Samstag, 1. Oktober 2011

Antonia S. Byatt: Das Buch der Kinder

"ANFÄNGE

[...]
Die Kinder mischten sich unter die Erwachsenen und sprachen mit ihnen. Die Kinder dieser Familien gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts waren anders als die Kinder vor und nach dieser Epoche. Sie waren weder Puppen noch kleine Erwachsene. Sie wurden nicht in Kinderstuben versteckt, sondern waren bei den Familienmahlzeiten anwesend, und ihre sich herausbildende Persönlichkeit wurde ernst genommen und ernsthaft erörtert, beim Abendessen und während langer Spaziergänge. Zugleich lebten die Kinder in dieser Welt ihr eigenes, weitgehend unabhängiges Leben als Kinder. Sie streiften durch Wälder und Wiesen, bauten sich Verstecke, erkletterten Bäume, jagten, fischten, ritten Ponys und fuhren Fahrrad, und alles ohne andere Gesellschaft als die anderer Kinder.
[...]
Die meisten Eltern dieser Glückskinder hatten selbst keine so glückliche Kindheit gehabt. Wenn sie sich selbst überlassen worden waren, dann weil sie vernachlässigt wurden oder für ihr späteres Leben abgehärtet werden sollten, nicht etwa weil Freiheit gut für sie war.
Die Freiheit sowohl der Eltern als auch der Kinder verdankte sich in vielerlei Hinsicht der gewissenhaften Arbeit von Dienstboten und selbstlosen Tanten, die in steiferen Zeiten altjüngferliche Schwestern gewesen wären. 
Die Wellwoods machten den Eindruck, eine dieser umgänglichen und einnehmend komplizierten Familien zu sein."

aus: Antonia S. Byatt, Das Buch der Kinder, Roman Fischer 2011, aus dem Englischen übersetzt von der großartigen Melanie Walz

Hier eine Rezension, die mir - so skeptisch ich im Allgemeinen Rezensionen gegenüberstehe - sehr zusagt, denn sie stimmt mit meiner Lesart des Buches überein, ist also garantiert subjektiv ausgewählt, genau wie es sein soll.
Wiebke Hüster: Wie die gerechtere, bessere Welt verging

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen