Sag,
was Du zu sagen hast.
Sag es im Guten.
Sprich von Deiner Liebe,
red von Deinem Schmerz.
Sag es in Versen
und wahre die Form,
in der Du erkennbar bleibst.
Und wenn niemand Dich hört,
dann red gegen Wände
oder rufe laut in den Wald.
Sag, was Du zu sagen hast,
denn Dein Wort zählt -
die Dir verbleibenden Tage.
*
Dieses Gedicht habe ich gestern bei Jost Renner gefunden, dessen Blog Liebesenden zu meinen Lieblingslektüren gehört. Es finden sich dort lauter feine Gedichte, die in ganz eigener und, wie ich finde, zärtlicher Weise von Schmerz und Liebe sprechen.
"Sag, was Du zu sagen hast. Sag es im Guten." - Dieser Satz trifft mitten hinein in meine persistenten Zweifel daran, ob ich denn etwas zu sagen habe. Also etwas, das von Bedeutung sein könnte für irgendjemanden in irgendeinem Zusammenhang. Es geht nicht um eine Erlaubnis, oder höchstens um eine, die ich mir selbst erteile oder verweigere. Es geht um die Relevanz. (Ich wiederhole mich hier, schreibe nicht zum ersten Mal darüber, sorry, sicher werden noch mehr Einträge dazu folgen.)
Aber es sind da ja Gedanken, und sie wollen hinaus. Im Guten, das ist mir wichtig, denn wo es nicht im Guten gemeint ist, kann es auch nichts Gutes bewirken, davon bin ich überzeugt.
(Und ich tanze trotzdem auf dem Blocksberg! Das muss als Randbemerkung mit hinein, ohne dass ich es an dieser Stelle näher erläutern will. Notiz an mich: Irgendwann mal über die Radikalität des leisen Liebens schreiben.)
"Sprich von Deiner Liebe, red von deinem Schmerz." - Wovon sonst, denke ich im ersten Moment, im zweiten fallen mir all die Texte ein, in denen ich nicht explizit über mich und von mir schreibe, und im dritten Moment wird mir klar, dass auch diese Texte meine Liebe und meinen Schmerz wenn nicht zum Thema, dann doch als Richtschnur haben. Das Erleben meiner Figuren muss nichts mit meinem eigenen Erleben zu tun haben, aber mein Umgang mit ihnen ist davon geprägt. Man kann sich schlicht nicht aus seinen Texten heraushalten.
Und dann gibt es sie ja trotzdem auch, diese Texte, die von der eigenen Liebe und dem eigenen Schmerz sprechen. Diese sind die schwierigsten, finde ich, ist man nicht auf Reaktionen der Anteilnahme aus, sondern will dieses Persönliche genau wie alles andere zur Verfügung stellen, teilen und freilassen, damit der Leser es betrachten und benutzen oder verwerfen kann, wie er es will und braucht, ohne (falsche) Rücksicht auf den Verfasser.
Und es schließt ja nicht aus, dass man mit einigen wenigen dann doch ins Gespräch kommt über die persönlichen Dinge, aber mein Ziel ist das nie, da wähle ich lieber den direkten Weg des Gesprächs.
"Sag es in Versen und wahre die Form, in der Du erkennbar bleibst." - Für mich müssen es nicht unbedingt Verse sein. Aber die Form zu wählen, in der ich erkennbar bin/ bleibe, das ist eine Forderung, zu der ich ein Ja, ein Nein und ein Jein habe. Ich will
mich ausdrücken, aber oft ist es eher so, dass ich
etwas ausdrücken will, und möchte, dass sich der Leser der Sache zuwendet und nicht mich im Text zu erkennen sucht. Nicht, weil ich mich verstecken will, sondern weil es mir wirklich, wirklich, wirklich um die Sache geht.
Auch hier ist es also wieder so, dass es in manch einem Text nicht um meine Person geht, sondern um irgendeinen Gegenstand materieller oder ideeller Art, aber
wie und
weshalb ich darüber schreibe, hat natürlich mit mir zu tun und zeigt etwas von mir, nur dreht es sich eben nicht um mich. Vielleicht ist genau das mit obigem Satz gemeint.
Davon abgesehen empfinde ich es als (möglicherweise lebenslangen) Prozess, eine/ die Form zu finden, in der man unverwechselbar erkennbar ist, die also eine wirklich ganz und gar eigene ist.
"Und wenn niemand Dich hört, dann red gegen Wände oder rufe laut in den Wald." - Diesen Satz finde ich so schön, weil er zwar etwas Trauriges beinhaltet (nicht gehört zu werden), aber auch etwas Befreiendes: Ich muss mich nicht von Hörern (bzw. Lesern) abhängig machen, weder von ihrer Anwesenheit noch von ihren Reaktionen, ich kann auch für mich und in die Stille und in den Lärm sprechen, flüstern, schreien. Das hat etwas sehr Integres, was sich darin fortsetzt, dass, wenn dann doch einmal Hörer anwesend sind, die zudem reagieren oder nicht, ich nicht anders sprechen möchte als zur Wand oder zum Wald.
Nicht missverstehen! Ich meine damit nur, dass meine Rede sich nicht an Zuwendung, Gefallen oder Missfallen orientieren soll. Entgegengebrachte Aufmerksamkeit möchte ich jedoch mit Aufmerksamkeit erwidern. Und einem Verständniswunsch kann ich durchaus mit einem Verständlichmachungsversuch begegnen.
"Sag, was Du zu sagen hast, denn Dein Wort zählt - die Dir verbleibenden Tage." - Dieser Satz berührt mich am stärksten. Er ist so gut formuliert in seiner Mehrdeutigkeit. Mein Wort zählt. - Ja, nicht mehr und nicht weniger als das eines jeden. Das kann ich ohne weiteres akzeptieren und für mich in Anspruch nehmen, ohne darin einen Widerspruch zu meinen Zweifeln an der Relevanz meiner Äußerungen zu entdecken.
Aber meint denn dieses Zählen nicht gerade, dass es Relevanz hat? Nein, ich glaube nicht. Meines Erachtens geht es vielmehr um einen Wert abseits jeglicher Leistung und zu erwartender oder erzielter Wirkung. Mein Wort zählt, es ist etwas wert, allein aus dem Grund, weil es mein Wort ist.
(Ich bin nicht ganz zufrieden damit, wie ich das hier formuliere, aber ich krieg's grade nicht besser hin.)
Und: Mein Wort zählt die mir verbleibenden Tage. - Dieser Hinweis auf die Endlichkeit des Lebens ändert den Blick auf die Fragen nach Relevanz und Form. Wir haben nicht unendlich viel Zeit und werden sowieso keine Vollkommenheit erreichen. Warum also nicht wertschätzen, was ist, im vollen Bewusstsein der Vorläufigkeit, die in allem liegt.
*
Lieber Jost, ich danke Dir herzlich fürs Ausleihen Deines Gedichts und bin mir bewusst, dass meine Auslegung eine sehr subjektive und unvollständige ist. Ich durfte mir Deine Worte zu eigen machen, das hat mir gut getan.