Donnerstag, 30. Mai 2013
Abschied
Nahm sie ihren Abschied und heftete ihn dir an. Auf die blanke Haut und bis aufs Blut diesmal. Sollte er nicht wieder abfallen in den Staub ihr zu Füßen, dass sie sich bücken musste und dass in dieser endlos langen Bewegung hinab und wieder hinauf der Abschied schrumpelte wie ein geplatzter Ballon und ein Anheften nicht mehr möglich gewesen wäre. Hätte sie selbst nämlich genau wie der Abschied in dieser endlos langen Ab- und Aufwärtsbewegung alle Standhaftigkeit verloren, alle Sicherheit über ein Wahres an ihrem Tun. War das doch schon genau so geschehen. Einmal und wieder. Heftete sie dir den Abschied also diesmal tief ins Blut. Fiel er nicht mehr ab. Stand sie nun vor dir mit leeren Händen und standest du vor ihr mit einem tiefen Loch in der Haut, aus dem regnete in winzigen Tropfen dein Herz in den Staub. Bis du deinen eigenen Finger auf die Wunde legtest und sagtest 'Halt!' Galt dieses 'Halt' deinem Blut und ihrem Blick. Und gehörte dein Schmerz nur dir. Drehte sie sich endlich um. Gab es nichts mehr für sie zu tun als dich deinen eigenen Kräften zu überlassen. Und sich selbst dem Unwissen über dein Ergehen und einem freihändig neu anzulegenden Weg.
Dienstag, 28. Mai 2013
letzte Hürde
weiter
immer weiter
bis zur letzten
Hürde
dahinter der
alleraufrichtigste
Text
dessen
Erkennungsmerkmal
wird sein
dass er
ungeschrieben
bleibt
aber nicht
ungelebt
immer weiter
bis zur letzten
Hürde
dahinter der
alleraufrichtigste
Text
dessen
Erkennungsmerkmal
wird sein
dass er
ungeschrieben
bleibt
aber nicht
ungelebt
Montag, 27. Mai 2013
du hast einen Schmerz zugefügt
du hast einen Schmerz zugefügt
der hat deinen Schmerz
nicht gelöscht
aber übertönt
für einen Augenblick
das hat dir genügt
wie dir noch nie
in deinem ganzen Leben
etwas genügt hat
es hat dir so sehr genügt
für diesen einen
köstlichen Augenblick
dass du mehr wolltest
immer mehr
und jeder
ausnahmslos jeder
konnte dich verstehen
wollte dich dafür
bluten sehen
so ist das Drehen
der Welt
der hat deinen Schmerz
nicht gelöscht
aber übertönt
für einen Augenblick
das hat dir genügt
wie dir noch nie
in deinem ganzen Leben
etwas genügt hat
es hat dir so sehr genügt
für diesen einen
köstlichen Augenblick
dass du mehr wolltest
immer mehr
und jeder
ausnahmslos jeder
wollte dich dafür
bluten sehen
so ist das Drehen
der Welt
Sonntag, 26. Mai 2013
Schlafe, noch ein wenig (nach dem Traum 11)
So viele Welten bieten
sich meiner Unruhe an
keine von ihnen
ein Ort wie er unter
schlafenden Lidern
zu finden wäre
(langsam, ganz langsam beginne ich, ihren Schlaf zu begreifen)
Könnte ruhig schlafen da
wo ein Lied möglich wäre
mit unvermessener Stimme
