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Donnerstag, 30. Mai 2013

Abschied

Nahm sie ihren Abschied und heftete ihn dir an. Auf die blanke Haut und bis aufs Blut diesmal. Sollte er nicht wieder abfallen in den Staub ihr zu Füßen, dass sie sich bücken musste und dass in dieser endlos langen Bewegung hinab und wieder hinauf der Abschied schrumpelte wie ein geplatzter Ballon und ein Anheften nicht mehr möglich gewesen wäre. Hätte sie selbst nämlich genau wie der Abschied in dieser endlos langen Ab- und Aufwärtsbewegung alle Standhaftigkeit verloren, alle Sicherheit über ein Wahres an ihrem Tun. War das doch schon genau so geschehen. Einmal und wieder. Heftete sie dir den Abschied also diesmal tief ins Blut. Fiel er nicht mehr ab. Stand sie nun vor dir mit leeren Händen und standest du vor ihr mit einem tiefen Loch in der Haut, aus dem regnete in winzigen Tropfen dein Herz in den Staub. Bis du deinen eigenen Finger auf die Wunde legtest und sagtest 'Halt!' Galt dieses 'Halt' deinem Blut und ihrem Blick. Und gehörte dein Schmerz nur dir. Drehte sie sich endlich um. Gab es nichts mehr für sie zu tun als dich deinen eigenen Kräften zu überlassen. Und sich selbst dem Unwissen über dein Ergehen und einem freihändig neu anzulegenden Weg.

Dienstag, 28. Mai 2013

letzte Hürde

weiter
immer weiter
bis zur letzten 
Hürde
dahinter der
alleraufrichtigste 
Text
dessen
Erkennungsmerkmal
wird sein
dass er
ungeschrieben
bleibt
aber nicht
ungelebt

Montag, 27. Mai 2013

du hast einen Schmerz zugefügt

du hast einen Schmerz zugefügt
der hat deinen Schmerz
nicht gelöscht
aber übertönt
für einen Augenblick
das hat dir genügt
wie dir noch nie
in deinem ganzen Leben
etwas genügt hat
es hat dir so sehr genügt
für diesen einen
köstlichen Augenblick
dass du mehr wolltest
immer mehr
und jeder
ausnahmslos jeder
konnte dich verstehen
wollte dich dafür
bluten sehen
so ist das Drehen
der Welt

Sonntag, 26. Mai 2013

Schlafe, noch ein wenig (nach dem Traum 11)

So viele Welten bieten
sich meiner Unruhe an
keine von ihnen
ein Ort wie er unter
schlafenden Lidern
zu finden wäre

(langsam, ganz langsam beginne ich, ihren Schlaf zu begreifen)

Könnte ruhig schlafen da
wo ein Lied möglich wäre
mit unvermessener Stimme
und ohne eiserne Finger
um die Kehle

mein Lager soll sein
ein Aufbruchsort
eine Hand
hoch in der Luft
Abflugrampe
für Schiffe aller Art

(schlaf weiter, Nachtigall, schlafe, ich lerne von dir; mehr als von jedem prüfenden Blick, von jeder weisenden Hand)

Fast ist es als könne
er bald gehen
er der ein du war
für mich
aber noch
halte ich fest
halte ich den Fluss fest
in der Hand
und das weite Grün 

(schlaf weiter, Nachtigall, schlafe, noch ein wenig)



Die ganze Geschichte hier: To Save a Nightingale

Freitag, 24. Mai 2013

"Sur les murs du mois de mai/ Auf den Mauern des Monats Mai"

Sowohl Sarah Kirsch als auch Georges Moustaki sind für mich mit einem ganz bestimmten Lebensgefühl verbunden. Darin herrscht Sommer, unentwegt. Oder zumindest der nie aufgegebene Versuch von Sommer.




Danke, Sarah Kirsch!


Raubvogel süß ist die Luft
So kreiste ich nie über Menschen und Bäumen
So stürz ich nicht noch einmal durch die Sonne
Und zieh was ich raubte ins Licht
Und flieg davon durch den Sommer!

(Sarah Kirsch)


*


Merci, Georges Moustaki!




