Montag, 28. Dezember 2015

Statt eines Jahresrückblicks:

Tauchen
tief
unter dem Netz durch
bis zum [eigenen] Grund


***


Ich war/bin weit weg, innerlich („Ich äußere mich nicht nur, ich innere mich auch“), fahre heute zudem in meine internetfreie Zone (Elsass, you know) und komme erst im neugeborenen Jahr 2016 zurück. Es gab hier diesmal keinen Jahresrückblick. Vielleicht bringe ich demnächst einen Ausblick zustande. Vielleicht aber auch nicht. Vorsätze? Keine außer diesem: immer weiter zu gehen, in Bewegung zu bleiben ... Ich könnte mich jetzt festschreiben, aber die Tasche ist gepackt, das Auto getankt. Los geht‘s! Ich wünsche Euch das Beste. Von Herzen. À bientôt!

Ach und nun trotzdem noch, weil es irgendwie Tradition ist:

Don‘t be afraid!


Freitag, 25. Dezember 2015

Tattoo

Am Morgen stellt sie fest, dass es nicht die geringste Veränderung in der Wohnung gibt. Nicht eine Spur. Kein Hinweis auf nächtliche Besucher. Aber sie waren doch da? Sie müssen da gewesen sein. Das letzte Mal liegt bereits sieben Wochen zurück. 
Oh ja! Beim Blick in den Badezimmerspiegel entdeckt sie das neue Tattoo. Damit sind es nun fünf: eine Wolke unter der linken und ein Stern unter der rechten Fußsohle, ein Pfeil an der Innenseite des linken Handgelenks, eine Maus unter der linken Brust und, ganz neu, ein winzigkleiner Vogel. Sein Schnabel ist geöffnet, das Köpfchen angehoben, als wolle er singen. Er sitzt mitten in der zarten Grube am Hals, zwischen den Schlüsselbeinen. Jugulum, denkt sie. Drosselgrube. Eine empfindliche Stelle. Darunter wohnen Atem und Lied. 
Sie spürt es nie, wenn die Besucher sie mit ihren Werkzeugen bearbeiten. Kein einziges Mal ist sie währenddessen aufgewacht, weiß nicht, ob die Tätowierer mit der Hand arbeiten oder Maschinen benutzen. Jedenfalls sind die Tattoos perfekt und die Stellen, an denen sie sitzen, sind unverletzbar. Das hat sie herausgefunden, als sie das erste Tattoo, auf dessen Entdeckung sie noch völlig panisch reagierte, erst abzuwaschen versuchte und es, als das nicht funktionierte, mit immer härteren Methoden bearbeitete, von denen keine wirksam war, nicht einmal das Messer. Nicht den geringsten Kratzer oder auch nur eine minimale Hautreizung hinterließen ihre Bemühungen, die Wolke unter ihrer Fußsohle zu entfernen. Sie fand sich schließlich damit ab, entdeckte sogar einen Vorteil in dieser partiellen Unverletzlichkeit. 
Die darauffolgenden Tattoos erschreckten sie bei weitem nicht mehr so wie das erste. Irgendwann freute sie sich darüber, wartete gespannt auf das nächste, ließ ihre Tür bei Tag und Nacht unverschlossen, um den Tätowieren den Zugang zu erleichtern. Sie kamen immer des Nachts, das war gut so. 
Das ist gut so, denkt sie und betastet sanft das Federkleid des kleinen Vogels. Fast meint sie, den zarten Flaum unter ihren Fingern zu spüren. Und sogar ein leise pochendes Herz? 
Was bin ich für meine nächtlichen Besucher?, fragt sie sich. Wer bin ich? (Für sie?)

Montag, 14. Dezember 2015

Freude

Noch vier mal schlafen, dann fahre ich für drei Tage zur Freundin in die Schweiz. Meine jährliche kleine Auszeit inmitten des trubeligen Bücherweihnachtsgeschäfts.

Noch sechs mal schlafen, dann kommt meine Tochter für zwei Wochen aus dem fernen Liverpool nach Hause.



Ach, mein Herz ist manchmal eine schneeweiche kerzenlichtwarme Kitschgrube im allerpositivsten Sinn.


Das musste mal eben geteilt werden. Für mehr reicht meine Zeit gerade nicht. Vielleicht schaffe ich „zwischen den Tagen“ noch einen Jahresrückblick.

Habt es schön!

Mittwoch, 9. Dezember 2015

SCHREIB FÜR FREIHEIT: DER AMNESTY-BRIEFMARATHON 2015

[...] Der Briefmarathon findet jedes Jahr rund um den "Internationalen Tag der Menschenrechte" im Dezember statt und ist mittlerweile die größte internationale Amnesty-Aktion: Im vergangenen Jahr 2014 schrieben Menschen aus fast allen Ländern der Erde mehr als drei Millionen Briefe [...]. *

[...] Das gemeinsame Briefeschreiben zeigt die Kraft der Amnesty-Bewegung: An wenigen Tagen konzentrieren sich Menschen auf der ganzen Welt auf das Schicksal Einzelner. Die unzähligen Briefe zeigen den Betroffenen und ihren Familien, dass sie nicht allein sind. Und sie machen Regierungen Druck: Einen einzelnen Brief können die Behörden ungelesen wegwerfen, aber Tausende von Schreiben, die auf die Einhaltung der Menschenrechte pochen, lassen sich nicht ignorieren! [...] *


Eine der Menschen, für die sich Amnesty in diesem Jahr einsetzt, ist Yecenia Armenta, eine Folterüberlebende aus Mexiko. 
Sie wurde wurde 2012 festgenommen, vergewaltigt und unter Folter gezwungen, eine Straftat zu gestehen, die sie nicht begangen hat. Seitdem sitzt sie in Haft. Am 10. Juli 2015 hat sie einen Brief an Amnesty geschrieben, den man hier nachlesen kann. *

* Quelle: ai

Die Briefaktion zeigt Wirkung. Man kann sich auf verschiedene Weisen beteiligen: durch das Versenden eines vorformulierten Online-Appells, was mit ein paar Klicks und dem Eintragen von Namen und e-mail-Adresse erledigt ist. Oder man druckt die vorformulierten Briefe aus und versendet sie per Post. 
Hier geht‘s zur Aktion.

Samstag, 5. Dezember 2015

Bilder im Kopf (vom Erleben zum Text und wieder zurück)

die Bilder im Kopf
der Korrektor im Kopf
der Text im Kopf

die Tage am See, der Blick aufs Wasser, der warme Wind auf der nassen Haut

du kannst nichts mehr lesen, ohne dass dir automatisch Grammatik- und Rechtschreibfehler auffallen, ohne missglückte Formulierungen in Gedanken zu verbessern

wir bleiben, bis die Sonne untergegangen ist, die Ameisen machen sich über die Baguettekrümel her, den letzten Schluck Wein trinken wir direkt aus der Flasche, den Kopf weit in den Nacken gelegt, die  ersten Sterne schon im Blick

früher hast du Bücher verschlungen wie ein hungriges Tier seine Beute, heute bedeutet jeder Text Arbeit, der geschriebene wie der gelesene, bedeutet Arbeit und damit eine ganz eigene Befriedigung, die du nicht mehr missen willst

wir waren so jung, die Kinder noch klein, wir liebten uns fraglos, damals, fühlten uns sicher, ein Ende war nicht abzusehen, so dehnbar war das Jetzt


du lebst so sehr in Text und Schrift, siehst alles Erlebte unmittelbar in Worte gefasst, perfekt formuliert, es legt sich übereinander, verwischt, fast stellt sich dir die Frage – ironisch – Was war zuerst da: Der Text oder das Erleben?

