Dienstag, 30. Dezember 2014

30. Dezember 2014 (allen Lauten und Leisen, allen Narren und Weisen)

Heute vor einem Jahr veröffentlichte ich hier ein Gedicht mit dem Titel "nichts zählen". Ich kopiere es der Einfachheit halber hier rüber, dann muss man nicht dem Link folgen:


nichts zählen
außen sein
an kleine Türen klopfen
die Klopflaute nicht zählen 
mich selbst herein bitten
den Raum füllen
oder leer lassen
aus winzigen Schritten 
einen Weg bereiten
die Schritte nicht zählen 
auf einer Bank sitzen
warten bis
– die Stunden nicht zählen – 
genug gewartet ist
(was wahrlich nicht leicht ist)
einen Vogelschwarm beobachten 
die Vögel nicht zählen
leicht sein
oder schwer
ganz nach Belieben
Gedanken in Wörter kleiden
"Eine Geschichte erfinden, um zu erzählen, wie es war." *
die Wörter nicht zählen



*** 


"Diese Geschichte habe ich erfunden, um zu erzählen, wie es war." schreibt Eugen Ruge einleitend zu seinem jüngsten Roman Cabo de Gata. Wie treffend dieser Satz ist!

Wenn ich das fast vergangene Jahr Revue passieren lasse,  erkenne ich, dass ich das Zählen nicht in dem Maße lassen konnte, wie ich es gerne getan hätte. Ich habe für meinen Geschmack immer noch zuviel gemessen, abgewogen, kalkuliert, Kosten-Nutzen-Rechnungen erstellt. Deswegen nehme ich denselben Vorsatz wieder mit ins neue Jahr.


*

Vor fünf Jahren habe ich mit Bloggen angefangen, mit einer Vision, von der manches – sinnbildlich betrachtet – wahr wurde. Das war für mich ein Befreiungsschlag damals. Von Beginn an habe ich mein Blog als einen Ort erlebt, der wie kein anderer mir gehört, mir ganz allein. Mein eigenes Zimmer oder sogar Haus, zu dem nur ich einen Schlüssel besitze; mein Garten, in dem nur ich Hand anlegen bzw. wuchern lassen darf. Ganz wichtig ist mir das, dieses selbstbestimmte Stück Raum. Und dann im Laufe dieser fünf Jahre das Wachsen zu erleben, ganz langsam, so wie ich es liebe. Die Verknüpfung mit anderen Blogs, die Vernetzung, das Teilen. Alles ganz langsam, das kann ich nicht genug betonen, Graswurzelkraft, Schritt für Schritt, zeitweise auch mit Ängsten verbunden, wenn ich wieder ein Stückchen mehr Öffnung wagte. Die allergrößtenteils positiven Resonanzen, die nach und nach wachsende Leserschaft  – ganz langsam wachsend auch die –, die treuen Begleiter_innen, der überaus bereichernde Austausch ... Und wie schön, dass ich einige Blogger_innen inzwischen persönlich kennenlernen konnte, neue Freundinnen und Freunde gefunden habe. Nichts davon möchte ich missen.


*

Im neuen Jahr will ich so weitermachen wie bisher, mich weiter Stück für Stück öffnen, weiter wachsen, weiter Verknüpfungen erstellen, weiter Verbindungen pflegen, weiter teilen. Deshalb an dieser Stelle auch ein Hinweis auf meine Blogroll, die sich im vergangenen Jahr etwas verändert hat. Manches habe ich aussortiert, manches kam neu dazu. Weiter schreiben gemäß dem Motto, das für mich seit Beginn meines Blogs unverändert Gültigkeit besitzt:


"Schreiben ist Kommunikation mit dem Unaussprechlichen."
"Man kann sich nicht niederschreiben, man kann sich nur häuten."

beide Zitate: Max Frisch (Hier findet sich der gesamte Abschnitt.)



[mich]
w e i t e r schreiben
im mehrdimensionalen Sinn

*

Ich wünsche allen Leser_innen, allen treuen Begleiter_innen, allen, die hin und wieder reinschneien, allen Lauten und Leisen, allen Narren und Weisen ;-) 

E I N   G L Ü C K L I C H E S   N E U E S   J A H R !

und verabschiede mich für den Übergang in die internetfreie Zone.


Ach ja, was ich noch sagen wollte – (auch das übrigens eine Wiederholung; leider ist das damalige Video mit meiner Lieblings-Live-Version von Cindy Lauper inzwischen gesperrt, aber die hier gefällt mir auch ganz gut): 

Don't be afraid!




