Freitag, 6. Mai 2011

Unter der Eberesche

Unter der Eberesche ein tiefes quadratisches Loch. Darin Rosenblütenblätter. Unter diesen eine Urne. Darin deine Asche.
Zum Abschied spielen sie Konstantin Wecker, dein Lieblingslied, aus dem du so oft zitiert hast, dass wir es alle mitsingen können:

"Liebes Leben, fang mich ein,
halt mich an die Erde.
Kann doch, was ich bin, nur sein,
wenn ich es auch werde.

Gib mir Tränen, gib mir Mut,
und von allem mehr.
Mach mich böse, mach mich gut,
nur nie ungefähr.

Liebes Leben, abgemacht?
Darfst mir nicht verfliegen.
Hab noch soviel Mitternacht
sprachlos vor mir liegen."

Du wolltest gehen (oder nicht mehr bleiben) und hast dich niemandem erklärt.
Wir verstehen nicht und sprechen hilflos von Respekt und dass man niemals jemanden wirklich kennt. Dabei haben wir dein Bild vor Augen. Ein Film läuft ab und zeigt uns ungerührt auch das, was noch hätte sein können.

Wir trinken Wein zusammen und sprechen über Bücher, Politik, Kindererziehung, Sterbehilfe, Urlaubsziele. Wir organisieren Lesungen, Feste, Demonstrationen. Wir bewegen und verändern. Wir ruhen uns gemeinsam aus.

Ich weiß genau, wie du aussiehst, wenn du lachst, und wenn du dich ereiferst bei Themen, die dir auf der Seele brennen. Wie deine Hände sprechen und deine Augen. Ich war oft anderer Meinung, aber ich mochte dein kongruentes Verhalten.

Wir bauen einen Sandkasten mit den Kindern, machen Radtouren und Walderkundungen. Wir zeigen ihnen unsere Lieblingsfilme, lassen sie los und zahlen ihnen den Führerschein. Wir lieben sie und wollen das Beste für sie.

Dein Sohn steckt mitten im Abitur. Er kann nicht fassen, was du getan hast. Er ist traurig und zornig. Wir unterstützen ihn, aber der einzige wirkliche Trost liegt in der Zeit, die vergehen und heilen wird. So langsam wie nötig.
Wir umarmen einander wortlos und lang und fest. Wir sehen uns in die Augen. Wir verabschieden uns.
Du hast alle, die du liebtest, die dich liebten, unter der Eberesche zusammengebracht. Unsere Hände duften nach Rosen, und unsere Gesichter schmecken nach Meer.
Ich möchte glauben, mein Freund, dass wir uns wiedersehen.

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