Die Alte sitzt still auf der Bank. Das Kind neben ihr baumelt mit den Beinen und gestikuliert, während es von seinem Tag als Indianer erzählt. Beide werden von der Nachmittagssonne beschienen, die durch kleine Lücken im Blätterdach der Kastanie fällt.
"Und dann haben sie mir die Kugel mit einem glühenden Messer aus der Schulter geholt. Ohne Betäubung. Ich hab einfach auf ein Stück Holz gebissen. Danach hat der Medizinmann eine Salbe aus Blättern auf der Wunde verrieben. Sie ist schon wieder zugeheilt."
"Nicht zu fassen!" Die Alte schüttelt den Kopf. "Was du alles aushältst. Ich kann es kaum glauben."
"Stimmt aber, guck doch!", ruft das Kind und schiebt das T-Shirt von der Schulter.
Die Alte inspiziert gründlich die Einschussstelle. "Tatsächlich, nichts mehr zu sehen außer einem kleinen Rest Salbe." Sie wischt ein paar grüne Fasern von der völlig verheilten Haut. "Ein wahres Wunder."
Beide versinken in Gedanken, beide blicken zurück. Die eine auf ein Leben, das andere auf den Tag.
"Weißt du", beginnt die Alte nach einer Weile, "eine Zeit lang hatte ich ebenfalls die Angewohnheit, auf Holz zu beißen, um den Schmerz auszuhalten."
"Du?", fragt das Kind. Es kann sich die Großmutter nicht als Indianerin vorstellen.
"Ja, ich. Erinnerst du dich an den Tag, als dein Großvater starb? Da fing ich damit an. Du kennst doch unseren Küchentisch."
"Na klar, den Schrumpftisch. Witzig, dass der immer kleiner wird."
"Als dein Großvater tot war, habe ich damit angefangen, in den Tisch zu beißen. Dann tat es nicht so weh."
"Was tat dir denn weh? Warst du krank?"
"Mein Herz tat mir weh vor lauter Vermissen, vor lauter Sehnsucht und Traurigkeit."
Das Kind schluckt, es erinnert sich. Auch ihm tat damals das Herz weh, aber nicht so sehr, dass es auf Holz hätte beißen müssen. Es rückt näher an die Alte heran.
"Immer, wenn der Schmerz kam, habe ich zugebissen. Mein Kiefer wurde ganz stark. So stark, dass ich eines Tages ein Stück vom Tisch abgebissen habe. Darüber musste ich lachen. Ich habe damit weiter gemacht, rundherum um den ganzen Tisch. Dadurch ist er nach und nach geschrumpft." Sie lächelt dem Kind zu, das verstehend nickt.
"Wie gesagt, mein Kiefer wurde immer stärker, aber die Zähne hat es mich letztlich gekostet." Sie ruckelt an ihrem Gebiss. Das Kind schüttelt sich.
"Beißt du denn immer noch Stücke heraus?"
"Nein, mit den falschen Zähnen geht das nicht mehr. Und es hat auch nicht wirklich geholfen. Darauf wollte ich hinaus. Weißt du, der Schmerz ließ zwar für den Moment nach. Aber er ist damit nicht verschwunden, er ist nur vom Herz in den Bauch gerutscht und ist dort mit der Zeit zu einem feurigen Klumpen geworden."
"Brennt es da drin?" Das Kind legt vorsichtig eine Hand auf den Bauch der Alten.
"Ja, dort brennt es. Deshalb gehe ich bald ins Krankenhaus. Da wird man mir den Klumpen herausholen. Allerdings mit Betäubung." Sie zwinkert dem Kind zu.
"Aber du musstest doch in den Tisch beißen, du hattest ja keine Betäubung gegen dein Vermissen."
"Nein, die hatte ich nicht. Aber ich hätte weinen und schreien können, das wäre heilsamer gewesen."
Das Kind verzieht das Gesicht. Niemals würde ein Indianer weinen und schreien. Andererseits: So ein Feuerklumpen im Bauch ...
Das Leben als Indianer war gefährlich. Zum Beispiel heute, da wurde er von einer Kugel aus dem Gewehr des Feindes getroffen. Zum Glück nur in die Schulter. Die anderen hatten ihn durchs Dickicht zurück ins Lager gezerrt. Hätten sie ihn nicht sofort operiert, hätte er bestimmt den Arm verloren, vielleicht sogar sein Leben.
Das Kind liebt die Großmutter. Sie ist so alt, und trotzdem weiß sie nach ihrem langen Leben nicht das, was es bereits nach einem einzigen Tag weiß.
Es legt seine kleine Hand auf ihre schrumplige: "Ich werde dich beschützen. Großes Indianerehrenwort!"
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