Warum? Keine Ahnung!
Nicht, dass ich grundsätzlich etwas gegen die Farbe Gelb hätte, ich mag sie an Blumen, Wänden, Kartoffelpürree. Als Symbol für Sonne, Ewigkeit und ein freundliches Wesen. Aber als Farbe eines Buchcovers reizt sie mich null.
Oder vielleicht reizt sie mich doch, nur eben im negativen Sinne, und hält mich davon ab, mir das so eingebundene Buch näher anzuschauen. Schließlich wähle ich meinen Lesestoff intuitiv - nach Cover und Titel und erstem Satz, in genau dieser Reihenfolge. Wenn ich aber doch hin und wieder ein "gelbes Buch" lese, dann in der Regel deshalb, weil eine Kollegin es mir ans Herz gelegt hat.
So geschehen bei den drei folgenden Titeln:
1. Die Tigerfrau von Tja Obreht
"In meiner frühesten Erinnerung ist mein Großvater kahl wie ein Stein und nimmt mich mit zu den Tigern. Er setzt seinen Hut auf und zieht den Regenmantel mit den großen Knöpfen an, und ich trage meine Lackschuhe und das Samtkleid. Es ist Herbst, und ich bin vier Jahre alt. Das Verlässliche daran: Großvaters Hand, das helle Zischen der Straßenbahn, die feuchte Morgenluft, das Gedränge den Hügel hinauf zum Zitadellenpark. Immer in Großvaters Brusttasche: Das Dschungelbuch mit dem Blattgoldeinband und den alten gelben [!] Seiten. Ich darf es nicht in die Hand nehmen, aber es bleibt den ganzen Nachmittag aufgeschlagen auf seinem Knie liegen, und er liest mir Passagen daraus vor. Obwohl mein Großvater weder sein Stethoskop um den Hals hat noch den weißen Kittel trägt, nennt die Dame an der Kasse ihn "Herr Doktor"."
So ein schöner Anfang! Wäre da nicht der gelbe Einband. Aber zum Glück gab es die begeisterte Kollegin, die mir den Roman wärmstens empfahl. Und so kam ich in den Genuss dieses sprachschönen und bildmächtigen Debüts einer noch sehr jungen Autorin.
Sie fügt die bewegende und bewegte Geschichte des Großvaters ihrer Protagonistin zusammen aus den vielen kleinen Geschichten, die er selbst ihr erzählt hat, als sie noch ein Kind war, und aus jenen, die andere ihr nach seinem Tod erzählten. All diese Geschichten ranken sich im Wesentlichen um zwei Personen: Die Tigerfrau, schön und taubstumm, die einen geflüchteten Tiger pflegt, und einen rätselhaften Mann, der nicht sterben kann.
Zwischen zwei gelben Buchdeckeln 400 Seiten voller Liebe, Legende und Tod.
2. Tal der Herrlichkeiten von Anne Weber
Hier ist der Einband nicht einmal durchgängig gelb, es gibt auch eine blaue Welle, die auf einen weißen Strand rollt. Trotzdem ... Aber dank der Kolleginnen ...
Der Roman erzählt in einem zarten Ton eine zarte Geschichte von zwei zarten Seelen. Er beginnt in Andeutungen, hält sich zurück in der Interpretation seiner Figuren, lullt den Leser fast ein mit seiner traumgleichen Sprache - um dann an manchen Stellen unvermittelt so direkt zu werden in der Beschreibung von sexuellen und gewalttätigen Handlungen, dass man regelrecht erschrickt.
Es ist eine Liebesgeschichte von großer Intensität und kurzer Dauer, die hier erzählt wird. Zwischen einem zerschlagenen Mann, von der Autorin Sperber genannt, und einer nach einem dramatischen Kindheitserlebnis im wahrsten Wortsinn beschädigten Frau, Luchs genannt. Beide sind gebrannt, beide sind aufgrund dessen vorsichtig-misstrauisch, jederzeit zum Rückzug bereit.
Im zweiten Drittel des Buches breitet sich über sechs Seiten hinweg eine der schönsten Beschreibungen eines Liebesakts aus, die ich bisher gelesen habe.
Ein Ausschnitt:
"Und weiter wuchs zwischen ihnen das Verlangen; Sperbers Hand nahm, behutsam kreisend, ihre Liebkosungen wieder auf. Der wachsweiche, noch atemlose Körper der Geliebten rollte zur Seite, und Sperber schmiegte sich an ihren Rücken. Und das fremd-vertraute Wesen, das zwischen seinen Schenkeln zuckte und sich gebieterisch gebärdete, schlug wie zum Spiel gegen ihre Flanke. Luchs, gar nicht willenlos, drehte sich auf den Bauch. Lange lustwandelte er über ihren Rücken, bevor seine Hand, tief in die offene Schenkelschere greifend, aufs Neue Zuflucht fand. Beim Hin und Her seiner starren Finger vernahm er das leise lockende Gurgeln und Schmatzen, das aus der Tiefe kam, und er wollte in die Quelle eintauchen und an ihr trinken, wollte mit Leib und Seele in ihr versinken."