Sonntag, 28. Dezember 2014

Kleine Ballastabwerfung zum Jahresende


Ein wenig Ballastabwerfen in Form von Ärgerablassen und Aufräumen zum Jahresende muss sein, bevor ich den Blick aufs Neue richten kann, denn ich habe:


keine Lust mehr auf:

kalte Arroganz

hohlen Glanz, der sich unsterblich wähnt


stattdessen Sehnsucht nach:

phantasiereicher Wärme

echten Menschen mit Körpern, die durchblutet sind, verletzlich und berührungsempfänglich, sterblich 



Ich werde ein paar Dinge zurücklassen im alten Jahr: Zum Beispiel einen bestimmten Ärger und mit diesem zusammenhängend ein paar Blogs (auch anderes, Internetunabhängiges, aber hier ist mein Blog, da will ich jetzt von Blogs und anderen Internetsachen schreiben). Blogs (und auch Twitterer), denen ich gerne und voller Neugier gefolgt bin, weil sie mir so klug schienen, so inspirierend und lehrreich. Aber nö, ich will die nicht mehr lesen. Nicht mehr die narzisstische Selbstinszenierung, nicht mehr das Leiden der scheinbar Verkannten, nicht mehr die Herablassung gegenüber allem, was schlichter daherkommt. Nö. Will ich nicht mehr. Bin es wirklich leid. Auch auf die Gefahr hin, widersprüchlich und ungerecht zu sein, egal:

Ich nehme nur Wärmendes mit ins neue Jahr. Mehrdimensional Kluges, Lebensgelehrtes. Wagemutig Alltagsflüchtende ebenso wie tapfer Alltagbewältigende. Suchende, Zweifelnde, Experimentierfreudige, ihrem innersten Bedürfnis nach Ausdruck Folgende. Auch Schwieriges und Anstrengendes nehme ich mit, sehr gerne sogar, wenn's nicht durch Überheblichkeit verdorben ist. Denn meinen Hunger nehme ich auch mit, aber mit ihm eine gesunde instinktive Abneigung gegen Ungenießbares.



will Verstoßene sein, Nichtdazugehörende, Unverehrerin, Entfolgende (die Autokorrektur schlägt "Entflogene" vor, manchmal weiß sie Bescheid) und Entfolgte, will mein Recht auf Irrtum in die Hand nehmen und großzügig davon Gebrauch machen, will Pathos und Schlichtestheit mischen, wie es mir beliebt und mich nicht scheren um selbsternannte Qualitätswächter, auf die reimt sich sowieso nur Gelächter, haha, nein, verhöhnen will ich aber auch nicht, das hieße, mich noch umzudrehen und zu reagieren, will aber lieber ignorieren, noch lieber auch das Ignorieren ignorieren und stattdessen mal nach vorne sehn, was gibt's denn da?, aha, ein neues Jahr und:  




große Lust auf:

Menschen, die den Raum dehnen

Menschen, die frei mäandern

Verbündung mit diesen Menschen



unbändige Sehnsucht nach

Luft   L u f t    L   u   f   t

selbsterlaufenen Wegen 

(die im besten Fall zum Meer führen, ganz unromantisch existenziell)





So siehts aus.

Gehe mit/weg, wer will.




Sind wir bald da?

– Sind wir bald da?

– Wir waren nie woanders.

Freitag, 26. Dezember 2014

Kleines Salzmeer Liebe

Sie spielt Gitarre im Zimmer obendrüber, ich sitze in der Küche und trinke Anis-Kümmel-Fenchel-Tee. Wir haben einen Tag mit Filmschauen (Hobbit 1 und 2 auf DVD, morgen ist Teil 3 im Kino dran), Spielen (Carcassonne und Malefiz), Pizzaessen und viel Lachen hinter uns. Freund und Bruder haben sich verabschiedet, jetzt braucht jede von uns etwas Zeit für sich, (nicht nur) darin sind wir uns ähnlich. Schlagartig wird mir bewusst, wie sehr ich sie vermissen werde, wenn sie wieder abgereist ist. Es schnürt mir die Kehle zu und treibt mir Tränen in die Augen. Meine Vorfreude hat sich von Tag zu Tag gesteigert, bis zu ihrer Ankunft am vergangenen Samstag. Wir sind Freundinnen geworden, meine Tochter und ich. Liverpool ist nicht sooo weit weg und es gibt billige Flüge. Trotzdem: Manchmal fehlt sie mir sehr. Jetzt, in diesem Augenblick, als ich sie oben zur Gitarre singen höre, spüre ich ganz tief, wie ich es liebe, sie in der Nähe zu haben. Noch eine Woche, dann fliegt sie wieder rüber auf die Insel. Ich lasse zwei Tränen auf die Tastatur tropfen und mische sie unter die Buchstaben. Kleines Salzmeer Liebe.

