Samstag, 8. Juni 2013

Das Losbinden (nach dem Traum 13)

- Warum haben wir sie eigentlich festgebunden? (fragst du)
- Um zu verhindern, dass sie davonfliegt, sobald sie aufgewacht ist. (erwidere ich)
- Warum soll sie nicht davonfliegen dürfen?
- Sie kennt die Freiheit doch gar nicht. Wer weiß, ob sie alleine zurecht käme.
- Ist das der Grund? Dass wir sie schützen wollen?
- Du vermutest etwas anderes dahinter?

[Tut es etwas zur Sache, wer welchen Part in diesem Dialog übernimmt? Könnten die Rollen nicht ebenso gut vertauscht sein? Hier findet ein Gespräch statt, in dem zwei etwas miteinander zu ergründen versuchen. Vielleicht wäre dies sogar in Form eines Selbstgesprächs möglich. In jedem Falle bedarf es eines Gesprächs.]

- Vielleicht wollen wir sie einfach bei uns behalten.
- Was wäre falsch daran? Schließlich lieben wir sie.
- Vielleicht bliebe sie ja freiwillig.
- Das können wir nicht wissen.
- Wir können es herausfinden.
- Wie?
- Indem wir sie losbinden.

[Sie bemühen sich aufrichtig. Sie blicken ihren Sehnsüchten und Ängsten ins Auge. Sie möchten das Richtige tun. Sie fürchten sich vor Verlust. Sie können frei entscheiden, und sind nahe daran zu erkennen, dass nur eine ihrer möglichen Entscheidungen mit Freiheit zu tun hat.]

- Wir werden nicht mehr ruhig schlafen können.
- Wir könnten es als Übung betrachten.
- Eine Übung in Loslassen? In Mut? In Vertrauen?
- Eine Übung in Liebe.
- ...
- ...

[Sie weinen ein wenig. Aber nicht aus Sentimentalität, nein, es gehört einfach als Lebensäußerung dazu und hat nichts Verzweifeltes. Sie wissen es ja: Die Liebe erweist sich im Freilassen. Sie wissen das auch ohne Konfuzius, von dem sie noch nie etwas gehört haben.] 

- Lass uns noch eine Nacht darüber schlafen.
- Lass es uns lieber jetzt gleich tun.
- Warum so eilig?
- Weil wir längst wissen, dass es das Richtige ist.

[Nun ist es an uns, die Luft anzuhalten - - -]

*

Vor zwei Stunden haben wir unsere (unsere?) Nachtigall losgebunden. Davor haben wir sie noch einmal umgebettet und ihr ein wenig Wasser eingeflößt. Sie schläft nach wie vor und atmet ganz ruhig. Wir hingegen sind jetzt sehr aufgeregt.

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