Samstag, 25. August 2012

Rückreise

In den Zug gestiegen
mit dem Koffer
mit der Tasche
doch ohne den Blick
den ließ sie liegen

Sonntag, 19. August 2012

Irrelevanz

Hier wird es still bleiben für ein paar Tage. Morgen reise ich ab in die Schweiz.
Ein guter Zeitpunkt, hinterfrage ich doch sowieso gerade meine Blogschreiberei. Bezüglich ihrer Relevanz. Ich weiß, vor einigen Tagen sprach ich noch davon, wie glücklich ich sei mit meinem Blog und den zahlreichen Entfaltungsmöglichkeiten, die es bietet. Heute ist es anders. Ach, auch gestern schon. Es wechselt. Seit je. Und wird es vermutlich auch in Zukunft tun.
Dennoch, auch wenn ich um dieses Auf und Ab weiß: Heute zweifle ich und halte für im höchsten Maße irrelevant, was ich hier von mir gebe.
Ich habe mit einem Roman begonnen. Jedenfalls nehme ich an, dass aus der Vögelchen-Geschichte ein solcher wachsen wird, denn die Menge des Stoffs, die sich über Nacht in meinen Kopf hineingestapelt hat, ist beachtlich, ich habe jedenfalls gut zu tun.
Aber davon abgesehen, oder darüber hinaus: Ich möchte hier präsent bleiben. Aber ich will nicht ins Plappern kommen. Allein dass ich begonnen habe, nun auch übers Bloggen zu schreiben, gibt mir zu denken. Ich bin nicht sicher, ob ich diese Entwicklung wollte, dieses Heraustreten.
Es ist schön, Rückmeldungen zu erhalten. Es ist nicht schön, zu diesem Zweck zu schreiben. (Tue ich das bereits? Hin und wieder?) Ich bin empfindlich, was Verstrickungen und Abhängigkeiten betrifft, beginne bei den leisesten Anzeichen dafür zu zappeln, irgendwo in mir drin.
Gleichzeitig handelt es sich aber um einen Prozess, den ich von außen beobachte, in dessen Verlauf ich mich gewähren lasse, um zu sehen, was passiert, in der Hoffnung, rechtzeitig die Bremse ziehen zu können.
Klingt dramatisch? Ist es nicht. Aber trotzdem von existenzieller Bedeutung. Für mich, bei sowas lässt sich ja nicht vergleichen.
Wen interessiert's? Soll ich das hier einstellen? Warum? Für wen?
Wer hört schon mein Herzklopfen. Und nein, ich fische nicht nach Bestätigung. Auch nicht nach Widerspruch. Ich stelle mich selbst auf die Probe und übe mich in Mut.

Samstag, 18. August 2012

Wie sie so unbesiegbar sind (memento mori)

Wie sie unentwegt herfallen über die mit den dreckigen Stecken und den schiefen Gesichtern, mit den falschen Wörtern und den verschränkten Armen. Wie sie so unbeirrt richten, weil sie jeden Zug, jede Geste zu deuten wissen aus ihren Büchern und den teuren Kursen. Wie sie sich selbstkontrolliert in heroische Haltungen biegen und mit gebleckten Fingern von Seminarpodesten herab auf die Verdächtigen, weil Unbeholfenen deuten. Wie sie so gut Bescheid wissen und gewandt sind in den wesentlichen Künsten. Wie sie Hiebe und Münzen mit ein und derselben Hand verteilen und wie ihnen Scham so fremd ist wie Güte. Wie sie so unantastbar gebildet sind und sich in dieses ihr Bild die ganze Welt hineinschaufeln, so unersättlich und so erlaubt durch ihre einzigartige Begründungsfähigkeit. Wie ihnen keiner etwas vormacht, sie aber gerne streuen und austeilen, so gerne, denn da wollen sie doch für sorgen, dass etwas abfällt von ihrem Glanz zur Belichtung derer im Dunkeln.
Wie sie so absolut unbesiegbar sind, solange nur nichts hereinbricht zu ihnen, das kein noch so ausgeschöpftes Gehirn aufhalten kann, weil es vielleicht etwas mit Hunger zu tun hat oder mit Durst, mit einem tiefen Loch und einem plötzlichen Versetztwerden an einen Wüstenort oder in eine Steppe oder mitten hinaus auf die stürmische See, wo ihnen kein Buchstabe mehr hilft und kein noch so kluger Gedanke. Wo sie ausgesetzt und auf einmal nicht mehr zu unterscheiden sind, weil sie wie jeder und jede zurückflüchten in die Embryonalhaltung und ihr allererstes erlerntes Wort dasselbe ist wie bei jedem und jeder anderen und sie deshalb einen gigantischen Chor bilden, indem sie im Kanon dieses Wort herausschreien, und doch waren sie nie in ihrem Leben so allein wie jetzt.