ich hatte nie  eine Kamera dabei, meine alte Voigtländer, die ich zum zwölften Geburtstag bekam, war irgendwann in der Tiefe eines Umzugskartons verschwunden und nie wieder aufgetaucht, ich wollte nicht auf Bildern festhalten, sondern unmittelbar erleben und schauen, ohne störendes Objektiv zwischen mir und den Dingen; die Tage am See, der unverstellte Blick, die vollkommene Anwesenheit im Moment, der warme Wind, den ich im Hautgedächtnis speicherte, nicht im Kopf, dort gedanklich ausformuliert, später vielleicht sogar zu Papier gebracht, nein ... er ist noch da, der warme Wind, ebenso das Gefühl, das er erzeugte, es ist jederzeit abrufbar, nicht sicht- oder lesbar, sondern spürbar

du liebst das Wort und das Spiel mit der Sprache, es ist fast so etwas wie dein Zuhause, du hast dich darin eingerichtet, deine Leidenschaft sogar zum Beruf gemacht, bist umgeben von bedrucktem Papier, von Bildschirmlettern, von Text, Text und Text, von unzähligen schwarzen Buchstaben auf weißem Grund

die Farben, das Licht, die sanfte Geräuschkulisse, das Ineinanderfließen der Eindrücke, das Zurücklehnen mit geschlossenen Augen, der so unfassbar weite Moment, kein Grund, ihn zu fliehen, bietet er doch soviel Raum

du wirst dich nicht vom Text verabschieden können, das weißt du, er ist deine zweite Welt und dies schon von deiner Kindheit an, als du dir mit fünf Jahren selbst das Lesen beibrachtest, dann das Schreiben und seitdem ... Bücherfluchten, sie retteten dich auch, erlösten dich für heilsame Stunden von einer unerträglichen Realität, danach hast du nie mehr herausgefunden, rettest dich immer noch in geschriebene Welten, schreibst selbst an deiner, Rettung auch das, und merkst du, wie es sich jetzt vermischt? wie du vom See und vom reinen Erleben zum Wort kommst wie es untrennbar geworden ist nicht mehr kategorisierbar oder doch? du wünschst es, manchmal, wünschst dir manchmal die Zeiten zurück, die du in Erinnerung als glückliche abgespeichert hast, die buchstabenlosen, wortbefreiten, wünschst sie dir wegen ihrer Unmittelbarkeit zurück, wegen ihrer Vollkommenheit, nichts fehlte, und so frei von jeglichem Bedürfnis des Festhaltens warst du, allein das ist dir Beweis genug ....


Schreiben und schreiben, dem Papier auf, der Haut ein, alles Text, nichts als Text

Manchmal aber auch: Bilder

.....

Freitag, 4. Dezember 2015

Mein Zimmer

In den vergangenen Tagen habe ich das alte Zimmer meiner Tochter zu meinem Zimmer gemacht. Ich hatte längst ihre Erlaubnis, brauchte aber eine Weile, um auch diese Phase des Abschieds in Angriff zu nehmen. Jetzt endlich war es soweit. Kisten packen, hinauf ins Dachzimmer tragen, putzen, Möbel umstellen, abbauen, wieder aufbauen, meine überall im Haus verteilten Sachen zusammentragen, entscheiden, was bleibt, was weg kann, was wo hinkommt.


Ich hatte zunächst überlegt, die paar Löcher in den Wänden zu verspachteln und anschließend alles neu zu streichen. Stattdessen habe ich aus einer spontanen Laune heraus Pflaster drauf geklebt, einen langen Riss mit roter Ölpastellkreide nachgemalt und „Die Wände bluten zurück“ mit Bleistift daneben geschrieben. 
Die Gedichtbände und Musikerbiografien stehen ordentlich nebeneinander aufgereiht, dazu noch ein paar schöne, besonders geliebte Bücher, z.B. Alice, der Ausstellungskatalog der Joan Mitchell-Retrospektive liegt da, aktuelles Inspirationsobjekt, darüber hängt das Ausstellungsposter, die Rolling Stone-Ausgaben sind chronologisch gestapelt, ein paar Muscheln (alle aus der Bretagne), eine Mosaikschale, meine alte Briefwaage, ein paar Romane auf dem Nachttisch („Phantasien“ von Jason Starr, „Die Gestirne“ von Eleanor Catton, „Die gelbe Tapete“ von Charlotte Perkins Gilman), der Essayband „Wenn Männer mir die Welt erklären“ von Rebecca Solnit, das Gedichtbändchen „Dezember“ aus dem Reclam Verlag ...
Mein Bett, Kissen und Decken, mein Schreibtisch, darauf Stifte und Papier, Malblock und Farben, mein Laptop ...
Ich brauche gar nicht viel (oder: das Wenige ist mir viel).
Ordnung – Schönheit – Inspiration. Ich stand vor der Wahl, entschied mich für alle drei. Nichts ist fertig, alles ist Ausgangspunkt, Freiraum ...  Ich liebe mein neues Zimmer, es ist so – so – meins.

Meine Tochter hatte mit Bleistift auf die Tapete neben dem Türrahmen (so dass jedesmal beim Verlassen des Zimmers ihr Blick darauf fiel) geschrieben: „You‘ll never get what you want unless you take it.“ Das bleibt, ich hab‘s noch rot eingerahmt.

Samstag, 28. November 2015

Sehnsuchtsorte (plus etwas zwischen zwei Klammern)

Berlin: weil da die Freunde sind

Liverpool: weil da die Tochter ist

Bretagne: weil da weder Heim- noch Fernweh ist


(muss das wirklich raus?, das mit den Orten und meiner Sehnsucht?, alles muss raus!, ins Netz, als wäre das kein Widerspruch, vom Inneren ins Äußere schreiben, erzählen, von mir, Adressat unbekannt, was nur noch auf manche zutrifft, warum ich das tue?, ich weiß es nicht, es gibt etwas, das mich antreibt, mich nach außen zu stülpen in einem langen Prozess, wenn ich an die Anfänge denke, als ich noch so vorsichtig war, mit der tiefen Angst vor Vereinnahmung, vor der hüte ich mich immer noch, fürchte sie aber nicht mehr, auch das ein Verdienst meines schrittweisen mich Äußerns, Entäußerns?, des Freilegens der Schichten, ich tu das für mich, das Publikum dient mir zur Selbstüberprüfung, halte ich stand?, auch im Scheitern?, auch im Zweifel?, auch im Irrtum?, dass mein Blog mein Zimmer ist, mein Garten, in dem es wild zugeht, unsortiert, sprunghaft, manchmal still, manchmal laut, zögernd, immer wieder metamäßig, ja, seufz, auch das, aber warum seufz?, ist doch wichtig!, mir, also nochmals: dieser Raum, dieser Garten: allein mein, ganz allein mein, das ist das Wesentliche, hat zur Heilung beigetragen, der allmählichen, unabgeschlossenen, mich zu üben in Mut, in Öffnung und Verweigerung, auszuhalten, dass nichts hier besonders oder gar vollkommen ist, manches oder vieles ist nicht einmal gut, bin ja selbst mein schärfster Kritiker, werde meinem eigenen Anspruch nicht gerecht, nur ganz ganz selten, darüber nicht zu verzweifeln, nicht das Handtuch zu werfen, auch das ist seelenmuskelfestigend, mein Schreiben nicht vom Ergebnis her zu denken, sondern mich dem Prozess zu überlassen, wenigstens da weiß ich, dass es gut ist, wie es ist und zwar haargenau so wie es ist, mich zu verzetteln, mir zu erlauben, was auch immer ..., zum Beispiel zu mäandern, abzuschweifen, Um- und Nebenwege einzuschlagen, oder gar keine Wege, jedenfalls keine vorgezeichneten oder sich abzeichnenden, sondern querfeldein, abwegig, ja, geht, geht alles, ist ja meins, hm, worüber schrieb ich doch gleich? ... Sehnsuchtsorte, unerreichbar momentan, stattdessen schlendere ich durch meinen Garten, ziehe mich zurück in meinen Blograum, mache eine kleine Notiz, füge das Eigentliche zwischen zwei Klammern an, oder sind doch die Orte das Eigentliche?, macht das einen Unterschied? ...)

