Bluhm setzte sich auf den Drehstuhl vor dem Schreibtisch, ließ die Hand mit der Liste sinken und sah zum Fenster hinaus. Eine Taube hatte sich auf der Balkonbrüstung niedergelassen und schaute ihn mit schiefgelegtem Kopf an. Er zückte seine Kamera und schoss ein Foto. Vögel an Tatorten. Vor Jahren hatte er damit angefangen, inzwischen war eine ganze Serie daraus geworden. Seine Frau liebte diese Fotos. Wie überhaupt das Betrachten und Beobachten jeglichen Federvolks zu ihrer größten Leidenschaft geworden war, seit sie den Großteil ihrer Tage liegend verbringen musste. Im Bett, oder auf dem Sofa, von dem aus sie den Garten überblickte. Die Sträucher, in denen die Amseln nisteten, den Sandsteintrog, der als Tränke und Bad diente, das Vogelhaus, das im Winter mit Körnern lockte ...
Die Taube flatterte auf und verschwand aus seinem Sichtfeld.
Bluhm wendete das Papier in seiner Hand. Am unteren Rand der Rückseite stand in winzigen, blassen Buchstaben ein weiterer Satz: Ich bin nicht die Einzige! Ohne Anführungszeichen. Also kein Zitat diesmal?
Bluhm zückte sein Handy und klingelte Treuer an: "Wie weit seid ihr da unten?"
"Du kannst dir nicht vorstellen, was ... Komm mal runter, sie verfrachten sie gerade in den Wagen."
"Was ist mit den Flügeln?"
"Das ist es ja! Musst du dir selber ansehen. Wie weit bist du denn?"
"Hab gerade das obligatorische Vogelfoto geschossen."
Treuer seufzte deutlich hörbar durch die Leitung: "Ach Bluhm ..."
"Ich komm runter!", rief er und legte auf.
Er legte die Liste zurück auf den Schreibtisch, steckte Handy und Brille ein und verließ die Wohnung.
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