Sonntag, 21. Dezember 2014

(nicht fertig) Werden

Wie geht's mit Alice weiter, wie mit der Vogelfrau, und was ist eigentlich aus der Nachtigall geworden, ganz zu schweigen vom Vögelchen
Dann wären da noch die diversen Lyrik-Baustellen: Beute, Der Metaphern so leid und Ungereimtheit, die auf was eigentlich genau? warten.
Und nicht zuletzt die Vorhaben, von denen ich bisher geschwiegen habe, die dennoch nicht minder existent sind, zumindest in der Warteschleife in meinem Kopf.

Ehrlich gesagt: Ich liebe das. Unverzichtbar für mich, lose Fäden in der Hand zu halten, Bruchstücke, die in ihrer Unvollständigkeit dennoch sehr genau etwas zeigen und beschreiben: Einen wesentlichen Zustand, nämlich den des (nicht fertig)Werdens. In einem Raum der Ungewissheit zu lavieren, zu mäandern, zu treiben, zu strömen!, zu sein. 
Es mag widersprüchlich erscheinen, dass ich mich gerade dort, in dieser unübersichtlichen Weite und Vielfältigkeit so sicher und aufgehoben fühle. Dass ich meine Balance nur auf beweglichen Grund finde. Für mich jedoch ist es logisch. Die Weite, und zwar eine wirkliche Weite, die auch für das wegen seiner großen Entfernung nur schemenhaft Erkennbare Platz bietet, eine solche Weite lässt mich atmen. Jede kleinste endgültige Definition dagegen verengt den Blick, den Raum und lässt mich den Erstickungstod fürchten.
In der Weite ist Raum für immer wieder neue Anfänge, lose Enden, Raum für geduldiges Warten darauf, dass sich eine Fortsetzung einstellt, ein neuer Gedanke Flügel bekommt ... oder auch nicht oder anders als vermutet oder erst spät ... für Wiederholungen und Variationen des Immergleichen, ja, auch das, ganz wichtig! 
Alles hat Zeit, alles darf.

Das klingt schon ein wenig nach Jahresrückblick, und irgendwie ist es das auch. In den letzten Tagen durchstöbere ich mein Blog, freue mich über vieles, staune über manches – das war ich? – und finde auch ein paar Dinge, die mir im Nachhinein peinlich sind. Egal, sie gehören dazu, sind Teil des Gesamtbildes, des lebendigen Gartens. 
Und beim Stöbern wird mir wieder bewusst, wie vorläufig und unvollkommen alles ist, wie es aber zusammengenommen doch ein Bild ergibt, nach und nach, wie eine Textur spürbar wird, wie sich das Viele in seinen unterschiedlichen Facetten zu einem einzigen Text zusammenwebt, der noch lange nicht fertig ist. Und ja, das beruhigt mich. Es geht weiter.



Samstag, 20. Dezember 2014

aus dem Kopf

"Dir kommt immer der Kopf dazwischen, nicht wahr?", sagt sie, "das klingt alles so – gedacht. So gewogen. So aus dem Kopf eben."

Und ich denke – ja, denke! – , wenn du wüsstest! 
Denn du weißt nicht, was es mir bedeutet: zu denken. Meinen Kopf zu benutzen. Ihn rauchen zu lassen. Ihn spielen zu lassen. Herumtollen zu lassen wie ein Kind auf einem Abenteuerspielplatz. Ihn abwägen und reflektieren zu lassen. Ihn sich selbst korrigieren zu lassen. Ihn lernen zu lassen. Ihn zu füttern, den unersättlichen, hungrigen, kurz vor dem totalen Verhungern gerade noch geretteten Kopf. Weißt nicht, was es mir bedeutet, denken zu können, frei von Manipulation. Ja, frei! Spar dir deinen reflexhaften Einwand, es gebe keine wirkliche Freiheit von Manipulation. Spar dir das. So etwas können nur die behaupten, die nicht hinter den Mauern waren mit den verschlossenen Toren, bewacht von den Hütern, die dich in einer Absolutheit hüten, die nichts auslässt an dir, nicht die kleinste, tiefstgelegene Faser. Alles, selbst das Intimste sehen sie, nehmen sie in die Mühle ihrer Hände und Worte, zermahlen sie zu feinstem Pulver, rühren sie an zu einer formbaren Masse und formen diese dann, ganz nach ihrem Belieben. Willkür. Warst du der schon mal ausgesetzt? Wirklich ausgesetzt? In der Art, dass du anschließend nicht mehr die warst, die du wesentlich bist, sondern eine Art Knetfigur in grausamen Händen? Nein. Das. Warst. Und. Weißt. Du. Nicht. Also schwätz nicht. Denke ich.