Freitag, 27. November 2015

„Stay in bed and grow your hair“ (weiteres Nachdenken über den Frieden)

Sonja kommentierte unter meinem gestrigen Post, ihr erster Gedanke beim Lesen sei der an John und Yoko gewesen. Ja! Darauf war ich gar nicht gekommen. Ein Bed-in!

John Lennons „Give Peace a Chance“ entstand während seines und Yoko Onos zweiten Bed-ins, diesmal im Queen Elizabeth Hotel in Montreal, das vom 26. Mai bis zum 2. Juni 1969 dauerte. 

„Die Begründung für ihre Aktion war, dass Demonstrationen die Öffentlichkeit zunehmend gleichgültig ließen und man die Menschen über ein Bed-In auf anderem Wege auf Probleme aufmerksam machen könne. Mit ihrer Botschaft "Sex für den Frieden" wollten Lennon und Ono humorvoll für Frieden werben. Ihr Statement sollte nicht so ernst wirken wie das von Martin Luther King oder Gandhi. Die traurige Ironie bei ihrer Entscheidung bestand jedoch darin, dass sie meinten, nur ernste Friedensaktivisten wie King und Gandhi würden erschossen.“ 
Der Song bezieht sich an vielen Stellen auf die Besucher während dieser Zeit, auch auf Menschen, die die beiden gerne als Besucher gehabt hätten, und auf Themen, die besprochen wurden.  (Quelle: Songlexikon der Unis Freiburg und Düsseldorf)






Everybody's talking about
Bagism, Shagism, Dragism, Madism
Ragism, Tagism, this-ism, that-ism
Ism ism ism

All we are saying is give peace a chance
All we are saying is give peace a chance

Everybody's talkin' 'bout ministers, sinisters
Banisters and canisters, bishops and fishops
Rabbis and pop eyes, bye bye, bye byes

All we are saying, is give peace a chance
All we are saying, is give peace a chance

Let me tell you now
Everybody's talking about, revolution
Evolution, masturbation, flagellation
Regulation, integrations, meditations
United Nations, congratulations

All we are saying is give peace a chance
All we are saying is give peace a chance

Everybody's talking about, John and Yoko
Timmy Leary, Rosemary, Tommy smothers
Bobby Dylan, Tommy Cooper, Derek Taylor
Norman Mailer, Alan Ginsberg, Hare Krishna, Hare Hare Krishna

All we are saying is give peace a chance
All we are saying is give peace a chance
All we are saying is give peace a chance
All we are saying is give peace a chance
All we are saying is give peace a chance...

John Lennon wurde erschossen. Von Frieden sind wir weit entfernt. Waren die Bed-ins also umsonst? Was ist mit anderen Pazifisten wie Gandhi und Martin Luther King, waren ihre Aktionen umsonst oder vergeblich, weil sie erschossen wurden?

Ist Frieden das Ziel oder der Weg? Ist er die Haltung, mit der wir den Weg beschreiten?

Welche Antwort kann es beispielsweise auf eine Erschütterung des Vertrauens geben, auf gewalttätige Angriffe von innen wie von außen, die zuerst Gefühle des Ausgeliefertseins und der Ohnmacht hervorrufen, im Anschluss Wut und den Wunsch nach Rache, später und etwas heruntergekühlt dann das Ziel, (wieder) „Herr der Lage“ zu werden (was bedeutet das eigentlich?).

Die Bundeswehr steht nach ihren Engagements im Kosovo und in Afghanistan vor dem dritten Kampfeinsatz in ihrer Geschichte. Gestern wurde bekanntgegeben, dass Aufklärungsflugzeuge vom Typ Tornado zur Unterstützung Frankreichs bei den Luftschlägen gegen die Terrormiliz IS geschickt werden sollen. (Quelle: tagesschau.de)
Ist Gewalt die einzige Option?

In den Tagen nach den Anschlägen in Paris wurde auch wieder Jens Stoltenberg zitiert, der norwegische Ministerpräsident, der in seiner Rede beim Trauergottesdienst für die Opfer der Breivik-Attentate unter anderem folgende Sätze sagte, die zugleich die Essenz seiner Rede darstellen:


"Noch sind wir geschockt, aber wir werden unsere Werte nicht aufgeben. Unsere Antwort lautet: mehr Demokratie, mehr Offenheit, mehr Menschlichkeit."


Wie lässt sich eine solche Antwort voller Überzeugung formulieren und dann auch leben? 

Ich möchte nicht aufhören, darüber nachzudenken.



***


Was Jens Stoltenberg sagte, erinnert mich auch an einen Song von Oasis:„Don‘Look Back in Anger“Darin beziehen sie sich unter anderem auf die Bed-ins von John Lennon und Yoko Ono, und zwar mit folgendem Satz, der angeblich ein Zitat Lennons während eines Bed-ins darstellt:
„I'm gonna start a revolution from my bed / 'Cause you said the brains I had went to my head "
Ich mag dieses Lied, man kann es – wie „Give Peace a Chance“  – wunderbar laut und friedlich mitsingen, deshalb:



Donnerstag, 26. November 2015

Einmal wohnten wir eine Ewigkeit lang ...

Einmal wohnten wir eine Ewigkeit lang zwischen den Laken, verließen sie nur hin und wieder für die nötigsten Verrichtungen. Der Sommer (Es war doch Sommer?) wehte durchs offene Fenster herein, nachts besuchten uns allerlei märchenhafte Wesen. Ich höre noch immer ihr zärtliches Raunen. Wir waren eingehüllt in Salz und Seide. Tag und Nacht wechselten sich ab, ohne dass die Zeit verging. Das tat sie erst wieder, nachdem wir in einen kleinen Streit geraten waren. Du wolltest unseren Rausch unterbrechen, um ... Ja, warum eigentlich? Ich weiß es nicht mehr. Ich sagte noch, tu‘s nicht, aber da tickte die Uhr bereits. Wir wachten auf aus etwas, das kein Schlaf gewesen war und auch kein Traum, wachten für immer daraus auf.
Ich erzähle dir das, weil du dich nicht mehr daran erinnern willst, weil du sagst, du seist in der Realität angekommen und wollest dort bleiben. Dein für immer schmerzt. Ich weiß nicht, irgendwie spüre ich noch den Nachtwind und die seidigen Laken, spüre auch deine Hand noch und wie sanft und fordernd sie war. Ganz anders als die Hand, die eben versehentlich meinen Arm streifte, als du an mir vorüber in dein Zimmer gingst.

Mittwoch, 25. November 2015

Schritte ins Jetzt (Fragment)

Der unbezwingbare Wunsch – manchmal – nirgends zu sein. Und da dann ganz. Wellen schlagen dir eine Richtung vor. (Du kannst ja schwimmen, deshalb gibt es Optionen.) Der Wind? An den lehnst du dich, stark wie er. Wer braucht da noch einen Fels? Erzähl ihnen von der Balance auf beweglichem Grund. Erzähl ihnen vom Vertrauen in alles, das weit ist. Überhaupt: Weite (und kein Punkt dahinter) Wäre da eine Hand, die nach deiner greift, sie müsste folgendes wissen: Es gibt keinen vorgezeichneten Weg, nur einzelne Schritte ins Jetzt.