3. Das Sonnenblumenfeld von Andrej Longo
Eine Geschichte von Liebe und Gewalt, tief im Süden Italiens. - So steht es auf der Rückseite des Einbands.
Der größte Teil des knapp 200 Seiten umfassenden Romans spielt an einem heißen Sommertag, dem Festtag des heiligen San Vito Liberatore. Im Dorf ist man mit den Vorbereitungen beschäftigt, und Menschen von weither reisen an, um die Prozession zu sehen und am abendlichen Fest teilzunehmen. Da wird dann die Pizzica getanzt, eine Form der Tarantella, eines sich in immer größere Wildheit steigernden Tanzes.
Und ganz ähnlich diesem Tanz ist auch das Buch komponiert und choreografiert: Am Anfang langsam und bedächtig, von zwei Hauptfiguren ausgehend, dann an Tempo und beteiligten Personen zunehmend bis hin zu einem atemberaubenden Finale.
Ein junges, von der Eifersucht eines Dritten bedrohtes Liebespaar steht im Mittelpunkt, Familien und Freunde der drei kommen nach und nach dazu, schließlich noch zwei zunächst unbeteiligt scheinende Diebe und ein die Abschiebung fliehender Nordafrikaner.
Es wird von Armut erzählt, von Betrug und Leidenschaft. Mitten in einem Sonnenblumenfeld kommt es zum Showdown und wenige Seiten später schließlich zu einem voller Bangen erwarteten Ende, welches geprägt ist von einer Art anarchischer Gerechtigkeit.
Ein Ausschnitt:
"Fellone riss einen Fetzen von ihrem geblümten Kleid ab und stopfte ihn ihr in den Mund, damit sie nicht mehr schreien und beißen konnte.
Dann knöpfte er sich die Hose auf.
Genau in dem Moment strich, gleich einem Murmeln, der Scirocco durch das Feld. Und die Sonnenblumen drehten zu Tausenden ihre Köpfe in Richtung Teich, so als wendeten sie ihren Blick ab vor Scham. Fellone bemerkte sie nicht einmal.
Die Wut rötete seine Augen, und sein Lächeln war zur Fratze eines Schakals geworden.
Doch während er sich die Hose runterzog, ertönte inmitten der Blumen der laute Klang der Tammorra.
Lorenzo!, dachte Caterina.
Und ihr fiel wieder ein, wie sie mit der Cousine Sognafuturo gespielt und davon geträumt hatte, dass ein Ritter den Seiten eines Romans entstieg und sie vor Gefahren beschützte.
Lorenzo!, dachte sie noch einmal.
Und trotz allem überkam sie ein Lächeln, das ihr Herz erleuchtete."
Lesen, lesen, lesen!
danke Dir für Deine gelbempfehlungen. der auszug der ausgezogenen anne-weber-charaktere ist wirklich (un-)fassbar sinnlich. ein behutsames herantasten. auch meinerseits an dieses buch. ich mag gelb nur in reclamform. und karge bücher. das ist schlimm, aber je mehr (bunt) drauf ist, desto weniger lesebedürfnis hab ich.
AntwortenLöschenJa, nicht wahr? Und so ein behutsames Herantasten ist das ganze Buch. Willst Du es lesen? Ich könte es Dir schicken.
LöschenMir fiel erst jetzt, als ich plötzlich diese drei gelb eingeschlagenen Bücher in einem Stapel liegen sah, bewusst auf, wie sehr ich nach Farben gehe. Z.B. greife ich zu jedem grünen Buch, und meistens lese ich es dann auch. (Vielleicht schreibe ich auch nochmal ein grünes Empfehlungspaket.)
Und karg, ja, das zieht mich auch immer an, sowohl aufs Cover als auch auf die Sprache bezogen. Wobei: Ich mag durchaus auch überbordende Geschichten - hm, so einfach ist es also doch nicht. :-)
Ich beurteile die Bücher genau wie du. Ich habe Bücher mit einem einfarbigen Umschlag sowieso nicht gerne. Es braucht meiner Meinung nach ein Titelbild. Die Farbe Gelb lässt ein Buch irgendwie aggressiv aussehen. Ich bin, als Schülerin, aber schon fast gezwungen, gelbe Bücher zu lesen. Ich frage mich nur, warum Reclam Bücher unbedingt gelb sein müssen.
AntwortenLöschenOh ja, die Reclamheftchen! Ich habe sie damals als Schülerin immer in bunten Stoff eingebunden, so sah jedes anders aus.
LöschenIch springe auf bestimmte Cover an, mit Titeln geht es mir ähnlich. Und genauso lassen mich andere Cover kalt oder stoßen mich sogar ab. Dass ich diesem ersten Eindruck nicht immer trauen sollte, habe ich schon des öfteren erfahren. Lustig fand ich die Häufung bei gelb eingebundenen Büchern.