LE Temps De Vivre

Nous prendrons le temps de vivre,
D'être libres, mon amour.
Sans projets et sans habitudes,
Nous pourrons rêver notre vie.

Viens, je suis là, je n'attends que toi.
Tout est possible, tout est permis.

Viens, écoute, les mots qui vibrent
Sur les murs du mois de mai.
Ils te disent la certitude
Que tout peut changer un jour.


Viens, je suis là, je n'attends que toi.
Tout est possible, tout est permis.

 
Nous prendrons le temps de vivre,
D'être libres, mon amour.
Sans projets et sans habitudes,
Nous pourrons rêver notre vie 


(Georges Moustaki)
 


Zeit zum Leben

Wir werden uns Zeit zum Leben nehmen,
Frei zu sein, meine Liebe
Ohne Pläne und ohne Alltagsroutine
Werden wir unser Leben träumen können


Komm, ich bin da, ich warte nur auf Dich
Alles ist möglich, alles ist erlaubt


Komm, hör doch diese Worte, die vibrieren
Auf den Mauern des Monats Mai
Sie sprechen uns die Gewissheit zu,
Dass sich eines Tages alles ändern kann


Komm, ich bin da, ich warte nur auf Dich
Alles ist möglich, alles ist erlaubt


Wir werden uns Zeit zum Leben nehmen,
Frei zu sein, meine Liebe
Ohne Pläne und ohne Alltagsroutine
Werden wir unser Leben träumen können



*


Dienstag, 21. Mai 2013

Fadenlos

Sie halten es für offensichtlich und sprechen es deshalb laut aus, dass sie ihren Faden verloren habe. Ha, seht nur, sie hat den Faden verloren! Aber das ist falsch. Denn offensichtlich und also richtig ist lediglich, dass sie keinen Faden mehr besitzt, aber nicht, wie er ihr abhanden kam. Wobei auch der Ausdruck des Abhandenkommens in eine falsche Richtung weist, denn vielleicht kam er ja nicht abhanden - durch verlieren oder vergessen oder genommen werden -, sondern vielleicht steckte ja eine Absicht dahinter, ihre Absicht. Und ja, nun will sie die Ironie beiseite lassen und frei heraus sagen, wie es ist: Sie hat ihren Faden genommen, ihn in den Wind gehalten und losgelassen. Einfach so. Mit voller Absicht. Weg war er, und sie hat nicht einmal darauf geachtet, in welche Himmelsrichtung der Wind gerade wehte. Und sie weiß nicht, kann es ja nicht wissen!, woher denn auch?, ob sie jemals wieder zueinander kommen werden, ihr Faden und sie. Ach, und überhaupt: Braucht sie doch nur in die Luft zu greifen und einen der lose flatternden Fäden zu fassen. Muss es doch gar nicht dieser eine spezielle sein. Nie je hat sie sich freier gefühlt als nach dem Loslassen des Fadens. Ja, so etwas gibt es, Sie dürfen Ihre Münder nun wieder schließen und sich Ihren alltäglichen Verrichtungen widmen, bis die nächste offensichtliche Danebenheit in Ihrer Umgebung passiert. [Und das leise Ziepen in ihrer Mitte, von dem sie nicht weiß, ob es vom Verheilen einer Wunde oder vom Durchbruch eines neuen Fadens stammt, blendet sie, solange die Offensichtlichkeitsdeuter sie noch umzingeln, einfach mal aus.]