Dienstag, 24. November 2015

Champagner und Rosen (Gewissensfragen)

Auf der Suche nach einer angemessenen Reaktion nicht die eine, sondern viele mögliche finden. Alle haben ihre Berechtigung, möchte ich glauben, die leisen wie die lauten, die intellektuellen, die pragmatischen, die naiven, die unsicheren, die kleinen und großen, die langsamen und die – hm, die schnellen auch?, die fast überstürzt scheinenden? Nicht alles last sich nachträglich korrigieren, also vielleicht doch etwas mehr Bedacht bei Reaktionen mit endgültiger Wirkung? Fragen, Fragen, Fragen ...
Derweil:

Champagner!



Titelbild der Ausgabe vom 18. November 2015


und Rosen!



Du hebst den Stein
Ich pflücke die Rose
Du holst weit aus
Ich strecke den Arm
Du wirfst den Stein
Ich reiche die Rose
Du triffst mich nicht
Aber ich treffe dich


Ein fast sechs Jahre altes Gedicht, das mir irgendwann wegen seiner Naivität ein wenig peinlich wurde. Trotzdem frage ich mich manchmal ... und gerade jetzt wieder ... und weiß, dass sich in der Realität kaum ein Steinewerfer von einer Rose überzeugen lassen würde. Aber gesetzt den Fall, mir stünde nichts anderes als eine Rose zur Verfügung ... Nicht auszudenken? Vielleicht aber doch weiterzudenken ... nicht von einem Sieg her – oder höchstens vom Sieg über sich selbst –, sondern von etwas Übergeordnetem wie Wahrung der Menschlichkeit ... schwierig ... Bin ich Pazifistin? Ich glaube nicht, dafür bin ich zu wenig radikal. Frieden schaffen ohne Waffen, Schwerter zu Pflugscharen, Stell dir vor es ist Krieg und keiner geht hin  usw. Als ich in den Achtzigern noch aktiv in der Friedensbewegung war, sprachen wir solche Slogans aus tiefer Überzeugung. Was ist aus dieser Überzeugung geworden? Aber es stimmt ja gar nicht, dass ich nicht radikal bin, denn wenn es um Freiheit geht, kann ich sehr radikal sein, nur zu Mitteln der Gewalt greife ich nicht, stand bisher aber auch nie zur Debatte. Und Gewalt anderer gutheißen, wenn sie – vorgeblich – zur Wahrung der Freiheit (auch meiner) eingesetzt wird? Fragen. Gewissensfragen. Die ich mir stelle. Über meine „Jetzt erst recht“-Haltung hinaus.

Montag, 23. November 2015

Zeichensetzen (Meta)

Eben stieß ich über mehrere Querverweise auf den Artikel Ein Zeichen setzen bei Holio, der mich dazu bewegte, über das Thema Zeichensetzen, speziell nach den Anschlägen in Paris, nachzudenken. Ich schrieb einen Kommentar unter seinen Artikel und stellte während meines Schreibens fest, dass ich von einer konkreten Reaktion auf einen Abschnitt in seinem Artikel mehr und mehr zu einem assoziierenden Nachdenken über meine eigenen Beweggründe hindriftete. Deshalb kopiere ich meinen Kommentar zusätzlich als eigenen Post hier herüber:


„Sie schreiben: „Bei Zeichen stellen sich Fragen.“ und fragen: „An wen richtet sich das Zeichen?“ und stellen ein paar Antwortmöglichkeiten vor: Terroristen (die aber weniger, sagen Sie), Medien, nähere Umgebung, als Ausdruck der Trauer (an wen gerichtet, sagen Sie da nicht).
Ich stelle mir auch Fragen zu den verschiedenen Zeichen, auch und vor allem zu denen, die ich selbst setze. (Kann ich, will ich, soll ich, darf ich, muss ich?) Die Frage, die ich mir dabei bisher nicht gestellt habe, ist die nach einem Adressaten. Deshalb verblüfft sie mich im ersten Moment, als ich sie hier bei Ihnen lese. Und ich überprüfe dann doch noch einmal meine Motivation, denn klar, das Zeichen, das ich setze, geht ja nach außen, wird sichtbar für jeden, der hinsieht. Beabsichtigt oder unbeabsichtigt?
Die Ereignisse in Paris begleiten mich seit ich davon erfuhr in meinem Denken und Tun. Ich schrieb darüber ( http://iris-bluetenblaetter.blogspot.de/2015/11/koln-paris-koln-oder-jetzt-erst-recht.html ), persönlich und ohne Manifestcharakter, mehr in dem Sinn eines Entwicklungsschritts, dem mit Sicherheit weitere folgen werden. Während ich für mich zu einer „Jetzt erst recht“-Haltung kam, war mein Blick auf Paris und auf mein Inneres gerichtet, nicht auf einen möglichen Adressaten. Das Gefühl, meine Haltung der Welt zeigen zu müssen, kam später dazu, aber auch da ohne einen bestimmten Adressaten im Blick. Der Gedanke dahinter vor allem, dass ich es mir selbst schulde und – vielleicht etwas abstrakt – den Werten, die mir wichtig sind. Und eigentlich zeige ich es damit dann allen. Alle, die hinsehen, sollen sehen, was ich denke. Ich verstecke es/mich nicht.
Es klingt vielleicht nach einem unwesentlichen Unterschied in der Motivation, am Ergebnis kaum abzulesen, für mich aber doch bedeutend. Denn einen Adressaten im Blick zu haben, würde meine Beweggründe verwässern, würde mein Zeichensetzen, würde mein Reden und Schreiben beeinflussen, es wäre auf Wirkung ausgerichtet. Es wäre wie das Überstreifen einer (öffentlichkeitswirksamen) Maske. Ohne die Ausgerichtetheit auf einen Adressaten ist es aber genau das Gegenteil, nämlich das Ablegen einer Maske. Gesicht zeigen, das ist wohl das eigentliche Zeichen.

[...]“
Ich bin tatsächlich dankbar für den Anstoß, denn ich finde das Nachdenken über meine Beweggründe wichtig. Mir bedeutet es viel, nicht für jemanden zu schreiben, sondern aus mir. Wer regelmäßig hier liest, weiß das vielleicht, ich thematisiere es in regelmäßigen Abständen. Inwieweit mir das tatsächlich gelingt sei dahingestellt, ich lebe ja nicht in einem bezugslosen Raum. Es ist nur so, dass dieses Schreiben (und Reden und Handeln) nicht für jemanden, sondern aus mir heraus, für mich ein wesentliches Kriterium für Aufrichtigkeit ist. Und nur diese, glaube ich, bringt mich und uns weiter. Nicht zuletzt deshalb weil sie immer auch die Vorläufigkeit alles Denkens erkennt, die Möglichkeit des Irrens und Scheiterns und die Notwendigkeit des inneren und äußeren Dialogs.
Und raus damit.


(Metameta: Manchmal frage ich mich, ob Metatexte nicht sogar die eigentlichen Texte sind ...)

Samstag, 21. November 2015

Du Land (Was nun?)

In den Krieg ziehen?

Liebesgedichte schreiben?

Ich sehe dich an, inneres Land, das du weit bist und schön und alt und verwüstet.
Ich sehe dich an und denke an das andere Land, das äußere, das ebenfalls weit ist und schön und alt und ach so verwüstet. Liegt da in Trümmern, trinkt das Blut von so vielen, so so vielen, schluckt das Lachen, das Weinen, frisst das Leben, die Liebe. Liegt da und schluckt und frisst und kann nichts dafür.
Ich sehe dich an, Land, das du weit bist und weit weg und fremd und sehe dich an, Land, das du nah bist und vertraut und sehe dich an, Land, das du innen liegst, so weit und durstig und salzig von den Tränen derer, die du nie gekannt.
Ich sehe dich an, Land, und ich verstehe nicht und ich weiß nicht, wie und was und ob und wohin und wozu.

