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Montag, 16. November 2015

Köln – Paris – Köln oder: Jetzt erst recht!

Vier Tage, 12.11. bis 15.11. in meiner Heimatstadt Köln verbracht. In verschiedenen Ausstellungen* gewesen, im Kino** und in einem Friedenskonzert***, durch die Viertel gebummelt, am Rhein entlang spaziert, Brücken überquert, in Kneipen und Brauhäusern gesessen und gegessen, mein Leben, meine bisherigen und zukünftigen Wege überdacht. Wie immer, wenn ich unterwegs bin, gerät etwas in Bewegung.

Am Samstag früh noch im Hotelbett die Nachrichten gesehen, erschrocken und geweint. Gewohnheitsmäßig Twitter an: Alles hat seine Berechtigung, jeder Ausdruck. Die hilflosen, die unbeholfenen, die danebengreifenden sind für mich die ehrlichsten. Trotzdem ertrage ich sie nicht. Nicht in der Vielzahl. Noch weniger ertrage ich die vermeintlich klugen, die erklärenden, die, die schon die ersten Kommentare kommentieren, die alles besser wissen. Ich will keinen kritisieren, muss mir das aber nicht antun. Also Twitter wieder aus.

Anschließend Überdenken meines Plans für den Tag: Joan Mitchell-Retrospektive im Museum Ludwig. Kann ich das jetzt? Will ich? Darf ich angesichts des Terrors? Schnell komme ich zu dem Schluss: Jetzt erst recht! Ich weigere mich, mit Angst, Rückzug und Hass zu reagieren. Keine Macht dem Terror. 

Also mache ich mich auf den Weg und muss dafür nicht ausblenden, was in Paris geschehen ist, sondern nehme es mit. Das entwickelt für mich eine ganz besondere Dynamik an diesem Tag, weitet meinen Blick. Unter anderem für die Bedeutung von Kunst. 
Ganz abgesehen davon, dass ich Joan Mitchell einfach großartig finde. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass ihre Bilder eine Offenbarung für mich sind. Ich habe seitenweise Notizen dazu gemacht. Vielleicht stelle ich sie irgendwann in geordneter Form hier ein. Die Retrospektive ist umfassend, absolut ansprechend präsentiert, abgerundet durch Archivmaterial und Filme. Sie läuft bis 21. Februar 2016. Empfehlung!

Am Ende der Ausstellung haben Besucher die Möglichkeit, sich in einem Atelier selbst an abstrakter Malerei zu versuchen, behutsam angeleitet und anhand verschiedener kleiner Anregungen. Das sagt mir spontan zu, jagt mir im zweiten Moment aber Angst ein (Ich kann doch gar nicht malen! etc.), so dass ich der freundlichen Betreuerin des Ateliers sage, ich käme lieber eventuell ein andermal, „Auf Wiedersehen!“, um nach drei Schritten zurückzukehren, immer noch das Motto „Jetzt erst recht!“ im Kopf, dem ersten Impuls zu folgen, die Angst zu ignorieren, sie ist ein schlechter Ratgeber, die Freiheit zu nutzen zu tun, was ich will und wozu sich die Möglichkeit bietet. Nichts auslassen. Jetzt erst recht.

Ich war schon früh im Museum, gleich als es öffnete, und hatte dadurch viel Raum für mich beim Betrachten der Bilder. War dann auch die erste Besucherin des Ateliers. Und die erste, die ihre fertigen Bilder in den dafür vorgesehenen Raum hängte (ich hätte sie auch mitnehmen können, wollte aber gerne Teil des Ganzen sein, und hab sie nur mit dem Handy abfotografiert). Das Ganze fühlte sich so gut an. Vielleicht ein Stück Selbsttherapie? Ach, das muss nicht alles analysiert werden. Ans Licht mit den unbekannten Seiten! Jetzt erst recht.

Thanks to Joan Mitchell for her inspiring work!



