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Montag, 19. Oktober 2015

Kleine Fluchten

Wenn mir im Alltag die Decke auf den Kopf fällt, greife ich zu einem Mittel, das sich bewährt hat: Ich überlege mir, an welchen Ort ich gerne reisen würde, und sei es nur für ein paar Tage. Idealerweise liegt er am Meer. Dann stöbere ich auf booking.com, suche mir ein schön gelegenes Hotel aus, das man bis zum Anreisetag kostenfrei stornieren kann, und buche ein Zimmer. Sofort setzt die Vorfreude ein. Ich werde am Meer sein! Schon bald! (Nein, werde ich nicht, aber ich bin eine Meisterin im Ausblenden dieser Tatsache.)

Erst kürzlich habe ich das wieder praktiziert, habe ein Zimmer in einem kleinen Hafenhotel in einem nordbretonischen Küstenort gebucht. Dort war ich schon mehrmals, sodass ich meine Vorfreude mit zahlreichen Erinnerungen füttern konnte. Ich habe mir eine Küstenwanderung vorgestellt, einen Stadtbummel, Besuch des Marktes, des Fischgeschäfts und der Lieblingslokale, Herumlungern am Hafen und am Strand ... Wunderbar! Hilfreich in einer Alltagssituation, die ich als extrem beengend empfunden habe. 
Dass ich das Zimmer dann wie üblich storniert habe (zu teuer, die Reise zu weit, sowieso kein Urlaub mehr etc.) und stattdessen ein paar Tage im Elsass war (fast genauso gut, lang nicht so kostspielig) – egal. Die beruhigende und zugleich befreiende Wirkung war zuverlässig eingetreten.

Kleine Fluchten. (Und mit klein meine ich nicht die Art der Flucht, sondern den Grund. Der ist vergleichsweise klein, schließlich leide und fliehe ich keine Not.) 
Baden in Vorstellungen, Bildern. Ein klärendes Wehen von Salzluft durchs Gemüt, Schütteln des Gefieders, leichtes Anheben der Schwingen ... Der Beweis, dass ich fliegen könnte, wenn ich wollte. 
Ein erlaubter Trick. Vielleicht sogar eine Übung, eine Art mentaler Vorbereitung, wer weiß ...

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