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Sonntag, 1. Juni 2014

Der Fünf-Mark-Trick

"Hier haste fünf Mark, kauf dir deine Kindheit zurück", sagt er und verschwindet, bevor ich etwas erwidern kann.
Komischer Traum, denke ich und schüttle mich wach. 
Hallo?!
Ich schüttle mich wahach!!
???
Nichts.
Okay, das kenne ich: Manche Träume sind gar keine. Was hat er gesagt?
Ich öffne meine Hand, die ich um das Fünfmarkstück geschlossen habe und muss grinsen. In mich hinein. Auch aus mir heraus, aber das geht niemanden was an.
Ich beginne über D-Mark und Euro nachzudenken und darüber, wieviel bzw. wie wenig man für diesen Geldbetrag käuflich erweben kann. Bremse mich aber rechtzeitig. Denn so absurd, wie diese Geschichte angefangen hat, soll sie auch weitergehen. Heißt: Alles ist möglich!

Was hätte ich denn gerne zurück?


... die warme weiche Bettdecke, die Kuscheltiere, das Fenster zu sämtlichen Jahreszeiten, die Leckmuschel, das kleine Vanilleeis am Stiel, die Wiese mit dem hüfthohen Gras, den klaren Bach und den hölzernen Steg darüber, die Schaukel, die so weit schwingt, weil sie an einem hohen Ast aufgehängt ist, den Grießbrei mit der Butterpfütze, das Sofa mit dem goldenen Cordbezug, Bonanza, Lassie, Flipper, mein erstes Fahrrad, meine ersten Schlittschuhe, das Tarzanspielen einen ganzen Sommer lang, das Lesezelt aus Tisch und Bettlaken ...

Das ist schon einiges, und das Fünfmarkstück ist noch längst nicht aufgebraucht. Um korrekt zu sein: Es ist nicht mal angebrochen. Weiter im Text:

... meine kleine Hand in einer großen Hand, den ersten Schultag, das buntgestreifte Sommerkleid, den Kletterapfelbaum, das zugeflogene Entenpaar, die roten Kniestrümpfe, die neuen Sandalen, das aufgeschürfte Knie und "Heile, heile Gänschen", die Freundinnen, die Lachanfälle, den Schwimmbadgeruch, das Sommergeräusch, den Glauben ans Christkind, das unbedingte unbewusste Vertrauen, die Karussell- und Achterbahnfahrten, die Zuckerwatte, alles ... alles bis zum Alter von zwölf Jahren, danach nichts mehr, erstmal ...

Die fünf Mark sind noch da. Ist ja klar, alles spielt sich in meinem Kopf ab. Oder? Immerhin ist es abrufbar. Es ist geblieben, weil nichts, das einmal war, je verschwindet. Auch nicht die doofen Sachen, leider. Aber für die taste ich das Fünfmarkstück nicht an.

4 Kommentare:

  1. Ein wunderbares Gedankenspiel. Was mich fasziniert, wie tatsächlich an einem bestimmten Punkt erstmal Schluss ist. Bei mir im Alter von 9. Danach wird es bruchstückhaft. Aber die Gedanken, auf die man die Münze verwendet, sind ja zum Glück frei...

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    1. Genau, die Gedanken sind frei, das ist der Trick. :-)

      Bei mir ist es allerdings umgekehrt mit den Erinnerungen: Lange Zeit waren nur noch die ab zwölf ganz klar, die davor hatte ich mir mehr oder weniger verboten, weil sie von einer Unbeschwertheit waren, die ich mir nicht mehr erlaubte, nachdem meine Mutter mich in ihre Eheprobleme eingeweiht hatte. Vor Jahren habe ich angefangen, mir die frühen Erinnerungen zurückzuerobern. Und auch die späteren verändern sich, werden versöhnlicher. Das hat, finde ich, nichts mit Verfälschung oder Beschönigung zu tun, sondern schlicht mit einer Erlaubnis, die man sich selbst erteilen darf. Und mit der Zeit, die heilsam wirkt.

      Das ist jetzt recht persönlich. Nimm einfach nur soviel davon, wie Du magst. :-)

      Lieben Gruß, Iris

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  2. Die Leckmuschel, der Schwimmbadgeruch, das Lesezelt.
    Schön und vertraut.

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