Donnerstag, 26. Juli 2012

Entblätterung

Was tue ich hier in meinem Blog? Und warum?
Einschließlich der Umkehrfragen: Was tue ich nicht? Und warum nicht?
Ich habe mir mein eigenes Zimmer geschaffen, will aber keine Wände und nenne es deshalb Garten. Schränke mich dennoch ein. Wirklich?
Nein, es wächst ja und dehnt sich, zieht sich zurück, zerfällt, erblüht neu, anders, variiert, schöpft aus sich selbst sowie aus Angrenzendem und Eindringendem.
Ich stehe auch auf der anderen Seite des Garten(zaun)s und beobachte mein Tun und Lassen, ermahne mich zu größtmöglicher Freiheit. Mach es Dir nicht zu bequem in der Schublade, in die Du (vielleicht?) gesteckt wurdest!

Was ich in den letzten Wochen gefunden habe: 
- Über Sammelmappe bei Journelle: Nachdenken darüber und Definitionsversuche dessen, was ein Blog ist/ sein kann.
Meine Gedanken dazu: Mein Blog ist mein Zimmer, mein Garten. Ganz und gar meins. Es bedarf darüber hinaus keiner Definition. Mein Blog ist weder Literatur noch Tagebuch noch Themenblog und ist zugleich alles davon. Es ist nicht nötig, eine Kategorisierung vorzunehmen. Mein Blog ist MEIN Zimmer und MEIN Garten. Hier wohne, schalte und walte ich. Herzlich willkommen!
- Bei Melusine in verschiedenen Beiträgen, z.B. hier und hier und hier: Nachdenken über den Blick, das Sehen, das Schauen, das Zurschaustellen, das Zeigen und Verbergen, über den (ab)wertenden Blick, den Schlüsse ziehenden, ausschließenden, machtergreifenden Blick, über den sich selbst reduzierenden Blick.
Meine Gedanken/ Fragen dazu (im Anriss): Was schaue ich mir an, was fällt mir ins Auge, wann sehe ich weg? Was von mir zeige, verberge ich? Welchen Einfluss nehme ich aus welchen Gründen auf meinen Blick? An welcher Stelle trifft meine Freiheit des Hinschauens und Betrachtens auf die Freiheit des Angeschauten und Betrachteten? Was geschieht an dieser Stelle, diesem Berührungspunkt und warum, wozu und wie?
- An verschiedenen Stellen (die ich nicht nennen muss, sie sind vielfältig und bekannt): Nachdenken über Beschneidung aus verschiedenen Perspektiven, Prägungen und Haltungen. Fragen, Erfahrungsberichte, Argumente, Polemik, Ratlosigkeit, Wünsche. Hygienisch-medizinische, religiöse und ethisch-moralische Aspekte.
Einige meiner Gedanken (in Ansätzen) dazu: Was bedeutet Religionsfreiheit und für wen gilt sie? 
[Grundgesetz, Artikel 4: "(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet."
Ist hier eine Gruppe/ eine religiöse Gemeinschaft gemeint? Betrifft es nicht vielmehr die einzelne Person, also auch das Kind? Ist nicht auch dessen Religions- und Glaubensfreiheit zu schützen, was zunächst einmal heißen könnte: die Freiheit VON Religion und Glauben? Bedarf es doch eines gewissen Alters und einer gewissen Reife, um diesbezüglich eine freie Entscheidung treffen zu können. Darf dieser Artikel 4 so ausgelegt werden, dass er über Artikel 2 steht?
["(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden."]
Warum muss auf die Schnelle ein Gesetz zur Regelung geschaffen werden? Wäre es nicht sinnvoller, das Gespräch unter Beteiligung von Vertretern ALLER betroffenen Seiten zu suchen, auch über einen längeren, evtl. schlussoffenen Zeitraum (was ja nicht Ziellosigkeit bedeuten muss)? Ist nicht denkbar, dass aus dem Aushalten dieses Spannungsfeldes eine Lösung erwachsen kann, die momentan noch niemand kennt und voraussehen kann?

Warum reiße ich hier so grundverschiedene Themen an? Warum vertiefe ich sie nicht in getrennten Artikeln? Glauben Sie mir: Ich vertiefe sie, nur tue ich dies nicht immer (gleich) öffentlich, da gestatte ich mir eine Verlangsamung gegen den Trend und streue nur hier und da, wo es mir ein Bedürfnis ist oder sinnvoll erscheint, einen Satz, einen Kommentar, einen Beitrag gleich welcher Art.
Was ist diesen Themen denn gemeinsam? Es ist der Wunsch nach/die Liebe zur Freiheit (Hier beneide ich Antje Schrupp, deren von mir geschätztes Blog Aus Liebe zur Freiheit heißt, weshalb dieser Name als Untertitel, wie ich ihn manchmal gerne hätte, nicht mehr zur Verfügung steht, aber was soll's, 'Blütenblätter' pur ist auch schön und passt auch.)
Die Liebe zur Freiheit, dieses Thema zieht sich durch mein Blog und wird wieder und wieder variiert, nicht immer auf den ersten Blick erkennbar (auch für mich nicht), aber dennoch zentral. Darüberhinaus bin ich der tiefen Überzeugung, dass sowieso alles mit allem zusammenhängt und das Nachdenken über einen Gegenstand netzartig andere Gegenstände mit einbezieht, letztlich ist alles miteinander verknüpft.
Dass ich schreibe, geschieht aus einem Bedürfnis nach Befreiung, von und zu. Wer hier regelmäßig liest, erkennt das vielleicht. Dass ich öffentlich schreibe, hat ebenfalls damit zu tun, es kostete mich anfangs große Überwindung, es ist wie eine langsame Entblätterung, ein bedachtsames Überwinden falscher Scham. Ich lasse mir Zeit damit, fordere mich aber auch selbst heraus. Und ich rechtfertige mich nicht. (Wenn Ihr wüsstet, was ich schon alles gelernt habe!)