Du Land, meine Worte sind zu nichts nütze, sind kein Schutz und kein Schild, sind kein Stein und sind keine Rose, sind, so scheint es mir, noch nicht einmal wirklich Wort, sind leer und sind dennoch das Einzige, das ich habe außer meiner Trauer, meiner Wut, meinem Trotz, meinem „Jetzt erst recht!“.

In den Krieg ziehen?
Ja, wenn es ein anderer ist als der, den du kennst, den du oh zur Genüge kennst.

Liebesgedichte schreiben?
Wenn dir ein Stammeln Beweis genug ist.


Manchmal gibt es keine Worte, aber auch die wollen hinaus.

Donnerstag, 19. November 2015

In erster Linie Mensch – vom humanistischen Eigensinn


Gestern ging durch Facebook wieder einmal Jürgen Todenhöfers „Offener Brief an den Kalifen des [sogenannten] IS Abu Bakr al Baghdadi“ vom 3.Mai 2015, hier nachzulesen. In seinem Brief erklärt Todenhöfer dem Kalifen den Islam und warum die Aktionen des [sog.] IS zutiefst antiislamisch sind.
Warum nervt mich das?
Es gibt derlei Erklärungsansätze zuhauf. Sie stören mich nicht, wenn sie von Muslimen kommen und zu einer innerislamischen Diskussion und weiter zu einem klaren Signal an die Gesellschaft führen, in dem man sich von Gewalt und dem vermeintlichen Aufruf des Koran zu einem Glaubenskrieg distanziert. Das finde ich hilfreich, und ich bin dankbar, wenn eine solche öffentliche Erklärung erfolgt. Einen Anspruch darauf gibt es nicht. Deshalb nochmals: Danke. Zum Beispiel für Aktionen wie diese.

Meiner Ansicht nach lässt sich das in sich geschlossene System, das jede Religion darstellt, aber nicht öffnen, indem man sich von außen hineinbegibt und dann selbst innerhalb der vorgegebenen Grenzen diskutiert. Vielmehr muss von den Religionen, und zwar von allen, verlangt werden, sich ihrerseits einer übergeordneten Argumentation zu öffnen und die Verbindlichkeit zumindest der Regeln des Staates, in dem ihre Mitglieder leben, als primäres Gesetz anzuerkennen. Dass dies ein Spannungsfeld erzeugt, zumindest dann, wenn es sich um eine tiefe religiöse Überzeugung handelt, ist klar. Hier ist das Individuum gefragt. Und die Einsicht, dass wir alle in erster Linie Menschen sind.

Wir können uns, davon bin ich überzeugt, nur auf Augenhöhe begegnen, wenn wir dies als – im übertragenen Sinne – nackte Menschen tun, dem Gesetz von Geburt und Tod unterworfen, für eine begrenzte Zeit auf dem Planeten Erde lebend. Darin sind wir uns gleich. Alle.

Ich möchte von niemandem eine Diskussion über seine/ihre Religion aufgezwungen bekommen, darüber, welche Regeln in dieser Religionsgemeinschaft existieren und welche nicht und ob diese allgemeingültig sind und deshalb missionarische Tätigkeit nach sich ziehen. Dies alles interessiert mich ausschließlich im Zusammenhang mit der ebenbürtigen (freundschaftlichen) Beziehung zu einem Menschen, an dessen Leben und Denken ich aufgrund der freiwillgen Bindung natürlich teilhaben möchte. 

Ich habe keine Lust, den Koran oder sonstige religiöse/„heilige“ Schriften zu studieren, um Argumente für eine Diskussion über Freiheitsrechte zu sammeln. Die Grundlage unseres Zusammenlebens ist eine andere, nämlich unsere Verfassung, sprich das Grundgesetz. Dieses gilt vollumfänglich und nichts darüber hinaus.

Ich wünsche mir sehr eine echte laizistische Gesellschaft.
Und bestehe ansonsten auf meinem humanistischen Eigensinn.


 „Humanistischer Eigensinn ist das Bestehen auf persönlicher Urteilskraft gegenüber weltanschaulichen, wissenschaftlichen oder religiösen Wahrheitsansprüchen.
Wissenschaft und Kultur unterliegen vielfältigen gesellschaftlichen und politischen Interessen. Ihr humanistischer Sinn aber besteht immer darin, das Leben auf der Erde so gut wie eben möglich zu gestalten.
Dabei gehört es zum humanistischen Eigensinn, sich stets ein persönliches Urteil vorzubehalten: Gegenüber jedweder weltanschaulichen oder religiösen Dogmatik, gegenüber diesem oder jenem modischen Meinungstrend und auch gegenüber den Wahrheitsansprüchen wissenschaftlicher Ergebnisse. Das Engagement für humanistische Überzeugungen und humanistische Praxis ist neben einer rationalen immer auch eine sehr persönliche – emotionale und sinnliche – Haltung zur Welt.
Humanistische Verantwortung bedeutet, eine Entscheidung für oder gegen etwas letztlich selbst verantworten zu müssen. Weltanschauungen, Religionen, naturwissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten, überlieferte Texte oder kulturellen Traditionen können einem diese Verantwortung nicht abnehmen. Auch die Berufung auf eine humanistische Überzeugung entbindet nicht von eigenständiger ethischer Reflexion und eigenverantwortlichen Entscheidungen. Dies ist ein ständiger Prozess, der auch für unser Humanistisches Selbstverständnis gilt.“
 (aus dem Entwurf des Humanistischen Verbandes Deutschlands HVD zum Humanistischen Selbstverständnis)

Montag, 16. November 2015

Köln – Paris – Köln oder: Jetzt erst recht!

Vier Tage, 12.11. bis 15.11. in meiner Heimatstadt Köln verbracht. In verschiedenen Ausstellungen* gewesen, im Kino** und in einem Friedenskonzert***, durch die Viertel gebummelt, am Rhein entlang spaziert, Brücken überquert, in Kneipen und Brauhäusern gesessen und gegessen, mein Leben, meine bisherigen und zukünftigen Wege überdacht. Wie immer, wenn ich unterwegs bin, gerät etwas in Bewegung.

Am Samstag früh noch im Hotelbett die Nachrichten gesehen, erschrocken und geweint. Gewohnheitsmäßig Twitter an: Alles hat seine Berechtigung, jeder Ausdruck. Die hilflosen, die unbeholfenen, die danebengreifenden sind für mich die ehrlichsten. Trotzdem ertrage ich sie nicht. Nicht in der Vielzahl. Noch weniger ertrage ich die vermeintlich klugen, die erklärenden, die, die schon die ersten Kommentare kommentieren, die alles besser wissen. Ich will keinen kritisieren, muss mir das aber nicht antun. Also Twitter wieder aus.

Anschließend Überdenken meines Plans für den Tag: Joan Mitchell-Retrospektive im Museum Ludwig. Kann ich das jetzt? Will ich? Darf ich angesichts des Terrors? Schnell komme ich zu dem Schluss: Jetzt erst recht! Ich weigere mich, mit Angst, Rückzug und Hass zu reagieren. Keine Macht dem Terror. 

Also mache ich mich auf den Weg und muss dafür nicht ausblenden, was in Paris geschehen ist, sondern nehme es mit. Das entwickelt für mich eine ganz besondere Dynamik an diesem Tag, weitet meinen Blick. Unter anderem für die Bedeutung von Kunst. 
Ganz abgesehen davon, dass ich Joan Mitchell einfach großartig finde. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass ihre Bilder eine Offenbarung für mich sind. Ich habe seitenweise Notizen dazu gemacht. Vielleicht stelle ich sie irgendwann in geordneter Form hier ein. Die Retrospektive ist umfassend, absolut ansprechend präsentiert, abgerundet durch Archivmaterial und Filme. Sie läuft bis 21. Februar 2016. Empfehlung!