"Weißt du", sage ich, "mein Kopf will auch geliebt werden. So wie mein Herz verstanden werden will." "Und dir rate ich", fahre ich fort, "ebenfalls deinen Kopf zu benutzen. Denken, selbst denken!, zu können ist ein Geschenk. Lernen zu können ist ein Geschenk. Und es fällt mir wirklich schwer, jemanden zu achten, der freiwillig und ohne äußeren Zwang auf dieses Geschenk verzichtet."

"Willst du mich beleidigen?", fragt sie empört.

"Denk, was du willst.", sage ich. "Tu's."

Freitag, 19. Dezember 2014

Gegen "Die versammelten Schrecken des Nichterzählten um das Herz." *

Schreib's auf, sagt sie, die ich ist, zu mir, die sie ist. Schreib's auf. Du. Schreib's auf für uns. Und wir schreiben's auf. Ich und sie und du. Alle. Alles. Bis es da steht. Sichtbar da steht. Für ... Bis es weg ist. Aus meinem deinem ihrem unserem Kopf. Aus dem Bauch. Weg ist. Der Bauch wieder leer ist. Einen neuen gesunden Hunger hat auf ... Und dann. Oh. Ja. Dann: gehen wir in den Garten. Dann: pflückt sie den Apfel vom Baum. Dann: beißt du hinein. Dann: schließt ich die Augen und folgt dem Apfelstückchen durch den dunklen Schlund hinab in den Bauch. Ist ich in unserer ihrer deiner Mitte. Ist dort Sonne. Oh. Ja. Sonne. Aber zuvor: Schreib's auf. Schreib alles auf, du, die ich ist und sie und wir. Die ich ist in jeder deiner ihrer unserer Geschichten. Du. Schreib's auf. Und nochmal ganz zärtlich: Du. Ja. Du. Als sie, die ich ist. Und ja. Und noch einmal: Schreib's auf. Schreib alles auf. Alles. Du. Alles. Sie. Alles. Wir. Alles. Und dann:               (Ja. Sonne.)     



*

* Der Satz, den ich in der Überschrift zitiere, steht auf Seite 47 von Marlene Streeruwitz: Nachkommen., Roman S. Fischer, 2014

Dienstag, 16. Dezember 2014

Weihnachten

Der Vater verbringt viele Stunden in seiner Werkstatt. Er tut dort geheime Dinge, sägt und hämmert und leimt. Bald ist Weihnachten. Wir wünschen und erhoffen uns einen Kaufladen.
Trotzdem: So viele Stunden?
Aber das fragen wir Kinder uns nicht. Spüren nur die wachsende Unruhe der Mutter, jeden Abend. Ihren Unmut, der sich schließlich in gereizter Ungeduld uns gegenüber äußert. Wir spüren es, werden es aber erst viele Jahre später formulieren und in einen Zusammenhang bringen können. Zunächst einmal sind wir noch so klein, dass wir auf Stühle klettern müssen, um an die Dinge im höchsten Fach des Küchenschranks zu gelangen. So klein, dass wir noch eine Gutenachtgeschichte brauchen, um ruhig schlafen zu können. So klein, dass wir noch ans Christkind glauben.

Neben dem Weihnachtsbaum steht ein Gebirge, größer als wir. Ein rotsamtenes Tuch ist darüber drapiert. Das wird von der Mutter weggezogen, nachdem wir alle zusammen "Ihr Kinderlein, kommet" gesungen haben, mit kerzenfunkelnden Augen. Unter dem Tuch kommt ein Kaufladen zum Vorschein, ein wunderschöner, vom Vater gezimmerter, vom Christkind gebrachter. Ein Kaufladen mit aufklappbaren Seitenteilen, einer Verkaufstheke und Fächern und Laden in den verschiedensten Größen. Darin kleine Schächtelchen und Döschen und Gläschen, Netze, Körbe, Obst, Gemüse und Eier. Auf der Theke eine Klasse, die klingelt, wenn die Geldlade herausfährt.
Wir spielen "Ich wäre die Verkäuferin und du die Kundin", wechseln uns dabei ab, werden nicht müde der immer neuen Varianten.
Zwischendurch müssen wir Schnittchen und roten Heringssalat essen, müssen noch ein paar weniger wichtige Geschenke auspacken, müssen den Eltern beim Auspacken ihrer Geschenke zusehen, müssen mit ihnen anstoßen, in ihren Gläsern perlender Sekt, in unseren prickelnde Limonade, müssen verstohlen kichern über Mutters "Aber nur eins, versprochen?" zum Vater und dessen darauf folgendes Augenrollen.
Wir spielen den ganzen Abend mit unserem Kaufladen. Irgendwann muss der Vater noch einmal in seine Werkstatt, um etwas zu holen, das er vergessen hat. Dafür braucht er sehr lange, in der Zwischenzeit wird die Mutter wieder ganz unruhig, das bemerken wir wohl, aber da ist doch unser Kaufladen ...! Schließlich sind wir so müde, dass wir unter die Bettdecken schlüpfen, bevor der Vater zum Gutenachtsagen zurück ist.
Später schrecken wir kurz aus unseren Kaufladenträumen hoch, weil der Vater durch den Flur stolpert und irgendetwas klirrt. Das unterdrückte Schimpfen der Mutter und das Lallen des Vaters hören wir schon nicht mehr. Oder doch?