und ohne eiserne Finger
um die Kehle
mein Lager soll sein
ein Aufbruchsort
eine Hand
hoch in der Luft
Abflugrampe
für Schiffe aller Art
(schlaf weiter, Nachtigall, schlafe, ich lerne von dir; mehr als von jedem prüfenden Blick, von jeder weisenden Hand)
Fast ist es als könne
er bald gehen
er der ein du war
für mich
aber noch
halte ich fest
halte ich den Fluss fest
in der Hand
und das weite Grün
(schlaf weiter, Nachtigall, schlafe, noch ein wenig)
sich meiner Unruhe an
keine von ihnen
ein Ort wie er unter
schlafenden Lidern
zu finden wäre
(langsam, ganz langsam beginne ich, ihren Schlaf zu begreifen)
Könnte ruhig schlafen da
wo ein Lied möglich wäre
mit unvermessener Stimme
und ohne eiserne Finger
um die Kehle
mein Lager soll sein
ein Aufbruchsort
eine Hand
hoch in der Luft
Abflugrampe
für Schiffe aller Art
(schlaf weiter, Nachtigall, schlafe, ich lerne von dir; mehr als von jedem prüfenden Blick, von jeder weisenden Hand)
Fast ist es als könne
er bald gehen
er der ein du war
für mich
aber noch
halte ich fest
halte ich den Fluss fest
in der Hand
und das weite Grün
(schlaf weiter, Nachtigall, schlafe, noch ein wenig)
*
Die ganze Geschichte hier: To Save a Nightingale
Freitag, 24. Mai 2013
"Sur les murs du mois de mai/ Auf den Mauern des Monats Mai"
Sowohl Sarah Kirsch als auch Georges Moustaki sind für mich mit einem ganz bestimmten Lebensgefühl verbunden. Darin herrscht Sommer, unentwegt. Oder zumindest der nie aufgegebene Versuch von Sommer.
*
Danke, Sarah Kirsch!
Raubvogel süß ist die Luft
So kreiste ich nie über Menschen und Bäumen
So stürz ich nicht noch einmal durch die Sonne
Und zieh was ich raubte ins Licht
Und flieg davon durch den Sommer!
(Sarah Kirsch)
*
Merci, Georges Moustaki!
LE Temps De Vivre
Nous prendrons le temps de vivre,
D'être libres, mon amour.
Sans projets et sans habitudes,
Nous pourrons rêver notre vie.
Viens, je suis là, je n'attends que toi.
Tout est possible, tout est permis.
Viens, écoute, les mots qui vibrent
Sur les murs du mois de mai.
Ils te disent la certitude
Que tout peut changer un jour.
Viens, je suis là, je n'attends que toi.
Tout est possible, tout est permis.
Nous prendrons le temps de vivre,
D'être libres, mon amour.
Sans projets et sans habitudes,
Nous pourrons rêver notre vie
(Georges Moustaki)
Sans projets et sans habitudes,
Nous pourrons rêver notre vie.
Viens, je suis là, je n'attends que toi.
Tout est possible, tout est permis.
Viens, écoute, les mots qui vibrent
Sur les murs du mois de mai.
Ils te disent la certitude
Que tout peut changer un jour.
Viens, je suis là, je n'attends que toi.
Tout est possible, tout est permis.
Nous prendrons le temps de vivre,
D'être libres, mon amour.
