Donnerstag, 9. August 2012

Schimmlige Zitronen

1 (Draußen)

 "Hier, Vögelchen, kannste Limonade draus machen!", rief Cat und streckte den Arm durchs Küchenfenster. An ihrem Zeigefinger baumelte ein Netz mit angeschimmelten Zitronen. "Mit schönen Grüßen vom Leben". Sie lachte. Ich packte das Netz an einem Zipfel und warf es in die Spüle.
 "Die sind eklig."
 "Sind sie nicht. Hunger ist eklig. Und Durst ist eklig." Cat wusste alles besser.
 "Und wie, bitteschön, soll ich da Limonade draus machen?"
 "Auspressen, Wasser dazu und Zucker. Du weißt echt gar nichts." Sie drückte mir noch eine volle Einkaufstüte in die Hand und kam dann reingeklettert.
 "Benutz doch mal die Tür wie normale Menschen!", schimpfte ich, aber das war nur wegen der Zitronen. In Wirklichkeit bewunderte ich Cat. Nächstes Mal würde ich auch das Fenster nehmen, nicht die langweilige Tür.
-
 Cat war meine beste Freundin. Nee, die einzige. Sie hatte mich "da" rausgeholt.
 "Ich hol dich da raus.", hatte sie immer wieder gesagt. "Eines Tages hol ich dich da raus, und dann können sie verrecken an ihrer Frömmigkeit und an ihrem Drecksgewissen."
 Und so war es gekommen. Eines Nachts hatte sie Steinchen an mein Fenster geworfen und mich mitten aus dem Schlaf gerissen.
 "Komm, ich hab was für uns gefunden!", hatte sie leise zu mir hoch gerufen, und ich hatte meinen Rucksack genommen, der schon seit Wochen gepackt im Bettkasten versteckt lag und war mit ihr gegangen.
 Seitdem wohnten wir hier in diesem Haus. Nächste Woche sollten die Bautrupps anrücken, dann mussten wir weiter. Cat würde schon etwas finden.
-
 "Du löst dich mal wieder auf.", sagte Cat und schaute mich von der Seite an, dann verschwand sie aus der Küche.
 Aus meiner abgeschnittenen Jeans krümelte es kleine graue Röllchen. Ich merkte, wie ich rot wurde. Dabei war Cat gar nicht mehr im Zimmer. Sie ging immer raus, wenn mir was Peinliches passierte, vor allem das mit den Röllchen. Die kamen vom Klopapier, das ich mir da unten reinstopfte. Manchmal vergaß ich, es rechtzeitig zu wechseln. Dann löste es sich auf, und  kleine Fitzelchen rutschten zwischen meiner Haut und dem Jeansstoff nach unten. Dabei bildeten sie dann diese Röllchen.
 Ich sammelte alle auf und warf sie ins Gestrüpp vor dem Fenster. Dann ging ich zum Klo.
 "Kannst wieder reinkommen!", rief ich Cat aus dem Flur zu. Vom Klo aus hörte ich sie mit der Einkaufstüte rascheln.
 'Wenn ich mir ein bisschen Zeit lasse, fängt sie vielleicht schon an mit der Limonade.', dachte ich und fischte unser Tagebuch aus dem Karton mit der schmutzigen Wäsche.
 'Tag 10', war der gestrige Eintrag überschrieben. Ich blätterte um und schrieb: 'Tag 11: V.: Cat spinnt ja wohl. Jetzt sollen wir schon schimmlige Zitronen essen. Voll eklig!'

2 Kommentare:

  1. Ohho! Das macht aber neugierig. Die Sache mit dem Klopapier lässt Tieferes erwarten. Gehts auch weiter?

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    1. Ja, es ist sozusagen "mein neuestes Projekt". ;-) Mehr darüber siehe Mail.

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