Montag, 20. Mai 2013

Überaus zarte Funken

Sie trug ihr schönstes Kleid und war auch sonst zufälligerweise in bester Verfassung an dem Tag, als sie sich trafen. Nicht verabredet trafen, sondern vielmehr über den Weg liefen und irgendwie nicht aneinander vorbeikamen. Nicht wegen räumlicher Enge, sondern weil sich etwas verhakt hatte. Etwas von ihr mit etwas von ihm. Da standen sie nun und wussten erstmal nicht weiter. Vor Verlegenheit und Erstaunen. Und weil sie beide nicht zu den Schnellen gehörten, die immer gleich wussten, was wie zu lösen war. Ihre Verhakung war jedenfalls nicht so leicht zu lösen. Nicht für sie beide, die sie zu den Langsameren gehörten.
Jemand stellte ihnen Tisch und Stühle hin, ein anderer brachte Tee und Gebäck, später sorgte einer für Lampenschein. Da hatten sie bereits die ersten Worte gewechselt. Sie hielt nun seinen Namen in der Hand, hatte ihm im Gegenzug den ihren gereicht. Dass man sie beobachtete, schien sie nicht weiter zu stören. Sie drehten und wendeten die ihnen anvertrauten fremden Namen in den Händen. Keins stand dem anderen in Sanftheit und Achtsamkeit nach.
Als die Musik zu spielen begann, forderte er sie zum Tanz auf. Oder sie ihn? So klar wusste es hinterher niemand mehr zu sagen. Vielleicht hatten sie sich einfach in stummem Einverständnis zugleich von ihren Stühlen erhoben, waren aufeinander zu und in einen Tanz hinein geglitten. Sie tanzten die ganze Nacht hindurch, und was weiter geschah, kann niemand bezeugen, da sich die Menge, an schleunigere Entwicklungen gewöhnt, inzwischen zerstreut hatte.

Später, viel später begegneten sie sich wieder. Und wieder waren sie nicht verabredet, sondern liefen sich zufällig  über den Weg und kamen nicht aneinander vorbei. Sie trug ein gewöhnliches Kleid und war auch sonst in nur mäßiger Verfassung. Er runzelte die Brauen, sie wurde es gewahr und strich sich mit einer linkischen Bewegung das Haar aus der Stirn, er lächelte schief, sie verhaspelte sich beim Versuch, seinen Namen zu nennen.
Niemand stellte ihnen Tisch und Stühle hin, keiner brachte Tee und Gebäck. Es dämmerte. Die Nacht brach herein. Sie standen immer noch beieinander und verstanden nicht. Jedenfalls nicht so schnell, wie sie es diesmal gewünscht hätten. 
Dennoch gaben sie nicht auf, und als sich die Dunkelheit vollends um sie gesenkt hatte, überließen sie alles weitere ihren Fingerspitzen. Sie tasteten die ganze Nacht hindurch, und was weiter geschah, kann niemand bezeugen, da sich die Menge schon viele Stunden zuvor zerstreut hatte, verwöhnt durch Spektakuläres, das dieses Paar hier so ganz und gar nicht zu bieten hatte. 
Und so nahm auch niemand außer den beiden die überaus zarten Funken wahr, die nach und nach ihren Fingerspitzen entsprangen.

Sonntag, 19. Mai 2013

Kiruna oder: Regenwetter gleich (Krimi-)Lesewetter

"Dass ein Hund so schreien kann! Noch nie hat Samuel Johansson solche Laute von einem Hund gehört.
Da steht er in seiner Küche und schmiert sich ein Butterbrot. Sein Elchhund ist an einer Laufleine draußen im Hof angebunden. Ringsum Ruhe und Frieden.
Dann fängt der Hund an zu bellen. Anfangs scharf und aufgeregt.
Was bellt er da an? Jedenfalls kein Eichhörnchen. Das für Eichhörnchen reservierte Gebell kennt Samuel. Ein Elch? Nein, das Elchsgebell ist dumpfer und gleichmäßiger.
Dann passiert etwas. Der Hund schreit. Jault, als hätten sich die Tore der Hölle aufgetan. Bei diesem Jaulen läuft es Samuel Johansson eiskalt den Rücken hinunter.
Und dann ist plötzlich alles still."

So fängt der neue Krimi von Åsa Larsson an, der fünfte um die junge Staatsanwältin Rebecka Martinsson. Diesem Anfang folgt eine Bärenjagd und der Fund menschlicher Knochen im Magen des erlegten und ausgeweideten Bären.  Erst später wird dieser Fund mit dem eigentlichen Kriminalfall in Zusammenhang gebracht werden.

Larssons jüngstes Buch trägt den Titel "Denn die Gier wird euch verderben". Ein Titel, der mich abgeschreckt hätte, wären mir nicht bereits die Autorin und ihre vier Vorgängerkrimis bekannt. Ich mag keine Titel, die mit Und, Denn oder Aber beginnen. Im Original lautet er "Till offer åt Molok", was ich mit "Dem Moloch zu opfern" übersetze (Schwedischkenner mögen mich korrigieren).

