Samstag, 16. April 2016

Unpopuläre Meinung zu Böhmermann, Erdogan, Merkel

Ein kurzes Vorwort (, das man getrost überspringen kann, da es sowieso eher peinlich ist):
Wenn ich die Reaktionen auf Merkels Entscheidung, die Justiz zu ermächtigen, im Fall Böhmermann zu ermitteln und zu einem Urteil zu finden, betrachte, wenn ich sie in ihrer Vielzahl und scheinbaren Einigkeit betrachte, dann traue ich mich kaum, meine eigene Meinung kundzutun, denn sie weicht ab vom Gros der Meinungen, mal wieder. Aber wenn ich meiner mir eigenen tiefen Überzeugung folge, dass in einer Demokratie eben nicht die Mehrheit automatisch recht hat und bekommt, sondern jede einzelne Stimme ihren Platz und ihre Bedeutung hat, dann finde ich es wichtig und nötig, auch abweichende Sichtweisen zu äußern und mit in den Raum zu stellen. Dass ich diese Zeilen voranstelle, könnte jetzt bedeuten, dass ich unsere Demokratie für unreif halte und ihr nicht wirklich zutraue, konträre Meinungen friedlich auszuhalten und in einen Dialog einzubinden. Manches am überhitzten Ton der Diskussionen vor allem in Internetforen scheint dies zu bestätigen. Andererseits halte ich unsere Demokratie für so reif wie jedes einzelne ihrer Mitglieder, wenn es denn die verfassungsmäßig garantieren Freiheitsrechte z.B. in Bezug auf Meinungsäußerung nicht nur theoretisch kennt, sondern auch praktisch nutzt. Ich möchte nicht feige sein und die Gründe für diese Feigheit dann auch noch der Gesellschaft zuschreiben. Sie liegen in mir selbst und ich finde es immens wichtig, diese Feigheit zu überwinden. (OMG, dieses Vorwort wird länger und länger, fast geniere ich mich dafür. Ich sollte endlich zur Sache kommen.)


Zur Sache:

Was Böhmermanns Schmähgedicht betrifft, das man ja im Kontext seiner vorangestellten Äußerungen zu Satire sehen muss, finde ich, dass er auf großartige Weise einem Machthaber (Erdogan), der seine Macht nicht nutzt, um dem Volk zu dienen, sondern um es zu unterdrücken, vor die Füße gespuckt hat. Bravo! 
Ich halte Satire, und zwar gerade in solch zugespitzter Form für wichtig und sogar für notwendig als Mittel der Kritik an Inhabern von Führungspositionen, an Regierungen, an ideologischen Gruppierungen, an Kirchen und Instutionen, die – allzu häufig mit Billigung des Volkes, der Bürger, der Mitglieder etc. – ihre Macht missbrauchen, um zu herrschen, zu kontrollieren und zu manipulieren und die Freiheitsrechte der Menschen, denen sie eigentlich dienen sollten, mit Füßen treten. Respektlosen Machthabern muss man mit Respektlosigkeit begegnen.
Deshalb Bravo! und Danke!, Jan Böhmermann.

Was Erdogans beleidigte Reaktion betrifft: War doch klar. Ihn zeichnen, wie jeden Despoten, zwei grundlegende Eigenschaften aus: Anmaßung (oder gar Größenwahn?) und Kleingeistigkeit. Eine gefährliche Mischung. Er musste so reagieren, es ist eine logische Folge seiner (ideologisch bedingten) Persönlichkeitsstruktur. (Behaupte ich einfach mal.)

Was nun Merkels Reaktion betrifft: Davon abgesehen, dass diese besser sofort erfolgt wäre, statt nach dem merkeltypischen Zögern (geschenkt!), halte ich es für richtig, dass sie die Justiz ermächtigt, den Fall zu übernehmen. Denn mit dieser Ermächtigung tritt sie von ihrer eigenen Macht als Regierungsoberhaupt zurück und übergibt sie an die Justiz. Wo sie (die Macht, Recht zu sprechen) auch hingehört. Mit dieser Ermächtigung beugt Merkel sich nur scheinbar und auf den ersten Blick dem Willen Erdogans. In Wirklichkeit aber macht sie mit ihrer Geste deutlich: Dies hier ist Deutschland. Hier stellt sich die Regierung nicht über geltendes Recht. Hier hat in Rechtsfragen die Justiz das Sagen. Herr Erdogan, nehmen Sie sich ein Beispiel!
Ich hoffe sehr und vertraue darauf, dass unsere Justiz mit ihrem Urteil ein Zeichen setzen wird, das Erdogan und seine Vertreter und Beobachter vor Gericht beschämt, weil es nämlich hoffentlich!, hoffentlich! ein Urteil sein wird, das unsere Freiheitsrechte betont und verteidigt und den Despoten Erdogan in seine Schranken weist. Ich hoffe es sehr.

