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Montag, 20. Dezember 2010

Du da

(Nichts gegen Gott und nichts gegen die Welt, aber viel gegen eine Kirche, die sich beides einverleiben will.)


Du da in deiner Krippe.

Kind im Brennpunkt einer Weichzeichnung.

Zentnerschwer haben sie Dich mir ans Herz gelegt. Das blutet, und weint um Deinen tausendfach wiederholten Tod. Aber um den geht es jetzt gar nicht. Um Deine Geburt geht es, die wir heute feiern. Um Heu und Stroh, in denen Du lagerst in unseren Hirnen. In genormte Liebe gebettet, zurechtgerückt von eifrigen Händen, mit liturgischer Präzision in Form gebracht.

Mit Schwung und sicherem Griff packen sie Dich in die grobzwirnige Windel, als Vorgeschmack auf härtere Bandagen. Lassen Engelszungen an Deinen Ohren lecken, flüstern Dir ein, was Du die nächsten dreißig Jahre zu tun hast. Wir kennen das alles schon. Du wirst es in Windeseile erfahren. Karfreitag weißt Du Bescheid.

Kein Wunder, dass Dem-Da-Oben die Klappe runterfällt in Form eines Sterns. Und der lockt dann auch noch alle Welt in diesen Stall.

Glaub mir: Wäre ich ein Sieb, würde ich das aushalten. Aber so? Ich bin ein geschlossenes Gefäß. Gleich bei meiner Aufnahme wurden mir die Augen verbunden und sämtliche Poren verstopft. Ich bin semipermeabel. Um die Bedeutung dieses Wortes zu verstehen, musst Du erst zweitausend Jahre alt werden. Ich erklär’s Dir jetzt schon: Nichts, was durch meine Ohren in mich hineingeht, kommt jemals wieder aus mir heraus! Ich schwitze Blut und Wasser in meine eigene Seele.

Du da in Deiner Krippe weißt in diesem Moment noch gar nichts, aber morgen schon alles. Und das ist viel zu viel für Dein kurzes Leben. Da geht nur noch Tod. Und der nur qualvoll. Heute noch gepriesen, morgen schon abgekanzelt.

Du bist wie wir, hattest auch keine Wahl. Da könnte ich eigentlich Bruder zu Dir sagen.

He, kleiner Bruder in der Krippe! Dein Weg beginnt genau hier und endet genau dort. Willst Du ihn gehen?

Spielt aber sowieso keine Rolle, diese Frage. Denn gefragt wird hier nicht. Geschluckt wird und gehorcht. Dann gibt’s auch was geschenkt: L-I-E-B-E, [Liebe]. Die standardmäßige Luxusausführung, gefriergetrocknet. Das ist ihre Antwort. Und zwar auf alle Fragen, die alten wie die neuen. Und wenn Du’s nicht glaubst, kriegst Du sie um die Ohren gehauen bis –

Ja, da können sie schon mal aus der Fassung geraten, so im Gefecht des Eiferns.

Aber jetzt liegst Du erst mal da in Deiner Krippe. Noch kitzelt das Stroh, noch duftet das Heu,noch lässt sich leicht glauben, dass Du selbst es seiest, der gerade Dein unbeflecktes Leben empfängt, und nicht eine Meute gieriger, lauernder –

Nein, ich werde Dir jetzt nicht verraten, dass Weihnachten immer genauso schnell vorbei ist wie es gekommen ist. Nicht heute.

Staune noch ein wenig, vertraue noch ein wenig, glaube noch ein wenig.

Sei noch einen Augenblick lang Kind.

Du da in Deiner Krippe.

6 Kommentare:

  1. Liebe Iris,
    die ausgefeilten Worte fließen wie Öl, eingängig, und glatt zu schlucken. Gegen den Inhalt kann es keine Einwände geben, da er ohne weitere Recherche in den Evangelien nachzulesen ist. Wie sähe der Text aus, wenn das Wickelkind Christiane F., Adolf H. oder Iris H. hieße?
    Du da an Deinem Schreibtisch!
    Festes Frohsein, Ginko.