Am Ende der Ausstellung haben Besucher die Möglichkeit, sich in einem Atelier selbst an abstrakter Malerei zu versuchen, behutsam angeleitet und anhand verschiedener kleiner Anregungen. Das sagt mir spontan zu, jagt mir im zweiten Moment aber Angst ein (Ich kann doch gar nicht malen! etc.), so dass ich der freundlichen Betreuerin des Ateliers sage, ich käme lieber eventuell ein andermal, „Auf Wiedersehen!“, um nach drei Schritten zurückzukehren, immer noch das Motto „Jetzt erst recht!“ im Kopf, dem ersten Impuls zu folgen, die Angst zu ignorieren, sie ist ein schlechter Ratgeber, die Freiheit zu nutzen zu tun, was ich will und wozu sich die Möglichkeit bietet. Nichts auslassen. Jetzt erst recht.

Ich war schon früh im Museum, gleich als es öffnete, und hatte dadurch viel Raum für mich beim Betrachten der Bilder. War dann auch die erste Besucherin des Ateliers. Und die erste, die ihre fertigen Bilder in den dafür vorgesehenen Raum hängte (ich hätte sie auch mitnehmen können, wollte aber gerne Teil des Ganzen sein, und hab sie nur mit dem Handy abfotografiert). Das Ganze fühlte sich so gut an. Vielleicht ein Stück Selbsttherapie? Ach, das muss nicht alles analysiert werden. Ans Licht mit den unbekannten Seiten! Jetzt erst recht.

Thanks to Joan Mitchell for her inspiring work!



Am Abend das Konzert in der St. Agnes Kirche: „In Terra Pax“, eine Gedenkveranstaltung zu 70 Jahre Frieden, also Rückblick einerseits und gleichzeitig Blick in die Zukunft in der Formulierung des Wunsches nach und des Willens zum Frieden. 
Ein schönes Konzert, vorgetragen vom Europäischen Kammerchor Köln unter Leitung von Michael Reif. Gerahmt von guten Vorträgen des Leiters des NS-Dokumentationszentrums Köln, Dr. Werner Jung, und dem Leiter des Friedensbildungswerks Köln, Roland Schüler.
Wie passend diese Veranstaltung ausgerechnet an diesem Tag. 
Natürlich wurden die Ereignisse in Paris angesprochen, gab es eine Schweigeminute, war das ganze Konzert auch Ausdruck der Solidarität mit den Opfern des Terrors.
Das war eine gute, angemessene Veranstaltung.

Apropos „angemessen“: Wie reagiert man, reagiere ich angemessen auf die furchtbaren Morde in Paris und auf den Terror weltweit? Schlagartig entzünden sich ja immer die Metadiskussionen zu dieser Frage. Im Netz nervt mich das tierisch, inzwischen reagiere ich mit Abschalten. Ich weiß nicht, ob sich diese Frage eindeutig beantworten lässt. Was heißt denn „angemessen“? Ich denke für mich darüber nach und bin an diesem Wochenende, wiederum nur für mich, zu einer Antwort gekommen, die ich seitdem fast mantramäßig in mir trage: Jetzt erst recht. Die Freiheit, die mir mein Staat schriftlich garantiert, nicht nur theoretisch kennen, sondern praktisch leben. Weil ich sie damit zugleich verteidige.



Seit gestern bin ich zurück. Alltag? Irgendwie schon. Aber Paris ist in allem gegenwärtig.









Schalcken im Wallraf-Richartz-Museum

  Madonna trifft Uma, eine Kooperation der Museen Schnütgen und Rautenstrauch-Joest

  Joan Mitchell Retrospective im Museum Ludwig

** Familienfest im Odeon, meinem Lieblingskino in Köln

*** In Terra Pax in der St. Agnes Kirche




***


Nachtrag am Abend: Astrid vom Le Monde de Kitchi-Blog hat in ihrer Reihe Great Women schon mal einen Artikel über Joan Mitchell geschrieben, sehr lesenswert und mit einigen von Mitchells Bildern.

Freitag, 13. November 2015

Weil Herbst ist ...

... fällt mir plötzlich das wieder ein:

Wie ich auf einmal falle, in alles falle ohne Unterlass und nicht mehr sein will ohne dieses Fallen, und ist doch gar kein Herbst - fall - autumn, harvest, fall - to fall - nein: fallenwirklich fallen ließ ich mich im Frühling - spring - to spring, sprang, sprung - I sprang from your wholehearted gaze - entspringe neu in diesem Fallen, entspringe neu und sehend deinem Blick -  bleibst du, wenn schließlich alles um uns fällt? - 
Es entstammt diesem Zusammenhang: Fallen (aus To Save a Nightingale)

Ganz schön herbstlich. Fallen, das; zu fallen. Könnte ein Thema sein wie die Schatten. Wenn ich nicht so träge/müde wäre gerade. Auch das irgendwie herbstlich. Melancholie. Melancholie? Würde gerne wieder mehr schreiben. Hätte Lust auf ein/dieses Thema. Will mich nicht festlegen, tue ich zu oft, hält nie lange, liegt mir nicht, diese Selbstverpflichtung (nur manchmal, in den wirklich wichtigen Zusammenhängen). Bin ein Blatt im Wind, bewegt, kein Stein. Wäre manchmal gerne einer.

Belanglosigkeiten. Hätte genauso gut schreiben können: Es gibt mich noch. 

Schluss mit diesen trüben Gedanken. Habe vier freie Tage. Bin unterwegs, hier (Blatt im Wind oder Rolling Stone?). Heute: Museum und Brauhaus und Museum. Das ist der Plan. So.

Sonntag, 8. November 2015

(vom Worthunger) Beflügelungen ...

... durch die Worte der anderen

hier („Immer“ von Tikerscherk) 
und hier („Sandsteinburg“ von Michael Perkampus) 
und hier („Niemand kann jemand sein. Mein Zimmer für mich allein...“ von Jutta Pivecka) 
und hier („Fremdkörper“ von Phyllis Kiehl) *

Die machen was mit mir, diese vollen Texte. Und ich lass sie machen, setze mich aus, verzichte auf kritische Distanz. Weil ich hungrig bin. Also spreche ich hier nicht nur eine nüchterne Empfehlung aus, sondern schreibe, wie immer, auch von mir.

Diese Beflügelungen, diese inspirierenden Texte, die ich trinke wie Wasser und esse wie Brot, die ich verstoffwechsle, sie machen aus mir eine andere, eine mir Nähere, mehr mich ...

Ob das erlaubt ist, ein solch distanzaufhebendes, vereinnahmendes Lesen? Das frage ich mich nicht. Ich kann auch anders, ganz von außen, ohne Vermischung, mit kritisch distanziertem Blick, wertend. Kann ich. Tue ich. Oft oder meistens. Und manchmal ist es eben anders. Ist es so: distanzlos, aufsaugend, aus einem Hunger heraus oder aus purer Lust. Why not?