Montag, 15. Dezember 2014

Les Optimistes

Wer am Abend an unserem Haus vorbeigeht
und einen Blick durchs Fenster wirft
sieht die helle Lampe über unserem Tisch
sieht die Teller, die Gläser und den Brotkorb auf dem Tisch
sieht uns, wie wir einander gegenüber sitzen am Tisch

Wer einen tieferen Blick wagt
sieht das Bild an der Wand hinter unserem Tisch:

 farbenprächtige Schmetterlinge, die sich in bunte Segeljollen verwandeln
Comment Naissent les Bateaux – Les Optimists par Jean-Olivier Héron *
das haben wir in einem unserer Bretagneurlaube gekauft
aus einer Laune heraus
und was waren wir optimistisch gelaunt damals
in diesen hellen Tagen am Meer
alles schien Sonne, alles schien erreichbarer Horizont



Wer am Abend an unserem Haus vorbeigeht
und einen Blick durchs Fenster wirft
sieht, wie wir stumm einander das Brot reichen über den Tisch

sieht nicht:
die zerbrochenen Flügel unterm Tisch
sieht nicht:
die zerborstenen Planken unterm Tisch
sieht nicht:
das gefrorene Meer unter unserem Tisch



* BildBoot

Freitag, 12. Dezember 2014

Worauf kam's nochmal an? (Eine kleine adventliche Schonungslosigkeit)

Am Morgen hängst du schlampig rum, verschüttest Kaffee im Bett, zeigst dem Tag (oder der Welt?) den Mittelfinger, wachst erst vorm Spiegel auf in alles, was da sonst noch ist, dann liest du Zeitung, weißt dich wieder inmitten der Katastrophe, aber da sind ja auch die Lichtblicke, hey, da spendet wer, da kümmern sich welche, da appelliert man, da könntest, solltest, müsstest auch du, achja, und fast vergessen: Ist ja Advent!, Besinnungszeit, wie wärs mal mit der schonungslosen Variante? ...

Am Vormittag vernachlässigst du deine Pflichten, hast ja frei heute, zumindest einen halben Tag lang, tust aber nichts von dem, was du dir vorgenommen hast, schiebst es auf die lange Bank, an deren anderem Ende alles runterfällt, in ein schwarzes Loch, das spuckt dir manchmal ins Gesicht, dann kommt der Ekel, pfui, die letzte Rettung sind dann lange detaillierte Listen, die sortieren dich fein säuberlich, fehlen nur die Häkchen, oder lieber noch 'ne Liste?, eine für die Innerlichkeit?, du bist sooo gut ...

Am Mittag bist du überdrüssig des vertanen Morgens, des Betrugs der Listen, der Stunden ohne Ziel, auch ohne echte Muße, weißt ja nichtmal, was dir fehlt, da ist so eine leere Stelle, die ist immens, und dennoch dieser Überdruss, als wär da kein Zuwenig, sondern ein Zuviel, dann isst du was Gesundes, Selbstgekochtes, tust deinem Körper etwas Gutes, schon gehts dir besser, zum Nachtisch einen Apfel, an apple a day keeps the doctor away,  so bestimmt dich dein Gewissen, ha ha ha ...

Am Nachmittag dann im Geschäft bist du routinemäßig freundlich, fleißig, froh, dass du die Arbeit hast, die dir liegt, du bist so gut darin und echt, nichts an dir ist verstellt, obwohl auch das nur eine deiner Rollen ist, und weil sie dir so leicht fällt, hältst du sie für deine beste, weit gefehlt, denkt ein Teil in dir, ein hintergründiger, kluger?, das weißt du nicht, gibt es denn überhaupt eine einzige kluge Stelle in dir?, mein Instinkt!, rufst du laut, auf den ist Verlass, wie auf nichts sonst, oh ja ...

