Der Vater verbringt viele Stunden in seiner Werkstatt. Er tut dort geheime Dinge, sägt und hämmert und leimt. Bald ist Weihnachten. Wir wünschen und erhoffen uns einen Kaufladen.
Trotzdem: So viele Stunden?
Aber das fragen wir Kinder uns nicht. Spüren nur die wachsende Unruhe der Mutter, jeden Abend. Ihren Unmut, der sich schließlich in gereizter Ungeduld uns gegenüber äußert. Wir spüren es, werden es aber erst viele Jahre später formulieren und in einen Zusammenhang bringen können. Zunächst einmal sind wir noch so klein, dass wir auf Stühle klettern müssen, um an die Dinge im höchsten Fach des Küchenschranks zu gelangen. So klein, dass wir noch eine Gutenachtgeschichte brauchen, um ruhig schlafen zu können. So klein, dass wir noch ans Christkind glauben.
Neben dem Weihnachtsbaum steht ein Gebirge, größer als wir. Ein rotsamtenes Tuch ist darüber drapiert. Das wird von der Mutter weggezogen, nachdem wir alle zusammen "Ihr Kinderlein, kommet" gesungen haben, mit kerzenfunkelnden Augen. Unter dem Tuch kommt ein Kaufladen zum Vorschein, ein wunderschöner, vom Vater gezimmerter, vom Christkind gebrachter. Ein Kaufladen mit aufklappbaren Seitenteilen, einer Verkaufstheke und Fächern und Laden in den verschiedensten Größen. Darin kleine Schächtelchen und Döschen und Gläschen, Netze, Körbe, Obst, Gemüse und Eier. Auf der Theke eine Klasse, die klingelt, wenn die Geldlade herausfährt.
Wir spielen "Ich wäre die Verkäuferin und du die Kundin", wechseln uns dabei ab, werden nicht müde der immer neuen Varianten.
Zwischendurch müssen wir Schnittchen und roten Heringssalat essen, müssen noch ein paar weniger wichtige Geschenke auspacken, müssen den Eltern beim Auspacken ihrer Geschenke zusehen, müssen mit ihnen anstoßen, in ihren Gläsern perlender Sekt, in unseren prickelnde Limonade, müssen verstohlen kichern über Mutters "Aber nur eins, versprochen?" zum Vater und dessen darauf folgendes Augenrollen.
Wir spielen den ganzen Abend mit unserem Kaufladen. Irgendwann muss der Vater noch einmal in seine Werkstatt, um etwas zu holen, das er vergessen hat. Dafür braucht er sehr lange, in der Zwischenzeit wird die Mutter wieder ganz unruhig, das bemerken wir wohl, aber da ist doch unser Kaufladen ...! Schließlich sind wir so müde, dass wir unter die Bettdecken schlüpfen, bevor der Vater zum Gutenachtsagen zurück ist.
Später schrecken wir kurz aus unseren Kaufladenträumen hoch, weil der Vater durch den Flur stolpert und irgendetwas klirrt. Das unterdrückte Schimpfen der Mutter und das Lallen des Vaters hören wir schon nicht mehr. Oder doch?
weihnachtsgeschichten von der b-seite, immer besser als a.
AntwortenLöschenWarum besser? Wie meinst du das?
Löschentraurig und schön.
AntwortenLöschenWie eigentlich alle Geschichten, nicht wahr?
LöschenAlk hat schon immer ..........
AntwortenLöschenWir Kinder "durften" an Weihnachten ausnahmsweise heißen Grog trinken. Mein kleiner Bruder kotzte daraufhin auf den Teppich, es gab Schläge und ...Ach, nicht dran denken!
Warum tun alle bloß immer SO anders.
Die Zeit heilt ja tatsächlich vieles. Wenn man sich damit beschäftigt. Manches muss aber, glaube ich, unbedingt erzählt werden. Um die Tabus endgültig zu brechen.
LöschenDeinen letzten Satz verstehe ich nicht ganz. Wen meinst du mit "alle" und was mit "so anders"?