In der darauf folgenden Woche, die ich in deiner Wohnung
verbrachte, um alles zu regeln und zu ordnen, in dieser Woche
zwischen all den von dir geliebten und bewahrten Dingen versöhnte ich mich mit
dir.
Du hattest dich gut auf deinen Tod vorbereitet. Alle nötigen
Unterlagen fand ich in einem Ordner abgeheftet. Eine Mappe mit Wünschen deine
Beerdigung und dein Grab betreffend war ebenfalls angelegt. Du hattest ein
Bestattungsinstitut ausgewählt, die Art des Grabsteins, eine Gärtnerei für die Grabpflege, da wir alle weit entfernt wohnten. Du
hattest Lieder ausgesucht für die Trauerfeier und einen Text, den ich später
unter Tränen der Trauergemeinde vortragen würde: Die „Stufen“ von Hermann
Hesse.
Es gab ein Büchlein mit den Namen und Adressen aller, die im
Falle deines Todes verständigt werden sollten. Ich verbrachte viele Stunden am
Telefon, wurde Zeugin tiefer Bestürzung und Trauer. Erfuhr von Achtung und
Zuneigung, die dir von so vielen Menschen entgegengebracht wurden. Lauschte
Geschichten über dich, die mein Bild von dir erweiterten, teilweise
korrigierten, auf jeden Fall meine subjektive Sicht ergänzten.
Ich sah den Reichtum deiner letzten Jahre, in denen ich dir
mein Interesse, so gut es ging, verweigert hatte. Ich betrachtete dich neu in
diesem Zusammenhang, ließ mich anstecken von der Wertschätzung der anderen, hatte seltsamerweise nicht das Bedürfnis, etwas „richtigzustellen“,
darüber zu sprechen, wie sehr ich die Mutter in dir vermisst hatte.
Ich konnte nicht genug bekommen von diesen Gesprächen mit
Menschen, die dich liebten, die nur Gutes von dir zu berichten wussten. Ich
spürte, wie meine wertende, urteilende Haltung dir gegenüber langsam überlagert
wurde von etwas anderem: dem Wunsch, dich im Rückblick als die Frau zu sehen, die du auch warst: Eine Frau, die versucht hatte, das Beste aus einem nicht einfachen Leben zu machen.
Als wir nach der Beerdigung bei Kaffee und Kuchen
zusammensaßen und ich von Tisch zu Tisch ging, um mit möglichst jedem ein paar
persönliche Worte zu wechseln, hörte ich wieder und wieder, wie ähnlich ich dir
doch sei, sowohl äußerlich als auch in meiner Art, meinem Humor, in bestimmten
Einzelheiten des Verhaltens. Es machte mich stolz. Meine jahrzehntelange
Hoffnung und Anstrengung, niemals so zu werden und zu sein wie du, war
untergraben. Ich war tief berührt und konnte mich erstmals freuen über
den Satz: „Du bist genau wie deine Mutter.“
(für meine Mutter, 1931-2003)
(für meine Mutter, 1931-2003)
Das berührt sehr, vielen Dank dafür, auch wenn ich mich gerade selbst bewerte: Lichtjahre von einer derartigen Einstellung entfernt, leider.
AntwortenLöschenEine sehr berührende Geschichte.. Danke dafür.
AntwortenLöschenDarin finde ich viel wieder von mir aus der Zeit, als meine Mutter gestorben war. Danke.
AntwortenLöschenWunderschön, wenn man auf diese Weise Abschied nehmen kann. Ein Abschied, bei dem man ankommt. Danke für diesen Mutterbrief.
AntwortenLöschenIch danke Euch herzlich fürs Lesen und freue mich, dass Ihr Euch berühren lasst.
AntwortenLöschen"Du bist genau wie deine Mutter" - ein Satz, den ich auch oft höre. Wenn ich Texte wie diesen lese, bin ich so stolz darauf, Mum! Hier in deinem Garten kann ich so viel über dich erfahren, was ich noch nicht weiß. Ich hoffe wirklich, dass ich dir ähnlich bin. Ich hätte gerne etwas von deinem Talent, etwas von deiner Offenheit gegenüber allen und allem, etwas von deinem Humor (und den regelmäßigen Lachanfällen ;-) ), etwas von deiner Geduld, etwas von... dir.
AntwortenLöschenLiebe Lizzy,
Löschenvielen Dank für diesen schönen Kommentar!
Genau das, was Du gerne von mir hättest, sehe ich bei Dir längst: Talent, Offenheit, Humor ... Und zwar in großem Maße. Es ist eine Riesenfreude, Dir beim Suchen, Entwerfen und Beschreiten Deines Weges zuzusehen.
:-)
Sehr berührend.
AntwortenLöschenich wünsche mir, dass ich mich auch eiens Tages darüber freuen kann ihr ähnlich zu sein.
Das wünsche ich Dir auch.
LöschenSchade, dass ich es nicht eher konnte. Es gibt so viel zu lernen und so viel zu versöhnen. Aber irgendwie kann man auch nicht schneller sein als die Zeit, die so ein Prozess braucht.
hier passt: anrührend.
AntwortenLöschendanke
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