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Dienstag, 21. Mai 2013
Fadenlos
Sie halten es für offensichtlich und sprechen es deshalb laut aus, dass sie ihren Faden verloren habe. Ha, seht nur, sie hat den Faden verloren! Aber das ist falsch. Denn offensichtlich und also richtig ist lediglich, dass sie keinen Faden mehr besitzt, aber nicht, wie er ihr abhanden kam. Wobei auch der Ausdruck des Abhandenkommens in eine falsche Richtung weist, denn vielleicht kam er ja nicht abhanden - durch verlieren oder vergessen oder genommen werden -, sondern vielleicht steckte ja eine Absicht dahinter, ihre Absicht. Und ja, nun will sie die Ironie beiseite lassen und frei heraus sagen, wie es ist: Sie hat ihren Faden genommen, ihn in den Wind gehalten und losgelassen. Einfach so. Mit voller Absicht. Weg war er, und sie hat nicht einmal darauf geachtet, in welche Himmelsrichtung der Wind gerade wehte. Und sie weiß nicht, kann es ja nicht wissen!, woher denn auch?, ob sie jemals wieder zueinander kommen werden, ihr Faden und sie. Ach, und überhaupt: Braucht sie doch nur in die Luft zu greifen und einen der lose flatternden Fäden zu fassen. Muss es doch gar nicht dieser eine spezielle sein. Nie je hat sie sich freier gefühlt als nach dem Loslassen des Fadens. Ja, so etwas gibt es, Sie dürfen Ihre Münder nun wieder schließen und sich Ihren alltäglichen Verrichtungen widmen, bis die nächste offensichtliche Danebenheit in Ihrer Umgebung passiert. [Und das leise Ziepen in ihrer Mitte, von dem sie nicht weiß, ob es vom Verheilen einer Wunde oder vom Durchbruch eines neuen Fadens stammt, blendet sie, solange die Offensichtlichkeitsdeuter sie noch umzingeln, einfach mal aus.]
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