Am Abend söhnst du dich dann aus, denn ändern lässt sich sowieso nichts mehr, vorbei der Tag, jetzt bist du rechtschaffen müde, stundenlang aufmerksam und zugewandt gewesen, mit Freude bei der Sache, immerhin, das kann nicht jede_r von sich sagen, jetzt sinkst du in die wohlverdienten Sofakissen, ziehst dir irgendeine Serie rein, aber eine wirklich gute!, immerhin, da könntest du sogar drüber schreiben, öffentlich im Blog, ohne dass es peinlich wäre, und formulieren kannst du ja ...

Worauf kam's nochmal an im Leben und im Schreiben? Ich hab's vergessen.

Donnerstag, 11. Dezember 2014

Du hast geleuchtet oder: Pst ... (rhythmischer Dialog ohne Sieger)

Du hast geleuchtet, in der Nacht. Seitdem ...

In welcher Nacht?

Ich meinte meine. Meine Nacht. In der hast du geleuchtet. Du warst so hell, und warm dazu. Ich taute. Weißt du's wirklich gar nicht mehr?

Ach das ...

Ja, das. Wie du das sagst. Als sei es nichts von Wert. Ich glaubte wirklich ....

Was?

... dein Leuchten gälte mir. Und deine Wärme meinte mich.

Du täuschst dich. Bin in keiner Weise der, den du ... Du irrst. Es tut mir leid.

Dann war es anders? War es umgekehrt? Warst du die Nacht und war das Leuchten ich?

Ich sage nur: Du irrst. Hör auf zu deuten. Lass mich los. Und lass dich los. Und lass die Nacht und lass das Leuchten los.

Du meinst ...?

Ich meine nur: Du brauchst sie nicht, die Überhöhung des Gefühls. Du brauchst das Zwingen nicht der Nacht, des Leuchtens in ein Bild ...

Es war so schön, da hielt ich es für wahr.

Glaub mir, noch schöner ist, was ist, wenn's nicht gedeutet, sondern frei gelassen wird.

Ich will's versuchen. Will mir selber Nacht sein und zugleich mein Licht. Will ...

Pst ...

Ich will doch nur ...

... und pst ...

...

...

(Und du hast doch geleuchtet in der Nacht. Wie jetzt hast du ein Licht gebracht.)

(... und pst ...)

(...)

(...)

Mittwoch, 10. Dezember 2014

weitermachen

die Neigung, etwas zu beenden, weil es – scheinbar – zu keinem Ergebnis führt


das Paradoxon darin erkennen

und: weitermachen


*


An verschiedenen Stellen in der Blogwelt (meint den kleinen Teil dieser Welt, den ich lese*) wird gerade – mal wieder – darüber nachgedacht, was die Schreiberei soll und wie sie soll und ob überhaupt. Gedanken, die ich kenne, auch ich hege sie wiederholt. Aus verschiedensten Gründen. Die Zeit, die dafür "draufgeht", ist einer davon. Dann die Zersplitterung, als solche empfinde ich zum Teil die Beschäftigung mit  den zahllosen Kleinstbruchstücken im Netz. Auch die Relevanzfrage stellt sich mir immer wieder, und sie ist zugleich die, gegen die ich alles und jede_n immer verteidigen möchte. Wer entscheidet, was relevant ist? Dagegen gibt es Erlaubnisse, vor allem solche, die wir uns selbst zu erteilen haben. Nicht zuletzt als eine Art des Widerstandes gegen die selbsternannten Relevanzapostel. (Wie schnell mich dieses Thema jedes mal aufs Neue in Rage zu bringen vermag. Nein, nicht jetzt.)

Momentan komme ich für mich zu dem Schluss, den ich in die drei obigen Zeilen komprimiert habe.

All jenen, die ihre Blogschreiberei momentan in Frage stellen, möchte ich sagen: 
Bitte macht weiter! 
(Und das nicht nur, weil ich mich so sehr an euch gewöhnt habe, dass ich keine_n Einzelne_n missen möchte.)


* zum Beispiel bei Sichten und Ordnen und bei der Mützenfalterin ; und außerdem vermisse ich Melusine, die sich zur Zeit so rar macht ...


Was Schreiben, auch und vor allem das im Blog für mich bedeutet, finde ich nach wie vor am besten bei Max Frisch wieder: Die Kommunikation mit dem Unaussprechlichen Das ist es, dafür lohnt es sich.