Rebecka Martinsson stammt wie ihre Autorin aus Kiruna, der nördlichsten Stadt Schwedens. Im Juni/ Juli scheint hier 50 Tage lang die Mitternachtssonne, im Dezember herrscht 20 Tage lang Polarnacht. Die Stadt liegt zwischen zwei Erzbergen und enstand ab Ende des achtzehnten Jahrhunderts als Siedlung um eins der weltweit größten Eisenbergwerke. Was ich deshalb erwähne, weil es, wie sich im Lauf der Lektüre herausstellt, wesentlich mit der Geschichte zu tun hat.

Rebecka Martinsson hat in Stockholm Jura studiert und Anstellung in einer renommierten Anwaltskanzlei gefunden. Im ersten Krimi Larssons reist sie nach Kiruna, um dort die Ermittlung in einem Mordfall zu leiten, in einem der späteren Bände keht sie ganz zurück in ihre Heimat.
Hier ist sie nun mit ihrem inzwischen fünften Mordfall konfrontiert. Wie immer ermittelt sie im Verbund mit der Kriminalkommissarin Anna-Maria Mella. Diese hat Familie, vier Kinder, ein turbulentes Privatleben und eine Vollzeitstelle. Übrigens ein tolles Frauengespann, diese beiden!

Zum aktuellen Fall: Eine Frau namens Sol-Brit wird in der Nähe Kirunas grausam ermordet. Des Nachts im Schlaf in ihrem Bett mit einer Heugabel erstochen.
Mit im Haus lebt Sol-Brits Enkel, der siebenjährige Markus. Als man die Leiche entdeckt, ist Markus verschwunden, wird aber bald schon völlig verängstigt in einem Waldversteck gefunden. Es dauert geraume Zeit und bedarf einer Spezialistin für die Befragung von Kindern, bis auch nur ansatzweise ein paar verwertbare Hinweise aus ihm herauszukriegen sind. Schnell ist allerdings klar, dass auch sein Leben bedroht ist. Anschläge werden auf ihn verübt; der Polizeibeamte Krister nimmt ihn in seine Obhut.

Überhaupt scheint Sol-Brits gesamte Familie seit Generationen vom Unglück verfolgt. Sowohl ihr Sohn, als auch ihr Mann und die Großmutter kamen gewaltsam zu Tode, teils durch bis heute ungeklärte Unfälle, teils - wie die Großmutter - erwiesenermaßen durch Mord.
Was ist da los in dieser Familie?

Sol-Brits Großmutter Elina Pettersson arbeitete als junge Lehrerin im gerade aufsteigenden Kiruna und war durch eine tragische Liebe mit dem damaligen Bergwerksdirektor Hjalmar Lundbohm verbunden.
Diese Geschichte bildet den zweiten Erzählstrang. Kiruna im Jahre 1914. Die Schönheit der Landschaft, die Länge des Winters, die Härte der Bergweksarbeit, die Unnachgiebigkeit der hierarchischen Gesellschaftsordnung, der aufkommende Reichtum und die damit erwachende Gier. Eine alles verderbende Gier, die dem Buch seinen Titel gibt und sich als das wesentliches Motiv in diesem, in seinen Wurzeln weit zurückreichenden Kriminalfall herauskristallisiert.

Mit viel Liebe beschreibt Åsa Larsson die Landschaft, das spezielle Lebensgefühl damals wie heute in dieser so kalten Gegend. Neben aller Spannung, neben aller akribischen und aufreibenden Ermittlungsarbeit, der Gewalt, den irreführenden Spuren gibt es viele atmosphärisch schöne Szenen: Die Bärenjagd vom Anfang (ja, auch diese ist, trotz der Grausamkeit, schön in ihrer Beschreibung), ein Saunabesuch, Schnapsbrennerei, Fischfang, spontane gemeinsame Mahlzeiten aus Rentierstreifen, Moltebeeren und anderen regionaltypischen Gerichten ...

