Montag, 3. Juni 2013

Erfinden oder wiedergeben?

Die Geschichte hat sich verlaufen. Das Ende wartet geduldig. Oder doch eher un-? Ich immer mit meinen voreilig gezogenen Schlüssen. Fakt ist: Ich hänge. Und zwar an demselben Punkt wie bereits zweimal zuvor.

Meine Nachtigallenerzählung, die sich anfangs so leicht, wie von selbst, entspann, die mir so großen Spaß machte, die mich mit Liebe für die Figuren erfüllte und für die ich schon lange das Ende parat habe, hakt an einer ganz bestimmten Stelle. Nämlich dort, wo es um die Hüter geht, um die Zeit hinter der Mauer. Dieser Teil der Geschichte, der doch so zentral ist, mir jedenfalls so zentral erscheint, entzieht sich mir. Ich kann ihn nicht schreiben. Ich krieg's einfach nicht hin. Aber warum?
Beim "Vögelchen"-Roman ist es dasselbe. Der schreibt sich fort und fort, aber nur in den Teilen, die nach der Befreiung spielen. Die Zeit im Zentrum dagegen ist eine klaffende Lücke, die sich partout nicht schließen will.
Ich hatte auch mal eine frühere Erzählung von mir erwähnt, die "Vogelfrau", in der es um eine gefangengehaltene Frau geht, die sich schließlich durch einen "Vogelflug" befreit. Diese Erzählung ist unabgeschlossen geblieben. Auch da vermochte ich nicht über die Zeit der Gefangenschaft zu schreiben.
Woran liegt das?

Einen neuen Denkanstoß hat mir Andreas Wolf gegeben mit einem Kommentar zu meinem Gedicht "letzte Hürde". Wir tauschten uns ein wenig darüber aus, warum sich manches Erleben so schwer in einen Text fassen lässt, ob manches vielleicht gar nicht geschrieben sein will. Wer möchte, kann unsere Gedanken im Kommentarthread nachlesen. 
Worauf mich dieser Austausch brachte, ist die Überlegung, dass das, was ich wiederholt in eine Geschichte zu packen versuche, sich vielleicht gar nicht dem Erzählen als solchem verweigert, sondern eher der Verschlüsselung. Vielleicht braucht das Thema, um das es geht und das ich seit Jahren fiktiv zu umschreiben suche, eine ganz andere Zuwendung, vielleicht fühlt es sich nur im Konkreten aufgehoben und ernstgenommen. Vielleicht soll ich gar nicht erfinden, sondern wiedergeben?

Diese Frage stellt sich mir also gerade, und ich habe beschlossen, sie weitmöglichst offen im Blog zu bearbeiten. Ich merke, dass mir die Öffentlichkeit gut tut. Diese Öffentlichkeit, die mich früher einschüchterte, die ja aber auch nur eine relative und überschaubare ist, macht mich inzwischen irgendwie mutiger. Also werde ich hier in den nächsten Tagen ein wenig laut nachdenken.
Wer möchte, kann folgen, wer nicht, hört einfach weg. Einfach so wie sonst auch.

11 Kommentare:

  1. Zwischen Fiktionalisieren und Verschlüsseln gibt es greifbare Unterschiede. Du hast in Deinen erzählenden Texten immer wieder etwas Hermetisches, Symbolhaftes. Vielleicht wäre eine Annäherung an den Realismus nicht verkehrt, allerdings, das gebe ich bedenken, sprengt das Deine gesamte Erzählung und Erzählhaltung auf, sodaß ein kompletter Neubeginn unvermeidlich wäre. LG tinius

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    1. Danke, das nehme ich als Denkanstoß auf und lasse es erstmal wirken.
      LG, iris

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  2. Das Hängenbleiben (Hängengebliebensein) im Text kenne ich auch – das ist ein wenig so, als schriebe man von innen in einen Kirchturm hinein, komme so zwar nach oben gen Himmel, stecke aber irgendwann ganz fürchterlich im Dunklen und Engen fest. (Außen käme man irgendwann auch nicht mehr weiter, ist aber wenigstens an der frischen Luft und im Freien.) Allerdings ist mir das nun seit Jahren nicht mehr wirklich passiert, durch die Schreibpraxis, in meinem Fall auch die des wissenschaftlichen Schreibens, habe ich nun en passant allerlei Kniffe und Lockerheiten bei der Hand, das Lesen von Hängenbleibenumschiffern wie Robert Walser, die aus ihrer Erzählhaltung heraus notfalls einfach das Steckenbleiben thematisieren und dann die Nachtigall fragen, was sie denn von der ganzen Sache hält, tut ein übriges. Mit anderen Worten, das Weiterkommen ist viel, viel Arbeit, da kann ich ein Lied von singen, aber schließlich klappt es dann meistens doch.

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    1. Auch diesen Kommentar nehme ich als Denkanstoß mit.
      "das Steckenbleiben thematisieren" - Genau das ist es, wovon ich mir ein Weiterkommen erhoffe.
      Und dann dieser wunderbare (An)Satz: "die Nachtigall fragen, was sie denn von der ganzen Sache hält" - Danke dafür!

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  3. Ich habe keine klugen Ratschläge, aber ich möchte kundtun, dass ich sehr von dieser Art der Offenheit profitiere. Dafür möchte ich mich bedanken.

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  4. Witzerweise habe ich im Moment bei meinem Roman eine Stelle in der Mache, so kurz vor Seite 300, in der ich selbst Mühe hatte, das Steckenbleiben zu verhindern und wo darüberhinaus einer meiner Protagonisten beim Schreiben seiner Lebensbeschreibung eben das selbige Problem hat.

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    1. Wer kriegte denn zuerst wieder den Dreh, Sie oder Ihr Protagonist?

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  5. Na, ich natürlich, sonst könnte ich ja seine Schwierigkeiten in dieser Phase nicht darstellen! (Man darf sich als Schreibender ja nie die Feder aus der Hand nehmen lassen, selbst nicht im Schlaf, denn sonst tanzen einem die Figuren auf der Nase rum!)

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    1. Also, meine Figuren sind ja manchmal klüger als ich ...

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  6. Meine Texte, die sind manchmal klüger als ich, meine Figuren aber nicht, wenngleich sie schon einmal, ganz ohne mein Zutun, eigensinnig und starrköpfig sein können.

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