Freitag, 20. Mai 2011

Freies Atmen (Loses Blatt #29)

Ohne ein gewisses Maß an Fremdheit und Einsamkeit wäre mir freies Atmen nicht möglich.

Donnerstag, 19. Mai 2011

Ursula Ziebarth: Not only for getting better jobs, but for reflecting on Socrates.

"[...]
Ein besonders weltläufig sich gebender Mann wartete auf einem Symposion zur Bildungsforschung ungeniert mit der Feststellung auf:
"Nobody goes to University for reflecting on Socrates, but for getting better jobs", und weder wurde dieser halbweltläufige Unwissenschaftler wegen Verleumdung rausgeschmissen, noch raffte sich jemand auf, ihm zu widersprechen.
Ich widerschreibe ihm hiermit.
Denn wie kann ich dulden, dass ganzen Jahrgängen von Studenten unterstellt wird, einzig Aussicht auf lukrative Jobs habe sie bewogen, ein Studium aufzunehmen. Es gibt immer noch solche, die des Universums wegen auf die Universität gehen, die wissen wollen, warum und wer und wann und wie, die sich aus Büchern ein Weltbild zusammenlesen, zuhören, experimentieren, über Erkenntnisse noch in Aufregung geraten [...].
Das muss erhalten werden, die Lust am Wissen, der Spaß daran, sich Erscheinungen erklären zu können, der Wunsch, das Chaos täglicher Wahrnehmungen zu ordnen, sich umzuwenden nach den Vorlebenden, ihre Erkenntnisse zu prüfen, vom Wissen der Menschheit, von ihrem Können nichts in Verlust geraten zu lassen, an der Gegenwart zu rütteln, damit die Zukunft besser wird. [...]
Not only for getting better jobs, but for reflecting on Socrates.
[...]
Wir sind die einzigen Lebenden, die wissen, dass sie einmal nicht mehr sein werden, wie sie sind, ohne jedoch von der Möglichkeit anderen Seins Beweise oder auch nur eine einigermaßen konkrete Vorstellung zu haben.
Ein Kind, hörte ich, fragte seine Mutter erregt, ob es denn, wenn es plötzlich stürbe, etwa eingegraben würde wie ganz alte tote Leute, und es ließ sich nicht ein auf die Reden der Mutter vom langen Schlaf. Dringlich fragte es weiter:
"Auch der Kopf?"
Und immer angstvoller:
"Auch die Augen?"
Grund, Kindern die Kräfte zu lassen, die ihnen möglich machen, sich zu entfalten in der Spanne Zeit, die sie lebend anwesend sind auf dem Planeten terra, sich zu entfalten und Frieden zu halten mit den anderen Anwesenden, die nach dem Stande unseres Wissens auch nicht mehr haben als dieses eine Lebendigsein.
Denn eines Tages.
Auch der Kopf.
Auch die Augen."

entnommen der Geschichte "Pablito oder 'Dieses Kind hat sich nicht verderben lassen'"
aus: Ursula Ziebarth, Ein Kinderspiegel, Piper, München 1979
"Ein Buch der Freundschaft zu Kindern und, weil wir alle Kinder waren, ein Buch der Freundschaft zu den Menschen."
Leider ist dieser Schatz an Geschichten und Fotografien seit Jahren vergriffen.

Mittwoch, 18. Mai 2011

Land genug

Des Fliegens müde
wäre ein Boot
mir Nest genug

Des Segelns müde
wäre ein Traum
mir Land genug

Des Träumens müde
wäre dein Arm
mir Welt genug

Dienstag, 17. Mai 2011

Tom Waits: Lullaby



Sun is red; moon is cracked
Daddy's never coming back
Nothing's ever yours to keep
Close your eyes, go to sleep
If I die before you wake
Don't you cry, don't you weep

Nothing's ever as it seems
Climb the ladder to your dreams
If I die before you wake
Don't you cry, don't you weep
Nothing's ever yours to keep
Close your eyes; go to sleep

