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Sonntag, 24. Juni 2012

Zettelkram

Einmal hatte ich draußen im Freien einen Zettel gefunden, auf dem stand in Krakelschrift ein kleines vollkommenes Gedicht. Das heißt, ob es vollkommen war, wagte ich eigentlich nicht zu beurteilen. Es sprach mit mir, so war das, und es griff in mich hinein und drehte etwas in mir herum, sodass mein Interieur anschließend umgeordnet war. 
Aber was für ein Mensch war ich denn, und wie war denn meine Tür beschaffen, musste man klopfen oder klingeln, stand sie möglicherweise offen, und man konnte einfach eintreten ins Innere? War sie aus Glas oder aus Holz? Eine schwere Eisentür? Nein, sicher nicht. 
Vielleicht war es leicht, mich zu beeindrucken, war da etwas Schlichtes, das auf ebenso Schlichtes reagierte. 
Wüsste ich nur den Verfasser dieser Verse. Wüsste ich, ob es ein obenstehender oder ein uneingeordneter war, ob ich hoch zur goldenen Schublade oder unten hinein ins Sonstige greifen sollte.
Ich steckte den Zettel in meine Jackentasche und faltete ihn dort mit blinden Fingern zu einer Blüte. Als ich ihn zuhause in der Diele herausnahm, duftete er, und das Papier schimmerte bläulich. 
Ich bereitete mir Tee und belegte einige Scheiben Brot mit irgendwas, das hatte keine Wichtigkeit. In der Stube am Tisch strich ich den Zettel glatt, seine Farbe changierte ins Grün. Ich las das Gedicht erneut, es sprach von Urteilskraft, ohne dieses Wort zu verwenden. Und es sprach zu mir ohne Absicht, so schien es mir, und das war ja auch plausibel, kannten mich doch weder Verfasser noch Gedicht. 
Diese Absichtslosigkeit machte mich weich und durchlässig. Die Worte leuchteten mir ein. Und sie leuchteten weiter, nachdem das Licht ausgeknipst war, und auch noch, als ich längst die Augen geschlossen hatte. Selbst in meinen Schlaf und in meine Träume hinein leuchteten sie.
Am Morgen saß der Zettel auf dem Fensterbrett. Als ich nach ihm griff, breitete er zwei winzige durchscheinende Flügel aus und entwich durch einen Spalt ins Freie. Und in meinem Kopf flatterte die Erinnerung an etwas, das ich für mich behalten würde wie einen Schatz, denn ich würde sowieso nicht die Worte finden, um es zu beschreiben. Und wer würde mir schon glauben?

2 Kommentare:

  1. Das ist so schön, was du zur Zeit schreibst. Das leuchtet.

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    1. Das freut mich sehr, liebe Mützenfalterin, dass Du es so siehst. Danke!

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