Freitag, 7. November 2014

Käthe Kollwitz oder: Berührt

"Mag man tausend Mal sagen, daß das nicht reine Kunst ist, die einen Zweck in sich schließt.
Ich will mit meiner Kunst, solange ich arbeiten kann, wirken."

Käthe Kollwitz, 29. Dezember 1922


Was will ich mit einer Kunst, die mich nicht berührt? Nicht im Sinne von streichelt, Wohlgefühl erzeugt, einlullt. Nein. Sondern im Sinne von anstößt, aufrüttelt, weckt, in Bewegung setzt. Also vielleicht eher bewegt statt berührt. Aber auch dieses bewegt hat manchmal so einen seltsam gefühligen Beigeschmack. Vielleicht also eher anfasst. Oder packt. Irgendein Begriff, der auch etwas stark Körperliches beinhaltet. Etwas, das mich als ganzen Menschen anspricht, nicht nur die Emotion, sondern auch Geist und Körper. Ich will nicht nur fühlen, sondern auch denken und spüren. Jedenfalls hat Käthe Kollwitz mich in diesem umfassenden Sinne berührt.


Käthe Kollwitz arbeitete 18 Jahre lang an den trauernden Elternfiguren als Gedenkmal für den 1914 gefallenen Sohn Peter. Er hatte sich mit 18 freiwillig gemeldet, gegen den Willen des Vaters, aber unterstützt von der Mutter, die sich stets solidarisch mit den Söhnen zeigte und nichts mehr wollte als deren freie Entfaltung. Bereits am ersten Tag seines ersten Einsatzes fiel Peter, von einer einzigen Kugel tödlich getroffen.
Der Wandel, den Käthe Kollwitz in den darauf folgenden Jahren durchmachte - von einer überzeugten Patriotin hin zu einer noch tiefer überzeugten Pazifistin und Internationalistin - dieser Wandel ist in den vielen graphisch und gestalterisch dokumentierten Schritten und Überlegungen, den Durchlebungen eigentlich des Trauerprozesses, des Schuldgefühls, der Ohnmacht und des Aufbegehrens nach dem Tod des Sohnes deutlich erkennbar. Wirken die ersten Entwürfe der Skulptur noch wie zusammengekauert in eine elterliche Trauereinheit, die geschlagen ist und sich ohnmächtig ergibt, so entfalten sich die Figuren im Laufe der Jahre zu zwei einzelnen, ähnlich in ihrer Körperhaltung und doch verschieden, einander zugewandt, klar durch ihre Trauer um den einen Menschen miteinander verbunden, aber dennoch jede für sich tief getroffen und stark in sich selbst. Die anfangs passiv ergebene Haltung hat sich in eine aktive verwandelt. 
Kollwitz hat zahlreiche Skizzen zu Details vor allem der Hände und Arme hergestellt auf der Suche nach genau dem richtigen Ausdruck. Zum Glück sind diese Skizzen und Entwürfe (nicht alle, manche hat sie selbst zerstört) eines langen Schaffensprozesses erhalten. Denn nicht erst das abgeschlossene Werk zeigt diesen einen richtigen Ausdruck, nach dem sie gesucht hat, sondern schon jeder einzelne Entwurf zuvor bildet die Schritte eines langen Prozesses deutlich und genau ab. Jeder einzelne bildnerische Versuch trifft es und stellt einen Abschnitt auf dem Weg des Trauerns und des Überdenkens der eigenen politischen Einstellung dar. 
Die Skulptur, die am Ende dieses Weges steht, versinkt nicht mehr im ohnmächtigen Schmerz über den Verlust, sondern ist in ihrer Trauer zugleich auch eine Absage an die angebliche Unvermeidlichkeit, eine Absage an alle Kriegstreiber. Die Elternfiguren in ihrer unterschiedlichen Haltung - beide kniend und mit vor der Brust verschränkten Armen, der Vater aufrecht, die Mutter nicht mehr gebeugt, sondern sich beugend (was für ein Unterschied und was für eine Kunst, diesen darzustellen!) - trauern nun für sich um ihren Sohn, nicht um einen Kriegshelden. Sie nehmen ihn rückwirkend in Schutz vor der Vereinnahmung durch die Kriegsmaschine, nehmen ihn sich zurück, den Sohn, auf den kein Kriegstreiber ein Anrecht hat. Die Mutter in später Einsicht ihres patriotischen Irrtums, vielleicht auch um Vergebung bittend. Der Vater unerbittlich in seiner schon zuvor ablehnenden politischen Haltung. Sie unterwerfen sich nicht länger, höchstens dem Tod und dem Leben, aber keiner menschlichen unmenschlichen Macht.

Mich hat das tief beeindruckt, ebenso wie ihre anderen Werke. Und wie aktuell diese gerade (wieder) sind (oder eigentlich immer, wenn wir global denken und vor allem hinsehen): Die Auseinandersetzung mit dem Krieg durch Darstellung des unermesslichen Leides, des Verlustes, des Todes!, all dessen, was die bloße Erwägung kriegerischer Handlung als probates Mittel zur Lösung von Konflikten als absurd und zutiefst inhuman entlarven müsste. 
Kunst kann das. Wirken. Sie darf das. Vielleicht muss sie es sogar. Aber das wage ich dann doch nicht so sicher zu behaupten.

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