Lieber Jan Böhmermann, ich drücke Ihnen sämtliche mir zur Verfügung stehenden Daumen! Ihnen und unserer Demokratie.



6 Kommentare:

  1. Interessante Interpretation, was diese Ermächtigungsentscheidung angeht. Ich bin nur leider nicht ganz überzeugt davon, dass sie wirklich die Beweggründe wiedergibt, die zu dieser Entscheidung geführt haben. Ich persönlich hätte mir eine klare Haltung zugunsten der Meinungsfreiheit gewünscht, durchaus als politische Botschaft, statt der Delegation der Verantwortung an die Justiz.
    Davon abgesehen freue ich mich über Deinen Mut, eine Meinung nicht nur zu vertreten, sondern öffentlich zu machen, von der Du selbst denkst, sie habe keine Mehrheit. Das ist für mich ein sehr reifes demokratisches Verhalten.

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    1. Eine klarere Haltung zugunsten der Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit hätte ich mir auch gewünscht. Die hat Merkel zwar betont, aber leider nur in einem Nebensatz nach Mitteilung der Entscheidung, und auch diese zu spät, wie ich finde. Ich wünschte mir auch eine persönliche Stellungnahme von ihr, mit der sie Böhmermann in Schutz nimmt. Aber das wäre untypisch für sie. Eine solche persönliche und zugleich politische Haltung ist aber meines Erachtens zu trennen von Gesetz und Rechtsprechung. Letzterer hat die Regierung sich unterzuordnen. Mit gutem Grund.
      Ein wenig fürchte ich natürlich auch, dass Merkels Entscheidung zum Teil der momentanen Verquickung mit Türkei und Flüchtlingsfrage geschuldet ist. Ich wünsche mir, dass dem nicht so ist, aber das kann ich natürlich nicht beurteilen.
      Und ich hoffe wirklich auf eine weise und unserer Demokratie würdige .Gerichtsentscheidung

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  2. Alles sehr nachvollziehbar & verständlich dargestellt. Ich selbst habe kein Verständnis dafür, dass sich eine ganze Republik zwei Wochen lang in ein Hauptseminar in Jus verwandelt, obwohl dieses Land viele, viele Dinge, die wirklich das Leben der Menschen hier angeht, regeln müsste. Ist doch ein kleiner Nebenabsatz in einer Diskussion darüber, wie wir leben wollen und sollen...
    LG Astrid

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    1. Ich stimme dir zu, dass wir viele andere (und größere? Kommt auf die Perspektive der jeweils Betroffen an.) Probleme und Aufgaben zu bewältigen haben. Der Fall Böhmermann - Erdogan steht aber exemplarisch für unseren Umgang mit dem sehr hohen Gut der Meinungs- bzw. Kunstfreiheit. Deshalb finde ich ihn bedeutsam.
      Liebe Grüße zurück!

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  3. Merkel Freigabe war insofern unnötig da bereits diverse Anzeige gegen Böhmermann vorlagen und die Staatsanwaltschaft(en) bereits dran arbeiten.
    Merkel hätte nur darauf verweisen müssen und obendrauf die Abschaffung des Paragraphen 103 ankündigen müssen. Gemäß der Gewaltenteilung macht jeder was er so, fertig

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    1. Es ging ja um die spezielle Anzeige nach diesem Paragraphen, der im Moment eben noch nicht abgeschafft ist. Sich drum herumdrücken oder ihn schnell abschaffen, um nicht mehr nach ihm handeln zu müssen – so ein Verhalten zeichnet Regierungen aus, die sich über die Justiz stellen und einfach mal Gesetze oder gleich die Verfassung ändern, wie es ihnen in den Kram passt. Ich finde den Paragraphen auch blödsinnig, und nun soll er ja auch abgeschafft werden. Leider zu spät für Erdogans Anzeige, aber da müssen wir jetzt durch. Und wie gesagt: Ich hoffe auf ein gutes, beispielhaftes Urteil.

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