Die persönlichen Beziehungen spielen natürlich eine Rolle, private wie dienstliche. Nicht nur die tragische Liebesgeschichte im Kiruna um 1914, auch eine ganz anrührende zarte Annäherung zwischen Rebecka und Krister, dem Polizeibeamten. Und es gibt einen fiesen Staatsanwalt mit heftiger Profilneurose, der Rebecka den Fall streitig machen will. 
Darüberhinaus ist der Roman von zahlreichen Hunden bevölkert, oder vielmehr Hundepersönlichkeiten. Diese werden von Larsson so liebevoll gezeichnet, dass sogar ich, die ich eigentlich keine Hunde mag, am liebsten mit jedem einzelnen aus diesem Buch befreundet wäre.

Es fehlt nicht an sprachlicher Würze, den Protagonisten wird so einiges zugemutet, nicht zuletzt versucht Åsa Larsson auch in diesem wie schon in den vier Vorgängerbänden, ihre Ermittlerin Rebecka Martinsson umzubringen. Oh, oh ... Aber mehr wird nicht verraten.

*
"Ich stolperte und fiel. Das Buch riss sich los und lief in den Wald. Dank euch allen, die ihr mir auf die Füße geholfen habt, ihr wisst, wen ich meine. Eine Zeit lang glaubte ich, es werde nie mehr zurückkommen. Aber dann kam es doch, das geliebte Scheißbuch."

So beginnt  Åsa Larsson die Dankesworte am Ende ihres jüngsten Krimis.
Und zum Glück kam er! Kam es, das "Scheißbuch". Es brauchte länger als die vier Vorgängerromane um die junge Anwältin Rebecka Martinsson, aber es kam schließlich doch, und wir dürfen froh darüber sein.
Und aus dem Nachwort:
 
"Ich lese ein wenig über den Moloch. Der scheint ein Gott zu sein, der Reichtum, gute Ernten und Kriegsglück schenken kann. Aber welcher Gott versprach denn nicht genau das? Es wurden auch Kinder geopfert. Es gab hohle Molochstatuen aus Kupfer. Sie hatten Arme, die vieles umfassen konnten. In der Statue wurde ein Feuer angezündet, so dass sie glühend heiß wurde. Dann wurde dem Moloch ein lebendes Kind in die Arme gelegt.
Daran habe ich gedacht, als ich dieses Buch geschrieben habe. An das Opfern von Kindern, für den Fortschritt, für weltliche Ehre."

*

Hier, auf ihrer deutschsprachigen Website finden sich alle wichtigen Informationen zu Åsa Larsson und ihren Krimis.

Donnerstag, 16. Mai 2013

Neuerung

Liebe Leserinnen und Leser, es gibt eine kleine blogorganisatorische Neuerung, und zwar lassen sich fortlaufende Erzählungen wie die aktuelle "To Save a Nightingale" und Episodengeschichten nun auch chronologisch von oben nach unten geordnet und von Kommentaren nicht unterbrochen lesen. Dafür einfach die seitlichen Links unter "Der Garten im Ganzen und im Einzelnen" anklicken.

Übungen und einfache Dinge (nach dem Traum 10)

"Sie wirbelte herum, die Hand mit dem Messer in Schulterhöhe, bereit zum Verteidigungsstoß. Doch im Zwielicht konnte sie seine Position nicht deutlich ausmachen. Genau die Lichtverhältnisse, die er liebte. Dass er es gewesen war in seinem schwarzen Talar, bezweifelte sie keinen Augenblick. Niemand sonst war in der Lage, mit einer einzigen kurzen Berührung einen derartigen Kältestoß durch ihren Körper zu jagen. Dort, wo sein Finger auf ihre Schulter getippt hatte, ertastete sie ein kleines rundes Mal mit scharfen Rändern. Eisverbranntes Gewebe. Sie würde es herausschneiden müssen. Wieder einmal. Doch die Narben störten sie längst nicht mehr. Die waren der Preis, den ihre Auswilderung kostete. Er glaubte vermutlich, dieser Preis sei ihr zu hoch, sie würde ihn irgendwann nicht mehr zahlen wollen. Aber da kannte er sie schlecht ..."

Als ich aus dem Traum hochschrecke, siehst du mich an, als seist du dabeigewesen und habest die Szene genau beobachtet. 
"Es war nur ein Traum", platze ich sofort heraus, wie zur Verteidigung.
"Es war eine Übung", erwiderst du, und versetzt mich damit zum wiederholten Male in Erstaunen.

