Montag, 28. September 2015

Schreiben ist ... (Antwort auf einen Text, der gar nicht fragt)

Einer, den/dessen Blog ich seit kurzem lese, schreibt:
„[...] Schreiben ist entweder das Mittel der Befreiung von gesellschaftlichen Fesseln, Konventionen und Zwängen, oder es ist nichts. Null und nichtig.“ (hier der ganze Artikel)
Und meine innere Antwort/Reaktion darauf? Ja! Was sonst? Ich meine, wie sonst sollte ich antworten/reagieren (mal ganz abgesehen davon, dass der Text ja gar keine Antwort will/fordert/braucht).

Ja!

Und nein. 

Denn ja, genau das (so vereinnahme ich die Worte, den einen stark behauptenden Satz) bedeutet mir mein Schreiben: Mittel zur Befreiung. Zur Befreiung von – schon da trenne ich mich von den Worten des anderen, denn ja, Fesseln sind es auch bei mir, von denen ich mich in einem langen und andauernden Prozess befreie, aber ob diese Fesseln aus dem gleichen Material sind? Darum geht es auch nicht. Und natürlich brauche ich, um dies über mich und mein Schreiben zu sagen, nicht die Worte, den starken Satz eines anderen, denn ich weiß das ja in mir, weiß es besser und richtiger, als es ein von außen drauf Schauender wissen oder auch nur ahnen kann, dass es genau so ist und stimmt, für mich. Ich brauche diese Worte nicht, die vertrauten des Fremden, brauche diesen starken Satz nicht, den ganzen kleinen großen Text nicht, der da aus fremder Feder kommt. Brauche ihn nicht, da er längst in mir ist. Okay, hin und wieder ein Spiegel zur Bestätigung: Ja, du bist noch da, Entfesslungswille, bist noch genauso wahr und stark da wie je, wirst bleiben, ja, das wirst du. Und ein Spiegel zur Erinnerung: Da sind noch Reste der Fesseln, lass nicht nach. Ja, dafür sind sie gut, diese fremden Worte, Sätze, Texte. Deshalb greife ich zu, nehme sie mir, verleibe sie mir ein, erlaube mir das, überhaupt: nichts als Erlaubnis, Selbsterlaubnis, entfesselte.

Und nein. Nein, nein, nein!, tobt es zugleich in dir, denn eine deiner Fesseln heißt „Ausschließlichkeit“, heißt „die eine Wahrheit“. Von der hast du dich zuerst befreit, als es soweit war, als du anfingst. Von der hast du dich befreit und willst es bleiben, in aller Konsequenz. Willst kein „entweder oder“ mehr, sondern nur noch das „sowohl als auch“, das „alles“, selbst im krassest scheinenden Widerspruch, ja, dann erst recht, weil dich das herausfordert wie ein unermesslicher Ozean. 
(Und warum wechsle ich jetzt eigentlich vom ich zum du? Immer wieder passiert mir das, erst im letzten Blogeintrag habe ich mich selbst darauf aufmerksam gemacht. Es muss etwas bedeuten, deshalb ändere ich es nicht, wie ich es kurz überlegt habe, das du im Nein-Abschnitt zum ich, wie es noch im Ja-Abschnitt steht. Nein, ich lasse es so, es ist relevant, denke ich mir, in irgendeiner mir noch nicht einleuchtenden Weise.) 
Nein auch deshalb, weil ich die anderen Beweggründe und Formen des Schreibens nicht so als null und nichtig abtun kann und will. Immerhin liebe ich Geschichten, Fiktion, halte das Erzählen, ob mündlich, schriftlich oder im Film oder ... für gesellschaftlich bedeutend, mag in gewissem Maße sogar den Schund (den ich nicht in Anführungszeichen setze, weil ich mir durchaus erlaube, hin und wieder, ein Urteil zu fällen über gewisse Literatur und sie Schund zu nennen und dann nicht zu sagen „Ich finde“ oder „Meiner Meinung nach“, sondern „Das ist“, ja, so, das erlaube ich mir hin und wieder, auch das ist Teil meiner Freiheit), mag also diesen Schund auch, weil er Teil des Ganzen ist, wichtig für die Beleuchtung und die Reibung, physikalisch ausgedrückt, wichtig für die Freiheit, die über meine eigene Freiheit, die keine wäre ohne die der anderen, hinausgeht.