Donnerstag, 16. August 2012

Etwas Freiliegendes, abseits

Sieh nur, hier stromern wir durch einen Wald aus Stricken und Tauen und haben unsere Macheten im letzten echten Dschungel zurückgelassen. So bleiben wir hängen, taumeln und verfangen uns, knüpfen Knoten auf und zu und fühlen uns doch unendlich frei, nur weil die uns umfangende Verwirrung selbst ins Unendliche zu reichen scheint. 
Und sieh die Feuer! Wie es an allen Ecken und Enden funkt und brennt. Wie die einen Öl, die anderen Wasser in die Flammen schütten. Wie es lodert und zischt bis in die entferntesten Winkel. 
Und spürst du das unablässige Zucken? Die kleinste Erschütterung in diesem Endlosnetz, hervorgerufen durch die Kollision eines Schmetterlingsflügels oder einer Guppyflosse mit einem der Seile, pflanzt sich fort und fort zu einer grenzenlosen Teilhabe. 
Und nun sieh hier, das hereinströmende Wasser, die durchziehende Luft, diese Abgesandten einer anderen Art Freiheit. Glaubst du wirklich, für diese müssten uns erst Kiemen wachsen und Flügel?
Betrachten wir einmal genauer unsere unbenutzten Glieder, unsere vernachlässigten Sinne, wie sie einrosten und verstauben. Könnten wir nur weiterdenken! Aber wir können ja! 
Wagen wir uns heraus aus dem bequemen Konjunktiv, dem weichen Lager der Fantasie und begeben uns in eine unmittelbare Erfahrung an Leib und Seele. 
Es muss dort noch etwas Offenes sein, etwas Freiliegendes, abseits, bereit, uns aufzunehmen. 
Hier bahnen wir uns einen Weg und glauben, voranzukommen, dabei bewegen wir uns im Kreis und erkennen es nicht, denn hinter uns wuchern die Pfade im Zeitraffer zu, gaukelt das Netz uns in einer Endlosschleife unbetretenes Gebiet vor. So kämpfen wir uns voran und voran in einem unendlich winzigen Raum.
Aber es gibt ein Draußen. Es zieht an uns.

Montag, 13. August 2012

Entscheidungen

Juhu! 
Zwei Wochen Urlaub stehen bevor. Noch kürzlich schien es mir, als ließe sich darin alles unterbringen, worauf ich Lust habe. Und zwar ganz ohne Hektik. Reisen quer durch die Republik und auch ein wenig grenzüberschreitend plus das Lesen diverser Bücher aus der Warteschleife.
Pure Illusion! 
Je näher die zwei Wochen rückten und meine Pläne konkretisiert werden wollten durch Terminabsprache, Bahntickets kaufen etc., umso mehr wurde mir ihre Begrenztheit deutlich.
Kein Drama!
Ich habe befreiende Entscheidungen getroffen, und ein paar Vorhaben über Bord geworfen. Winke, winke. Nichts ist so dringend, als dass es meinen Urlaubsplan in eine To-do-Liste verwandeln dürfte.
Juhu again!
Die erste Woche werde ich bei einer Freundin am Thuner See verbringen und Berge, Wasser, tiefschürfende und alberne Gespräche, Langsamkeit, gutes Essen ... genießen.
In der zweiten Woche werde ich in Berlin sein, untergebracht bei einer anderen Freundin und ihrem Mann. Ich werde außer diesen beiden noch weitere liebe Menschen treffen und werde keine Sehenswürdigkeiten aufsuchen müssen, denn ich war schon des öfteren in Berlin, da ist mir vieles bekannt, und alles andere läuft nicht weg.
Über Bord geworfen ist u.a. die Reise nach Kassel mit Besuch der Documenta. Schade drum, aber der Gewinn ist höher.
Puh!
War gar nicht so schwer.
Noch eine Woche arbeiten, dann geht's los. Ganz entspannt.