Am Abend das Konzert in der St. Agnes Kirche: „In Terra Pax“, eine Gedenkveranstaltung zu 70 Jahre Frieden, also Rückblick einerseits und gleichzeitig Blick in die Zukunft in der Formulierung des Wunsches nach und des Willens zum Frieden. 
Ein schönes Konzert, vorgetragen vom Europäischen Kammerchor Köln unter Leitung von Michael Reif. Gerahmt von guten Vorträgen des Leiters des NS-Dokumentationszentrums Köln, Dr. Werner Jung, und dem Leiter des Friedensbildungswerks Köln, Roland Schüler.
Wie passend diese Veranstaltung ausgerechnet an diesem Tag. 
Natürlich wurden die Ereignisse in Paris angesprochen, gab es eine Schweigeminute, war das ganze Konzert auch Ausdruck der Solidarität mit den Opfern des Terrors.
Das war eine gute, angemessene Veranstaltung.

Apropos „angemessen“: Wie reagiert man, reagiere ich angemessen auf die furchtbaren Morde in Paris und auf den Terror weltweit? Schlagartig entzünden sich ja immer die Metadiskussionen zu dieser Frage. Im Netz nervt mich das tierisch, inzwischen reagiere ich mit Abschalten. Ich weiß nicht, ob sich diese Frage eindeutig beantworten lässt. Was heißt denn „angemessen“? Ich denke für mich darüber nach und bin an diesem Wochenende, wiederum nur für mich, zu einer Antwort gekommen, die ich seitdem fast mantramäßig in mir trage: Jetzt erst recht. Die Freiheit, die mir mein Staat schriftlich garantiert, nicht nur theoretisch kennen, sondern praktisch leben. Weil ich sie damit zugleich verteidige.



Seit gestern bin ich zurück. Alltag? Irgendwie schon. Aber Paris ist in allem gegenwärtig.









Schalcken im Wallraf-Richartz-Museum

  Madonna trifft Uma, eine Kooperation der Museen Schnütgen und Rautenstrauch-Joest

  Joan Mitchell Retrospective im Museum Ludwig

** Familienfest im Odeon, meinem Lieblingskino in Köln

*** In Terra Pax in der St. Agnes Kirche




***


Nachtrag am Abend: Astrid vom Le Monde de Kitchi-Blog hat in ihrer Reihe Great Women schon mal einen Artikel über Joan Mitchell geschrieben, sehr lesenswert und mit einigen von Mitchells Bildern.

4 Kommentare:

  1. Kölnerin bist du also....(bisher gut verborgen, oder? )
    Ja, Joan Mitchell ist großartig. ich habe her über sie geschrieben:
    http://lemondedekitchi.blogspot.de/2015/02/great-women-12-joan-mitchell.html
    Ich gehe am Donnerstag in die Ausstellung.
    Schön, dass dir das anschließende Selbermalen gefallen hat! Und das Konzert am Abend hätte mich auch interessiert, den Michael Reif & die Agneskirche sind klasse.
    Ansonsten: Der Wahlspruch Paris ist "Fluctuat nec mergitur". So wird es sein...
    Herzlichst
    Astrid

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    1. Liebe Astrid, nein, hab mich längst geoutet, hier:
      http://iris-bluetenblaetter.blogspot.de/search/label/Köln
      Wenn ich das nächste Mal in Köln bin, melde ich mich vorher bei dir. Vielleicht können wir uns mal treffen? Würde mich freuen.

      Deinen Artikel habe ich jetzt in meinem Beitrag verlinkt. Einige der Bilder, die du dort zeigst, hängen auch im Ludwig. Die Ausstellung ist großartig! Genieße sie. Und vielleicht malst du ja auch danach.

      Der Chor war wirklich gut, ein echter Hörgenuss. Natürlich überschattet von den Ereignissen in Paris. Aber gerade deshalb sehr passend, berührend und auch tröstlich.

      Fluctuat nec mergitur. Ja!

      Herzliche Grüße, jetzt wieder aus dem Süden,
      Iris

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  2. danke für diesen wunderbaren tipp!
    köln ist nicht so weit von hier. :)
    und ich gebe dir recht: jetzt erst recht!
    und ja, bestimmte (auch schlimme...!) ereignisse können den blick weiten.
    herzlich,
    diana

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    1. Die Ausstellung lohnt sich wirklich, ich zehre immer noch davon. Am liebsten würde ich nochmal hin ... Sie geht noch bis 21. Februar.
      Liebe Grüße, Iris



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