Freitag, 9. Mai 2014

Besuch von Fremden

Er nennt die Dinge beim Namen und sagt, was Sache ist. So einfach. Jeder glaubt ihm aufs Wort. 
Sie hatte sich lange angelehnt an diese stabile Art der Gewissheit. Bis sie eines Morgens Besuch bekam. 

Ein leises Klopfen an der Tür. Sie öffnete zögernd, erwartete sie doch niemanden. Da standen ein paar der Dinge, die er so selbstverständlich beim Namen nannte. 
Dürfen wir uns vorstellen, fragten sie höflich. 
Kommt herein, sagte sie, ich kenne euch ja längst. 
Aber dann benahmen sie sich doch ganz unerwartet. Wurden ihr fremder mit jeder Minute, die verstrich. Ihr war unbehaglich zumute. Schließlich überwand sie sich: Ich hatte, ehrlich gesagt, eine ziemlich abweichende Vorstellung von euch. Tut mir leid. 
Die Dinge kicherten: Macht nichts, daran sind wir gewöhnt, geht uns eigentlich jedesmal so. 
Sie schlugen ein Spiel vor, das sie Stummes Schauen nannten. Jeder durfte sich frei in Haus und Garten bewegen und Beliebiges verrichten. Alle würden einander beobachten. Ohne Argwohn, mit unverhohlener Neugier. Nach einer festgesetzten Zeit würde man wieder zusammenkommen und die vorläufigen Ergebnisse austauschen. Dann ging es in die nächste Runde. Beendet war das Spiel mit dem Level Stummes Staunen. Wenn die alten Namen weggewischt und die neuen noch nicht erfunden waren. Wenn alle um ihren Gewinn wussten.

Sie hatten viel Spaß miteinander. 
Am Abend, nachdem die Dinge sich verbschiedet hatten - Bis zum nächsten Mal! Ja, gerne schon bald! - spürte sie ein neuartiges Glück. Ob es sich halten lassen würde gegen seine Art der festen Reden? Eins wusste sie mit Bestimmtheit: Da war viel mehr weiße Fläche als gedacht. Und es gab keinen Grund, sich davor zu fürchten.

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