Seit ich dir versprochen habe, mehr von den Hütern zu erzählen, verfolgen sie mich im Traum. Aber anstatt ängstlich zu fliehen, setze ich mich dort zur Wehr. Das heißt, sie setzt sich zur Wehr. Denn ich träume von mir als einer dritten Person, einer, die zwar offensichtlich ich bin, aber herausgenommen aus mir, wie um mir die unschuldige Rolle einer Zuschauerin zu überlassen, die wählen kann, ob sie hin- oder wegsieht, ob sie gut oder schlecht findet, ob sie sich gar ein Beispiel nimmt.
Jedesmal erwache ich mit einem schlechten Gewissen aus diesen Träumen. Noch habe ich niemanden verletzt oder getötet, aber die Absicht, es im Notfall zu tun, hege ich zweifelsfrei. Ich trage stets ein Messer bei mir und scheine nicht nur mich, sondern auch meinen Platz verteidigen zu wollen. Einen frei gewählten Platz, den zu räumen ich nicht bereit bin.

Manchmal beobachtest du mich im Schlaf, so wie eben. Wenn ich das bemerke, versuche ich sogleich, meine geträumten Absichten zu relativieren. Ich schäme mich vor dir für meine Gewaltphantasien, die ich mir im Wachzustand niemals erlauben würde.
Doch du sagst dann Dinge wie "Es war eine Übung" oder "Dies ist erst der Anfang". Und ich verstehe nicht, bist du doch selbst der friedfertigste Mensch, der einzige. Aber deine Hand, die sich beschwichtigend auf meine Schulter legt, sagt mir, dass ich gar nicht verstehen muss. Dass es einen anderen Weg des Begreifens gibt.

"Können wir jetzt bitte Fische fangen und Kräuter sammeln? Können wir auf den Baum klettern und die höchsten Früchte pflücken? Dann ein Mahl zubereiten und essen? Können wir anschließend im Fluss baden? Uns danach zueinander legen und uns lieben, bis wir rundum satt sind? Und wenn wir genug haben, die Sonne verabschieden und den Mond und die Sterne begrüßen? Können wir all diese einfachen Dinge tun?"

"Natürlich", sagst du, "genau darum geht es doch."

 *

 Woran mich ihr Verteidigungstraum erinnert: Tirade.

Mittwoch, 15. Mai 2013

Spuren sammeln

Auf deinem Schreibtisch: die Bücher, das Federmäppchen, die Tintendruckerpatronen, die Lautsprecherboxen, die Klebezettel, die Papiertaschentücher, der Kugelschreiber, das Lineal, das Geschenkband, die Topfpflanze, der Drucker, der Bildschirm, die Tastatur, die Steckdosenleiste, die Kladden, der Klebefilmabroller, der CD-ROM-Stapel, die Papiergirlande, die rote Schnur, der Fisch-Anhänger, das Stifteglas, meine Unterarme, mein tastender Blick, die Spuren deiner Abwesenheit, du, dennoch, in allem, verfließende Zeit

Sonntag, 12. Mai 2013

Die Hüter 1 (nach dem Traum 9; und ein wenig Meta)

Am schlimmsten war, dass wir unsere Fragen nie zuende denken konnten, denn immer kamen uns die Antworten der Hüter zuvor. Und immer waren diese Antworten so klug und schlüssig, dass sie dicke fette Punkte mitten hinein in unsere unbeholfenen Frageversuche platzierten, Schlusspunkte, die allem Zweifel bereits im Ansatz den Garaus machten. Wir standen da mit offenen Mündern, die versiegt waren und ließen uns SchwarzaufWeis(s)heiten in die Ohren pflanzen, abgelesen von Dünndruckseiten aus einem meterdicken schwarzen Buch, dessen Titel schlicht "Das Wort" lautete. "Das Wort" versammelte alles in sich, was man wissen musste, um ein gefälliges Leben zu führen. Erklärungsbefugnis hatten allein die Hüter. Sie hüteten uns und unsere Zungen und Ohren (und auch unsere anderen Gefäße) und das Wort und seine strikte Befolgung.