Eine weitere Entscheidung, die ich getroffen habe:
Die Geschichte von Vögelchen wird unter Verschluss weitergehen. Sie braucht einen geschützten Raum. Ich brauche diesen geschützten Raum. Mein Gefühl sagt mir, dass da etwas keimt, an das ich mich seit Jahren in Spiralbewegungen herangeschrieben habe. Es wird sich zeigen.

So, weiter im Text.

Sonntag, 12. August 2012

V wie Victim

2 (Im Zentrum)

 Zwei Freundinnen betreten den Speisesaal und gesellen sich zu den anderen Mädchen, die vor der Essensausgabe warten. Eine der beiden trägt ein weißes Kleid und funkelt damit wie ein Stern unter all den Blaugekleideten.
 "Sieh an, ein frisch geschlüpftes Vögelchen!", ruft eine der Küchendienerinnen, als die Reihe an ihnen ist, und schiebt den Mädchen ihre Frühstücktabletts zu. Die Kleine im weißen Kleid streckt stolz die Brust heraus, auf der ein rotgesticktes V prangt.
 "V wie Victim", murmelt eine andere Küchendienerin.
 "Hüte deine Zunge!", wird sie von der ersten zurechtgewiesen.
 "Ist doch wahr!", zischt die zweite zurück.
 "Oje, das gibt bestimmt Zungenverbot.", flüstert das blaugekleidete Mädchen der Freundin zu. 
 "Selbst Schuld", urteilt Vögelchen, obwohl sie die Bedeutung des Wortes Victim  nicht kennt.
 Zungenverbot wird bei Wortverstößen erteilt und gehört zu den gefürchtetsten Lektionen. Man darf sieben Monate lang nicht sprechen, mit niemandem. Jeder Verstoß gegen das Verbot zieht sieben weitere Monate Schweigen nach sich. Es gibt Scharangehörige, von denen die Mädchen noch nie einen Laut vernommen haben. 
 Zur Feier des Tages erhält Vögelchen einen Miniaturschokoladenkuchen, in dessen Mitte eine rote Kerze prangt.
 "Dankeschön!", sagt sie artig, macht einen Knicks und will mit dem Tablett zu ihrem Platz.
 "Halt, nicht so schnell!", ruft die Küchendienerin und zieht raschelnd eine Streichholzschachtel aus der Kitteltasche. "Alles Gute zum zehnten Geburtstag, mein Herz! Gott segne dein Gefäß!" Sie zündet die Kerze an und lässt Vögelchen das Streichholz auspusten. "Und wenn du nachher die Kerze ausbläst, darfst du dir etwas wünschen."
 -
 Am Tisch steht Vögelchen im Mittelpunkt. Die Mädchen um sie herum, die alle ihren zehnten Geburtstag noch nicht erreicht haben, bestürmen sie mit Fragen, von denen sie keine einzige beantworten kann.
 Wie sind die Einzelzimmer? Was passiert in der Lektionenwoche? Und danach? Was hat es mit der Vorbereitung des dritten Gefäßes auf sich?  Stimmt es, dass Moses die Vögelchen persönlich in ihren Zimmern aufsucht? Und was muss erfüllt sein, damit sie zu den Schwanenanwärterinnen aufsteigen darf?
 Vögelchen schwirrt der Kopf, ihre Augen glänzen und ihre Wangen leuchten apfelrot. Das Geburtstagsfrühstück ist die letzte Mahlzeit mit den Freundinnen. Die letzte Nacht im großen Schlafsaal liegt bereits hinter ihr. Noch am Vormittag soll der Umzug in eins der Zimmer auf dem Vögelchenflur vonstatten gehen. Sie wird den Sack mit den blauen Kleidern in die Wäscherei bringen und einen neuen mit lauter weißen erhalten, solche wie dieses, das sie gerade trägt und das heute früh an ihrer Schranktür hing und ihr Herz hüpfen ließ wie ein junges Lamm.
 Vögelchen fühlt sich wichtig. Nach Mund und Ohren wird nun ihr drittes Gefäß vorbereitet werden, der erste Schritt ihrer Entwicklung zum Schwan. Das hebt sie von den Freundinnen ab, die zu ihr aufschauen und das schöne Kleid bewundern.
 Und Vögelchen hat Angst. Denn all die Wunderbarkeiten wie das Einzelzimmer mit eigenem Bad, die schönen weißen Kleider, die Aussicht, von Moses persönlich aufgesucht zu werden, all diese Wunderbarkeiten können sie nicht von dem Gedanken ablenken, dass dieses dritte Gefäß eine dunkle empfindliche Höhle ist, die sie bisher kaum selbst zu ertasten gewagt hat.
-
 "Ich glaube, du musst los." Die Freundin reißt sie mit einem sanften Schubs aus ihren Gedanken und zeigt zur Tür. Da stehen zwei Aufseherinnen und bedeuten ihr mit einem Wink, das Frühstück zu beenden und ihnen zu folgen.
 Vögelchen umarmt die Freundinnen, dann kneift sie die Augen zu und bläst die Kerze aus.
 "Was hast du dir gewünscht?"
 "Verrat ich nicht."