Montag, 8. Dezember 2014

Ball der einsamen Herzen - Road to Anywhere VI

"Fällt dir übrigens was auf?", fragte Mario. 
Wir fuhren auf einer sanft geschwungenen Landstraße.  Alles um uns herum war grün und bunt. Die Luft flimmerte und wehte warm zu den Fenstern herein. 

"Was soll mir auffallen?", fragte ich zurück und musterte ihn von oben bis unten.

"Da draußen, meine ich. Sieh mal genau hin."

Ich hielt am Straßenrand und ließ meinen Blick über die Wiesen schweifen, die uns von allen Seiten umgaben. Das hohe Gras  machte rhythmische Wellenbewegungen,  Schmetterlinge flatterten synchron von Halm zu Halm, als folgten sie einer Choreografie, Vögel trafen sich zu einer kunstvollen Flugformation. 
"Alles tanzt", sagte ich,

"Yep!" Mario klatschte in die Pfoten. "Willkommen zum Ball der einsamen Herzen!"

"Was? Wieso Ball der einsamen Herzen? Sieht nicht so aus, als wäre hier irgendjemand allein."

"Ich sprach nicht von allein", sagte Mario, "sondern von einsam. Das ist ein Unterschied."

"Ich weiß", murmelte ich, "ich weiß." 
Aber Mario war schon ausgestiegen und hörte mich nicht mehr. Dann beugte er sich nochmal zu mir herein. "Hast du 'nen passenden Song auf deinem Mixtape?"

"Den habe ich allerdings." Ich spulte das Band ein wenig vor, drehte die Boxen voll auf und stieg ebenfalls aus.

"Komm, wir tanzen mit!", forderte Mario mich auf. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. 



- Liebe Leser_innen, jetzt Video* gucken! Und dazu tanzen. Oder auch nicht. -




"Puh ..." Völlig außer Puste ließ ich mich ins Gras fallen. Mario breitete sich neben mir aus und schnaufte. "Uff, lange nicht mehr so wild abgedanced." Ich lachte und knuffte ihn in die Seite. "Hat echt Spaß gemacht, mein Lieber."

Wir lagen eine ganze Weile einfach nur da, sahen in den Himmel und hingen unseren Gedanken nach. Ich überlegte, wann ich mich das letzte Mal so frei und unbeschwert gefühlt hatte. Es musste ewig her sein. War ich überhaupt noch die, an die ich mich erinnerte? Und war ich jetzt die, die ich mir damals vorgestellt hatte?

"Alice, wollen wir mal weiter?", unterbrach Mario meine Gedankengänge. "Ich krieg langsam Hunger und wüsste da jemanden ... Aber wenn du ..." 

"Nein, schon gut." Ich richtete mich auf. "Du, Mario, warst du eigentlich auch mal jung?"

"Aber natürlich, Alice! Was soll die Frage?"

"Ja, natürlich. Eine dumme Frage, entschuldige!" Ich konnte nicht in Worte fassen, worum es mir eigentlich ging, deshalb stand ich auf, fegte ein paar Grashalme von meinen Kleidern und stieg ins Auto. "Ich bin auch hungrig, und wenn du da jemanden weißt ... Lass uns weiterfahren!"



*


* Hiermit danke ich @Stadtneurotik, die gestern auf Twitter das Video postete, für den Flashback und die daraus entstandene Idee für eine weitere Folge meines Roadmovies. :-)



Die ganze Geschichte (tbc)

Freitag, 5. Dezember 2014

Ungereimtheit

In diesem langen
fehlerhaften 
Leben
ist es hin und wieder
so:
Da schmiegt ein Wort sich
wie gegossen
an ein andres
da fügt ein Blick sich
in den andern
lückenlos
da machen zwei aus 
einer Ungereimtheit
ein Gedicht


*


07.12.2014, "Baustellen"eröffnung:

Nach einem Kommentar von Sonja denke ich darüber nach, das Wort "fehlerhaft" auszutauschen. Sie hat recht damit, dass es nicht wirklich passt. Wer will Lebensereignisse als Fehler bezeichnen? Das kann immer nur aus subjektiver Sicht geschehen. Und sind es wirklich Fehler? Wir scheitern, ja. Andere scheitern und es hat Auswirkungen auf unser Leben. Wir gehen keinen geraden, ebenen Weg. Aber alles gehört letztlich dazu, ist Teil des Ganzen, will angenommen, integriert sein. Aus Fehlern lernen wir, an Schicksalsschlägen wachsen wir (oder auch nicht). Es ist wie es ist. Es ist. Und es ist unvollkommen, bruchstückhaft, vorläufig, schmerzvoll, verlustträchtig ... 