Sans projets et sans habitudes,
Nous pourrons rêver notre vie
(Georges Moustaki)
Zeit zum Leben
Wir werden uns Zeit zum Leben nehmen,
Frei zu sein, meine Liebe
Ohne Pläne und ohne Alltagsroutine
Werden wir unser Leben träumen können
Komm, ich bin da, ich warte nur auf Dich
Alles ist möglich, alles ist erlaubt
Komm, hör doch diese Worte, die vibrieren
Auf den Mauern des Monats Mai
Sie sprechen uns die Gewissheit zu,
Dass sich eines Tages alles ändern kann
Komm, ich bin da, ich warte nur auf Dich
Alles ist möglich, alles ist erlaubt
Wir werden uns Zeit zum Leben nehmen,
Frei zu sein, meine Liebe
Ohne Pläne und ohne Alltagsroutine
Werden wir unser Leben träumen können
*
Dienstag, 21. Mai 2013
Fadenlos
Sie halten es für offensichtlich und sprechen es deshalb laut aus, dass sie ihren Faden verloren habe. Ha, seht nur, sie hat den Faden verloren! Aber das ist falsch. Denn offensichtlich und also richtig ist lediglich, dass sie keinen Faden mehr besitzt, aber nicht, wie er ihr abhanden kam. Wobei auch der Ausdruck des Abhandenkommens in eine falsche Richtung weist, denn vielleicht kam er ja nicht abhanden - durch verlieren oder vergessen oder genommen werden -, sondern vielleicht steckte ja eine Absicht dahinter, ihre Absicht. Und ja, nun will sie die Ironie beiseite lassen und frei heraus sagen, wie es ist: Sie hat ihren Faden genommen, ihn in den Wind gehalten und losgelassen. Einfach so. Mit voller Absicht. Weg war er, und sie hat nicht einmal darauf geachtet, in welche Himmelsrichtung der Wind gerade wehte. Und sie weiß nicht, kann es ja nicht wissen!, woher denn auch?, ob sie jemals wieder zueinander kommen werden, ihr Faden und sie. Ach, und überhaupt: Braucht sie doch nur in die Luft zu greifen und einen der lose flatternden Fäden zu fassen. Muss es doch gar nicht dieser eine spezielle sein. Nie je hat sie sich freier gefühlt als nach dem Loslassen des Fadens. Ja, so etwas gibt es, Sie dürfen Ihre Münder nun wieder schließen und sich Ihren alltäglichen Verrichtungen widmen, bis die nächste offensichtliche Danebenheit in Ihrer Umgebung passiert. [Und das leise Ziepen in ihrer Mitte, von dem sie nicht weiß, ob es vom Verheilen einer Wunde oder vom Durchbruch eines neuen Fadens stammt, blendet sie, solange die Offensichtlichkeitsdeuter sie noch umzingeln, einfach mal aus.]
Montag, 20. Mai 2013
Überaus zarte Funken
Sie trug ihr schönstes Kleid und war auch sonst zufälligerweise in bester Verfassung an dem Tag, als sie sich trafen. Nicht verabredet trafen, sondern vielmehr über den Weg liefen und irgendwie nicht aneinander vorbeikamen. Nicht wegen räumlicher Enge, sondern weil sich etwas verhakt hatte. Etwas von ihr mit etwas von ihm. Da standen sie nun und wussten erstmal nicht weiter. Vor Verlegenheit und Erstaunen. Und weil sie beide nicht zu den Schnellen gehörten, die immer gleich wussten, was wie zu lösen war. Ihre Verhakung war jedenfalls nicht so leicht zu lösen. Nicht für sie beide, die sie zu den Langsameren gehörten.
Jemand stellte ihnen Tisch und Stühle hin, ein anderer brachte Tee und Gebäck, später sorgte einer für Lampenschein. Da hatten sie bereits die ersten Worte gewechselt. Sie hielt nun seinen Namen in der Hand, hatte ihm im Gegenzug den ihren gereicht. Dass man sie beobachtete, schien sie nicht weiter zu stören. Sie drehten und wendeten die ihnen anvertrauten fremden Namen in den Händen. Keins stand dem anderen in Sanftheit und Achtsamkeit nach.
Als die Musik zu spielen begann, forderte er sie zum Tanz auf. Oder sie ihn? So klar wusste es hinterher niemand mehr zu sagen. Vielleicht hatten sie sich einfach in stummem Einverständnis zugleich von ihren Stühlen erhoben, waren aufeinander zu und in einen Tanz hinein geglitten. Sie tanzten die ganze Nacht hindurch, und was weiter geschah, kann niemand bezeugen, da sich die Menge, an schleunigere Entwicklungen gewöhnt, inzwischen zerstreut hatte.
Später, viel später begegneten sie sich wieder. Und wieder waren sie nicht verabredet, sondern liefen sich zufällig über den Weg und kamen nicht aneinander vorbei. Sie trug ein gewöhnliches Kleid und war auch sonst in nur mäßiger Verfassung. Er runzelte die Brauen, sie wurde es gewahr und strich sich mit einer linkischen Bewegung das Haar aus der Stirn, er lächelte schief, sie verhaspelte sich beim Versuch, seinen Namen zu nennen.
