Wir werden niemals satt sein.
Der Garten stand in voller Blüte. Niemand hatte gejätet, und so wucherte es grün und bunt bis übers Dach.
Die
Frau bog sich wie ein Halm, spreizte Finger und Zehen und streckte ihr Gesicht
der Sonne entgegen. Es duftete so stark ringsum, dass sie niesen musste,
zweimal. Das scheuchte ein paar kleine Tiere auf, sie flohen durchs
Bodendickicht, ein Schwarm Vögel erhob sich schimpfend, landete aber sogleich
wieder, nur wenige Meter entfernt.
Sie
suchte die blaue Bank und fand sie zwischen Brombeergestrüpp
und Brennesselbüschen, dort ließ sie sich nieder, leise flatternd wie ein
Schmetterling.
Ihr
war etwas in Vergessenheit geraten, und sie hatte lange an ihrem Tisch in der
Stube gesessen und gegrübelt, was es sein mochte und wohin es verschwunden sein
konnte.
Hin
und wieder hob sie den Kopf aus den Händen und warf einen Blick auf den Platz
gegenüber. Den Stuhl mit der durchscheinenden Gestalt darauf, den unberührten
Teller, das immer gleich volle Glas. Irgendwann schwamm eine Fliege darin,
später waren es zwei, dann vier. Die Gestalt auf dem Stuhl verschwand
schließlich ganz, und so kehrte der Hunger zurück in ihre Augen.
Sie
blickte sich um, und als sie Kopf und Schulter drehte, löste sich ein
Spinnennetz, das zwischen ihrem Ohr und ihrem Schlüsselbein gespannt war. Die Spinne suchte Zuflucht in ihrem grauen Haar, fand
dort sogar ein wenig Nahrung.
Die
Frau erhob sich ächzend, ihre Knochen knarzten mit den Fußbodendielen um die
Wette. Sie legte eine schlurfende Spur in den Staub.
Ein
Blick in die Küche, und sie sah, wer dort das Regiment übernommen hatte: Käfer
und Ameisen putzten die Reste aus schmutzigen Töpfen und Tellern, eine kleine
Kolonie tüchtiger Helfer. Sie überließ ihnen das Feld.
An
der Tür zögerte sie kurz, die Hand schon an der Klinke. Sie wollte einen
Schritt tun, der sie herausführte aus dem Schemenhaften. Sie würde nicht wieder
zurückkehren, und das bedeutete Abschied. Aber wovon? Und von wem? Sie wusste
es nicht.
Doch kaum hatte sie die Tür einen Spalt breit geöffnet, trug
ein Lufthauch die Erinnerung an Sommerabende auf einer blauen Bank herein, an
eine warme Schulter, an Stoppelhaar, das ihre Wange kitzelte, an perlende
Flüssigkeit in einem Glas und an ein ebenso perlendes Lachen. Ihr eigenes?
Aus weiter Ferne hörte sie sich einen Satz sagen, mit noch
junger Stimme: 'Hier will ich für immer mit dir sitzen.' Sie sah den vertrauten
Blick, in dem soviel Liebe gelegen hatte und noch soviel Zeit.
Sie stieß die Tür weiter auf. Der Garten stand in voller Blüte. Niemand hatte gejätet, und so wucherte es grün und bunt bis übers Dach.
Ein sehr berührender Text! Es gibt Post aus der Birke.
AntwortenLöschenDanke!
Löschen...romantisch geprägter Text, warm, naturnah, menschenliebend, alle Achtung!
AntwortenLöschenVielen Dank! (Vor allem 'warm, naturnah, menschenliebend' freut mich. Romantisch? Hm, vielleicht ...)
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