Freitag, 10. August 2012

Nichtmitteilung

Wie sich nach einiger Zeit des Bloggens das Gefühl einschleicht, man müsse seine Leserschaft auf dem Laufenden halten und z.B. darüber informieren, wenn man mal ein paar Tage abwesend und ohne Internet sein wird und folglich weder schreiben noch lesen noch kommentieren noch Kommentare beantworten kann.
Wie man sich plötzlich als Teil fühlt, das zwar in sich geschlossen und frei ist, aber dennoch in Verbindung steht.
Wie das so einfach passiert mit der Zeit und sowohl beabsichtigt herbeigeführt als auch absichtslos empfangen ist.
Wie das so schön ist und sowohl dankbar als auch nachdenklich machend und wie es - ja, auch das - immer mal wieder Beklemmungen hervorruft.
Wie mich das dazu bewegt, nun einfach mal nicht mitzuteilen, dass ich dieses Wochenende im Elsass verbringen werde, ohne Internetanschluss, dafür mit Fachwerk und Wiese und Pfirsichbaum und Hängematte und Buch und Wein und Baguette.
Wie ich mich aber auch vorfreue aufs Wiedersehen.

À bientôt!

Donnerstag, 9. August 2012

Schimmlige Zitronen

1 (Draußen)

 "Hier, Vögelchen, kannste Limonade draus machen!", rief Cat und streckte den Arm durchs Küchenfenster. An ihrem Zeigefinger baumelte ein Netz mit angeschimmelten Zitronen. "Mit schönen Grüßen vom Leben". Sie lachte. Ich packte das Netz an einem Zipfel und warf es in die Spüle.
 "Die sind eklig."
 "Sind sie nicht. Hunger ist eklig. Und Durst ist eklig." Cat wusste alles besser.
 "Und wie, bitteschön, soll ich da Limonade draus machen?"
 "Auspressen, Wasser dazu und Zucker. Du weißt echt gar nichts." Sie drückte mir noch eine volle Einkaufstüte in die Hand und kam dann reingeklettert.
 "Benutz doch mal die Tür wie normale Menschen!", schimpfte ich, aber das war nur wegen der Zitronen. In Wirklichkeit bewunderte ich Cat. Nächstes Mal würde ich auch das Fenster nehmen, nicht die langweilige Tür.
-
 Cat war meine beste Freundin. Nee, die einzige. Sie hatte mich "da" rausgeholt.
 "Ich hol dich da raus.", hatte sie immer wieder gesagt. "Eines Tages hol ich dich da raus, und dann können sie verrecken an ihrer Frömmigkeit und an ihrem Drecksgewissen."
 Und so war es gekommen. Eines Nachts hatte sie Steinchen an mein Fenster geworfen und mich mitten aus dem Schlaf gerissen.
 "Komm, ich hab was für uns gefunden!", hatte sie leise zu mir hoch gerufen, und ich hatte meinen Rucksack genommen, der schon seit Wochen gepackt im Bettkasten versteckt lag und war mit ihr gegangen.
 Seitdem wohnten wir hier in diesem Haus. Nächste Woche sollten die Bautrupps anrücken, dann mussten wir weiter. Cat würde schon etwas finden.
-
 "Du löst dich mal wieder auf.", sagte Cat und schaute mich von der Seite an, dann verschwand sie aus der Küche.
 Aus meiner abgeschnittenen Jeans krümelte es kleine graue Röllchen. Ich merkte, wie ich rot wurde. Dabei war Cat gar nicht mehr im Zimmer. Sie ging immer raus, wenn mir was Peinliches passierte, vor allem das mit den Röllchen. Die kamen vom Klopapier, das ich mir da unten reinstopfte. Manchmal vergaß ich, es rechtzeitig zu wechseln. Dann löste es sich auf, und  kleine Fitzelchen rutschten zwischen meiner Haut und dem Jeansstoff nach unten. Dabei bildeten sie dann diese Röllchen.
