Freitag, 7. September 2012

Auf den Rückseiten der Worte

Sie steht hinter ihren Worten und betrachtet deren Rückseiten. Was sieht sie? Und unterscheidet es sich von der Ansicht der Vorderseiten?
Stellten wir ihr diese Fragen, könnten wir keine überprüfbare Antwort erwarten. Denn erklärte sie uns, was sie sieht, wäre für uns wiederum nur die Vorderseite dieser Erklärung sichtbar, die Ansicht der Rückseite gehörte ausschließlich ihr.
Nähmen wir ihre Position ein - vorausgesetzt, sie erlaubte uns dies -, schauten wir dann auch mit ihren Augen?
Erzählten wir ihr, was wir sehen, stimmte es mit dem überein, was sie zeigt? Oder zeigen will? Zu zeigen glaubt? Und drückten die Worte, die wir finden, tatsächlich aus, was wir sehen und spiegeln wollen?
Kann es eine Übereinstimmung geben?
Ist eine solche überhaupt das Ziel?

Sie stellt ihre Worte auf und sich selbst dahinter. Sie glaubt sich, was sie sagt und nimmt dies als den wesentlichen, wenn nicht einzigen Grund, sich zu äußern. Eine darüber hinausgehende Wahrheit kennt und sucht sie nicht.
Sie lässt die Worte frei und absichtslos. Und gestattet ihnen, dass sie sich von ihr lösen in einen neuen, vielleicht sogar beliebigen Zusammenhang hinein.
Es geschieht, dass sie erkannt wird in ihren Worten. Wenn es so ist, dann ist es so. Dem liegen weder Absicht noch Wunsch zugrunde. Sie will sich weder verstecken noch zeigen. Sie will etwas in den Raum stellen zu all dem anderen, das da schon steht, offen für das, was geschieht.
Betrachten wir die Worte, die sie annähernd erwartungslos vor uns hingestellt hat, dürfen wir sicher sein, dass sie will, dass wir tun, was wir wollen: Hinsehen, wegsehen, aufnehmen, ablehnen, teilen, umformen, weiterverwenden, ergänzen, bedenken, verwerfen ...
Nur sie selbst, sie dürfen wir nicht gewaltsam aus den Worten graben, denn sie will unvereinnahmt sein. So wie sie die Worte nicht vereinnahmen will, und wie sie uns frei betrachten lassen und unser Sehen nicht kontrollieren will.

Aber sie liebt die kleinen Stellen, an denen Berührungen stattfinden, wie zufällig oder von irgendwo großzügig hergeschenkt. Sie hat ein Faible für die Wärme, die an diesen Punkten entsteht und die Tiefen, die sich daraus erschließen können.

Sie glaubt weder an Zufall noch an Schicksal, genauso wenig schließt sie deren Existenz aus. Mit größter Sicherheit aber könnte sie von Wundern und freien Entscheidungen erzählen. 
Ein andermal.

2 Kommentare:

  1. nicht an Zufall und Schicksal, aber an die Freiheit der Worte.
    Schöner Text.

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    1. Zu erkennen, dass es keinen Verlust bedeutet, auf Kontrolle zu verzichten, im Gegenteil.

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