Niemand stellte ihnen Tisch und Stühle hin, keiner brachte Tee und Gebäck. Es dämmerte. Die Nacht brach herein. Sie standen immer noch beieinander und verstanden nicht. Jedenfalls nicht so schnell, wie sie es diesmal gewünscht hätten.
Dennoch gaben sie nicht auf, und als sich die Dunkelheit vollends um sie gesenkt hatte, überließen sie alles weitere ihren Fingerspitzen. Sie tasteten die ganze Nacht hindurch, und was weiter geschah, kann niemand bezeugen, da sich die Menge schon viele Stunden zuvor zerstreut hatte, verwöhnt durch Spektakuläres, das dieses Paar hier so ganz und gar nicht zu bieten hatte.
Und so nahm auch niemand außer den beiden die überaus zarten Funken wahr, die nach und nach ihren Fingerspitzen entsprangen.
Jemand stellte ihnen Tisch und Stühle hin, ein anderer brachte Tee und Gebäck, später sorgte einer für Lampenschein. Da hatten sie bereits die ersten Worte gewechselt. Sie hielt nun seinen Namen in der Hand, hatte ihm im Gegenzug den ihren gereicht. Dass man sie beobachtete, schien sie nicht weiter zu stören. Sie drehten und wendeten die ihnen anvertrauten fremden Namen in den Händen. Keins stand dem anderen in Sanftheit und Achtsamkeit nach.
Als die Musik zu spielen begann, forderte er sie zum Tanz auf. Oder sie ihn? So klar wusste es hinterher niemand mehr zu sagen. Vielleicht hatten sie sich einfach in stummem Einverständnis zugleich von ihren Stühlen erhoben, waren aufeinander zu und in einen Tanz hinein geglitten. Sie tanzten die ganze Nacht hindurch, und was weiter geschah, kann niemand bezeugen, da sich die Menge, an schleunigere Entwicklungen gewöhnt, inzwischen zerstreut hatte.
Später, viel später begegneten sie sich wieder. Und wieder waren sie nicht verabredet, sondern liefen sich zufällig über den Weg und kamen nicht aneinander vorbei. Sie trug ein gewöhnliches Kleid und war auch sonst in nur mäßiger Verfassung. Er runzelte die Brauen, sie wurde es gewahr und strich sich mit einer linkischen Bewegung das Haar aus der Stirn, er lächelte schief, sie verhaspelte sich beim Versuch, seinen Namen zu nennen.
Niemand stellte ihnen Tisch und Stühle hin, keiner brachte Tee und Gebäck. Es dämmerte. Die Nacht brach herein. Sie standen immer noch beieinander und verstanden nicht. Jedenfalls nicht so schnell, wie sie es diesmal gewünscht hätten.
Dennoch gaben sie nicht auf, und als sich die Dunkelheit vollends um sie gesenkt hatte, überließen sie alles weitere ihren Fingerspitzen. Sie tasteten die ganze Nacht hindurch, und was weiter geschah, kann niemand bezeugen, da sich die Menge schon viele Stunden zuvor zerstreut hatte, verwöhnt durch Spektakuläres, das dieses Paar hier so ganz und gar nicht zu bieten hatte.
Und so nahm auch niemand außer den beiden die überaus zarten Funken wahr, die nach und nach ihren Fingerspitzen entsprangen.
Sonntag, 19. Mai 2013
Kiruna oder: Regenwetter gleich (Krimi-)Lesewetter
"Dass ein Hund so schreien kann! Noch nie hat Samuel Johansson solche Laute von einem Hund gehört.
Da steht er in seiner Küche und schmiert sich ein Butterbrot. Sein Elchhund ist an einer Laufleine draußen im Hof angebunden. Ringsum Ruhe und Frieden.
