Samstag, 21. April 2012

Ohne Macht

Da stehen sie am Kai und tun gelassen, stehen ganz hinten und drängeln nicht. Sie wollen sowieso nicht mit aufs Boot. Nein, denn Menschenmengen sind ihnen zuwider. Sie sind da nun mal anders.
Sie betrachten dieses Schauspiel nur. Aus irgendeinem Interesse, das sie noch auf ausreichende Distanziertheit überprüfen müssen. Da gehen sie gerne auf Nummer sicher. Aber wenn sie soweit sind, werden sie es hinausposaunen und exakt den Ton treffen. Schlagartig wird dann die Menge verstummen und ihnen die Köpfe zudrehen. 
Auf diesen Moment der geballten Aufmerksamkeit müssen sie sich noch vorbereiten. Denn wenn die Gasse gebildet wird, um ihnen den Vortritt zu gewähren auf das Boot, sollen ihre Schritte sicher sein, und das Zittern ihrer Hände unter Kontrolle. Der Schweiß auf ihren Stirnen soll getrocknet sein und ihr Blick zum Standhalten in der Lage. Niemand soll ihnen auch nur ein Fünkchen einer Angewiesenheit ansehen, die sie sich selbst nie und nimmer eingestehen würden. 
Sie werden über den Steg schreiten, ohne zu wanken, und werden sich respektvoll grüßen lassen, bevor sie vom Deck herab ihren Blick über die Köpfe gleiten lassen, um schließlich mit einer Handbewegung das Weiteratmen zu befehlen ...
Aber ihre Phantasie ist nicht stark genug, um ihre Füße aus der Verwurzelung zu lösen. Immer noch stehen sie dort, ein leises Grauen beschleicht sie angesichts ihrer eigenen Gedanken. Und so belassen sie es bei ihrer Ohnmacht. 
Ein Halt wäre gut.

6 Kommentare:

  1. Vielleicht ist auch die Ohnmacht ein Halt? Nicht nur etwas, das zurückhält, sondern Halt gibt? Keinen guten Halt, keinen der einen handeln lässt, aber eine Grundlage, auf der sich etwas entwickeln kann. Ich denke gerade viel über Macht, Ohnmacht und all die Verschränkungen von beiden nach. Was ist der Unterschied zwischen Machtausübung und Grenzsetzung? Welche Macht übt man aus, wenn man sich mit der eigenen Ohnmacht abfindet? Das sind Fragen, die zu groß für meinen beschränkten Verstand sind und mich doch nicht loslassen. Vielleicht bin ich wie diese beiden, die auf dem Steg stehen und sich nicht aus ihrer Verwurzelung reißen können.

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    1. Das Gefühl oder das tatsächliche Erleben (was sicher nicht immer voneinander zu unterscheiden ist) von Ohnmacht kann zu ohnmächtiger Wut führen und weiter zu Aggressionen, ausgelebt gegen sich selbst und/oder andere.
      Es kann aber auch zu Empathie führen, wenn man bereit oder in der Lage ist, von einer narzisstischen Sicht auf eine vernetzte umzusteigen und davon auszugehen, dass wir als Angehörige ein und derselben Spezies mit dem Tod als einziger Garantie im Leben ähnliche Ängste und Einschränkungen erleben. Aus dieser Empathie oder auch aus reiner (humanistischer?) Vernunft kann der Wunsch/Entschluss erwachsen, auf Macht zu verzichten, nicht als passive Duldung, sondern als aktive Handlung.
      Ich habe einen Traum ... Warum sich nicht ein bisschen Mühe geben?
      Danke fürs Teilen Deiner Gedanken!

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  2. Ich verstehe, im Loslassen der eigenen Ohnmacht, gewinnt man die Macht im Einklang mit den eigenen Bedürfnissen und Überzeugungen zu handeln. Verantwortlich statt mächtig.
    Danke für die Antwort.

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    1. Verantwortlich statt mächtig, das bringt es auf den Punkt.
      Und manchmal braucht man jemanden.
      Ebenfalls danke!

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