die Bilder im Kopf
der Korrektor im Kopf
der Text im Kopf
die Tage am See, der Blick aufs Wasser, der warme Wind auf der nassen Haut
du kannst nichts mehr lesen, ohne dass dir automatisch Grammatik- und Rechtschreibfehler auffallen, ohne missglückte Formulierungen in Gedanken zu verbessern
wir bleiben, bis die Sonne untergegangen ist, die Ameisen machen sich über die Baguettekrümel her, den letzten Schluck Wein trinken wir direkt aus der Flasche, den Kopf weit in den Nacken gelegt, die ersten Sterne schon im Blick
früher hast du Bücher verschlungen wie ein hungriges Tier seine Beute, heute bedeutet jeder Text Arbeit, der geschriebene wie der gelesene, bedeutet Arbeit und damit eine ganz eigene Befriedigung, die du nicht mehr missen willst
wir waren so jung, die Kinder noch klein, wir liebten uns fraglos, damals, fühlten uns sicher, ein Ende war nicht abzusehen, so dehnbar war das Jetzt
du lebst so sehr in Text und Schrift, siehst alles Erlebte unmittelbar in Worte gefasst, perfekt formuliert, es legt sich übereinander, verwischt, fast stellt sich dir die Frage – ironisch – Was war zuerst da: Der Text oder das Erleben?
ich hatte nie eine Kamera dabei, meine alte Voigtländer, die ich zum zwölften Geburtstag bekam, war irgendwann in der Tiefe eines Umzugskartons verschwunden und nie wieder aufgetaucht, ich wollte nicht auf Bildern festhalten, sondern unmittelbar erleben und schauen, ohne störendes Objektiv zwischen mir und den Dingen; die Tage am See, der unverstellte Blick, die vollkommene Anwesenheit im Moment, der warme Wind, den ich im Hautgedächtnis speicherte, nicht im Kopf, dort gedanklich ausformuliert, später vielleicht sogar zu Papier gebracht, nein ... er ist noch da, der warme Wind, ebenso das Gefühl, das er erzeugte, es ist jederzeit abrufbar, nicht sicht- oder lesbar, sondern spürbar
du liebst das Wort und das Spiel mit der Sprache, es ist fast so etwas wie dein Zuhause, du hast dich darin eingerichtet, deine Leidenschaft sogar zum Beruf gemacht, bist umgeben von bedrucktem Papier, von Bildschirmlettern, von Text, Text und Text, von unzähligen schwarzen Buchstaben auf weißem Grund
die Farben, das Licht, die sanfte Geräuschkulisse, das Ineinanderfließen der Eindrücke, das Zurücklehnen mit geschlossenen Augen, der so unfassbar weite Moment, kein Grund, ihn zu fliehen, bietet er doch soviel Raum
du wirst dich nicht vom Text verabschieden können, das weißt du, er ist deine zweite Welt und dies schon von deiner Kindheit an, als du dir mit fünf Jahren selbst das Lesen beibrachtest, dann das Schreiben und seitdem ... Bücherfluchten, sie retteten dich auch, erlösten dich für heilsame Stunden von einer unerträglichen Realität, danach hast du nie mehr herausgefunden, rettest dich immer noch in geschriebene Welten, schreibst selbst an deiner, Rettung auch das, und merkst du, wie es sich jetzt vermischt? wie du vom See und vom reinen Erleben zum Wort kommst wie es untrennbar geworden ist nicht mehr kategorisierbar oder doch? du wünschst es, manchmal, wünschst dir manchmal die Zeiten zurück, die du in Erinnerung als glückliche abgespeichert hast, die buchstabenlosen, wortbefreiten, wünschst sie dir wegen ihrer Unmittelbarkeit zurück, wegen ihrer Vollkommenheit, nichts fehlte, und so frei von jeglichem Bedürfnis des Festhaltens warst du, allein das ist dir Beweis genug ....
Schreiben und schreiben, dem Papier auf, der Haut ein, alles Text, nichts als Text
Manchmal aber auch: Bilder
.....