Dann fängt der Hund an zu bellen. Anfangs scharf und aufgeregt.
Was bellt er da an? Jedenfalls kein Eichhörnchen. Das für Eichhörnchen reservierte Gebell kennt Samuel. Ein Elch? Nein, das Elchsgebell ist dumpfer und gleichmäßiger.
Dann passiert etwas. Der Hund schreit. Jault, als hätten sich die Tore der Hölle aufgetan. Bei diesem Jaulen läuft es Samuel Johansson eiskalt den Rücken hinunter.
Und dann ist plötzlich alles still."
So fängt der neue Krimi von Åsa Larsson an, der fünfte um die junge Staatsanwältin Rebecka Martinsson. Diesem Anfang folgt eine Bärenjagd und der Fund menschlicher Knochen im Magen des erlegten und ausgeweideten Bären. Erst später wird dieser Fund mit dem eigentlichen Kriminalfall in Zusammenhang gebracht werden.
Larssons jüngstes Buch trägt den Titel "Denn die Gier wird euch verderben". Ein Titel, der mich abgeschreckt hätte, wären mir nicht bereits die Autorin und ihre vier Vorgängerkrimis bekannt. Ich mag keine Titel, die mit Und, Denn oder Aber beginnen. Im Original lautet er "Till offer åt Molok", was ich mit "Dem Moloch zu opfern" übersetze (Schwedischkenner mögen mich korrigieren).
Rebecka Martinsson stammt wie ihre Autorin aus Kiruna, der nördlichsten Stadt Schwedens. Im Juni/ Juli scheint hier 50 Tage lang die Mitternachtssonne, im Dezember herrscht 20 Tage lang Polarnacht. Die Stadt liegt zwischen zwei Erzbergen und enstand ab Ende des achtzehnten Jahrhunderts als Siedlung um eins der weltweit größten Eisenbergwerke. Was ich deshalb erwähne, weil es, wie sich im Lauf der Lektüre herausstellt, wesentlich mit der Geschichte zu tun hat.
Rebecka Martinsson hat in Stockholm Jura studiert und Anstellung in einer renommierten Anwaltskanzlei gefunden. Im ersten Krimi Larssons reist sie nach Kiruna, um dort die Ermittlung in einem Mordfall zu leiten, in einem der späteren Bände keht sie ganz zurück in ihre Heimat.
Hier ist sie nun mit ihrem inzwischen fünften Mordfall konfrontiert. Wie immer ermittelt sie im Verbund mit der Kriminalkommissarin Anna-Maria Mella. Diese hat Familie, vier Kinder, ein turbulentes Privatleben und eine Vollzeitstelle. Übrigens ein tolles Frauengespann, diese beiden!
Zum aktuellen Fall: Eine Frau namens Sol-Brit wird in der Nähe Kirunas grausam ermordet. Des Nachts im Schlaf in ihrem Bett mit einer Heugabel erstochen.
Mit im Haus lebt Sol-Brits Enkel, der siebenjährige Markus. Als man die Leiche entdeckt, ist Markus verschwunden, wird aber bald schon völlig verängstigt in einem Waldversteck gefunden. Es dauert geraume Zeit und bedarf einer Spezialistin für die Befragung von Kindern, bis auch nur ansatzweise ein paar verwertbare Hinweise aus ihm herauszukriegen sind. Schnell ist allerdings klar, dass auch sein Leben bedroht ist. Anschläge werden auf ihn verübt; der Polizeibeamte Krister nimmt ihn in seine Obhut.
Überhaupt scheint Sol-Brits gesamte Familie seit Generationen vom Unglück verfolgt. Sowohl ihr Sohn, als auch ihr Mann und die Großmutter kamen gewaltsam zu Tode, teils durch bis heute ungeklärte Unfälle, teils - wie die Großmutter - erwiesenermaßen durch Mord.
Was ist da los in dieser Familie?
