Wie lange wollen wir noch schweigen?
Vielleicht so lange, bis die Opfer nicht mehr übertönt sind?
Sind sie das?
Hörst du sie etwa?
Kennen wir ihre Namen? Einen einzigen?
Warum sind sie so leise?
Warum sind die anderen so laut?
Meinst du alle anderen, ausnahmslos?
Meinst du nicht?
Okay, warum sind sie so laut?
Und warum sind sie so schnell?
Weil sie sich sicher sind?
Sind sie das?
Wie können wir das wissen?
Wie kann irgendjemand irgendetwas mit Sicherheit wissen?
Vielleicht nach einer Weile der Stille?
Welcher Zeitraum wäre angemessen?
Wollen wir es herausfinden?
Wie?
Indem wir vorerst weiter schweigen?
Und zuhören?
Den Leisen?
Ja, den Leisen. Ausnahmslos.
Kennst du "Stumme Gewalt" von Carolin Emcke? Stilistisch erinnert mich dein Gedicht an ihr Essay, weil sie da auch diese Fragen stellt. Ihr Essay, als Buch erschienen, beschäftigt sich mit der RAF (sie ist Opfer-Angehörige), aber ich denke mir gerade das "Leise-Sein" - bewusst so geschrieben - und das Fragenstellen müssen oder sie, die Fragen, eben durch bewusstes Zuhören nicht stellen zu brauchen, weil man die Antworten bekommt wenn man nur achtgibt, lässt sich auf viele Arten von Gewaltopfern anwenden.
AntwortenLöschenIch kenne das Buch, habe es als Buchhändlerin schon in den Händen gehabt, habe es aber nicht gelesen. Emcke plädiert, soweit ich das in Erinnerung habe, für einen Dialog zwischen Tätern und Opfern.
LöschenMeine Motivation war, dass mir, bezogen auf die Silvesternacht in Köln, die sich überschlagenden Reaktionen vor allem im Netz auf die Nerven gehen. Dazu gehören die Fremdenfeindlichen mit ihren ätzenden Parolen genauso wie die Feministinnen, die sich z.B. unter dem Hashtag #ausnahmslos zusammentun. Beiden Lagern ist gemeinsam, dass sie die Deutungshoheit der Ereignisse für sich beanspruchen und damit die Opfer, die als einzige deutungsberechtigt sind, benutzen und für ihre eigenen Zwecke instrumentalisieren. Das finde ich einfach nur ekelhaft. Und das ist auch der Grund, weshalb ich mich hier bisher nicht zum Thema geäußert habe, wie ich das sonst meistens sehr unmittelbar tue. Es ist Sache der Justiz, nicht der Öffentlichkeit, zu ermitteln und zu reagieren. Den Opfern eine Stimme geben, die dann auch gehört wird – dafür müssten die anderen, die ewigen Besserwisser, mal den Mund halten.
Ach Iris, ich hatte mich in den letzten Tagen so einsam gefühlt. Und bin jetzt so dankbar, dass mit dir wenigstens eine, die ich so schätze, die ganze schlimme Gemengelage ähnlich wahrnimmt wie ich. Auch ich vermeide jede öffentliche Äußerung in diesem Klima. LG Dir. Dein Posting hat mich sehr getröstet.
LöschenIch hatte die leise Hoffnung, dass du es ähnlich siehst und bin froh, dass du es hier bestätigst. Ich wünschte mir wirklich mehr Bedacht im Reden wie im Handeln. Das Tempo und die Lautstärke, mit denen hier auf den verschiedenen Seiten postuliert wird, grenzt schon an Gewalt. Schwer sich da zu äußern.
LöschenGanz herzliche Grüße zurück!
Das habe ich mir gedacht, dass du dich eigentlich auf die Kölner Ereignisse und die Folgen beziehst. Ich thematisiere so was ja nicht in den Fädenrissen und ich mache bei sozialen Netzwerken generell nicht mit, aber ich bekomme davon auch mehr als genug mit, sowohl in der Gewaltopfer-"Arbeit" - im erweiterten Sinne, ich kooperiere mit einer entsprechenden Einrichtung und da ist das derzeit Thema Nr. 1 - als auch sonst und an den Reaktionen, die zum Beispiel die geflohenen Menschen, insbesondere Männer, derzeit bekommen mit denen ich letztes Jahr das Saalprojekt machte. Es ist einfach nur widerlich - kann ich als jemand sagen, der selber schon solche Erfahrungen gemacht hat, mit Deutschen, was total egal ist, ein Täter ist ein Täter für mich - und ich weigere mich auch das zu diskutieren, es hilft niemandem, dem man helfen müsste.
AntwortenLöschenEmcke plädiert nicht für einen Dialog als solchen. Sie möchte, dass die Täter generell ihr Schweigen brechen, um zurück in eine Integrität zu finden, falls sie die je gehabt haben. Ein Dialog wäre eher das was Birgit Hogefeld mit den Angehörigen von Gerold von Braunmühl gemacht/versucht hat oder, meines Erachtens nach, auch "Patentöchter" von Corinna Ponto (Tochter von Jürgen Ponto) und Julia Albrecht (Schwester von Susanne Albrecht).
[Ach so: So lange ich vorher bei WP eingeloggt bin klappt das mit dem Kommentaren hier jetzt übrigens reibungslos.]
Genau: Ein Täter ist ein Täter und muss auch tabulos und ohne falsche Ressentiments so genannt werden.
LöschenVielleicht sollte ich mich doch mal mit Eckes Buch beschäftigen, ich habe es gegoogelt, klingt wirklich interessant.
(Schön, dass es mit dem Kommentieren klappt. :-))