Das alles ist nur ein Bild. Ein anderes wäre: Da wächst mir etwas zu. (was mit Federn, oh ...)

es wächst dir zu, wächst dir an, wächst in dich hinein und aus dir heraus
(nur fliegen musst du selbst)

Ich lese höre Texte. Die werfen Anker. Die strecken Wurzeln. Die sitzen dann fest. Und rühren in mir herum. Rühren etwas auf. Da fällt Staub ab. Und Schorf. Und schweres Tuch. Da rührt sich etwas in mir. Dieses Etwas, das Ich ist, greift nach den Wurzeln. Hält den Anker. Zieht an der Kette. Will. Schlingt sich hinein in das Durch-/Ein-/Vor-Dringende. Saugt daran. Streckt sich. Dringt selbst. Verwächst. Wächst. Hinaus! Bricht durch. Wird weiß von Licht. Fächert sich auf. Überlässt sich der Luft. Wächst weiter. Zu wissen. Zu kennen. Wohin? Keine Frage: Wiederholt: Hinaus! Das Ziel im Wachsen schaffend. Und dann: Eine Bewegung über das Wachsen hinaus: Ein Schritt. Ein Flügelschlag. Das, ja.

Es wächst dir zu. Fliegen musst du selbst.

Das Pathos des Notwendigen. Wasser und Brot. Ein Fest.

Die Worte der anderen und was sie mit mir machen (weil ich sie lasse).


* Tolle Texte finde ich an vielen Stellen. Wer sich durch meine Blogroll scrollt, kann da Verschiedenstes entdecken. Nachhaltig beeindruckt und beflügelt haben mich in den letzten Tagen/Wochen u.a. die oben verlinkten Texte aus den Blogs Kreuzberg Süd-Ost, Die Veranda, Gleisbauarbeiten, Tainted Talents.

Freitag, 6. November 2015

Wo bin ich im Eigenen (ohne Punkt und Komma)

wo bin ich im Eigenen und gibt es das überhaupt frage ich angesichts des überalligen Fallens wie es nunmal üblich ist in dieser Jahreszeit die ich dennoch nie als trostlose bezeichnen würde habe sie früher gefeiert schrieb ich bereits Macht der Wiederholung nur nichts vergessen Rufer in der Wüste der Erinnerung Hier! Hier! wie weiter wie weiter wie weiter wie weiter écriture automatique en Dialoge üblicherweise die mir nicht bereits seit längerem folgen wird das verwirren was meint sie bloß egal darf man nachträglich Ausrufezeichen entfernen? und Frage Zeichen auch? und die Majuskeln oder sind solche Inkonsequenzen und Mischungen und Wertungen okay ganz okay nicht schlimm ja was denn nun ich finds chaotisch grade aber nur so gehts so muss das so wird das ordnet sich selbst von selbst schreibt sich in eine Ordnung hinein in eine echte Ordnung was wäre eine unechte Fragezeichen wer soll das lesen entziffern verstehen deuten wer soll sowas mögen aber darum gehts doch nicht aber warum schreibe ich dann öffentlich weil nur so auf der Bühne ist es echt ist das Lampenfieber da das die nötige Temperatur bringt nur so denke ich laut mir selbst in die Ohren und nicht immer stumm im kreis nur so gehts und lese ich nun doch mal über meinen Text und erschrecke stelle fest écrituere automatique ist ein ding der Unmöglichkeit wenn die autokorrektur sich einmischt Wörter verbessert wie sie will nicht lässt was ich an eingeschlichenen Rechtschreibfehlern drin habe und vor allem nicht die kleinschreibung lässt sondern eigenmächtig Großbuchstaben einfügt ha schon wieder es ist zum verzweifeln wie soll man da noch vernünftig scheitern wenn immer einer im Hintergrund nachbessert wie frage ich wie

Freitag, 30. Oktober 2015

Zufrieden

Sie vergreift sich an losen Fäden, knüpft zusammen, was angeblich nicht zusammen gehört, löst Verbindungen, die als unlösbar gelten. Sie vergreift sich. Manchmal auch im Ton. Und denkt sich: Das gehört dazu. Das gehört wozu?, fragt eine Stimme aus dem Off (oder ist es der Zweifler in ihrem Kopf?) Soll sie antworten? Sie betrachtet die Frage als losen Faden, der lose bleiben darf. Verweigerung. Gestaltungsmöglichkeit der Folgen. Es geht ja immer weiter, denkt sie. Weiß sie. Mit dem gleichmäßigen Drehgeräusch der Welt im Kopf schläft sie ein, träumt sie, wacht sie auf, tagwandelt sie. Einwicklung. Verwicklung. Entwicklung. Immer weiter. Mehr will sie gar nicht. Und die Ruhehäfen in den Zwischenräumen der Sprache. In denen alles wächst. Ihr zuwächst. Sie lässt und pflückt und lässt und pflückt. Ihre Hinzufügungen? Ja. Ihre Quelle? Auf ewig zu erforschen. Sie ist‘s zufrieden.

Donnerstag, 29. Oktober 2015

Meine Meinung (Brief an Akif Pirinçci)

Herr Pirinçci,

tut mir ja echt leid, dass Sie jetzt so im Regen stehen. Leider kann auch ich Ihnen weder einen Schirm noch ein Dach anbieten, nee, geht wirklich nicht, da müsste ich mich dermaßen verbiegen, das ist anatomisch gar nicht möglich.

Dumm gelaufen, echt, das mit Ihrer Rede und den Reaktionen darauf. Find ich auch überhaupt nicht gut, dass die Ihnen diesen einen Abschnitt, Sie wissen schon, den mit den KZs, dass die Ihnen den so im Mund herumdrehen. Kapieren echt nix, diese ewigen Herumdreher. Weder die, die Sie jetzt am liebsten mundtot machen wollen, noch die, die Ihnen applaudieren. Applaudieren Ihnen doch glatt für etwas, das Sie gar nicht so gesagt haben. Mist. 

Dabei haben Sie sich solche Mühe gegeben mit Ihrem Pamphlet. Das haben Sie wirklich drauf, muss ich Ihnen neidlos zugestehen (hihi, als könnte man auf so ne „Fähigkeit“ neidisch sein);  alle Stilmittel drin: Überspitzung, Polemik, Herabsetzung anderer, null Argumentation, dafür jede Menge Beleidungen und kunstvoll verschachtelte Sätze. Alle Achtung!
Wobei Ihnen genau letztere, nämlich die kunstvoll verschachtelteten Sätze, zum Verhängnis geworden sind. Haben Sie im Ernst geglaubt, die von was auch immer, jedenfalls nicht von hehren Motiven bewegte Masse könne solch einer komplexen Ausdrucksweise folgen? Was für eine Fehleinschätzung. Gejubelt haben die und applaudiert fürs richtig wie fürs falsch Verstandene. So ist sie nunmal, die Masse. Feiert gerne, sich und ihren Herdentrieb, geht voll ab dabei. Yeah!

Und nun? HamSe den Salat. Bzw. den Regen, in dem Sie nun stehen und keiner hält Ihnen den Schirm hin oder bietet Ihnen ein Dach überm Kopf. Ist ja auch keiner zu verpflichtet. Ist nämlich ein freies Land. So frei, dass keiner sich Ihre frei geäußerte Meinung anhören muss, oder ihr gar beipflichten. Nö, so frei geht es hier zu, dass man nicht gezwungen werden kann, Ihnen eine Plattform in welcher Gestalt auch immer zu bieten. So frei, dass niemand einen zwingen kann, stumm zu ertragen, was Sie frei von sich geben, sondern dass man widersprechen darf, ja, stellen Sie sich vor, sogar das! Und zwar nach Belieben in schärfster Form, ja, soweit geht diese Freiheit, in schärfster Form und wie Sie polemisierend. Kaum zu fassen, nicht wahr, wie weit diese Freiheit reicht. Zu gerne hätten Sie allein und allmächtiglich ein paar Grenzen und Zäune um Ihre individuellen Rechte gezogen. Tja, is nich.

