Mittwoch, 4. März 2015

Zeit und Hände und Kindheitssommer

Wie die Zeit nie vorüber geht, sondern immer mitten hindurch.



Spuren. In deinen Händen liegen Jahre, nicht mehr alle, manche sind davongeflogen, andere aber wiegen schwer, auch die leichten, sie bleiben, graben sich tief ein ...



Weißt du noch?

Wir wateten durch die schneeschmelznassen Wiesen, fröstelnd, jauchzend, trugen den Frühling in uns, ausbruchbereit, fassten alles an, ballten unsere kleinen Fäuste um den hellen Tag, warfen ihn hoch in die Luft

Dann Sommer. Die Forellen in dem kleinen Bach, wir auf dem Holzsteg darüber, die Puppe baumelte vergessen in der einen Hand, während die andere Kiesel ins Wasser warf ... das Funkeln um uns und in uns ... wir ... unsere rosige Sonnenhaut ... unsere kleinen verschwitzten Sommerhände ...

Weißt du noch? Ist schon lange her.



Immer und überall Hände. Warum mir die so im Gedächtnis verankert sind? ...
Große Hände, alte Hände, papierdünne knittrige Haut mit braunen Flecken, junge Hände, kräftige, geschickte, emsige Hände, sanfte Hände, traurige Hände, ja, auch die, die tränentraurigen Hände, und die tröstenden auch ...



Wir sammelten Pilze und Heidelbeeren, rührten Teig an, buken Pfannkuchen, pressten Zitronen in den Krug mit Quellwasser, schütteten heimlich die doppelte Portion Zucker dazu, stippten den Finger tief ins süße Leben, leckten ihn ab mit geschlossenen Augen ...

Die schweren Bettdecken, die knarzenden Dielen, die Spinnen in den Winkeln, der Duft nach ... allem ... üppiger Wiesenblumenstrauß ... Sonne und Nacht ... Grillenzirpen durchs offene Fenster, tanzende Schatten an der Wand, schläfrig gewisperte Pläne für den nächsten Tag ... Ferien ... sich selbst überlagernde Zeit ... 

Der vergrabene Schatz, die geheimen Zusammenkünfte in den Wipfeln der Bäume, die kräftigen Muskeln, die junge Haut, die Sprünge, die Hüpfer, die Wettrennen, die Würfe, die Spiele, die Abenteuer, die Gefahr, die Träume, der tiefe Schlaf ...

Warum ausgerechnet das ... so lange her ... Weißt du noch?



die kalten Hände, wächsern, bleich, mit dem Nimmermehr in allen Fasern, stumm auf dem weißen Laken, der kühle Raum, die durchtrennte Luft, das Nein und das Nicht und das abgeschnittene Du



die Wiederholungen, die Raster, die scharfen Kanten, die Kästchen, die ewige Uhr, die Abläufe

das Schöne

das Gute



meine Hände auf der Tastatur, meine tanzenden Finger und das in ihnen wohnende Wissen, die Linien in meinen Handflächen und wovon sie sprechen: dass dies alles längst nicht alles ist

das nicht Endende, das die Verbindung herstellt zu dem allerersten unbewussten alles Umfassenden
der Griff, das Begreifen, das Tasten, das Fassen, das wieder Lassen




10 Kommentare:

  1. Hast Du das schon einmal laut (vor)gelesen? Wie schön das klingt! Was für eine sinnliche und berührende Melodie aus Lieblingsworten. So geheimnisvoll und vertraut und eigen. Und besonders das "Nimmermehr in allen Fasern" zergeht mir auf dem Herzen. Danke! Liebste Grüße FF

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    1. Ja, ich hab’s laut gelesen, das mach ich mit allen Texten, und eigentlich klingen sie schon in meinem Kopf, während ich schreibe. Lieblingsworte, Lieblingserinnerungen ...
      Danke, meine Liebe und herzliche Grüße aus B (noch)

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  2. "weisst du noch..." ist ein lied, e-schmoll, mit etwas dur in den haaren. klingt sehr versonnen.

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    1. Stimmt, es ist ein Lied in Moll mit ein wenig Dur, das hast du schön ausgedrückt. :-)

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  3. "die zeit geht nicht vorbei, sondern mitten hindurch".
    JA!
    ... hände. auch eines meiner "leitmotive" im leben sozusagen. :)
    wunderschön geschrieben, liebe iris, mit hand und herz und tiefgang!

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    1. Hände sind faszinierend, ein schier unerschöpfliches Thema ...
      Danke, liebe Diana!

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  4. Die Hände meines Liebsten liebe ich so überaus- immer dran denkend, wie ich ihm während jeder der drei Geburten reinbeißen durfte!
    Dein Text ist SEHR berührend!

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    1. Solche Hände muss man lieben. Wie gut, dass es sie gibt.
      Danke!

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