Es ist nur ein kleines Wörtchen, nur ein kleines Gedicht. (Ich verkneife mir an dieser Stelle die Relevanzfrage, mit der ich mich immer wieder beschäftige.)
Aber ein Aspekt, den ich an Sprache mag, ist, dass wir mit ihr sehr genau sein können. Und am genauesten ist sie meines Erachtens in ihrer poetischen Form. Wenn denn die Wortwahl stimmt.
Deshalb freue ich mich über Sonjas Anmerkung und suche noch ein wenig nach einem passenderen Ausdruck, bin auch dankbar für Vorschläge.

Donnerstag, 4. Dezember 2014

Wartet denn jemand auf dich? - Road to Anywhere V

(Tja, Alice, wie kommst du jetzt wieder raus aus der Geschichte, hm?)


*

Irgendwann schlief ich wieder ein und wachte erst auf, als die Sonne bereits hoch am Himmel stand. Meine Zimmertür öffnete sich einen Spalt und Mario steckte die Nase herein. Als er sah, dass ich die Augen offen hatte, stieß er die Tür weit auf und kam mit einem Tablett herein.

"Tadaaaa!", rief er und servierte mir ein opulentes Frühstück aus frisch gebrühtem Kaffee, noch warmen, duftenden Brötchen und jeder Menge Obst und Gemüse. Bis auf den Kohlkopf verputzte ich alles, ich hatte einen Bärenhunger.

"Danke, Mario, wirklich: Vielen, vielen Dank. Für alles." Ich drückte seine Pfote und er strahlte mich an.

"Schon gut, Alice", meinte er. Dann räusperte er sich. "Duhu, wollen wir vielleicht gleich noch 'ne kleine Spritztour machen? War doch schön gestern, oder?"

"Oh ja, das war es!" Die Erinnerung ließ mich schmunzeln. "Aber ich weiß nicht, eigentlich müsste ich weiter. Oder zurück. Oder zumindest ein paar Leuten Bescheid geben, damit sie sich keine Sorgen machen."

"Wartet denn jemand auf dich?"

Ich sah ihm in die Augen. "Ja, schon. Das heißt, ich hoffe es. Oder nein, ich wünschte es, aber ... Ach was, nein, ehrlich gesagt, hm ... Nein, es wartet niemand auf mich. Leider." Ich zuckte mit den Schultern.

"Dann bist du also frei?"

"Tja, so kann man's auch nennen." Ich musste irgendwie verzweifelt geguckt haben, denn Mario wollte mich schon wieder tröstend in die Arme nehmen. "Lass mal", wehrte ich ihn ab, "Ist schon okay. Weißt du was? Ja!"

"Was, ja?"

"Ja, lass uns 'ne Spritztour machen. Du bist zuständig für die Route und ich für die Musik. In Ordnung?"

"Jippieh! In Ordnung!" Mario sprang auf und hüpfte im Zimmer herum. "In Ordnung, in Ordnigung, in Ordnilidelingelung. Juppdiduuuuh!"

Ich holte meine Tasche aus dem Auto, putzte mir die Zähne und zog ein paar frische Klamotten an. Als ich vor die Haustür trat, saß Mario bereits auf dem Beifahrersitz, hatte das Fenster runtergekurbelt und tätschelte das goldene Herz  auf der Tür. "Ist es nicht wunderschön?" Er hüpfte auf dem Sitz rum. "Jetzt komm endlich!", rief er.

"Jaja ... ". Ich stieg ein. "Für heute reicht die Tankfüllung noch", stellte ich fest und startete den Motor. "Welche Richtung?"

Mario deutete auf den Weg, der an seinem Bau vorbei in ein grünes Tal führte. "Erstmal da lang, alles weitere ergibt sich von selbst."









Die ganze Geschichte (tbc)

Mittwoch, 3. Dezember 2014

Meins

Wie du dich vor mir entblößt hast, exhibitionistisch.

Wie ich genau hingesehen habe, immer wieder, voyeuristisch.

Wie du Buch geführt hast über meine Blicke..

Wie ich mich gegen meine aufkommende Scham gewehrt habe.

Wie du plötzlich einen Schlüssel gehabt hast zu meiner Tür.

Wie ich irgendwann die Tür vor dir geschlossen habe, endgültig, obwohl ich mich immer dafür rühmte, eine zu sein, die Türen öffnet.

Wie du vor meiner Tür weitergemacht hast wie bisher.

Wie ich hinter meiner Tür endlich in Besitz genommen habe, was mir längst gehörte.

Montag, 1. Dezember 2014

Kleine Sehnsuchtsoffenbarung am Morgen

Ich sehne mich nach Ruhe, Frieden und Abenteuer.