Über eine lange Zeit hatte sie ihre Fenster nur noch auf der Innenseite geputzt. Sie wollte bei zurückgezogenem Vorhang kleine Blicke nach draußen werfen, aber niemand sollte hereinschauen können.
Nun stand sie mit Eimer und Fensterleder bewaffnet vorm Haus und machte die Außenseiten der Scheiben durchsichtig.
Sie wischte kreisförmige Luken in den Schmutz, zierliche Bullaugen, die Einblicke aus verschiedenen Winkeln erlaubten. Versuchshalber lugte sie immer wieder selbst hindurch, warf kritische Blicke in Küche, Wohnzimmer und Bad.
Da konnte sie sich beobachten bei der Zubereitung winziger Einpersonenmenüs, beim Versuch, den Raum zu füllen, indem sie ständig von Sessel zu Sofa zu Stuhl wechselte, beim Blick in den Spiegel und der stummen Zwiesprache mit dem einzigen ihr zugewandten Gesicht.
Am Schlafzimmerfenster zögerte sie und wischte dann doch einen Ausschnitt blank. Der Blick auf ihr Bett mit den gesetzten Segeln trieb ihr die Hitze in die Wangen. Auf modernden Füßen stand es in der riesigen Blechwanne. Das Wasser schwappte und schlug gegen den Rahmen, wenn sie sich in ihre Kissen senkte. Und wenn sie wilden Fantasien nachhing und nicht stillhalten konnte, spritzte die Gischt bis zu ihr hinauf, netzte ihre Wangen und sprach von Weite und Ausgesetztheit.
Zurück in der Wohnung nahm sie die riesige gerahmte Fotografie von der Wohnzimmerwand, trug sie ins Schlafzimmer und stellte sie dort aufs Fensterbrett. Von draußen war nun deutlich zu erkennen, wer hier glücklich in einem Boot saß: Die ganze Familie zusammengedrängt auf dem großen Ehebett, dem Fotografen übermütig in die Linse lachend, Jahre bevor ...
Aber zum Kochen trug sie nun jedesmal ein anderes Kleid, im Wohnzimmer standen Blumen auf dem Tisch, und im Badezimmerspiegel tauchte hin und wieder ein fremdes Gesicht hinter ihrem eigenen auf.
Etwas kitzelte in ihren Adern. Vielleicht war es Neugier. Um vorbereitet zu sein, bezog sie ihr Bett mit neuer Wäsche, besserte die Segel aus und füllte die Wanne mit frischem Wasser. Es konnte jederzeit losgehen.
Ich putze fast nie. Will aber mit, wenn es losgeht.
AntwortenLöschenMan könnte "Arme Frau" sagen.
Das ist ein "Tieftext", nix Flaches...
Gruß von Sonja
Ich will auch mit. :-)
LöschenSchön, dass Du die Schicht unter der Oberfläche siehst.
Liebe Grüße, Iris