Montag, 16. Mai 2011

Kieselzungenlied

Allzu Leichtes geht zu Bruch
Honigtraum zerspringt
Unter watteweichem Tuch
Wohnt nichts das gelingt

Willst ein felsiges Gedicht
Unberührtes Land
Für den Ort ohne Gewicht
Eine schwere Hand

Sing ein Kieselzungenlied
Wirf es in den Fluss
Wir erobern ein Gebiet
Das nur will was muss

Montag, 9. Mai 2011

Was wir nicht zu sagen haben (Loses Blatt #28)

Aus dem, was wir nicht zu sagen haben, lassen sich herrliche Fassaden errichten.

Sonntag, 8. Mai 2011

Humor

Wir haben Humor
Nach jedem Scheitern
fädeln wir
einen Neuanfang
auf das Möbiusband
unserer Lebenszeit

Freitag, 6. Mai 2011

Unter der Eberesche

Unter der Eberesche ein tiefes quadratisches Loch. Darin Rosenblütenblätter. Unter diesen eine Urne. Darin deine Asche.
Zum Abschied spielen sie Konstantin Wecker, dein Lieblingslied, aus dem du so oft zitiert hast, dass wir es alle mitsingen können:

"Liebes Leben, fang mich ein,
halt mich an die Erde.
Kann doch, was ich bin, nur sein,
wenn ich es auch werde.

Gib mir Tränen, gib mir Mut,
und von allem mehr.
Mach mich böse, mach mich gut,
nur nie ungefähr.

Liebes Leben, abgemacht?
Darfst mir nicht verfliegen.
Hab noch soviel Mitternacht
sprachlos vor mir liegen."

Du wolltest gehen (oder nicht mehr bleiben) und hast dich niemandem erklärt.
Wir verstehen nicht und sprechen hilflos von Respekt und dass man niemals jemanden wirklich kennt. Dabei haben wir dein Bild vor Augen. Ein Film läuft ab und zeigt uns ungerührt auch das, was noch hätte sein können.

Wir trinken Wein zusammen und sprechen über Bücher, Politik, Kindererziehung, Sterbehilfe, Urlaubsziele. Wir organisieren Lesungen, Feste, Demonstrationen. Wir bewegen und verändern. Wir ruhen uns gemeinsam aus.

Ich weiß genau, wie du aussiehst, wenn du lachst, und wenn du dich ereiferst bei Themen, die dir auf der Seele brennen. Wie deine Hände sprechen und deine Augen. Ich war oft anderer Meinung, aber ich mochte dein kongruentes Verhalten.

Wir bauen einen Sandkasten mit den Kindern, machen Radtouren und Walderkundungen. Wir zeigen ihnen unsere Lieblingsfilme, lassen sie los und zahlen ihnen den Führerschein. Wir lieben sie und wollen das Beste für sie.

Dein Sohn steckt mitten im Abitur. Er kann nicht fassen, was du getan hast. Er ist traurig und zornig. Wir unterstützen ihn, aber der einzige wirkliche Trost liegt in der Zeit, die vergehen und heilen wird. So langsam wie nötig.
Wir umarmen einander wortlos und lang und fest. Wir sehen uns in die Augen. Wir verabschieden uns.
Du hast alle, die du liebtest, die dich liebten, unter der Eberesche zusammengebracht. Unsere Hände duften nach Rosen, und unsere Gesichter schmecken nach Meer.
Ich möchte glauben, mein Freund, dass wir uns wiedersehen.

Donnerstag, 5. Mai 2011

Bleiben (Loses Blatt #27)

Mit dem Bleiben ist es wie mit dem Gehen: Beides funktioniert nur, wenn man Schritte macht.

Mittwoch, 4. Mai 2011

Wortverzicht

In einer Tiefe
der die Worte fehlen
Fragen stellen
darauf ins Grüne
(oder Blaue) ziehn
und Antwort finden
die genauso wortlos ist
und dies dann nicht beschreiben