(Natürlich gibt es Ausnahmen. Auch zähle ich das Tagebuch nicht dazu, das ich wegen seiner vor allzu vielen Reflektionen geschützten Direktheit schätze.)
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Nachtrag am Nachmittag:
Da töne ich heute früh rum von wegen Fiktion sei mir lieber als Biografien, u.a. wegen der größeren Wahrheitsnähe der Fiktion, und was packe ich dann wenig später im Laden aus:
„Die talentierte Miss Highsmith"
Eine rund 1000 Seiten starke Biografie über Patricia Highsmith, geschrieben von Joan Schenkar, zum 20. Todestag von Patricia Highsmith am 4.2.2015 bei Diogenes erschienen. Hier
Die musste ich dann doch haben. Denn:
Patricia Highsmith! Hallo!
Meine hochverehrte und heißgeliebte Verfasserin hochspannender, ab- und tiefgründiger, psychologisch subtiler Kriminal- und anderer Romane, die unvergessliche Figuren geschaffen hat, von denen Tom Ripley wohl die bekannteste sein dürfte.
Auch das wiederkehrende Motiv der Auseinandersetzung mit einem fundamentalistisch geprägten Christentum hat mich, aus persönlichen Gründen, sehr interessiert. Wie genau sie da die schleichenden Manipulationen und Abhängigkeiten schildert ...
Ich habe alles von ihr gelesen, einiges mehrfach, und ja, ich empfinde etwas wie Verehrung für sie als Schriftstellerin, für ihre unglaubliche Schaffenskraft, den Sog, den ihre Geschichten ausüben und dem man sich kaum entziehen kann – manchmal erschreckenderweise, blickt man doch plötzlich in eigene Abgründe ...
Verehrung aber auch für ihre Person. Denn natürlich habe ich am Rande auch immer etwas von ihrem komplizierten und unkonventionellen Leben mitbekommen, das hat mich durchaus fasziniert. Hier liegt es nun in gebündelter Form vor.
Joan Schenkar hat gründlich recherchiert, über Jahre hinweg Archivmaterial gesichtet, darunter rund 8000 Seiten von Highsmiths Tagebuchnachlass; sie hat Gespräche mit persönlichen Vertrauten der Schriftstellerin geführt. Und sie hat, wenn man dem Klappentext glauben darf, nicht sachlich-trocken, sondern „klug, humorvoll, unverblümt und in sprühender Prosa" geschrieben. Die ersten Seiten, die ich eben quergelesen habe, bestätigen das.
Ich freu mich total auf dieses Buch, das mit den folgenden Sätzen beginnt:
„Sie war nicht nett. Sie war selten höflich. Und niemand, der sie gut kannte, hätte sie großzügig genannt. Patricia Highsmith war – abgesehen von einer unkonventionellen Künstlerin mit Ausnahmetalent – so etwas wie das Negativ eines alten Fotos, bei dem alles Schwarze weiß und alles Weiße schwarz war. Lady Diana Cooper hat das Gleiche über Evelyn Waugh gesagt."
Bin ich jetzt inkonsequent, oder habe ich mich gar selbst widerlegt?
Nein. Meine Begeisterung für diese Biografie ist die Ausnahme (derer es mehrere gibt, wie ich es heute früh bereits erwähnte: Doris Lessing, Bob Dylan und ein paar wenige weitere ..., ja, ich geb’s zu). Und die Ausnahme bestätigt nur die Regel meines morgendlichen Bekenntnisses.
interessanter gedanke.
AntwortenLöschenmir geht es nämlich ähnlich damit.
tagebücher hingegen lese ich sehr gern. :)
Biografien können immer nur eine individuelle Wahrheit abbilden, Fiktion hingegen eine allgemeingültige, das ist wohl der größte Unterschied.
LöschenAuch in meinem eigenen autobiografischen (oder autofiktionalen) Schreiben empfinde ich es häufig so, dass ich mit „Erfundenem" der Wahrheit, dem, was unter oder in den äußeren Ereignissen liegt, näher komme.
wir recht sie haben, aber eben es bleibt kompliziert.
AntwortenLöschenlieber ehrliche fiktion, als geschönte warheit.
genau.
LöschenDER Wahrheit näher kommen- wenn man doch erst mal wüsste, was "die Wahrheit" ist?
AntwortenLöschenVielleicht gibt es gar kein Ziel beim Finden. Hauptsache suchen, oben, unten, seitwärts, in der Schräge, im finsteren Tale - allüberall...
Ich meine hier nicht irgendeine übergeordnete Welt-Wahrheit, sondern eher die in der eigenen Biografie verborgene, von der die äußeren Ereignisse nur ein Teil sind. Und die Zwangsläufigkeiten in der Entwicklung durch einschneidende Erlebnisse, die man in erfundenen Geschichten wiederfinden kann, manchmal so, als würde die eigene Geschichte erzählt, die innere, nur in einem anderen äußeren Rahmen.
