der wachsenden Polarisierung in unserer Gesellschaft entgegenzuwirken, ist es wichtig, an das Gemeinsame zu erinnern – und zwar auch ganz konkret mit Blick auf die Ereignisse der Silvesternacht. Denn gleich welchen Geschlechts und Alters wir sind, welcher Herkunft und Religion, welchen Beruf wir ausüben und welcher Partei wir angehören, welche sexuelle Orientierung wir haben und welche private Leidenschaft - wir alle wollen uns in Köln sicher, frei und offenen Blicks bewegen. So haben wir vier Forderungen aufgeschrieben, von denen wir glauben, dass sie nicht nur unsere eigenen sind. Und wir haben jeweils Erläuterungen hinzugefügt, die bei manchen wahrscheinlich Widerspruch provozieren – aber das ist auch gut, solange es ein konstruktiver, im Ton nicht verletzender Widerspruch ist. Nichts tut aus unserer Sicht mehr not, als die Debatte zu versachlichen, die wir in Köln und über Köln hinaus spätestens seit der Silvesternacht zu Recht führen. [...]
Die vier Forderungen (in ihren Überschriften): 
1. Keinerlei Tolerieren von sexueller Gewalt
2. Kampf gegen bandenmäßige Kriminalität
3. Konsequenzen aus dem behördlichen Versagen
4. Schluss mit fremdenfeindlicher Hetze – Deutschland bleibt ein gastfreundliches Land

Juttas Blogbeitrag „Kölner Botschaft“ statt #ausnahmslos ist ein weiterer Lichtblick in der Debatte. Sie analysiert in gewohnt kluger Weise, sieht genau hin, differenziert, und benennt konkret. Sie schreibt zu Beginn ihres Artikels:
Ich habe #ausnahmslos, den "Aufruf des progressiven Feminismus", wie "Der Freitag" diese Reaktion auf die Silvesternacht von Köln nennt, nicht unterzeichnet. Obwohl ich - selbstverständlich - ausnahmslos gegen sexualisierte Gewalt, Sexismus und Rassismus bin, egal von wem sie ausgehen.
Wer allerdings sexualisierte Gewalt, Sexismus und Rassismus auch für strukturelle Probleme (patriarchaler) Gesellschaften und Weltanschauungen hält - und nicht nur für individuelle Defekte - , muss sich durchaus Fragen zum sogenannten "soziokulturellen Hintergrund" von Tätern stellen. [...]
Liebe Jutta, ich freue mich sehr über deinen Mut und deine Klarheit. Danke dafür!


Juttas Text wiederum wird von Bersarin in seinem Blogbeitrag „Kölner Botschaft“, Teil 2 aufgegriffen. Es pflanzt sich fort. Das lässt hoffen.


Liebe Leser*innen, das ist viel Stoff, der sich aber lohnt, wenn man unter all den einseitigen Überzeugungen, die einem vor allem im Netz verzehrfertig aufgetischt werden, Anstöße  zum differenzierten und vor allem Selber-Denken sucht.

Sonntag, 17. Januar 2016

2Wochenrückblick 4. - 17. Januar 2016

gelesen:

Don Winslow: Missing. New York

Zwei Mädchen sind verschwunden, die eine wird schon bald gefunden, ermordet, der Täter ist schnell gefasst, die Akte wird daraufhin geschlossen. Nur Frank Decker glaubt nicht an ein Ende des Falls und ermittelt auf eigene Faust weiter, ganz das Klischee des guten Detectives und des harten Typs mit dem weichen Kern, ein Mann nicht nur auf der Suche nach einem verschwundenen Kind, sondern auch nach sich selbst. Man(n) kennt das. Trotzdem: Die Geschichte ist in sich glaubwürdig, gut aufgebaut und vor allem so fesselnd geschrieben, dass ich den Alltag um mich herum komplett vergaß. Das ist Entspannung pur, dafür lese ich Krimis. 
Kleines Aber: Winslows bei Suhrkamp verlegte Krimis sind besser, komplexer, nicht wegen Suhrkamp, sondern umgekehrt, vermutlich; außerdem gibt es in Missing. New York patriotische Anklänge (Irakkrieg gut, Todesstrafe gut), weshalb ich ihn stellenweise mit ambivalenten Gefühlen gelesen habe.



Robert Seethaler: Ein ganzes Leben

Der Mann kann schreiben. Und zwar mit einer solchen Leichtigkeit, dass das Lesen der reinste Genuss ist. Schon mit dem Vorgängerroman Der Trafikant ging es mir so, hier nun wieder, wenn auch die Geschichte eine ganz andere und der Erzählstil diesmal karger, damit dem Sujet absolut angemessen ist.
Worum geht‘s: Um nicht mehr und nicht weniger als das ganze Leben eines einfachen Mannes, eines Einzelgängers in einem österreichischen Bergdorf, der im Laufe seines Lebens und in Anpassung an die politischen, gesellschaftlichen, technischen Veränderungen als Hilfsknecht, Seilbahnbauer, Soldat, Touristenführer arbeitet, eine einzige kurze große Liebe erlebt und am Ende, auf die anderen Dorfbewohner leicht verschroben wirkend, in selbstgesuchter Einsamkeit stirbt.
Gut 130 Seiten angefüllt mit Beschreibungen von archaischer Schönheit, taktvoller Charakterzeichnung und Würdigung eines Lebens in Schlichtheit und Selbstbescheidung, ohne Beschönigung oder Glorifizierung, beispielhaft für vermutlich viele Leben, die nunmal so und nicht anders verlaufen sind.