 Ich sammelte alle auf und warf sie ins Gestrüpp vor dem Fenster. Dann ging ich zum Klo.
 "Kannst wieder reinkommen!", rief ich Cat aus dem Flur zu. Vom Klo aus hörte ich sie mit der Einkaufstüte rascheln.
 'Wenn ich mir ein bisschen Zeit lasse, fängt sie vielleicht schon an mit der Limonade.', dachte ich und fischte unser Tagebuch aus dem Karton mit der schmutzigen Wäsche.
 'Tag 10', war der gestrige Eintrag überschrieben. Ich blätterte um und schrieb: 'Tag 11: V.: Cat spinnt ja wohl. Jetzt sollen wir schon schimmlige Zitronen essen. Voll eklig!'

Mittwoch, 8. August 2012

Guten Morgen! (Frühstück ist fertig)

- Hier, iss!
- Aber das lebt ja noch!
- Sonst wäre es sinnlos.
- Es wird mich von innen auffressen.
- Es wird dich kitzeln und lecken.
- Und das werde ich mögen?
- Sehr sogar.
- Aber was ist es denn?
- Erkennst du das nicht?
- Nein, es zappelt doch so.
- Vor freudiger Erregung.
- Bitte sag mir, was es ist!
- Es ist der junge Tag. Nun beiß rein!

Sonntag, 5. August 2012

Heute mal

Heute mal nicht klug sein
sondern zärtlich
keinen Widerspruch dulden
Korrekturwünsche abschütteln
den jungen Vogel
schon nach sieben Zeilen
in die Lüfte entlassen

Freitag, 3. August 2012

Im Strom

Ertappte sie sich dabei, wie sie sich von Hochgeschwindigkeit überrollen ließ. Kam diese von hinten gestürmt, auf sie gestürzt, alles mit sich in den Strudel reißend, dass die Ränder ihrer Poren flatterten und die Haarwurzeln um Halt flehten. Schrie sie auf vor Entzücken! War sie so eine leicht ansteckbare Person, dass sie sich anstacheln ließ von über die Straße huschenden Rufen und um die Ecke flitzenden Lachern. Galt alles ihr, nur ihr, musste alles eingefangen werden und auf der Stelle verzehrt. Da musste sich fallengelassen werden mitten hinein in den brausenden Strom und sich hingegeben werden dem Toben mit einer vollkommen angepassten Beschleunigung von niemals auf sofort. Flog dann ihr Atem nur so und trug er sie nur so davon und sämtliche Vergleichsmöglichkeiten gleich mit. Lag sie dann umgestülpt und entkernt, ein Maschinenwesen, und die Seele war wo? Ja, wo war sie denn, und war denn überhaupt eine gewesen vor dem Orkan und jemals? Wie sollte denn einer inmitten dieser Raserei etwas fassen oder halten oder überhaupt nur erkennen, wie? Fiel sie schließlich rücklings in die klebrige Masse batteriebetriebener Zeit, schlug sie auf im Brei der gequirlten Kontinuität, paddelte sie mit verbliebener Kraft einen letzten Satz aus sich heraus, wenigsten den, für den aufrechten Stein bestimmten, wollte sie selbst erfinden, noch auf die Schnelle, vor der großen Überschluckung durch die selbstherrlich hetzende Materie siegeswütiger Mensch. Erblickte der letzte Rest Neugier ein Fitzelchen Pause am Rand, warf der letzte Rest Selbst einen winzigen Anker und senkte sich letzten Moments hinterher und hinein und drückte eine Kuhle in den Ort, der vorher nur tosende Bahn. Erwachte dort unten ein Keim, so ein winziger, winziger Keim mitten hinein in ihren gewölbten Leib, barg sie diesen vor allem, für sich und zog einen gültigen Halt.