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  2. Danke, lieber Ginko!
    Der Gedanke, die Person auszutauschen, ist interessant. Und zum Teil ganz schön traurig, wenn man sich Lebensläufe (vergleichend) anschaut, die alle mal mit einer Geburt von Möglichkeiten begonnen haben.
    Auch Du da an Deinem Schreibtisch! :-)
    Frohes Fest und liebe Grüße, Iris

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  3. Ein sehr gelungener Text, liebe Iris. Danke dafür. Dir ein frohes Fest und schöne Tage. Melusine

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  4. Liebe Melusine,
    hab vielen Dank. Und ich wünsche Dir und Deiner Familie ebenfalls frohe Weihnachten und schöne Feiertage/Ferien.
    LG Iris

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  5. Sehr flüssig und zugleich fetzig geschrieben! Dazu fallen mir ein paar Zeieln von Karl-Heinz Deschner ein:

    "Indes, “Der Anblick der Menschheit war nicht mehr zu ertragen”, für den Allerbarmer die große Ersäufnis unumgänglich. Doch dann, trotz weisester Voraussicht, versieht sich der Allwissende erneut, verlottert auch der Rest; wird aber nicht ertränkt mehr, nein, erlößt. Erlößt durch einen Sohn! Und der Sohn, der Gott im Grunde selber ist und doch wieder nicht ist und doch wieder ist - oder ist es nicht so? -, kommt mittels des heiligen Geistes, einer weiteren, einer dritten Person des einen Gottes, aus einer Schreinermeistergattin, einer Ehefrau und Jungfrau zugleich. Und bald läßt die zweite der drei Personen oder vielmehr der dreieinen, die da in Palästina herumläuft wie jedermann, Lahme gehen, Blinde sehen, Tote auferstehen, kurz, das fleischgewordene Wort kann alles - nur nicht die bösen Juden überzeugen? Denn (das geringste nicht der vielen Mirabilien damals) man mißtraut dem Alleskönner und nagelt ihn ans Kreuz; worauf er, der Gott, sich selbst, den Gott - verzweifelt bei Markus und Matthäus, friedlich einverstanden bei Lukas und Johannes-, den Geißt aufgeben, zum Vater sozusagen wieder sich versammeln läßt, ohne daß ein Historiker der Zeit, des Jahrhunderts, dies notierte. Wer nahm ihn schon ernst?
    Doch wie erfolglos auch im Leben, mit Gottes Tod kam der Erfolg. Endlich war die Welt erlößt! Nur leider noch nicht ganz. Ja, trotz Vater, Sohn und Geist und aller Erlößung bedurfte es jetzt des Taufbrunnens noch, mancherlei Kasteiens, Anblasens, Kreuzeschlagens auch, eines großen Glaubens, eines blinden Gehorsams, des Halten vieler alter und noch mehr neuer Gebote. Doch hatte einer selbst ein Lebtag lang nie schwer gesündigt, getreu getan vielmehr, was Päpste ihm und Bischöfe befohlen und H.H. Stadtpfarrer, verfehlte er zuletzt sich noch, briet er dafür ewig in der Hölle."

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  6. @Alejandro Guepardo: Danke für Deinen Kommentar!
    Deschner schreibt ja mit sehr spitzer Feder. Ich kann vieles an seiner Kirchenkritik (oder auch der prinzipiellen Kritik am Christentum) nachvollziehen, finde mich häufig wieder. Allerdings empfinde ich ihn auch als sehr grundsätzlich ablehnend und unversöhnlich und von daher auch ein wenig starr, nicht mehr zur Auseinandersetzung bereit, wodurch er dann denen wieder ähnelt, die er kritisiert. Aber wie dem auch sei - der zitierte Text trifft es in meinen Augen sehr gut.
    LG Iris

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