Wenn ich dir das nun erzähle, weiß ich, dass aus meiner Art und Weise des Erzählens der Zwang herausklingt, dem wir unterworfen waren, aber damals empfanden wir es ganz im Gegenteil als Schutz und waren dankbar für alles, was wir lernen durften und hatten kein anderes Ziel, als selbst eines Tages zur Schar der Hüter gehören zu dürfen. Verstehst du? 
Und ich war diesem Ziel bereits ganz nahe, als du mich in meinem Traum aufsuchtest und mit einem einzigen Blick, einer einzigen Handbewegung all die dicken fetten Punkte aufwirbeltest, um sie anschließend  nach und nach hinauszubefördern aus meinem Geist.

Du willst, dass ich von den Hütern erzähle, und ich weiß, dass du Kunde von all dem in meiner tiefsten Tiefe Verankerten erlangen willst, aber das braucht Zeit und eine andere, dem Ganzen angemessene Sprache, die gerade erst in mir heranzureifen beginnt. 

So üben wir uns in Geduld, einer Geduld, die in ihrer Behutsamkeit derjenigen verwandt ist, die wir im Umgang mit unserer schlafenden Nachtigall an den Tag legen. In ihrer Behutsamkeit, aber auch in ihrer Beharrlichkeit und gespannten Neugier.


*


Liebe Leserinnen und Leser, an dieser Stelle sei zum einen hingewiesen auf ein paar thematisch verwandte Texte:

- Gott

Es gibt noch viele mehr in meinem Blog, desweiteren eine nie ganz fertiggestellte und auch nicht hier im Blog veröffentlichte Erzählung mit dem Titel "Vogelfrau", in der es um eine gefangen gehaltene Frau geht, die sich schließlich mit einem Sprung vom Balkongeländer in den Tod aus ihrer Gefangenschaft befreit. Riesige umgeschnallte Flügel, eine sich seltsam verhaltende Möwe, rohe Gewalt, die Sehnsucht nach dem Meer und ein Kommissar, der weiß, dass es mehr als nur sichtbare Wahrheiten gibt, spielen darin eine Rolle.
Erst vor kurzem fiel mir übrigens die - eigentlich offensichtliche - Verwandtschaft der Titel "Vogelfrau", "Vögelchen", "To Save a Nightingale" auf. Für mich ein weiterer Hinweis darauf, dass ich mich in konzentrischen Kreisen um ein einziges zentrales Thema zu bewegen scheine.
Und apropos "Vögelchen": Auch dieses muss sich in Geduld üben, denn mein Interesse kreist momentan nunmal hauptsächlich um die Nachtigall-Geschichte.

Ich könnte mich nun fragen, für wen das alles von Interesse sein soll. Manchmal tue ich das auch. Inzwischen weiß ich es von einigen wenigen Menschen; und deren Interesse, weil es offensichtlich echt ist, freut mich sehr. Davon abgesehen ist mir aber klar, dass ich all dies einfach aufschreiben muss. Es gibt dafür weder Erklärung noch Beweis, aber mich nicht verpflichtet zu fühlen, solche zu erbringen, ist Teil einer inneren Freiheit, die ich hüte wie einen Schatz, der unter schwersten Bedingungen gehoben wurde. Das mag pathetisch klingen, aber auch hier wieder: meine Freiheit. Und die der Leserin, des Lesers! Niemand muss es lesen, verstehen, mögen.

Zum anderen will ich an dieser Stelle einfügen, dass sich die Textsplitter zur "Nachtigall" nicht chronologisch aneinanderreihen. Ich stelle sie ein, wie sie sich mir anbieten (und ich empfinde es als ein Angebot, dem ich mich lediglich zu öffnen habe, was es nicht unbedingt einfach macht), nicht alles wird auf Anhieb verständlich sein, das ist es auch mir selbst nicht immer. 
Im Hintergrund arbeite ich an ein paar später einzufügenden Verbindungsstücken, und auch das Ende der Geschichte steht bereits fest. Manchmal juckt es mich in den Fingern, es schon jetzt zu veröffentlichen, aber das würde, da bin ich sicher, den Fluss bremsen, der bis dahin noch strömen will und muss. 
Also übe auch ich mich in Geduld und freue mich über jede einzelne Leserin, jeden einzelnen Leser, die/ der mir mit der gleichen neugierigen Geduld (oder geduldigen Neugier) zu folgen bereit ist

Samstag, 11. Mai 2013

Erlaubnisse

Es gibt so Tage, die stecken voller Erlaubnisse, ich brauch sie nur zu pflücken, und wenn sie ausgehn, pflanz ich ein paar neue. So leicht ist das. Manchmal. Und zur Erinnerung halt ich's hier fest.