Kunst lebendig (Blatt #49)

Wie lebendig Kunst sein kann, wenn sie sich der ästhetischen Sicherungsverwahrung entzieht.

Loser Gedanke zur diesjährigen Documenta unter der Leitung von Carolyn Christov-Bakargiev.

Donnerstag, 2. August 2012

Liebe Leserinnen, liebe Leser!

Folgendes:
Ich habe mir überlegt, dass ich hier in meinem Garten gerne Bänke aufstellen würde, und zwar am liebsten blaue, aber dann würde ich im Schuppen ein paar Eimer Farbe deponieren, eine Auswahl verschiedener Töne zur freien Verwendung für diejenigen unter Euch, die lieber eine rote oder eine grüne oder eine bunte Bank hätten.
Vielleicht gäbe es auch eine Hollywoodschaukel, die vermutlich zu meinem eigenen Lieblingsplatz würde, wer sich also zu mir gesellen und mich einmal aus der Nähe betrachten und beschnuppern wollte - Wir könnten auch ein leises Zwiegesprächlein führen. Ja, der Gedanke gefällt mir.
Gäbe es auch einen Strandkorb? Hm, dann müsste ich ein kleines Meer einrichten, das scheint mir aufwendig, aber nicht unmöglich, also mal sehen.
Allerdings bräuchte das seine Zeit, und versprochen ist hiermit nichts.
Das Tor zum Garten bliebe unverschlossen, das Willkommen gälte bei Tag und bei Nacht und auch während meiner Abwesenheit. In solchem Falle läge der Schlüssel zum Haus unter der Matte, nur passte er nicht, denn mein Haus, das behielte ich für mich. Da bin ich völlig frei.
Gäbe es eine Gartenbenutzungsordnung? So wie ich meine BesucherInnen bisher erlebe, wäre es nicht nötig, irgendetwas zu regeln, und das Tor ließe sich ja jederzeit wieder verschließen, immerhin handelt es sich um meinen Garten. 
Aber ich bin neugierig, und Neugier wäre etwas, das ich mir über alles von meinen Gästen (oder muss es GästInnen heißen?) wünschte. Neugier auch auf Fremdartiges. 
Abgesehen davon verzichtete ich auf Mitbringsel jeglicher Art sowie Installationen Eurer eigenen Werke. Die sähe ich mir doch lieber bei Euch drüben an, gäbe bei Gefallen aber gerne Hinweise darauf.
Anfassen wäre erlaubt sowie Stille und Äußerungen jeder Art, auch Fragen, Hinterfragungungen und Infragestellungen und ein Diskutieren der Sache. Aber das gilt ja schon längst (wie auch manches aus dem vorigen Abschnitt), auch ohne die Möglichkeit, sich gemütlich niederzulassen. Es sei denn, Ihr lagert hier ab und zu im feuchten Gras. Na?
Soweit meine Überlegungen. Ich muss gestehen, ein wenig mulmig ist mir jetzt doch zumute. Vielleicht warte ich noch ein Weilchen mit der Umsetzung und spiele lieber noch ein wenig mit dem Gedanken, denn er gefällt mir durchaus. Derweil bleibt das Tor weiterhin geöffnet, alle Stellen des Gartens frei zugänglich und meine Neugier ungebrochen.
Ach, und übrigens: Es gibt noch so viel freies Bloggebiet zu erobern und in Besitz zu nehmen, noch so viel unberührtes Land, das urbar zu machen ist und nach Lust und Laune bewirtschaftet, bebaut und bewohnt werden kann. Just for free! Greift zu! Und wenn Ihr Lust habt, stellt Bänke für die Besucher auf.