Laline Paull: Die Bienen

Aus den Klappentexten der gebundenen Fassung und des Taschenbuchs: 
„Ihr Name ist Flora. Ihre Nummer 717. Sie ist ziemlich groß. Ihr Pelz ist struppig. Andere finden sie hässlich. Doch sie ist klug und mutig. Und sie muss sich gegen die Regeln des Bienenstocks behaupten, denn Flora 717 ist eine Biene. Genauer: eine Säuberungsbiene aus der untersten Kaste im Bienenkorb. Ausgestattet mit Fähigkeiten, die ihren Rang weit überschreiten, steigt sie schnell auf und darf sogar an der Seite der Königin leben. Alles scheint perfekt. Doch ohne es zu wollen, gebiert Flora eines Tages ein Ei. Ein Umstand, der allein der Königin vorbehalten ist und bei Missachtung schwer bestraft wird. Es beginnt ein Wettlauf um Zeit, Nahrung und Geschicklichkeit, um ihr Leben und das ihres geliebten Kindes zu bewahren. Laline Paull inszeniert gekonnt einen Roman über Aufstieg, Liebe und Gerechtigkeit.“
Dieses Buch ist ein Märchen für Erwachsene, es ist Abenteuerroman und düstere Fabel um das Leben in einem totalitären Staat, allerdings mit gutem Ausgang und einer extrem originellen Heldin.  
„Ein hinreißendes Debüt“ meinte Denis Scheck und ich meine das auch.


geschaut:

The Killing

alle vier Staffeln
als Neuverfilmung der dänischen Serie Kommissarin Lund – Das Verbrechen produziert, aber in vielem abweichend und eigenständig, weshalb man die beiden nicht miteinander vergleichen muss, sie stehen jeweils für sich und ich habe die eine im letztem Jahr und die andere in den ersten zwei Wochen des neuen Jahres mit Begeisterung und fast suchtmäßig geschaut (Ach, und wie sich mein romantisches Herz über den Schluss der vierten Staffel von The Killing gefreut hat! Ich will hier aber nicht spoilern, falls jemand mitliest, der die Serie noch später als ich entdeckt.)
Bin jetzt in Linden & Holder verliebt.




Season 1-3 Trailer


Season 4 Trailer




geschrieben:

wenig
Es gibt ein paar Dinge in meinem Privatleben, die mich momentan sehr einnehmen.
Und es gibt die Reaktionen von verschiedenen Seiten, teilweise ideologiebesetzt, auf die Silvesternacht in Köln, die mich allesamt ebenso fassungslos machen wie die Ereignisse selbst. Und die mich entgegen meiner sonstigen Art im Netz verstummen ließen. Aus Feigheit? Aus dem Gefühl, mit meiner Sicht, meinen Gedanken allein dazustehen? Aus der kleinlichen Sorge, mich vielleicht unbeliebt zu machen?
Natürlich ist es nie leicht, zwischen all den laut und selbstbewusst Auftretenden und sich immer gleich in Aktionsbündnissen Zusammenschließenden als Einzelne eine abweichende Meinung zu vertreten, eine, die sich irgendwie nirgendwo einordnen lässt.
Ich brauche Bedenkzeit, Einkehrzeit, andere einzelne Stimmen (die es zum Glück gibt! s.u.), den Austausch mit ihnen ...
Ich habe mich also bisher darauf beschränkt, wenn überhaupt, dann „um den heißen Brei“ herum zu schreiben und tue das auch hier wieder. Gefällt mir zwar nicht, geht aber einfach (noch) nicht anders. 
Zwischendurch überlegte ich, über andere Dinge zu schreiben, aber das war mir nicht möglich, zu sehr bin ich innerlich von dem einen Thema besetzt. Lediglich das Dilemma Dinge, die mir auf der Seele brennen vs. selbstverordnete Sprachlosigkeit konnte ich ansatzweise formulieren. 
So der derzeitige Stand. Immerhin reichte es für einen Wochenrückblick. Eine im letzten Jahr erwachte und nach wenigen Monaten schon wieder eingeschlafene neue Tradition in meinem Blog. Vielleicht lässt sie sich wachküssen.


gedacht:

1. Freiheit ist eine Menschenpflicht.

2. #Hashtags machen Wörter kaputt.
(Ich wünsche uns allen, dass ausnahmslos jeder Aufschrei frei von Vereinnahmung durch ideologisch begründete #Hashtag Aktionen und Bündnisse gehört wird. Und ich wünsche den Wörtern, dass sie ideologisch unbesetzt bleiben. Ja. nennt mich ruhig naiv.)

3. Das Sprachlos ist wahrlich kein leichtes.


gefreut:

über einzelne Stimmen der Vernunft zwischen den sich gegenseitig übertönenden Gruppen von dumpfem gewaltbereitem Pack, pöbelnden Rassist*innen und ideologiegeschwängerten Besserwisser*innen und Welterklärer*innen 


getrauert:

um David Bowie und Alan Rickman, zwei Wunderbare

Where are you now?

Im Netz gibt's so viele Nachrufe, Videos, Zitate, Links ..., dem muss ich nichts mehr hinzufügen


gehört:

klar, David Bowie
klar, Bob Dylan, The Cutting Edge 1965-1966, mein Weihnachtsgeschenk (und gedacht, bitte stirb du jetzt nicht auch noch)

und, in Dauerschleife, nachdem The Killing endgültig zu Ende war: den Schlusssong der letzten Folge der letzten Staffel (das Video mit Filmsequenzen zeige ich hier natürlich nicht, aus Spoilergründen :-))





The Jezabels: Peace of Mind