Mein Blog ist also mein Zimmer und mein Garten. Ein Zuhause. Ein Freiraum, dessen Möglichkeiten ich mir nach und nach erschließe und über deren Unerschöpflichkeit ich mich gar nicht zu Ende freuen kann. Ich wohne unglaublich gerne hier. Und ich freue mich über Besuch.

4 Kommentare:

  1. Liebe Iris,

    das ist ein sehr schöner, nachdenklicher und zum Nachdenken anregender Beitrag. Es stimmt: Alles ist mit allem verbunden - verwirrt und verwirrend - und das Wichtigste ist vielleicht: an kein Ende zu kommen, nicht "fertig" zu werden, dem eigenen "roten" Faden folgen durch dieses Labyrinth. Schön ist auch das "Garten"-Bild.

    Gefreut habe ich mich sehr über deine Überlegungen zum so viel diskutierten Thema "Religiös begründete Beschneidung von kleinen Jungen". Auch ich habe sehr viel darüber gelesen - aber mich nicht getraut etwas dazu zu schreiben. Deine Überlegungen leuchten mir völlig ein und auch ich wünschte, dass Thema könnte ohne diesen ganzen Hass und die wechselseitigen Unterstellungen (Antisemitismus, Islamophobie - Fanatismus, archaische Bräuche, Kindesmissbrauch) diskutiert werden. Heute war im Deutschlandradio wieder ein sehr hasserfüllter (meinem Empfinden nach) Beitrag dazu, der den Kritikern der Beschneidung pauschal Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit vorwarf, aber von atheistischer Seite habe ich genauso abstoßende und diskriminierende Beiträge gelesen. Sonderbarer Weise (oder eben auch nicht ;-) ) sind es die "religiösen Themen", die ich selbst im Netz als die mich am stärksten verletzenden empfinde. Ich habe bisher nur zweimal weinen müssen, wegen "Diskussionen" oder "Disputen" in meinem Blog - beide Male ging es um Religion. Das sagt mir was - vor allem über mich (etwas, was mir gar nicht behagt), aber auch etwas über "die Gesellschaft".

    Ganz herzliche Grüße und vielen Dank für diesen Beitrag
    M.

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    1. Liebe Melusine,

      das finde ich auch wichtig: an kein Ende kommen, es könnte ja sowieso nur ein vorschnell selbst gesetztes sein, mit dem man sich weitere Wege verschließt. Ich glaube wirklich, dass es immer mindestens eine Möglichkeit mehr gibt, als wir gerade zu erkennen in der Lage sind.
      Mit den religiösen Themen geht es mir wie Dir: sie reizen mich stets, treffen mich meist aber auch tief, ich kann einfach nicht 'darüber stehen'. Es hat soviel mit Macht und deren Missbrauch zu tun, und mit einer Vermischung von Begriffen, einer fälschlichen Gleichsetzung von Gott und Kirche usw. Es macht uns betroffen, weil es uns zutiefst betrifft, denke ich. Und das Fanatische stößt mich auch auf allen Seiten ab, schwierig, da nicht manchmal selbst mit fanatischer Abwehr zu reagieren. Ich hoffe sehr, dass die Dialogbereiten 'siegen' werden.

      Liebe Grüße,
      Iris

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  2. Was für ein schöner Beitrag, der nahezu alles in Worte fasst, worüber ich mir seit ich blogge, Gedanken mache. Und das Bild vom Garten ist m.M. nach ein vortreffliches, weil es mit einbezieht, dass einiges verblühen muss, damit anderes entstehen kann, dass es Zeiten gibt, in denen es eher karg aussieht, damit neue Kräfte gesammelt werden können und andere, in denen es aus allen Ecken und Enden sprießt.

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    1. Danke, liebe Mützenfalterin.
      Ja, der Garten ist nach wie vor das Bild, das mir am meisten zusagt, einfach wegen der Vielfalt, wie Du sie auch beschreibst, den Möglichkeiten zu gestalten oder wuchern zu lassen. Es verdeutlicht für mich auch, dass die Gedanken, Worte, Geschichten ... nicht nur AUS mir, sondern auch ZU mir kommen und dass Schreiben ein Geben und Nehmen ist.
      Ich freue mich schon drauf, wenn es auch bei Dir wieder sprießt. :-)
      Liebe Grüße, Iris

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