Mittwoch, 22. Oktober 2014

in ihrem Traum

ein zum Platzen reifer Kuss liegt auf ihren Lippen. er pflückt ihn, beiläufig, achtlos. der Moment zerspratzt in metallischen Geschmack.
siehst du nicht, was du anrichtest?, möchte sie fragen. 
da hat er bereits den letzten Milliliter Luft aus ihren Lungen herausgesaugt.
ihre Brust fällt ein. seine schwere Hand nistet in der Kuhle, leer, die Beute hat er selbst verzehrt, so ungeheuer gierig. das Kind, noch ungeboren, wird verhungern. 
sie hält den Blick über ihren Tod hinaus, viel länger als er. das bringt ihn um den Verstand. 
ich sehe!, möchte er rufen, eine letzte verzweifelte Intervention. zu spät. seine Zunge zerfällt zu Staub, der bedeckt ihren rosenblättrigen Mund. 
wie gern würde er jetzt aufwachen. aber sie entlässt ihn einfach nicht aus ihrem Traum. 

so stellt es sich dar. und das kann vieles bedeuten, wie sie und er und das ungeborene Kind und der Tod und das Publikum wissen. 
und so nicken sie weise: die Klugen. die Abgeklärten. die so Sicheren. meint: die Bedauernswerten, Erbarmungswürdigen, Unterworfenen. allesamt.

4 Kommentare:

  1. Erbarmungsloser Heftigtraum.
    Vorstellbar als Bühnenbild, hypermodern, kalt,
    strotzend vor Ungeborgensein in der Welt.

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    1. Heftig, allerdings.
      Wie ein Bühnenbild, ja, oder noch eher wie ein Tableau Vivant, so kommt es mir vor, deshalb auch der Gedanke an ein Publikum.

      Irgendwie treibt mich dauernd das Bedürfnis an, die selbstgefällige Deutungssicherheit der gelehrten Besserwisser und Alleserklärer zu erschüttern. Was mir mit meinen bescheidenen Beiträgen wohl kaum gelingen dürfte. Aber immerhin verschaffe ich mir jedesmal ein wenig Luft. :-)

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  2. Toller Traum in kraftvolle Worte gefasst.
    Ich glaubte immer das Wort "zerspratzen" gebe es nur in meienr Sprachwelt, aber sihe da, Du verwendest es auch. Ich sehe ihn förmlich vor mir, den saftigen Kuss, bzw. dieses Moment, wie er zerspratzt.

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    1. Zu meiner alltäglichen Sprachwelt gehört das Wort auch nicht, ich kenne auch niemanden, der es regelmäßig benutzt. Da muss man vielleicht mit Geologen zu tun haben? Ich finde es auch nicht wirklich "schön", aber in diesem Fall drückte es als einziges aus, was ich wollte: das Zerbersten, die Hitze, die dabei entsteht, wie flüssige Lava, etwas Naturgewaltiges eben. :-)
      Danke für deinen Kommentar!

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