Freitag, 10. Mai 2013

Neben mir: du

Was du mir bist
und wer " " "
und wozu " " "

und neben mir
und meiner Anmaßung:
du

und zwischen uns
(oder um uns?):
eine Freiheit
die maßhält
weil sie anders
nicht sein kann

Sonntag, 5. Mai 2013

Singen (nach dem Traum 8)

Ich will sie so gern singen hören! 
Ich brenne darauf, dass sie endlich aufwacht, kann mich manchmal kaum noch beherrschen und bin kurz davor, sie zu wecken. Ganz sanft, natürlich! Mit einem winzigen Schubs nur. Sachte übers Gefieder blasen. Oder einem zärtlichen Kuss auf das kleine Köpfchen, durch das uns unbekannte Träume ziehn. 
Aber dann scheue ich doch jedesmal davor zurück. Nicht immer bedarf es dazu deines Blicks, der sagt 'Hab Geduld. Lass sie. Es wird von selbst geschehen, eines Tages.' 
Also lassen wir sie schlafen. Und schlafen.
Was hat diesen kleinen Vogel bloß so unendlich müde gemacht?

Ich habe mir angewöhnt, mich in deinen Blick zu betten, der sich darbietet wie ein sanftes Lager. Dort vergesse ich mein Spiegelbild und die Ordnung meiner Züge und meiner Haltung, deren gründliche Überprüfung und Zurechtrückung zu meiner täglichen Routine geworden waren. Ich lasse mich aus dem Rahmen meines selbstkritischen Schauens in dein abstrichlos annehmendes fallen.
Als ich dich einmal fragte, wo du diesen Blick erlernt habest, erwidertest du, es sei nicht nötig gewesen, ihn zu erlernen, da du ihn nie verlernt habest. Und ich dachte an meine Jahre zwischen den Mauern, in denen ich unfassbar viel verlernt haben musste. Das Gegenteil hatte ich für wahr gehalten, hatte doch all dies Verlernte ein immenses, Bedeutung vorgaukelndes Gewicht, so dass es sich anfühlte wie ein ungeheurer Lernreichtum.

Aber erst jetzt und durch dich lerne ich wirklich, indem ich mich von dir zu etwas zurückführen lasse, das einmal dagewesen sein muss. Vor der großen Erweckung, die in Wahrheit eine Einschläferung war. 'Ja? War sie das?', fragt etwas in mir. Inzwischen denke ich, dass es so war. Frage mich aber auch, ob dies denn bereits meine eigenen Gedanken sind. Vielleicht schlafe ich noch immer (wenn es denn so war/ist, wie ich (ich?) denke). Vielleicht träume ich noch (wenn dies denn wirklich (wirklich?) ein Traum war/ist). Ich weiß es nicht.

Was ich aber weiß: Dass wir hungrig und durstig sind und dann essen und trinken, dass wir uns die Münder mit den Handrücken abwischen und uns die satten Bäuche reiben. Wir graben unsere Zehen ins Erdreich und unsere Finger in die Körperhöhlen des jeweils anderen. Den Fingern folgen die Nasen und die Zungen. Wir sind voll unverhohlener Neugier. 
Und du siehst mir dabei zu, wie ich mich aus dem Rahmen fallen lasse.

Ach, und zugleich mit deinem Blick immer auch dein Ohr, das mich zum Singen bringt. Leise noch, ein wenig unterdrückt. Um unsere schlafende Nachtigall nicht vor der Zeit zu wecken.

Samstag, 4. Mai 2013

DANKE ...

... Euch allen in Hamburg und Berlin für die schönen, reichen Begegnungen! 
Das war eine wunderbare Reise.


auf
und
ab
davon

immer(-)
hin
(und)
weg

jetzt:
(fast) wieder hier
nicht mehr (ganz) dort

fortwährend: