Luft!
Zuerst hatte sie sämtliche Zimmertüren ausgehängt und in die Garage verbannt. Schließlich auch die Haustür, was einfacher war, als sie vermutet hatte. Dennoch brauchte sie anschließend eine Verschnaufpause. Sie ließ sich auf der Vortreppe nieder, mitten in die Blicke der Nachbarn hinein, und lächelte. Niemand würde sie ansprechen, das hatten sie auch damals nicht getan, als sie ihre Fenster schwarz angemalt hatte. Und auch nicht im Jahr darauf, als sie ihre Bücherregale in den Vorgarten getragen hatte. Trotz des Schildes mit der Aufforderung "Bitte bedienen Sie sich!" waren nur die Kinder gekommen, hatten ein paar mal verstohlen zum Haus gespäht, um dann hastig ein oder zwei Bücher aus einem der Regale zu ziehen, die sie später ausnahmslos wiederbrachten, sicher auf Geheiß der Eltern.
Während sie mit den Fingern im Gras spielte, das in kleinen Büscheln zwischen den Stufen hervorlugte, kam ihr die Idee mit den Kleidern. Sie sprang auf, lief ins Schlafzimmer und riss die Türen des Kleiderschranks auf: Geschichte auf Bügeln, farblich sortiert, ein Regenbogen abgetragener Jahre. Eins nach dem anderen nahm sie die Stücke heraus, mit einer zärtlichen und einer harten Hand, und drapierte sie an den Schnüren, die kreuz und quer an der Decke entlang gespannt waren. Die unzähligen Notizzettel, die dort bis zum Jahr der geschwärzten Fenster gehangen hatten, stammten aus einer Zeit der letzten Hoffnung, des zusammengenommenen Mutes. Längst waren sie zu Asche geworden und in einer Urne im Park vergraben, an einer Stelle, die sie nicht mehr aufsuchte.
Die Kleider flatterten und bauschten sich im Luftzug, der durch die Türöffnungen fuhr. Die Segel sind gesetzt, dachte sie und lächelte wieder, diesmal in den Wind hinein. Sie hörte die Vögel im Garten und stellte sich vor, es seien Möwen. Gischt spritzte ihr ins Gesicht, mit der Zunge fing sie einen Tropfen aus dem Mundwinkel und schmeckte das Salz. Wir nehmen Fahrt auf, sagte sie leise, wir nehmen Fahrt auf.
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