Wissen Sie, Herr Pirinçci, ich find‘s, wie gesagt, auch blöd, dass Ihnen manche Ihrer Worte so falsch ausgelegt werden. Ich find‘s blöd und vor allem überflüssig. Bleibt doch auch ohne diese Verdrehung genug in Ihrer Rede und Schreibe und Denke, das einem (mir!) den Magen umdreht und zum schärfsten Widerspruch auffordert. 
Ich mag es nicht, wenn man nicht genau hinhört. Und ich mag es nicht, wenn man hetzt wie Sie. Ich mag es nicht, wenn man Ihnen applaudiert (Magenumdrehgeräusch). Und ich mag es nicht, wenn man gegen Sie hetzt. Ja, das mag Sie nun erstaunen, ist aber so. Getreu dem Prinzip „Freiheit ist immer die Freiheit des ... „ Na, können Sie den Satz vervollständigen?

Aber ich mag es, wenn man Ihnen widerspricht, wenn man sich weigert, Ihnen zuzuhören oder Ihre Texte zu lesen, wenn man sich weigert, Ihnen eine Plattform zu bieten (benutzen Sie doch Ihr eigenes Wohnzimmer dafür oder sprechen Sie von Ihrem Balkon herab, nur so‘n spontaner Vorschlag), wenn man sich weigert, Ihre schriftlichen Ergüsse zu verlegen und zu vertreiben. (Was bestehende Verträge betrifft, wird das sicher juristisch zu klären sein.) 
((Wieso allerdings der Manuscriptum Verlag sich von Ihnen trennt und auch der Kopp Verlag Sie nicht drucken will, ist mir ein Rätsel. Würde doch super passen.)) 
(((Ich bin übrigens Buchhändlerin und werde mich weigern, irgendjemandem eins Ihrer Bücher zu verkaufen. Hat aber auch noch niemand nach gefragt. Vielleicht sind Sie weniger interessant, als Sie glauben?))) 

Ja, das war‘s im Großen und Ganzen. Sollte ich was vergessen habe, kann ich‘s ja nachliefern. Derweil widme ich mich lieber interessanteren, wichtigeren, schöneren, angenehmeren, klügeren, befriedigerenden, inspirierenderen, ansprechenderen, höherwertigen, anspruchsvolleren, relevanteren,  weltbewegenderen, vorwärtsbringenderen, menschenfreundlicheren Dingen.
Machen Sie‘s gut. 


(Meine Reaktion auf Aki Pirinçcis Rede bei der Pegidaversammlung vom 19.10.2015 in Dresden, die Reaktionen darauf und die Reaktionen auf die Reaktionen ... Ich verlinke hier absichtlich nicht, bitte selber googeln oder bei Youtube schauen.)

Samstag, 24. Oktober 2015

Und wieder: Schattenfund (Kichern und Herbstmelancholie)

Habe einen weiteren Schattentext unter den älteren Beiträgen in meinem Blog gefunden:
Zudem eins meiner Lieblingsgedichte. Ein wenig schräg, finde ich, das mag ich besonders, und von zwei Quellen (Waldsaum, Trakl) inspiriert.

Ich schreib‘s hier nochmal auf, hab‘s sowieso grade mit Wiederholungen. Wiederholungen. Gegen die Unwiederbringlichkeit.


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Trakl lesen oder Es kichert unterm Verfall


Herbst, lose Zeit
Licht faltet Schatten
Wind atmet Flug
Wald säumt das Streben
das Sterben

Nichts pulst so schön wie das Fremde
neidlos besehn

Einmal die Hand in ein Raunen getaucht
wirst du gepflückt
Zeit, loser Frühling
dort welkt dein Ach
und/oder/aber
ob du's glaubst oder nicht:

Es kichert unterm Verfall


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PS: Ich glaube wirklich, dass es kichert unterm Verfall. 

(Ach, und Alice? Bist du noch dort? Musste grade an dich denken. Werde dich ebenfalls wiederholen, eines schönen Tages, und dich weitererzählen, versprochen. Gruß an Mario. Habt‘s schön warm. )

Wiederholungen/Wiederholungen gegen die unausweichliche Unwiederbringlichkeit.

***

Shadow rises ...
And everything goes back to the beginning.


Never said it was good, never said it was near, 
Muted whisper of the things you feel.

Montag, 19. Oktober 2015

Kleine Fluchten

Wenn mir im Alltag die Decke auf den Kopf fällt, greife ich zu einem Mittel, das sich bewährt hat: Ich überlege mir, an welchen Ort ich gerne reisen würde, und sei es nur für ein paar Tage. Idealerweise liegt er am Meer. Dann stöbere ich auf booking.com, suche mir ein schön gelegenes Hotel aus, das man bis zum Anreisetag kostenfrei stornieren kann, und buche ein Zimmer. Sofort setzt die Vorfreude ein. Ich werde am Meer sein! Schon bald! (Nein, werde ich nicht, aber ich bin eine Meisterin im Ausblenden dieser Tatsache.)

Erst kürzlich habe ich das wieder praktiziert, habe ein Zimmer in einem kleinen Hafenhotel in einem nordbretonischen Küstenort gebucht. Dort war ich schon mehrmals, sodass ich meine Vorfreude mit zahlreichen Erinnerungen füttern konnte. Ich habe mir eine Küstenwanderung vorgestellt, einen Stadtbummel, Besuch des Marktes, des Fischgeschäfts und der Lieblingslokale, Herumlungern am Hafen und am Strand ... Wunderbar! Hilfreich in einer Alltagssituation, die ich als extrem beengend empfunden habe. 
Dass ich das Zimmer dann wie üblich storniert habe (zu teuer, die Reise zu weit, sowieso kein Urlaub mehr etc.) und stattdessen ein paar Tage im Elsass war (fast genauso gut, lang nicht so kostspielig) – egal. Die beruhigende und zugleich befreiende Wirkung war zuverlässig eingetreten.

Kleine Fluchten. (Und mit klein meine ich nicht die Art der Flucht, sondern den Grund. Der ist vergleichsweise klein, schließlich leide und fliehe ich keine Not.) 
Baden in Vorstellungen, Bildern. Ein klärendes Wehen von Salzluft durchs Gemüt, Schütteln des Gefieders, leichtes Anheben der Schwingen ... Der Beweis, dass ich fliegen könnte, wenn ich wollte. 
Ein erlaubter Trick. Vielleicht sogar eine Übung, eine Art mentaler Vorbereitung, wer weiß ...

Samstag, 17. Oktober 2015

Weit genug

So weit sind wir gegangen
und noch nicht weit genug,
beim Spiele anzulangen,
dem freien, und beim Flug
der kopfinternen Sterne;
wo Heimat eins mit Ferne,
erst da wär‘s weit genug.

Donnerstag, 8. Oktober 2015

Schätze heben

Bin dann mal eine Woche offline, und zwar aaaaaaaaaab: jetzt.

Nehme mir Zeit für Schätze wie diesen:


»Das schönste Buch, das ich je gesehen habe.« The New Yorker
Mir geht‘s ähnlich wie dem Rezensenten vom New Yorker. Ich freue mich wie das lesebegeisterte Kind, das ich war, ein paar von Terminen unzerrissene Tage mit dem Buch zu haben; Zeit, mich in die Geschichte zu vertiefen, ohne Ablenkung, vor allem ohne eine solche wie das Internet, das alles so schnell macht und von dessen Forderungen ich mich manchmal so schlecht lösen kann.

Mehr Infos zum Buch hier und hier


Für den Fall, dass ich ganz und gar leseeuphorisch werde und mir das eine Buch nicht genügt, habe ich noch eins dabei:




Und weitere schöne Dinge werde ich tun, zum Beispiel:

Spazierengehen, lesen (hatten wir schon), ausschlafen, regionale Köstlichkeiten speisen, Weißwein schlürfen, dösen, spüren, schauen  –  rien d‘autre.

Bin dann mal en Alsace, Schätze heben. 
À bientôt!