Montag, 20. Mai 2013

Überaus zarte Funken

Sie trug ihr schönstes Kleid und war auch sonst zufälligerweise in bester Verfassung an dem Tag, als sie sich trafen. Nicht verabredet trafen, sondern vielmehr über den Weg liefen und irgendwie nicht aneinander vorbeikamen. Nicht wegen räumlicher Enge, sondern weil sich etwas verhakt hatte. Etwas von ihr mit etwas von ihm. Da standen sie nun und wussten erstmal nicht weiter. Vor Verlegenheit und Erstaunen. Und weil sie beide nicht zu den Schnellen gehörten, die immer gleich wussten, was wie zu lösen war. Ihre Verhakung war jedenfalls nicht so leicht zu lösen. Nicht für sie beide, die sie zu den Langsameren gehörten.
Jemand stellte ihnen Tisch und Stühle hin, ein anderer brachte Tee und Gebäck, später sorgte einer für Lampenschein. Da hatten sie bereits die ersten Worte gewechselt. Sie hielt nun seinen Namen in der Hand, hatte ihm im Gegenzug den ihren gereicht. Dass man sie beobachtete, schien sie nicht weiter zu stören. Sie drehten und wendeten die ihnen anvertrauten fremden Namen in den Händen. Keins stand dem anderen in Sanftheit und Achtsamkeit nach.
Als die Musik zu spielen begann, forderte er sie zum Tanz auf. Oder sie ihn? So klar wusste es hinterher niemand mehr zu sagen. Vielleicht hatten sie sich einfach in stummem Einverständnis zugleich von ihren Stühlen erhoben, waren aufeinander zu und in einen Tanz hinein geglitten. Sie tanzten die ganze Nacht hindurch, und was weiter geschah, kann niemand bezeugen, da sich die Menge, an schleunigere Entwicklungen gewöhnt, inzwischen zerstreut hatte.

Später, viel später begegneten sie sich wieder. Und wieder waren sie nicht verabredet, sondern liefen sich zufällig  über den Weg und kamen nicht aneinander vorbei. Sie trug ein gewöhnliches Kleid und war auch sonst in nur mäßiger Verfassung. Er runzelte die Brauen, sie wurde es gewahr und strich sich mit einer linkischen Bewegung das Haar aus der Stirn, er lächelte schief, sie verhaspelte sich beim Versuch, seinen Namen zu nennen.
Niemand stellte ihnen Tisch und Stühle hin, keiner brachte Tee und Gebäck. Es dämmerte. Die Nacht brach herein. Sie standen immer noch beieinander und verstanden nicht. Jedenfalls nicht so schnell, wie sie es diesmal gewünscht hätten. 
Dennoch gaben sie nicht auf, und als sich die Dunkelheit vollends um sie gesenkt hatte, überließen sie alles weitere ihren Fingerspitzen. Sie tasteten die ganze Nacht hindurch, und was weiter geschah, kann niemand bezeugen, da sich die Menge schon viele Stunden zuvor zerstreut hatte, verwöhnt durch Spektakuläres, das dieses Paar hier so ganz und gar nicht zu bieten hatte. 
Und so nahm auch niemand außer den beiden die überaus zarten Funken wahr, die nach und nach ihren Fingerspitzen entsprangen.

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