Donnerstag, 19. Mai 2011

Ursula Ziebarth: Not only for getting better jobs, but for reflecting on Socrates.

"[...]
Ein besonders weltläufig sich gebender Mann wartete auf einem Symposion zur Bildungsforschung ungeniert mit der Feststellung auf:
"Nobody goes to University for reflecting on Socrates, but for getting better jobs", und weder wurde dieser halbweltläufige Unwissenschaftler wegen Verleumdung rausgeschmissen, noch raffte sich jemand auf, ihm zu widersprechen.
Ich widerschreibe ihm hiermit.
Denn wie kann ich dulden, dass ganzen Jahrgängen von Studenten unterstellt wird, einzig Aussicht auf lukrative Jobs habe sie bewogen, ein Studium aufzunehmen. Es gibt immer noch solche, die des Universums wegen auf die Universität gehen, die wissen wollen, warum und wer und wann und wie, die sich aus Büchern ein Weltbild zusammenlesen, zuhören, experimentieren, über Erkenntnisse noch in Aufregung geraten [...].
Das muss erhalten werden, die Lust am Wissen, der Spaß daran, sich Erscheinungen erklären zu können, der Wunsch, das Chaos täglicher Wahrnehmungen zu ordnen, sich umzuwenden nach den Vorlebenden, ihre Erkenntnisse zu prüfen, vom Wissen der Menschheit, von ihrem Können nichts in Verlust geraten zu lassen, an der Gegenwart zu rütteln, damit die Zukunft besser wird. [...]
Not only for getting better jobs, but for reflecting on Socrates.
[...]
Wir sind die einzigen Lebenden, die wissen, dass sie einmal nicht mehr sein werden, wie sie sind, ohne jedoch von der Möglichkeit anderen Seins Beweise oder auch nur eine einigermaßen konkrete Vorstellung zu haben.
Ein Kind, hörte ich, fragte seine Mutter erregt, ob es denn, wenn es plötzlich stürbe, etwa eingegraben würde wie ganz alte tote Leute, und es ließ sich nicht ein auf die Reden der Mutter vom langen Schlaf. Dringlich fragte es weiter:
"Auch der Kopf?"
Und immer angstvoller:
"Auch die Augen?"
Grund, Kindern die Kräfte zu lassen, die ihnen möglich machen, sich zu entfalten in der Spanne Zeit, die sie lebend anwesend sind auf dem Planeten terra, sich zu entfalten und Frieden zu halten mit den anderen Anwesenden, die nach dem Stande unseres Wissens auch nicht mehr haben als dieses eine Lebendigsein.
Denn eines Tages.
Auch der Kopf.
Auch die Augen."

entnommen der Geschichte "Pablito oder 'Dieses Kind hat sich nicht verderben lassen'"
aus: Ursula Ziebarth, Ein Kinderspiegel, Piper, München 1979
"Ein Buch der Freundschaft zu Kindern und, weil wir alle Kinder waren, ein Buch der Freundschaft zu den Menschen."
Leider ist dieser Schatz an Geschichten und Fotografien seit Jahren vergriffen.

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