LöschenIch glaube auch nicht, dass es ein Ziel oder DAS Ziel gibt oder dass es darum geht, dieses zu erreichen. Das wäre dann ja auch irgendwie das Ende, stelle ich mir vor. Aber eine Annäherung, an was auch immer, ist doch möglich.
Manchmal erscheint mir das alles so abstrakt, aber genau darin drückt sich vielleicht aus, dass es um ein Unterwegssein (dieser Ausdruck trifft es für mich eher als Suche, weil er absichtsloser ist) in unbekanntem Gelände geht, das man sich Schritt für Schritt vertraut macht.
Ach, das ist doch auch immer wieder schön, wenn man sich selbst widerspricht, und die Biografie, besonders diese zitierten Eingangssätze klingen wirklich sehr lesenswert.
AntwortenLöschenSich selbst zu widersprechen finde ich auch gar nicht schlimm. Manchmal irritierend, wenn ich’s bemerke. Aber wenn man näher hinsieht, stellt man häufig fest, dass es gar nicht um entweder – oder geht, sondern um sowohl – als auch.
LöschenWelch kluge Erwägungen. Mir aber geht es völlig anders: Ich verschlinge Biografien wo immer ich sie finde. Wahrheit hin oder her. Hauptsache gut erzählt. Geschichten erzählen heisst vom Leben erzählen, heißt den Faden zwichen Damals, Heute und Morgen weiterzuspinnen. Geschichte kann ich nur dann verstehen, wenn sie personalisiert wurde. Erst wenn in diesen Texten gehetzt wird, wenn Gewalt verherrlicht wird, gehe ich dagegen an. Leute, erzählt Eure Lebensgeschichten, immer, ohne Unterlaß! Zeigt Euch und nehmt einen Platz in der öffentlichen Wahrnehmung ein.
AntwortenLöschenUups, sorry, der vorangegangene Kommentar war von Eva Tanner. <3
AntwortenLöschenLiebe Eva, keine Ahnung, ob das klug ist, es ist einfach nur, wie es mir damit geht.
LöschenWas du beschreibst, kenne ich bei mir beim Lesen von Tagebüchern und beim Verfolgen von Tagebuchblogs. Diese Notizen unmittelbar aus der erlebten Situation heraus bzw. aus dem gerade Gedachten und Empfundenen. Sowas finde ich auch spannend.
Eine feste Meinung zu Biografien habe ich nicht. Wohl aber eine zu meiner Lieblingsautorin.
AntwortenLöschenIch habe, wie Du, alles von Highsmith gelesen. Zum Teil mehrfach. Und ich verehre Patricia Highsmith. Deswegen werde auch ich mir die Biografie besorgen und freue mich nach den einleitenden Sätzen darauf. Toll, danke!
Du also auch. Wie schön. :-) Sie ist einzigartig, nicht wahr? Ich bekomme durch ihre Biografie (wirklich lesenswert!) totale Lust, einige ihrer Bücher wieder zu lesen. Leider kaum machbar für mich, da ich als Buchhändlerin ständig Neuerscheinungen lesen muss und da schon kaum hinterher komme ...
LöschenMerkwürdig- die letzte Antwort ist im Äther verschwunden.
LöschenSinngemäß: sie ist einzigartig und sie schafft es mit wenigen Sätzen Welten entstehen zu lassen. Ihre Psychogramme sind so fein gesponnen, dass man sich sogar mit dem Wahn der Protagonisten identifizieren kann (Der süße Wahn, Der Stümper, Das Zittern des Fälschers).
Und jedes Mal, wenn ich einen ihrer Roman erneut zur Hand nehme, lese ich ihn wieder ganz anders. Ich glaube, ich werde nie aufhören sie zu lesen.
Tollen Beruf hast du!
Es geschehen mysteriöse Dinge auf Blogger ... :-)
LöschenIch finde auch, dass sie das wie kein anderer konnte: Figuren erschaffen, die so "normal" und in ihren Alltag eingebunden sind, wie man selbst und die sich deshalb wunderbar zur Identifikation eignen. Und dann gleiten diese harmlosen Figuren anfangs fast unmerklich und dann aber unaufhaltsam in etwas Böses ab, einen Wahn, wie du schreibst, und als Leserin gleitet man mit und kann sich nicht mehr entziehen. Gruselig, realistisch, wunderbar ...
Ich hab die Titel nochmal durchgesehen. Die drei, die du genannt hast, ja! Dann: Leute, die an die Tür klopfen; Ediths Tagebuch; sämtliche Ripley-Bände ... Im Grunde könnte ich alles aufzählen.
Stimmt, ich hab einen tollen Beruf, möchte keinen anderen. :-)