Das Haus verschluckte seine Stimme. Jedes Mal, sobald er es betrat. Er drehte den Schlüssel im Schloss und stieß die Tür auf – prompt verschlug es ihm die Sprache. Nicht, dass sich ihm ein Anblick geboten hätte, der ihn in irgendeiner Weise erstaunte oder gar erschütterte. Da war der Schirmständer zu seiner Linken, darüber das Schlüsselbord. Rechts die geschwungenen Garderobenhaken, daran ein paar Mäntel und Jacken, darunter, auf einer Abtropfmatte, zwei, drei Paar Schuhe. Geradeaus ging es zur Treppe, die in den ersten Stock führte. Da befanden sich Wohnzimmer und Küche. Und dort wartete Niemand. Niemand saß entweder in der Küche am Tisch oder im Wohnzimmer auf dem Sofa. Einen Teller oder die Zeitung oder ein Buch vor sich. Niemand füllte in stiller, stetiger Anwesenheit das Haus von oben bis unten. Niemand wartete auf ihn. Stumm, aber bestimmt.
Er räusperte sich, tonlos, und stieg die Treppe hinauf. Seine Beine, die ihn den Tag über so beschwingt durch Straßen und Flure getragen hatten, waren mit einem Mal schwer. Zwölf Stufen, die er im Stillen mitzählte. Oben angekommen, ging er zunächst in die Küche und schaltete die Kaffeemaschine an. Im Wohnzimmer wurde geräuschvoll ein Buch zugeklappt und auf den Stapel am Boden gelegt. Das Sofa ächzte, als Niemand sich erhob. Schritte, die sich näherten, ein Stuhl, der vom Tisch weggerückt wurde. Niemand nahm Platz und richtete den Blick auf seinen Hinterkopf, das spürte er überdeutlich.
„Ich drehe mich nicht um“, dachte er – und drehte sich um. Niemand sah ihn an, sagte nichts, sah ihn nur an.
Das Haus fiel in sich zusammen wie eine kollabierende Lunge. Er schnappte nach Luft, wedelte mit den Armen. Niemand schüttelte den Kopf, stand auf und verließ wortlos die Küche. Er schloss die Tür und riss das Fenster auf, atmete zweimal tief durch. Nahm eine Tasse aus dem Schrank und ließ einen Kaffee aus dem Automaten, gab zwei Stück Zucker und einen Schuss Milch hinein. Dann setzte er sich an den Küchentisch und schaute hinaus auf den Vorgarten, den Weg, das Tor, die Straße.
Was machte er in diesem Haus, das ihn verstummen ließ und in dem Niemand auf ihn wartete, Tag für Tag für Tag. Was machte er hier bloß?
Eine mögliche Antwort stieß ihm auf und legte sich auf seine Zunge. Mit einem großen Schluck Kaffee spülte er sie wieder hinunter. Morgen würde er ... oder übermorgen ... aber spätestens nächste Woche ...
oh wir erkennen uns irgendwie, aber nächste woche werden wir wahrscheinlich...
AntwortenLöschenNehmen Sie sich nicht zuviel vor ...
Löscheneindrücklich bedrückend ... wie kann niemand nur so einen einfluss haben? ;)
AntwortenLöschenJa, nicht wahr?
LöschenSie verlassen uns ja nicht wirklich, man spürt ihre Gegenwart, auch wenn wir sie nicht mehr sehen. Oder doch nur im Schlaf. Glaub mir, die Räume sind bevölkert. Aber beim Schreiben geben wir ihnen ihre Freiheit wieder. Und uns auch. (Schreib nicht immer UND-Sätze!) <3Eva
AntwortenLöschen<3
Löschen(Danke für den Hinweis mit den Und-Sätzen! Sowas fällt mir immer nur bei anderen auf.)
Huch, da gibt's ein Missverständnis. Ich hab doch mich selbst gemeint, als ich sagte "Schreib nicht immer UND-Sätze!" Dachte, du würdest das wissen. <3 Eva
LöschenUnd was wird sein in der nächsten Woche?
AntwortenLöschenDer Text regt mich auf, so sehr, dass mir das mit den "Und-Sätzen" gar nicht aufgefallen ist!
Gruß von Sonja
Versteh ich gut, liebe Sonja!
LöschenWas wird nächste Woche, was nicht genauso gut schon morgen oder heute oder sofort! angepackt werden könnte ...
Ich hatte einen bestimmten Menschen vor Augen, als ich diesen Text schrieb. Ich hoffe sehr für ihn, dass er irgendwann ... und dass es dann nicht zu spät ist.