Sol-Brits Großmutter Elina Pettersson arbeitete als junge Lehrerin im gerade aufsteigenden Kiruna und war durch eine tragische Liebe mit dem damaligen Bergwerksdirektor Hjalmar Lundbohm verbunden.
Diese Geschichte bildet den zweiten Erzählstrang. Kiruna im Jahre 1914. Die Schönheit der Landschaft, die Länge des Winters, die Härte der Bergweksarbeit, die Unnachgiebigkeit der hierarchischen Gesellschaftsordnung, der aufkommende Reichtum und die damit erwachende Gier. Eine alles verderbende Gier, die dem Buch seinen Titel gibt und sich als das wesentliches Motiv in diesem, in seinen Wurzeln weit zurückreichenden Kriminalfall herauskristallisiert.
Mit viel Liebe beschreibt Åsa Larsson die Landschaft, das spezielle Lebensgefühl damals wie heute in dieser so kalten Gegend. Neben aller Spannung, neben aller akribischen und aufreibenden Ermittlungsarbeit, der Gewalt, den irreführenden Spuren gibt es viele atmosphärisch schöne Szenen: Die Bärenjagd vom Anfang (ja, auch diese ist, trotz der Grausamkeit, schön in ihrer Beschreibung), ein Saunabesuch, Schnapsbrennerei, Fischfang, spontane gemeinsame Mahlzeiten aus Rentierstreifen, Moltebeeren und anderen regionaltypischen Gerichten ...
Die persönlichen Beziehungen spielen natürlich eine Rolle, private wie dienstliche. Nicht nur die tragische Liebesgeschichte im Kiruna um 1914, auch eine ganz anrührende zarte Annäherung zwischen Rebecka und Krister, dem Polizeibeamten. Und es gibt einen fiesen Staatsanwalt mit heftiger Profilneurose, der Rebecka den Fall streitig machen will.
Darüberhinaus ist der Roman von zahlreichen Hunden bevölkert, oder vielmehr Hundepersönlichkeiten. Diese werden von Larsson so liebevoll gezeichnet, dass sogar ich, die ich eigentlich keine Hunde mag, am liebsten mit jedem einzelnen aus diesem Buch befreundet wäre.
Es fehlt nicht an sprachlicher Würze, den Protagonisten wird so einiges zugemutet, nicht zuletzt versucht Åsa Larsson auch in diesem wie schon in den vier Vorgängerbänden, ihre Ermittlerin Rebecka Martinsson umzubringen. Oh, oh ... Aber mehr wird nicht verraten.
*
"Ich stolperte und fiel. Das Buch riss sich los und lief in den Wald. Dank euch allen, die ihr mir auf die Füße geholfen habt, ihr wisst, wen ich meine. Eine Zeit lang glaubte ich, es werde nie mehr zurückkommen. Aber dann kam es doch, das geliebte Scheißbuch."
So beginnt Åsa Larsson die Dankesworte am Ende ihres jüngsten Krimis.
Und zum Glück kam er! Kam es, das "Scheißbuch". Es brauchte länger als die vier Vorgängerromane um die junge Anwältin Rebecka Martinsson, aber es kam schließlich doch, und wir dürfen froh darüber sein.
Und aus dem Nachwort:
"Ich lese ein wenig über den Moloch. Der scheint ein Gott zu sein, der Reichtum, gute Ernten und Kriegsglück schenken kann. Aber welcher Gott versprach denn nicht genau das? Es wurden auch Kinder geopfert. Es gab hohle Molochstatuen aus Kupfer. Sie hatten Arme, die vieles umfassen konnten. In der Statue wurde ein Feuer angezündet, so dass sie glühend heiß wurde. Dann wurde dem Moloch ein lebendes Kind in die Arme gelegt.
Daran habe ich gedacht, als ich dieses Buch geschrieben habe. An das Opfern von Kindern, für den Fortschritt, für weltliche Ehre."
*
Hier, auf ihrer deutschsprachigen Website finden sich alle wichtigen Informationen zu Åsa Larsson und ihren Krimis.
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