Verzettele ich mich? Nein. Was ist das überhaupt für ein Wort: verzetteln? Darüber will ich jetzt nicht nachdenken. Nein, ich begebe mich hinein und lasse mich mitreißen, bewusst, und jetzt hangele ich mich wieder ans Ufer, schüttle mich, nehme meine Umgebung wahr, denke: ach, du hast ja noch ein paar Stündchen, bis du zur Arbeit musst, könntest bei diesem schönen Wetter doch ... dies und das und jenes ... alles ist möglich, hab mich schon für eins entschieden, jedenfalls hinaus, beschwingt, danke für den Text, den einen starken Satz, die Worte, danke für den Spiegel, der mich nicht meinte, in den ich trotzdem, ohne um Erlaubnis zu fragen!, einen Blick warf und dann sah, was wichtig ist, für mich, immer noch. Danke.

6 Kommentare:

  1. Wenn jede Provokation ein solches Ergebnis liefern könnte, käme ich nicht umhin, stets zu provozieren. Indem Sie sich nicht gemeint fühlten, sich also quasi selbst meinten, referiert Ihr Text, dreht Ursache und Wirkung um, verändert die Kausalitäten, so daß Ihr Text der erste Text sein könnte, der Text, den ich schrieb, um zu provozieren, um etwas ohne Vorstellung zu provozieren, die Folge.

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    1. Interessanter Gedanke, der sich ins Absurde (?) steigern ließe: Ein Text, der erst dadurch entsteht, dass ein zweiter Text auf ihn reagiert ...
      Das unter anderem ist es, was mir am Bloggen gefällt: die Impulse, die von allen Seiten unbeabsichtigt und ungezielt gestreut werden, die man aufnehmen, für sich verwenden, mit etwas aus sich verknüpfen und wieder ausstreuen kann.

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  2. Das, muß ich sagen, kenne ich so nicht, weiß aber um die Möglichkeiten dieser Einflüsse. Und in diesem Falle ist es ein Ergebnis, das mir sogar Freude bereitet.

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  3. Ich mag Herrn Perkampus nicht zustimmen. Seine Definition dessen, was Schreiben ist bzw. sein soll, ist eine Forderung, damit - schon wieder - eine Fesselung der künstlerischen Freiheit, ist aber auch eine Absage an Konvention und Tradition, die bestehen, zu Recht bestehen, die man brechen darf, manchmal soll - aber nur in genauer Kenntnis ebendieser -, nicht aber unbedingt muß. Für mich gilt, so laienhaft ich auch dabei sein mag : Schreiben ist ich. Und dieses Ich umfaßt meine Individualität wie auch das, was ich erlernte.

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    1. Das erinnert mich an eine Malerin, mit der ich mich am Sonntag unterhielt und die u.a. (ich versuche, es sinngemäß wiederzugeben) von den Techniken sprach, die sie erlernt hat und die ihr erst die Freiheit gaben, bestimmte Dinge aus der Vorstellung in ein Bild zu übertragen.
      Und ich muss an eine Ausstellung im Pariser Musée d'Orsay vor einigen Jahren denken, die Rodin und seine Schüler zum Thema hatte. Der Schwerpunkt lag darauf, wie weit es den Schülern möglich war, nach der Ausbildung bei einem absoluten Meister sich wieder von diesem zu lösen und ihren eigenen Stil zu finden. Das war unglaublich spannend und ist meines Erachtens sowieso das Spannendste in der Kunst wie im Leben, das Erlernte nicht als etwas Statisches wahrzunehmen, dem es sich anzupassen gilt, sondern es für die eigene Entwicklung (was für ein passendes Wort, wenn man es einmal physisch betrachtet!) zu nutzen, aktiv, bewusst; es als einen Rahmen (um eins der möglichen Bilder zu bemühen) zu betrachten, in den man sich einfügen kann, dessen Grenzen auszuloten sind, der aber auch gedehnt, verformt, überschritten, durchbrochen werden kann. Muss! Erst da beginnt ja das Eigene. Erst da beginnt das eigentliche Leben, würde ich behaupten.

      Aufs Schreiben bezogen: M. Perkampus' Text verstehe ich auch oder zuerst als Absage an einen Markt und an alle, die sich ihm fügen. Eine Absage an das Literaturgeschäft, die Konsumorientiertheit, die Bequemlichkeit der Leser, die endlose Produktion von Varianten des Immerselben, das fortwährende Stillen eines herangezüchteten Appetits, der uns den eigentlichen Hunger kaum noch wahrnehmen lässt. Das funktioniert auf LeserInnen- wie AutorInnenseite.

      Lustigerweise kann ich sowohl dir, lieber Jost, als auch M. Perkampus zustimmen, das bereitet mir keinerlei Probleme. Wie froh ich darüber bin.

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